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Länderberichte

Formal noch unabhängig aber kaum mehr souverän

Belarus im Sog Russlands

Russland treibt den seit langem auf kleiner Flamme köchelnden Prozess hin zu einem Unionsstaat mit Belarus jetzt auf allen Ebenen und in hohem Tempo voran. Zuletzt fand Ende April im russischen Wolgograd das pompöse Forum “Großes Vermächtnis – gemeinsame Zukunft” am Rande der Gedenkfeier zum 80. Jahrestag des Sieges der Roten Armee in Stalingrad statt. Was von unabhängigen Beobachtern als Moskauer “Siegeshysterie” rund um die Militärparade am 9. Mai bezeichnet wird, gilt nicht weniger für das offizielle Belarus. Das russische Narrativ über die Auslegung der Geschichte des 2. Weltkrieges dient auch dort als Legitimation für die Aggression gegenüber der Ukraine und das Auftreten gegenüber Europa. Lukaschenko hat sich durch die umfänglichen Zugeständnisse an Russland zwar seinen Machterhalt erkauft, nimmt damit aber in Kauf, dass Belarus seine Souveränität immer weiter verliert. Sicherheitspolitisch ist das „Abkommen über Sicherheitsgarantien im Unionsstaat“, ratifiziert Anfang des Jahres in Moskau, eine weitere Eskalationsstufe. Es ermöglicht unter anderem militärische Stützpunkte für russische Atomraketen, welche in zwei Minuten Vilnius erreichen können. Russland braucht das Regime im Nachbarland als engen militärischen Verbündeten, sein Staatsgebiet für die Verlegung von Raketen und als Aufmarschplatz für Truppen an der Grenze zu Litauen, Polen und der Ukraine. Die für September gemeinsam geplanten Manöver „Zapad 2025“ wecken böse Erinnerungen an die auf „Übungsmanöver“ folgende russische Großinvasion der Ukraine im Februar 2022.

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“Putins erfolgreichstes Integrationsprojekt” – Beschleunigte Gleichschaltung der Rüstungs- und Verteidigungspolitik

Belarus ist eindeutig “Putins erfolgreichstes Integrationsprojekt” im Osten Europas, denn Machthaber Lukaschenko hat sein Land nach der verlorenen Wahl 2020 an den Kreml ausgeliefert, um seinen Machtanspruch zu sichern. Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine 2022 ist Belarus zudem der Ko-Aggressor, welcher Russlands Krieg in der Ukraine vielfältig unterstützt. Das Land wird immer mehr zur Werkbank der russischen Militärindustrie, denn spätestens seit 2023 greifen belarusische Unternehmen der voll ausgelasteten russischen Militärindustrie intensiv unter die Arme, über 280 Unternehmen sind allein als Zulieferer für Raketen und Flugzeuge gelistet. Bei Orscha läuft die Massenproduktion von Drohnen an. Nach Beginn des russischen Angriffs wurde Munition, die sich seit der Sowjetzeit in den Arsenalen der Streitkräfte angesammelt hatte, nach Russland transferiert. Allein bis Januar 2023 waren das über 131.000 Tonnen, bis die Kapazitäten für Lukaschenkos eigene Streitkräfte fast ausgeschöpft waren. Im Juli 2023 musste Lukaschenko bis zu 5000 Wagner-Söldner in Belarus unterbringen und stellte das Land somit als Umschlagplatz für russische Söldner zur Verfügung.

 

Aufgabe des atomfreien Status und “Vertrag über gegenseitige Sicherheitsgarantien”

Zwei Stützpunkte mit S-400 Luftabwehrraketen errichtete Russland noch während des gemeinsamen Manövers „Alliierte Entschlossenheit 2022“, der Vorstufe des russischen Kriegs gegen die Ukraine. Mithilfe eines manipulierten Verfassungsreferendums drei Tage nach Beginn der großangelegten russischen Invasion hob das Regime den atomfreien Status und die Neutralitätsklausel in der Verfassung von Belarus auf. Seit Dezember 2024 droht Putin mit der Stationierung russischer atomarer Mittelstreckenraketen vom Typ “Oreschnik” auf belarusischem Gebiet. Im März 2025 ließ sich Lukaschenko die faktische Einbuße der militärischen Souveränität mit einem “Vertrag über gegenseitige Sicherheitsgarantien” im Unionsstaat von Putin auch de jure aufzwingen. Das Abkommen gewährt Russland das Recht auf eigene Stützpunkte in Belarus, es kann Unterstützung durch das dortige Militär im Fall einer Bedrohung russischer territorialer Integrität einfordern. Einen Tag nach der Ratifizierung des Abkommens bewilligte der russische Föderationsrat einen Aufschub für die Rückzahlung russischer staatlicher Kredite in Höhe von 800 Millionen Dollar; die Spirale der Abhängigkeit dreht sich somit immer weiter. Minsk kann durch Vergünstigungen dieser Art zudem mehr Geld in die eigene Verteidigung investieren: Nominal sind die Verteidigungsausgaben von 2022 bis 2025 um über 100 Prozent gestiegen. Was die militärische Bedeutung der belarusischen Streitkräfte angeht, so haben sie nach Aussage von Sicherheitsexperten in den letzten Jahren an Schlagkraft gewonnen. Die ungefähre Truppenstärke liegt derzeit bei maximal 75 Tsd. plus zivile Fachkräfte, circa 20.000 davon sind kampffähige Einheiten. Noch erteilt Lukaschenko einem möglichen Einsatz seiner Streitkräfte eine Absage, da er die Stimmung in der Bevölkerung kennt, welche dies rigoros ablehnt. Ob das demnächst noch möglich sein wird, ist allerdings fragwürdig.

