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Länderberichte

Abkehr vom Correísmo

Ecuador entscheidet sich überraschend deutlich für den konservativen Politiker Guillermo Lasso als Staatsoberhaupt

Am vergangenen Sonntag, dem 11. April 2021, ging Guillermo Lasso von der Mitte-Rechts-Partei CREO (Creando Oportunidades) mit 52,36% der Stimmen als Sieger aus der Stichwahl um das ecuadorianische Präsidentenamt hervor. Nachdem die erste Runde der Präsidentschafts- und Kongresswahlen vom Februar keinen eindeutigen Sieger beschert hatten, waren sich der konservative Guillermo Lasso und Andrés Arauz vom sozialistischen Bündnis UNES (La Unión por la Esperanza) im Wettstreit um das höchste Staatsamt gegenübergestanden. Die Wahl Lassos bedeutet für das Land eine Fortsetzung der unter dem scheidenden Präsidenten Lenín Moreno (2017-2021) begonnenen liberalen Reformpolitik, ein Aufruf zur wirtschaftlichen und nationalen Konsolidierung und eine klare Absage an das Lager des im Exil lebenden ehemaligen Präsidenten Rafael Correa (2007-2017).

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Regionale und innenpolitische Bedeutung der Wahl

Der überraschende Sieg des konservativen Guillermo Lassos bei den Präsidentschaftswahlen in Ecuador ist ein starkes Zeichen der Hoffnung für die Region inmitten sehr herausfordernder Zeiten. In den vergangenen zwölf Monaten haben sich viele der altbekannten strukturellen Konflikte in der Andenregion im Kontext der Corona-Pandemie verstärkt. Die Region droht aufgrund von durch die Pandemie verschärften wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen, bspw. extreme Wirtschaftseinbrüche, Staatsverschuldung, gestiegene Armutsraten und eine verheerende Bildungskrise, in ihrer Entwicklung zurückgeworfen zu werden. Die ohnehin schwache demokratische Institutionalität hat weiter Schaden gelitten, das Misstrauen in die Institutionen zugenommen, der politische wie gesellschaftliche Konsens erodiert weiter und populistische Heilsversprechen und die politische Tendenz im Fahrwasser des Sozialismus des 21. Jahrhunderts nehmen zu.

Der Ausgang der Wahl ist damit ein Lichtblick und bedeutet die Weiterführung der aktuellen Reform- und Liberalisierungspolitik des Landes. Dass der konservative Lasso, der sich im Wahlkampf vor allem als Gegner des Correísmo präsentiert hatte, nach einem relativ schwachen Ergebnis von 19,74%  im ersten Wahlgang nun 52,36% der Stimmen  im zweiten Urnengang holen konnte ist beachtlich. Er hat es damit verstanden, durch seine kommunizierten Reformvorschläge und die in der Stichwahlkampagne gegenüber den politischen Gegnern angestimmten versöhnlichen Töne die wahlentscheidenden Stimmen zu gewinnen. Es ist aber auch ein deutliches Zeichen dafür, dass die Bevölkerung in Zeiten der Unsicherheit von Pandemie und sozialer Not keine Rückkehr zu einer Politik will, die mit dem Namen des Ex-Präsidenten Rafael Correo in Verbindung steht. Vielmehr kann aus dem Votum des Volkes auch die Hoffnung herausgelesen werden, dass die vom neu gewählten Staatschef ausgerufene Besinnung auf die nationale Einheit des Landes ein Anliegen der demokratischen Mehrheit ist. Das Ergebnis in Ecuador stoppt damit den in der Andenregion aufgrund der Wahlergebnisse anderer Andenstaaten immer stärker wahrnehmbaren Einfluss linksgerichteter politischer Kräfte und könnte sich auch entschärfend auf die zunehmende Systemkonkurrenz auf dem ganzen Kontinent auswirken.

