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Die erste Runde der Präsidentschaftswahl in Polen

Eindrücke am Wahltag

Eine Reportage von Thomas Behrens, Praktikant im Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Warschau

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Wahltag in einem kleinen Ort am Rande Warschaus

Es ist ein regnerischer, wolkenverhangener und ruhiger Sonntagnachmittag an der Stadtgrenze Warschaus. Der kleine Vorort heißt Zgorzała und liegt in der Gemeinde Lesznowola, die 18.000 Einwohner zählt. Regelmäßig sieht man über den Dächern die Flugzeuge den nahe gelegenen Fryderyk-Chopin-Flughafen der Hauptstadt ansteuern, jenen Ort, von dem aus Präsident Lech Kaczyński am Morgen des 10. April nach Russland zur Gedenkveranstaltung für die Opfer von Katyn abflog, um kurze Zeit später beim tragischen Unglück vor Smolensk ums Leben zu kommen.

Während im öffentlich-rechtlichen Fernsehkanal TVP gerade Fußball-Weltmeister Italien in Südafrika vergeblich gegen die Abwehr Neuseelands anrennt, wählen die Polen ihr neues Staatsoberhaupt. 30,5 Millionen Wähler sind zwischen 6.00 und 20.00 Uhr aufgerufen, in einem der 25.774 Wahllokale der insgesamt 263 Wahlbezirke ihre Stimme abzugeben. Insgesamt sind bei dieser Präsidentenwahl rund 185.000 Polen im Ausland als Wahlberechtigte registriert Sieben Wahllokale wurden auch in Afghanistan für die dort stationierten polnische Soldaten eingerichtet.

Erste Meldungen im Fernsehen

Über den Newsticker des Fernsehkanals TVP-Info – vergleichbar den deutschen Nachrichtensendern Phoenix, ntv oder N24 – laufen am frühen Nachmittag die aktuellen Neuigkeiten: Die Wahlen sind schleppend angelaufen. Bis Sonntagmittag 13.00 Uhr sind erst 23,38% der Wahlberechtigten zur Urne geschritten. An Wahleinrichtungen mangelt es nicht. Auch in Krankenhäusern, Gefängnissen und Häusern der Sozialhilfe, so die Nachrichtensprecherin, sind mobile Wahlkabinen zur Stimmabgabe eingerichtet worden. Und regelmäßig wird die Telefonnummer eines Hilfsdienstes eingeblendet, der Senioren oder Menschen mit Behinderungen auf Nachfrage zum Wahllokal fährt. Allgemein sind viele Polen jedoch von der Politik enttäuscht. Politiker gelten vielen Bürgern als Teil einer Elite, die einzig auf den eigenen Vorteil bedacht ist. Zu diesem Bild haben die vielen Affären und Skandale der letzten Jahre beigetragen.

Wahlkampf unter besonderen Umständen

Verstärkend kommt bei dieser Wahl nun hinzu, dass der Wahlkampf im Schatten der Katastrophe von Smolensk schwierig zu führen war. Im Zeichen dieser nationalen Tragödie standen – zumindest anfangs – Trauer und politische Korrektheit im Vordergrund, was eine kontroverse politische Wahlauseinandersetzung lange hinauszögerte. Parteiübergreifende Anteilnahme am Tode Präsident Lech Kaczyńskis und weiterer führender Politiker führten zu einer Wahl mit eigenen Regeln, die erst spät durch Streitthemen wie die Einführung des Euro, die rechtliche Handhabung der In-vitro-Fertilisation und die Debatte über einen baldigen Abzug der polnischen Soldaten aus Afghanistan an Fahrt gewann.

Über allem schwebten jedoch zwei Themen abseits der Wahlprogramme im Raum: Zum einen die Frage nach dem glaubhaften Imagewechsel des bisher als kühlen Machtpolitiker geltenden Zwillingsbruders des verstorbenen Präsidenten und jetzigen Kandidaten der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS), Jarosław Kaczyński. Zum anderen die Bewertung des Krisenmanagements anlässlich der Flut, die Polen in den letzten Wochen in Atem hielt. Bronisław Komorowski von der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska, PO) und die vom PO-Vorsitzenden und Premierminister Donald Tusk geführte Regierungskoalition aus PO und Polnischer Volkspartei (Polskie Stronnictwo Ludowe, PSL) suchten diese Ausnahmesituation – vergleichbar der Strategie Gerhard Schröders vor der Bundestagswahl 2002 – zu ihrem Vorteil zu nutzen. Wie schon anlässlich der landesweit übertragenen Trauerfeier in Warschau für die Verstorbenen von Smolensk eine Woche nach dem Unglück, führten die Auftritte Komorowskis aber regelmäßig zu Diskussionen über dessen wenig mitreißende mediale Auftritte und seine mangelnde Fähigkeit, die Herzen der Polen in diesen schweren Zeiten anzusprechen.