 

Wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland und “Integrationsfahrpläne”

Lag Russlands Anteil am Außenhandelsumsatz von Belarus vor 2020 bei unter 40 Prozent, erreichte er im vergangenen Jahr 70 Prozent. Darüber hinaus hängen weitere 25 Prozent des belarusischen Außenhandels mit Drittstaaten von russischer Logistik ab. 80 Prozent der Importe nach Belarus kommen aus Russland, darunter auch 80 Prozent aller Energieimporte. Im Rahmen der Umsetzung von 28 “Integrationsfahrplänen” zur Schaffung des Unionsstaats wurden bereits das Zoll- und Steuersystem sowie wesentliche Bereiche des Finanzwesens vereinheitlicht. Die Abhängigkeit ist somit auch wirtschaftlich extrem hoch, nicht zuletzt eine Folge der Sanktionen der Europäischen Union. Bis 2026 soll die zweite Phase der Integration umgesetzt sein, bei der es um Kultur, Medien, Rechtswesen und Bildung geht. Im Grunde genommen setzt der Kreml in Belarus die Ansätze durch, die er 2022 für die Ukraine geplant hatte und die in dem geleakten Dokument „Strategische Ziele der Russischen Föderation in Belarus“ von 2021 enthalten sind, wonach Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht Mai 2018 3 3 Russland Belarus bis 2030 annektieren will. Lukaschenkos Zugeständnisse Russland gegenüber öffneten nach 2020 Tür und Tor für eine ungehemmte Russifizierung in Belarus. Dies betrifft einheitliche Informations- und Bildungsräume ebenso wie die Gleichschaltung der Medien beispielsweise über die Einrichtung einer gemeinsamen Geschichtskommission. Gerade im 80. Jubiläumsjahr des “Sieges im Großen Vaterländischen Krieg”, wie das Ende des 2. Weltkrieges in Moskau und Minsk bezeichnet wird, ist die Übernahme des Narrativs der “Russischen Welt” durch Lukaschenko und Vertreter seines Regimes nicht zu übersehen. Wer dabei das Kommando hat, demonstrierte Putin deutlich am 9. Mai, dem Feiertag des Sieges: Lukaschenko wurde zur Teilnahme an den Feierlichkeiten nach Moskau bestellt und musste den Höhepunkt der eigenen Militärparade am 9. Mai in Minsk auf den späten Abend legen, um auch daran teilnehmen zu können.

 

Ausbau der Gremien des Unionsstaates

Die “Integrationsfahrpläne” schaffen die Voraussetzungen für eine engere politische Koordinierung und tragen zur Einführung von supranationalen Institutionen bei, so dass Belarus entweder als Ganzes oder in einzelnen Bereichen effektiv als russisches Territorium regiert werden kann. Außenpolitisch und – wie oben erwähnt – verteidigungspolitisch ist Belarus de facto mit Russland gleichgeschaltet. Die seit 2021 fast monatlichen Treffen und Telefonate zwischen Lukaschenko und Putin zeugen von einem steigenden engmaschigen Abstimmungsbedarf mit Moskau bei der Entscheidungsfindung in Minsk. Der Kreml wird versuchen, die bestehenden Gremien des Unionsstaates wie etwa den Ständigen Rat, die Parlamentarische Versammlung sowie den Ministerrat auszubauen und ihnen mehr Macht zu verleihen, um die laufenden Integrationsmaßnahmen abzuschließen. Mitte April wurde dazu der russische Politiker und langjährige KremlBeamte Sergej Glasjew zum Leiter des Ständigen Rates ernannt. Die Besetzung dieses ehemals rein repräsentativen Postens durch eine Person mit einer ausgeprägt imperialen und nationalistischen Agenda deutet auf eine aktivere Ausgestaltung der Gremien des Unionsstaates hin.

 

Fazit: Ein besetztes Land ohne Spielräume?

Lukaschenko bezahlt seinen Machterhalt damit, dass er die Souveränität seines Landes an Russland weitestgehend abtritt. Formal bleibt Belarus ein unabhängiges Land mit einer international isolierten Regierung, die ihr Staatsgebiet zumindest noch teilweise kontrolliert. Auch wenn sich Lukaschenko in der Öffentlichkeit gegen russische Narrative wie beispielsweise das Tragen des Georgsbands bei der Parade am 9. Mai wehrt, so werden seine Spielräume – wie dargelegt – immer enger. Lukaschenkos erklärtes Ziel ist nicht, Gouverneur einer russischen Teilrepublik zu werden, er tritt weiter ein für die Eigenständigkeit seines Landes. Die Bevölkerung trägt, das haben unabhängige Umfragen der letzten Jahre gezeigt, aufgrund des Mangels an Alternativen größtenteils die Annäherung an Russland mit, will aber ebenfalls nicht ein Teil von Russland werden. 80 Prozent der Bevölkerung, auch das ist bemerkenswert und steht in scharfem Kontrast zu ähnlichen Umfragen in Russland, geben an, dass sie gegen eine Beteiligung am Krieg in der Ukraine sind. Bislang hält dieser Umstand Lukaschenko davon ab, mit eigenen Streitkräften in den Krieg einzugreifen.

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Gabriele Baumann

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Leiterin des Auslandsbüro Belarus

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