Innenpolitisch verspricht der neue Präsident einen Richtungswechsel, der sich zunächst auf die Konsolidierung der Gesellschaft und die Pandemiebekämpfung konzentrieren wird. Ein unzureichendes Krisenmanagement der Pandemie, die bislang rund 17.000 Todesfälle zur Folge hatte, sowie der äußerst geringe Prozentsatz von 1,1%  vollständig Geimpften, erfordern ein schnelles und konsequentes Handeln und den Ausbau des Gesundheitswesens. Guillermo Lasso hat daher angekündigt, die bis jetzt schleppende Impfkampagne anzukurbeln und in seinen ersten 100 Regierungstagen neun der rund siebzehneinhalb Millionen Ecuadorianer gegen Covid-19 impfen zu lassen. Daneben möchte er für mehr Steuergerechtigkeit sorgen und appelliert angesichts dramatisch gestiegener Armutszahlen  dabei vor allem auch an die Unternehmer und Vermögenden, ihrer Steuerverpflichtung nachzukommen. Damit einher geht der Aufruf für ein entschlossenes Vorgehen gegen Korruption. In Kooperation mit den Vereinten Nationen soll eine unabhängige internationale Kommission gegründet werden. Im Bildungssektor strebt Lasso eine grundlegende Reform  an und schlägt eine Änderung der „Ley Orgánica de Educación Superior“ (LOES) vor, eines Gesetzes, das die höhere Bildung im Land regelt. Damit einhergehend möchte er auch ein anderes Vorhaben auf den Weg bringen, das vorsieht, das aus seiner Sicht unnötige Ministerium für höhere Bildung, Wissenschaft, Technologie und Innovation (SENESCYT) aufzulösen. An diesen Ideen erkennbar wird der Wunsch den unter der Präsidentschaft Rafael Correas aufgeblähten Beamtenapparat wo immer möglich zu reduzieren, um damit langfristig auch die Staatsausgaben senken zu können. Damit die vorgenannten Reformideen eine Aussicht auf Erfolg haben, wird Lasso wie im Wahlkampf angekündigt, neben der dringenden Pandemieeindämmung vor allem auch großes Engagement für die Einbindung der politischen Opposition im Parlament zeigen.  

Kontext: das Erbe des Correísmo und die desolate wirtschaftliche wie soziale Situation

Die vergangenen vier Jahre der scheidenden Regierung Lenín Moreno (2017-2021) sind von dem Versuch gezeichnet gewesen, eine weitreichende Liberalisierung des Landes anzustoßen. Dies stellte sich angesichts leerer Staatskasse, eines enormen Außenhandelsdefizits und eines überproportionalen Staatsapparates, der wirtschaftlich nicht mehr tragbar war, als große Herausforderung dar. Durch die Förderung ausländischer Direktinvestitionen, zum Beispiel durch Steuer- und Zollerleichterungen und durch Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) konnten notwendige Mittel an Land gezogen werden, um ausstehende Verbindlichkeiten zu begleichen und den Staatsbankrott zu verhindern. Doch stark zurückgegangene Einnahmen aus Rohstoffexporten – die Haupteinnahmequelle Ecuadors – machten weitere bei der Bevölkerung unbeliebte Reformen zur Neustrukturierung des Staatsapparates notwendig, beispielsweise die Schließung von Ministerien oder die Aussetzung der bis dahin massiven staatlichen Treibstoffsubventionen.

Dies führte im Oktober 2019 zu gewaltsamen Massenprotesten und sozialen Unruhen, die mehrere Todesopfer forderten und die Regierung zwang, sich mit der die Proteste tragenden indigenen Dachorganisation „CONAIE“ auf eine vorläufige Rücknahme der Maßnahmen zu einigen, was den Reformprozess erheblich erschwerte. Überhaupt sah sich Moreno einer starken Opposition indigener Kräfte und Anhänger des Correísmo gegenüber, insbesondere nachdem er sich auch klar gegen seinen Vorgänger wegen dessen „zügelloser Korruption“ gestellt hatte  und Correa im Jahr 2020 vom Obersten Gericht Ecuadors rechtskräftig zu acht Jahren Haft in Abwesenheit verurteilt worden war.

Lenín Moreno sendete jedoch noch weitere starke Zeichen an die liberalen Kräfte, als er sich von der konfrontativen Politik des Correísmo gegenüber den USA abwendete. Er stärkte die Kooperation mit den USA auf operativer Ebene durch die Rückkehr zur multinationalen Militärübung UNITAS im Jahr 2018, durch ein Freihandelsabkommen mit Washington im Jahr 2020 und dem Entzug des Asyls für den WikiLeaks-Gründer Nicolas Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London im Jahr 2019. Auch das in der Lima-Gruppe artikulierte klare Bekenntnis gegen das Maduro-Regime in Venezuela darf in diesem Sinne gewertet werden.

