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Fünf Jahre Mitgliedschaft Polens in der EU

POLITISCHE ASPEKTE AUS DER PERSPEKTIVE EINES DEUTSCHEN BEOBACHTERS

Beitrag für die Internetseite der Vertretung der Europäischen Kommission in Polen im Rahmen des Projektes „Meinungen von Experten” in polnischer Sprache veröffentlicht am 7. Mai 2009 unter: http://ec.europa.eu/polska/news/opinie/090507_5lat_w_ue_pl.htm.

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Die friedliche Revolution 1989, die deutsche Wiedervereinigung und die anschließende Auflösung der Sowjetunion waren die notwendigen Voraussetzungen für den Beitritt Polens zur Europäischen Union im Mai 2004. In Deutschland wird allgemein anerkannt, dass die Solidarność-Bewegung in Polen einer der wichtigsten Auslöser dieser Entwicklung war. Weniger bekannt in Deutschland ist, dass maßgebliche polnische Oppositionelle bereits frühzeitig zu der Schlussfolgerung gekommen waren, dass die deutsche Wiedervereinigung Voraussetzung für die Wiedergewinnung der Freiheit Polens und damit der Wiedervereinigung Europas sein würde. Dem lag die richtige Vorstellung zugrunde, dass erst eine Sprengung der eisernen Klammer, in der sich Polen zwischen der Sowjetunion und dem Satellitenstaat „DDR“ befand, dem Land erlauben würde, seinen Platz im freien Europa wieder einzunehmen. Daran sollte im Gedenkjahr 2009 erinnert werden.

Nach der Wiedervereinigung gab es in Deutschland deshalb ein weit verbreitetes Gefühl der Dankbarkeit gegenüber Polen. Diese Dankbarkeit war neben politisch strategischen Zielen ein Motiv für die nachdrückliche Unterstützung Deutschlands für die polnische NATO- und EU-Mitgliedschaft. Die Wende zur Freiheit hatte in Polen begonnen; die notwendige Transformation in Mittelosteuropa konnte nur durch die militärische, politische und ökonomische Integration Polens als dem größten Land der Region gelingen. Deutschland erhoffte sich und erhofft sich bis heute einen starken Bündnispartner in der EU.

Neben diesen Überlegungen herrschte nach 1989 in Deutschland die Vorstellung, dass eine Aufnahme Polens in die EU auch helfen könnte, die historischen Belastungen und Konflikte zwischen beiden Ländern künftig abzumildern, vielleicht sogar in einem Versöhnungsprozess allmählich aufzuheben. Vorbild war die Erfahrung, die die ehemaligen „Erbfeinde“ Deutschland und Frankreich innerhalb der EU miteinander gemacht hatten. Aus einer jahrhundertelangen Gegnerschaft ist in den letzten Jahrzehnten die engste Partnerschaft erwachsen, die beide Länder jeweils mit einem anderen Land haben.

Zwischen dem Beitrittsantrag Polens im Jahre 1994 und der Aufnahme des Landes in die EU 2004 lagen zehn Jahre. Mit dem Beitrittsprozess waren schwerwiegenden Veränderungen und Belastungen für Polen verbunden, aber auch die Perspektive auf eine glänzende Zukunft: auf den Aufstieg des Landes als eines wichtigen Teils des freien Europas, das durch Rechtsstaat, Demokratie und Soziale Marktwirtschaft geprägt ist.

