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Polen vor der Präsidentenwahl

von Stephan Georg Raabe, Thomas Behrens

Jarosław Kaczyński kandidiert, hat aber nur geringe Siegchancen

Am 20. Juni wird in Polen die erste Runde der Präsidentschaftswahlen stattfinden. Gewinnt dabei keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit, dann kommt es zwei Wochen später, am 4. Juli, zur Stichwahl zwischen den beiden führenden Politikern.

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Nach dem tragischen Tod Präsident Lech Kaczyńskis findet die Neuwahl nun gut drei Monate früher als regulär vorgesehen statt. Mit dem 20. Juni wurde der laut Verfassung letztmögliche Termin gewählt. Damit kam der Parlamentspräsident (Sejmmarschall) und derzeitige kommissarische Staatspräsident, Bronisław Komorowski von der Regierungspartei „Bürgerplattform“ (PO), der laut Verfassung für die Festlegung des Wahltermins zuständig ist, insbesondere den beiden Oppositionsparteien im Parlament entgegen. Denn beide Oppositionsparteien, die nationalkonservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) wie auch der postkommunistische „Bund der linken Demokraten“ (SLD), mussten neue Kandidaten benennen, da sie mit Lech Kaczński (PiS) und dem Vizepräsidenten des Parlaments Jerzy Szmajdziński (SLD) ihre Bewerber beim Absturz der Präsidentenmaschine in Smolensk am 10. April verloren hatten.

Die Kandidatenliste

Seit Montagnachmittag, den 26. April, stehen die Bewerber für das Präsidentenamt fest. Insgesamt wollen 22 Kandidaten bei der Wahl antreten. Hierfür müssen sie jedoch alle bis zum 6. Mai eine Liste mit 100.000 Unterschriften von Wahlberechtigten der Wahlkommission vorlegen. Polnische Politikexperten gehen davon aus, dass von den 22 gemeldeten Anwärtern lediglich vier bis fünf in der Lage sein werden, diese Vorraussetzung zu erfüllen. Dazu zählen: Bronisław Komorowski (PO, 57 J.), Jarosław Kaczyński (60 J.), der Zwillingsbruder des verstorben Präsidenten, ehemalige Premier einer nationalpopulistischen Koalition (2006/07) und Vorsitzende der PiS, der am Montag wenige Minuten vor Ablauf der gesetzlichen Frist seine Kandidatur bekannt gab, Grzegorz Napieralski (36 J.), Vorsitzender des SLD, Vizepremier Waldemar Pawlak (50 J.), Vorsitzender des kleineren Koalitionspartners, der bäuerlichen Volkspartei (PSL) sowie Andrzej Olechowski (62 J.), Ex-Finanz- und Außenminister und einer der drei Gründer der PO, der die Partei 2009 verlassen hat und jetzt unterstützt von der „Demokratischen Bewegung“ als parteiloser Kandidat antritt. Bei den vorletzten Präsidentenwahlen 2000 belegte er als unabhängiger Kandidat mit 17,3 % den zweiten Platz hinter Amtsinhaber Aleksander Kwaśniewski (SLD, 55 J.), der im ersten Wahlgang mit 53,9 % im Amt bestätigt wurde.