Den Bemühungen des scheidenden Präsidenten wurde aber spätestens seit Ausbruch der Corona-Pandemie ein jähes Ende bereitet. Bedingt durch ein schwaches Gesundheitssystem und unzureichende Maßnahmen zu Eindämmung der Pandemie, mit in der Folge hohen Todesfällen und schockierenden Bildern von auf der Straße liegenden Leichen aus Guayaquil, büßte die Regierung massiv an Vertrauen ein. Zudem sank die Wirtschaftsleistung Ecuadors in Folge der Krise um neun Prozent und das Land kämpft mit einer der schwersten Wirtschaftskrisen Lateinamerikas.  Um dem Staatsbankrott zu entgehen, hatte die Regierung deshalb im September des vergangenen Jahres einen Vertrag für ein weiteres finanzielles Hilfspaket mit dem Internationalen Währungsfonds abgeschlossen. 

Der neue Präsident und seine Aufgabe

In seiner Wahlkampagne hatte Guillermo Lasso den Wählern versprochen, dass sie mit ihm die Zukunft wählen würden, welche „zu Wohlstand, zu einer freien, demokratischen und Chancen eröffnenden Gesellschaft“ führen werde.  Als familienpolitisch konservativer Akteur hat er nach Bekanntwerden seines Sieges für eine neue nationale Einheit geworben, die das im Rechts-Links-Schema verhaftete Land zusammenbringen soll. Mit Blick auf die gegenwärtige Pandemie, die in Ecuador wie ein Katalysator auf die wirtschaftlichen und sozialen Probleme wirkt, und in Richtung seiner politischen Rivalen, lässt er versöhnliche Töne anklingen und sagt, „es existiert nichts Schlimmeres als der Hass und die Rache. Deshalb müssen wir jetzt vereint sein und  mit der Hilfe aller werden wir gestärkt aus dieser Krise hervorgehen.  Er möchte das Land einen und hat sich auf die Fahnen geschrieben mittels seiner Fähigkeiten und Erfahrung Korruption zu bekämpfen, die Effizienz bei der Verwaltung staatlicher Mittel zu erhöhen und ein breites Investitionsprogramm aufzuziehen.

In diesem Sinne möchte er die mannigfaltigen Herausforderungen des Landes angehen, unter ihnen die enorme Staatsverschuldung von 57,2% des Bruttoinlandsproduktes (September 2020) , Auslandsschulden in Höhe von 55,3 Milliarden US-Dollar (Januar 2021) , die Armut von rund einem Drittel der Bevölkerung und einer offiziellen Arbeitslosenquote von rund sechs Prozent.  Umso wichtiger erscheint es dem ehemaligen Bankier sich dementsprechend klar zu den Regeln des freien Marktes zu bekennen und für eine schnelle Anbindung an die Pazifik-Allianz einzutreten, all dies in der Hoffnung Direktinvestitionen ins Land zu holen und Arbeitsplätze zu schaffen. Als Fluch und Segen werden ihn bei seinen Reformbemühungen jedoch die dem Land im September 2020 gewährten Hilfskredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Höhe von 6,5 Milliarden US-Dollar begleiten.  Diese wurden notwendig, um Staatsgehälter bezahlen, dringende wirtschaftsstabilisierende und soziale Maßnahmen im Kontext der Herausforderungen der Pandemie durchführen zu können und den drohenden Staatsbankrott zu verhindern. Sie werden das Land aber auch für die nächsten Jahre in ein enges Sparkorsett zwängen und den Handlungsspielraum des Präsidenten bei den von ihm während des Wahlkampfes versprochenen Steuererleichterungen und der Anhebung des Mindestlohns einschränken.