Die Atmosphäre am Wahltag

Beim morgendlichen Einkauf, der in Polen trotz der katholischen Prägung am Sonntag überall möglich ist, lässt sich in Zgorzała keine besondere Wahlkampfatmosphäre feststellen. Am Wochenende der Wahl darf kein Wahlkampf mehr stattfinden, so dass Ruhe herrscht. Nur an den Straßenkreuzungen hängen noch die Plakate einiger Kandidaten. Es sind weniger als bei Wahlen in den Jahren zuvor. Die Parteien hatten sich im April ausgesprochen oder unausgesprochen auf einen anderen Stil im Kampf um die Präsidentschaft verständigt und sogar den gänzlichen Verzicht auf Wahlplakate erwogen. Doch seit etwa vier Wochen prangt das Portrait von Jarosław Kaczyńskis überall in Warschau und im Land von den Werbetafeln und verkündet: „Polen ist das Wichtigste“. Nachgezogen haben nur Wenige: der Hauptkonkurrent Komorowski vor allem, der seine Werbung mit dem Motto „Einklang bringt uns voran“ jedoch auf die letzten beiden Wochen beschränkte; der unabhängige Kandidat und frühere Finanz- und Außenminister Andrzej Olechowski sowie vereinzelt Marek Jurek, der frühere Parlamentspräsident, der wenig Aussicht auf Erfolg hat. Der Kandidat des Bundes der Demokratischen Linken (Sojusz Lewicy Demokratyczne, SLD), Grzegorz Napieralski, der sonst jung und dynamisch gerade das junge Polen anspricht, ist ebenso wenig auf Plakatwänden zu sehen wie Waldemar Pawlak, der Vizepremier und Kandidat der PSL.

Die Wahl in Zgorzała

Deutlich ausgeschildert an allen größeren Straßen in Zgorzała findet sich ein unscheinbares graues Haus, das heute allerdings, zur Präsidentenwahl, als Wahllokal dient und deshalb feierlich geschmückt ist mit polnischen Nationalflaggen. Bereits draußen, vor der weit geöffneten Eingangstür, finden sich die Instruktionen zur Wahl. Desgleichen wird nochmals im Eingangsbereich auf einer Liste erläutert, welche Kandidaten sich zur Wahl stellen. Daneben gibt ein zweiter Zettel mit grünen und roten Markierungen Auskunft über die Art und Weise, wie der Wahlbogen korrekt auszufüllen ist und welche Fehler gegebenenfalls die Wahl ungültig machen. Schließlich wird noch über die Zusammensetzung der zuständigen Wahlkommission informiert, die für die Durchführung vor Ort verantwortlich ist. Beim Eintritt in den Wahlraum zeigt sich sogleich ein Stück traditioneller polnischer Gastfreundlichkeit und Lebensart. Eine ältere Dame begrüßt die Wähler und nimmt mit einem sympathischen Lächeln deren Personalausweise entgegen. Währenddessen sitzen ihre Kolleginnen im Hinterzimmer gemütlich an einem Tisch unterhalb eines Christuskreuzes und des polnischen Staatswappens und nehmen ein spätes Mittagessen ein. Die Dame im Wahlraum, die Dienst hat und die persönlichen Daten mit der Liste der gemeldeten Wahlberechtigten abgleicht, freut sich sichtlich über die rege Wahlteilnahme in Zgarzała, wenngleich das Wahllokal keineswegs voll ist.