Marek Jurek (49 J.), von 2005-07 für die PiS Sejmmarschall und heute Vertreter der im letzten Jahr neu gegründeten Partei „Rechte der Republik“ (PR), Andrzej Lepper, Vizepremier der nationalpopulistischen Koalition 2005-07, Chef der linkskonservativ radikalen „Selbstverteidigung“ (Sam) und Anfang des Jahres zu zwei Jahren und drei Monaten Haft wegen sexueller Nötigung verurteilt, Kornel Morawiecki (69 J.), Physikprofessor und in den 1980er Jahren Vorsitzender der „Kämpfenden Solidarität“, Janusz Korwin-Mikke (67 J.), Vorsitzender der liberalen „Vereinigung Rechtsstaatlichkeit“ sowie Bogusław Ziętek (45 J.), Anführer der Polnischen Arbeitspartei (PPP), können zwar einen gewissen Bekanntheitsgrad aufweisen; ob sie jedoch in der Lage sein werden, ausreichend viele Unterstützer zu finden, ist hinsichtlich der Größe, der sie unterstützenden Parteien oder Bewegungen fraglich. Überhaupt keine Chancen werden den restlichen zwölf Bewerbern: Gabriel Jankowski, Zdzisław Jankowski, Dariusz Kosiur, Bartołomiej Kurzeja, Krzysztof Mazurski, Zdzisław Podkański, Krzystof Sadurski, Roman Sklepowicz, Paweł Soroka, Bogdan Szpryngiel, Ludwik Wasiak und Józef Wójcik eingeräumt.

Der aussichtsreichste Bewerber

Favorit mit den bisher besten Umfragewerten ist Sejmmarschall Bronisław Komorowski. Allerdings hat ihm sein von vielen als etwas kühl und distanziert empfundenes Auftreten bei den Trauerfeierlichkeiten für die Opfer des Flugzeugabsturzes einige Kritik eingebracht. Der Historiker Komorowski ist in Polen schon lange in der Politik aktiv. Während der Zeit des realen Sozialismus engagierte er sich in der Solidarność-Opposition. Nach dem Systemwechsel war er zunächst Mitglied der „Demokratischen Union“ (UD), dann der „Freiheitsunion“ (UW). Der von ihm 1997 gegründete „Konservative Volkskreis“ wurde im gleichen Jahr in die neu gegründete „Konservative Volkspartei“ (SKL) integriert. Diese wiederum ging 2001 in wesentlichen Teilen in der damals gegründeten „Bürgerplattform“ (PO) auf, wo sie den wertkonservativen Flügel bildete. Bereits im Juni 1989, bei den ersten noch halbfreien Wahlen, wurde Komorowski auf der Liste der Solidarność in den Sejm gewählt. Von 1990-1993 war er Vizeverteidigungsminister für den zivilen Bereich. 1997 gewann er erneut ein Sejmmandat und war bis 2000 Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. Unter Premierminister Jerzy Buzek hatte er 2000/01 das Amt des Verteidigungsministers inne. In der PO gehört er dem Landesvorstand an. Bevor er im Oktober 2005 Vizemarschall des Sejms und nach den vorgezogenen Neuwahlen von 2007 Sejmmarschall wurde, war er Außenpolitischer Sprecher der PO-Fraktion. Bei der parteiinternen Kandidatenvorwahl der PO für das Präsidentenamt setzte er sich Ende März mit 68,5 % gegen Außenminister Radosław Sikorski durch. Komorowski steht innerhalb der Partei für den eher konservativen Flügel.