Der Politiker Guillermo Lasso, die Indigenenbewegung und die neue Nationalversammlung

Es bleibt zu hoffen, dass der neue Präsident, dessen öffentliche politische Karriere nicht erst mit der Gründung seiner Partei CREO im Jahr 2012 begann, aus seiner selbstpostulierten „Fähigkeit und Erfahrung“ Kapital schlagen kann, um das Land inmitten der Pandemie aus seinem andauernden Krisenmodus zu führen. Zugute kommt ihm, dass er bereits als Gouverneur der Provinz Guayas und dann als Staatssekretär (superministro) für Wirtschaft in der Administration des ehemaligen christlich-demokratischen Präsidenten Jamil Mahuad (1998-2000) tätig war. Allerdings währte diese Tätigkeit nur kurz, da die damalige Regierung im Zuge einer schweren Wirtschaftskrise - aufgrund derer der US-Dollar als offizielles Zahlungsmittel die damalige nationale Währung Sucre ersetzte – von einem Bündnis der Indigenendachorganisation CONAIE und Militärs gestürzt wurde.

Sein Erfolg wird daher nicht zuletzt auch davon abhängen, ob es ihm gelingen wird, die Opposition im Allgemeinen und insbesondere die Indigenenbewegung für seine Politikvorhaben zu gewinnen. Noch nie in der ecuadorianischen Geschichte hatten die Indigenen bei den Präsidentschaftswahlen mit einer politischen Bewegung ein so gutes Ergebnis erzielen können wie dieses Mal. Der für die indigene politische Bewegung Pachakutik angetretene Rechtsanwalt Yaku Pérez hatte im ersten Wahlgang 19,39% der Stimmen bekommen und lag damit nur knapp hinter Guillermo Lasso mit 19,74%.  Pérez hatte damit also auch größere Teile der Bevölkerung für seine politischen Vorhaben begeistern können. Aufgrund des engen Ergebnisses hatte der unterlegene Kandidat daher Wahlbetrug für sein Abschneiden ins Spiel gebracht und eine Neuauszählung der Stimmen verschiedener Wahlkreise gefordert. Das oberste Wahlorgan des Landes, der Consejo Nacional Electoral, hatte jedoch schließlich die Forderungen Yaku Peréz aufgrund ungenügender Beweise zurückgewiesen. Der Indigenenvertreter rief hierauf zum Boykott der Stichwahl auf. Das 17,29% der Bevölkerung trotz Wahlpflicht nicht an die Urnen gegangen sind, mag damit im Zusammenhang stehen, könnte aber auch der allgemeinen Pandemiesituation geschuldet sein.  Es bleibt daher abzuwarten, wie sich die Indigenenbewegung als solche in ihrer Komplexität und als politische Kraft gegenüber der neuen Regierung und bei zukünftigen Abstimmungen im Kongress verhalten wird.

Die Nationalversammlung nämlich weist keine klaren Verhältnisse auf, sondern eher eine komplexe Konstellation aus 17 Parteien, wobei nur fünf vom Wahlergebnis her als konsolidiert bezeichnet werden können und die sich nicht mehr einfach in politisch links oder rechts einteilen lassen. Die sozialistische Unión por la Esperanza (UNES) wird mit ihren 32,21% der Wählerstimmen gut ein Drittel der Abgeordnetensitze einnehmen und ist damit stärkste Kraft. Dahinter liegtt das Bündnis der Partei des neu gewählten Präsidenten Guillermo Lasso, das Movimiento CREO mit der Partido Social Cristiano, die zusammen auf 19,38% der Wählerstimmen gekommen waren. Die Partei von Yaku Pérez, die indigene Bewegung Movimiento de Unidad Plurinacional Pachakutik (MUPP) mit 16,81% und die sozialdemokratische Izquierda Democrática (ID) mit 11,98% der Wählerstimmen liegen knapp dahinter.  Wie die beschriebenen Sitzverhältnisse anzeigen, wird vor allem die Handlungsfähigkeit des neuen Kongresses zur Disposition stehen und dem konservativen Lager Verhandlungsgeschick für Gesetzesvorhaben abverlangen.

Fazit

Im überraschenden Sieg des konservativen Guillermo Lassos kommt in mitten einer beispiellosen Herausforderung aus Pandemie und wirtschaftlich-sozialer Not der Wunsch der ecuadorianischen Bevölkerung nach einer Politik der Taten zum Ausdruck. Die Ecuadorianer haben sich im zweiten Wahlgang klar gegen den Correísmo und für den von Lenín Moreno eingeschlagenen Reformweg ausgesprochen.

 

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Johannes Hügel

Johannes Hügel

Leiter des Auslandsbüros Ecuador

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