Wahlstolz contra Wahlabstinenz

Die Wähler gehen in die Wahlkabine und tragen ihr Kreuz auf dem Wahlbogen ein. Anschließend kommen sie wieder zum Vorschein und werfen ihre Stimme in die weiß-rote, mit dem polnischen Adler verzierte Wahlurne hinein. Eine junge Frau erzählt auf Rückfrage vor dem Wahllokal, dass sie Stolz sei, ihr Wahlrecht als Staatsbürgerin in Polen heutzutage frei ausüben zu können. Andererseits sei sie aber etwas unentschlossen bezüglich der Wahl des richtigen Kandidaten gewesen. Einerseits möchte sie Polens Stimme in Europa Ernst genommen wissen und zweifelt diesbezüglich an der Durchsetzungskraft des „wenig inspirierenden“, „ausdruckslos erscheinenden“ PO-Politkers Komorowski, mit dem als Wahlgewinner die Bürgerplattform in Polen in nächster Zukunft faktisch durchregieren könnte. Andererseits wünscht sie sich das Selbstbewusstsein des bisherigen, als sehr patriotisch geltenden Präsidenten Lech Kaczyński, jedoch ohne den populistischen Politikstil seines Zwillingsbruders Jarosław Kaczyński, der das Land gespalten und notwendige Reformvorhaben verhindert habe. Eine einzelne Stimme. Aber längst nicht alle sind Stolz auf die Wahlmöglichkeit. Viele bleiben einfach zu Hause, wenn auch bereits die nächsten Wähler in Wahllokal hineingehen.

Erste Ergebnisse und Reaktionen

Als abends um 20.00 Uhr die Ergebnisse der ersten Wählerbefragungen im Fernsehen zu sehen sind, bestätigt sich, wovon viele Experten ausgegangen waren: Komorowski führt nach der ersten Runde, erreicht jedoch – bei einer Wahlbeteiligung von immerhin über 50% – mit etwa 41% oder 45%, da gehen die Umfragen weit auseinander, bei weitem nicht die absolute Mehrheit, die die Wahl im ersten Durchgang entschieden hätte. Der PO-Kandidat beeilt sich und dankt bereits wenige Minuten später vor seinen lautstark applaudierenden Anhängern für das ihm entgegengebrachte Vertrauen. In der ersten Reihe, direkt neben seiner Frau, stehen die obersten Repräsentanten der PO und spenden ihm Beifall: der Parteivorsitzende und Premierminister Donald Tusk, der Fraktionschef der PO im Sejm, Grzegorz Schetyna und die landesweit bekannte Warschauer Stadtpräsidentin Hanna Gronkiewicz-Waltz. Komorowski spricht davon, glücklich und erfüllt zu sein, bittet aber mit Blick auf die jetzt feststehende Stichwahl in zwei Wochen um noch mehr Unterstützung. Insbesondere bemüht er sich dabei, die Wähler der an der zweiten Wahlrunde nicht mehr teilnehmenden Kandidaten, vor allem die Anhänger Napieralskis vom SLD und Pawlaks von der PSL, anzusprechen. Seinen Hauptkonkurrenten, Jarosław Kaczyński, erwähnt er nicht ausdrücklich. Dieser tritt etwa zehn Minuten später – nach einer kurzen Zwischenschalte der Fernsehsender zur Dankesrede von Grzegorz Napieralski, der als SLD-Kandidat überraschend gut mit rund 14% abgeschnitten haben soll – vor die begeisterten, „Jarosław-Jarosław“-skandierenden Anhänger der PiS. In Anwesenheit von Marta, der Tochter seines verstorbenen Zwillingsbruders Lech, und deren Ehemann Marcin, die als Familie im Dienste des Imagewandels immer wieder mit ins TV-Bild gerückt werden, gibt sich Jarosław kämpferisch. Er betont die polnische Tradition und das Vaterland und verkündet, allein der Glaube zu gewinnen werde der Schlüssel sein zum Sieg von „Recht und Gerechtigkeit“ in der Stichwahl.

Erinnert man sich an die letzten Präsidentschaftswahlen 2005, als Lech Kaczyński den Rückstand gegenüber seinem Konkurrenten Donald Tusk in der Stichwahl noch in einen Sieg umwandeln konnte, kann man sicher sein: Der richtige Wahlkampf beginnt erst jetzt, und entschieden ist noch lange nicht, wer nach dem 4. Juli in den Präsidentenpalast im Herzen Warschaus einziehen wird. Die polnische Nationalflagge dort wird vorerst weiterhin auf Halbmast wehen.

Thomas Behrens, Student der Politikwissenschaften an der Universität Bonn, macht zur Zeit ein Praktikum im Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Warschau.

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22. Juni 2010
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