Der schärfste Konkurrent

Oppositionschef Jarosław Kaczyński von der PiS wird wohl der schärfste Konkurrent sein. Allerdings werden auch ihm nur geringe Aussichten auf den Sieg eingeräumt. Nach Meinung von Demoskopen könnte er bei einer Stichwahl rund 35 % erhalten. Schon bald nach dem Unglück seines Bruders Lech, dessen erneute Bewerbung um das Amt des Präsidenten die PiS unterstützt wollte, tauchten Spekulationen um eine mögliche Kandidatur Jarosław Kaczyńskis auf. Seitdem seine Bewerbung feststeht, erhält er eine große mediale Aufmerksamkeit. In der Begründung für seine Anwartschaft schlug er vor allem konservativ patriotische Töne an. Er sprach von der „Mission“ der Opfer von Smolensk, die es zu Ende zu führen gelte. Das sei man dem Vaterland schuldig. Zudem rief er alle zur Zusammenarbeit auf, die wollten, dass die Rechten in Polen für immer ihre Häupter erheben könnten. Vertreter der PiS und polnische Kommentatoren verweisen darauf, dass wegen der extremen Kürze des Wahlkampfes keine Zeit für die Vorstellung eines neuen Kandidaten zur Verfügung gestanden hätte und mit Kaczyński die größte Mobilisierung sowohl innerhalb der Partei, wie in der Gesellschaft erreichbar scheine. Kaczyński wecke vor dem Hintergrund des Unglücks Mitgefühl und könne im konservativen Bereich wie kein anderer Enthusiasmus entfachen. Die Frage ist allerdings, wieweit der Mitleidseffekt reicht und ob Kaczyński über den nationalkonservativen Bereich hinaus in weiterem Umfang Stimmen sammeln kann. In Smolensk haben ja nicht nur die Rechten, sondern alle politische Lager eine Tragödie erlitten. Die ganze Nation war betroffen. Und noch zu frisch sind die Erinnerungen an die IV. Republik der PiS, die nach zwei Jahren Regierungszeit im Herbst 2007 von mehr als zwei Dritteln der Wähler abgewählt worden ist. Es wird sich zeigen, ob Kaczyński nach dem Unglück einen anderen Ton und andere Gesten finden wird, die verbindend wirken, oder ob er wieder auf einen scharfen Konfrontationskurs geht. In seinem Wahlkampfstab hat er sich mit weniger kontroversen und eher konzilianten Politikern wie der Journalistin und kurzzeitigen Arbeits- und Sozialministerin (2007) Joanna Kluzik-Rostowska (46 J.) und dem Direktor des Warschauer Aufstandsmuseums Jan Ołdakowski (38 J.) umgeben. Wahrscheinlich werden im Wahlkampf die bereits bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2005 erfolgreichen nationalen und sozialen Themen angezogen im Sinne eines selbstbewussten nationalen und solidarischen Polens.

Wie Komorowski ist auch der Jurist Jarosław Kaczyński ein alter Bekannter in der politischen Szene Polens. Er war wie sein Hauptkonkurrent in der Solidarność-Opposition engagiert. Nach dem am Runden Tisch ausgehandelten Systemwandel wurde auch er bei den ersten halbfreien Wahlen 1989 in den Sejm gewählt. 1990/91 war er Chef der Präsidentenkanzlei, musste diesen Posten nach Streitigkeiten mit Staatspräsident Lech Wałęsa aber verlassen. Im Sommer 1990 gehörte er gemeinsam mit seinem Bruder Lech und führenden Solidarność-Politikern zu den Gründern der „Zentrumsallianz“ (PC). Diese schaffte 1991 den Einzug in den Sejm, scheiterte jedoch bereits 1993 an der 5%-Hürde und ging 2001 schließlich nach dem Auseinanderbrechen des Solidarność-Wahlbündnisses AWS in der von den Brüdern Kaczyński gegründeten Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) auf, deren Vorsitzender Jarosław Kaczyński seitdem ist. 2005 konnte sie mit 26,99 % als stärkste Partei in den Sejm einziehen und die Regierung bilden. Um die Kandidatur seines Bruders Lech bei den kurz darauf folgenden Präsidentenwahlen nicht zu gefährden, verzichtete Jarosław damals auf das Amt des Ministerpräsidenten, das er dann aber doch ein dreiviertel Jahr später im Juli 2006 übernahm. Nach den durch das Auseinanderbrechen seiner nationalpopulistischen Regierung notwendig gewordenen vorgezogenen Neuwahlen im Herbst 2007 verlor die PiS mit 32,11 % ihre Position als stärkste Partei an die PO, die 41,51 % erreichte und mit der Polnischen Volkspartei PSL (8,91 %) die Regierung bildete.

Die weiteren Anwärter

Im Gegensatz zu Komorowski und Kaczyński werden den weiteren Kandidaten kaum realistische Chancen auf einen Sieg zugerechnet. Während bei den Präsidentschaftswahlen nach der Wende 1990 noch ein bis dato völlig unbekannter Kanadier polnischer Abstammung namens Stanisław Tymiński den zweiten Platz bei der ersten Wahlrunde erringen konnte, ist eine solche Überraschung heute, 20 Jahre später, wenig wahrscheinlich, wenn auch die Unberechenbarkeit bei Personalwahlen wegen des hohen emotionalen Faktors, der Spontanität der Wähler und der hohen Quote der Nichtwähler nicht unterschätzt werden sollte. Gewisse Außenseiterchancen könnte der promovierte Ökonom An-drzej Olechowski haben, der bereits vor 10 Jahren bei den Präsidentenwahlen den zweiten Platz belegte. 2001 einer der Mitbegründer der PO trat er 2009 aus der Partei aus, da er mit dem politischen Kurs Donald Tusks nicht mehr einverstanden war, der ihm zu unbestimmt schien. Olechowski gehörte zur Funktionselite im Kommunismus und nahm 1989 auf Seiten des Regimes am Runden Tisch teil. Nach der Wende beriet er den neuen Staatspräsidenten Lech Wałęsa, war 1992 Finanzminister in der Regierung Jan Olszewski (Christlich Nationale Vereinigung) und von 1993 bis 1995 Außenminister in der Koalitionsregierung von SLD und PSL unter Premier Waldemar Pawlak (PSL). Bei seiner Kandidatur wird er von der linksliberalen „Demokratischen Bewegung“ (SD) von Paweł Piskorski (42 J.) unterstützt, der von 1999 bis 2002 Stadtpräsident von Warschau, von 2004 bis 2009 Europaparlamentarier war und wie Olechowski aus der PO ausgeschieden ist. Bei den Europaparlamentswahlen 2009 trat die SD mit einer gemeinsamen Mitte-Links-Liste mit der Demokratischen Partei, den Sozialdemokraten und den Grünen an, die aber nur 2,44 % der Stimmen erhielten.

Grzegorz Napieralski, der mit 36 Jahren noch junge Vorsitzende und Kandidat der SLD ist seit 2004 Sejmabgeordneter für den Wahlkreis Stettin. 2008 wurde er zum Vorsitzenden des SLD gewählt, der bei den letzten Parlamentswahlen 2007 nicht über 13,15 % hinauskam und seit Jahren in einer Krise steckt. Nach dem Studium der Politologie arbeitete er als Berater des Woijewoden (Regierungspräsident) von Westpommern. Über die Chancen seiner Bewerbung sagt er:„1995 glaubte auch niemand an einen Sieg Aleksander Kwasńiewskies.“ Dieser unterstützt ihn als noch junger Altpräsident bei seiner Kandidatur.

Waldemar Pawlak, der Vorsitzende der PSL, die Mitglied in der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) ist, bekleidet seit 2007 das Amt des Stellvertretenden Ministerpräsidenten und Wirtschaftsministers in der Regierung Tusk. Pawlak war schon zu kommunistischen Zeiten Mitglied in der damaligen Satellitenpartei ZSL, aus der die PSL hervorging. 1993 bis 1995 führte er als Premier die aus SLD und PSL bestehende linke Koalitionsregierung an. Seine Kandidatur dient wohl mehr der Profilgewinnung der PSL.

Dem christlich nationalkonservativen Marek Jurek räumen politische Experten trotz seiner Bekanntheit ebenfalls keine Chancen ein. Der ehemalige Sejmmarschall (2005-2007) hat derzeit kein Parlamentsmandat. Unterstützt wird er von der neuen, noch unbekannten „Rechten der Republik“. Jurek gehörte ehemals der PiS an, trat aus dieser jedoch im Streit um eine klarere Definition des Schutzes von Menschenleben in der Verfassung aus. Als Kandidat für bei den Europawahlen erhielt Jurek 2009 in Warschau 4,1 % der Stimmen.

Dem bekannten Bauernführer und Populisten Andrzej Lepper werden ebenso wie dem ultrakonservativen, jedoch marktliberalen Janusz Korwin-Mikke keinerlei Erfolgsaussichten zugerechnet.

Thomas Behrens ist Praktikant, Anne Velder ist Trainee im Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Polen.

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