Polen hat bereits viel auf diesem Weg erreicht. In den entscheidenden historischen Momenten haben unsere Politiker und hat die polnische Bevölkerung Gott sei Dank die richtigen Entscheidungen getroffen. So hat sich Polen schon nach fünf Jahren in der EU unter der Regierung Donald Tusk einen angesehenen Platz erworben. Es gehört heute zu den aufsteigenden Nationen Europas, die eine besonders dynamische Entwicklung durchlaufen. Dennoch wird die Angleichung der Lebensverhältnisse hinsichtlich des Bruttosozialproduktes und Wohlstandes noch mindestens zehn weitere Jahre konsequenter Reformarbeit in Anspruch nehmen. Die Mitgliedschaft Polens hat aber auch Deutschland strategisch, politisch und wirtschaftlich genützt. Beide Seiten haben profitiert. Gewicht und Schwerpunkt der EU haben sich stärker nach Osten verlagert. Polen und Deutschland sind wichtige Wirtschaftspartner.

Allerdings verlief die Startphase Polens als EU-Mitglied stockend und mit mancherlei Reibungen. Grund hierfür war der politischen Wechsel in Polen im Herbst 2005 zunächst zu einer national-konservativen, später auch populistischen Regierung, die eine zutiefst skeptische Haltung gegenüber der politischen Union in Europa und gegenüber dem Nachbarn Deutschland vertrat. Die Auseinandersetzungen kulminierten in der Zeit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im 1. Halbjahr 2007 im Streit um die Stimmgewichtung im EU-Rat, als es um die Verabschiedung des Verfassungs- bzw. Reformvertrages ging.

Mit dem Regierungswechsel im Herbst 2007 zur PO und PSL, zwei Mitgliedern der stärksten europäischen Parteienfamilie, der Europäischen Volkspartei EVP, hat sich die Situation grundlegend gewandelt. Polen agiert nicht mehr als „Problemkind“ europakritisch, ängstlich und zugleich streitbar auf Bestandswahrung bedacht, sondern als ein selbstbewusster und konstruktiver Mitgestalter der Politik in der EU. Es ist dabei, seine Rolle in der EU als eines der sechs größten Länder und als weitaus größtes Beitrittsland im Osten auszufüllen. Die von Polen und Schweden initiierte Partnerschaft der EU mit den Staaten im Osten ist ein gutes Beispiel für die neue konstruktive Politik Polens. Sie hat dem Land international Anerkennung verschafft. Diese wurde auch deutlich beim Europakongress der EVP Ende April in Warschau, an dem 15 Regierungschefs, darunter die von Deutschland, Frankreich und Italien, sowie knapp 3.000 Delegierte und Gäste aus ganz Europa teilnahmen.

Positiv bemerkenswert sind die durchweg sehr hohen Zustimmungswerte in Polen zur EU und zu den EU-Institutionen in den Eurobarometer-Umfragen. Die polnische Bevölkerung zeigt sich darin europafreundlicher als etwa die deutsche. Andererseits lag die Wahlbeteiligung bei den EU-Wahlen 2004 bei nur 20 % und droht diesmal nicht besser zu werden. Es scheint so, dass sich hier Zufriedenheit mit Gleichgültigkeit verbindet. Dies kann gefährlich werden, wenn bei einer sehr geringern Wahlbeteiligung Protestwähler europakritischen Bewegungen - wie der des Iren Declan Ganley, des Gründers der Bewegung Libertas - zum Erfolg verhelfen. Im Moment deutet wenig darauf hin. Denn die EU war und ist ein Erfolgsmodell, auch in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise. Für die Transformationsländer in Mittelosteuropa sind die EU-Gelder so etwas wie ein eigenes Konjunkturprogramm, das zu Entwicklung der Infrastruktur maßgeblich beiträgt. Bereits die Ängste und die populistische Agitation im Vorfeld des EU-Beitritts 2004 wurden durch die Realitäten widerlegt. Angst ist gemeinhin ein schlechter Ratgeber. Sie verhindert, sich den Herausforderungen selbstbewusst zu stellen und die Chancen, die selbst in jeder Krise stecken, zu erkennen und zu nutzen.

Mittlerweile haben auch die deutsch-polnischen Beziehungen auf der gesellschaftlichen und politischen Ebene eine herausgehobene Qualität erreicht, wenngleich hier zwischenzeitlich immer mal wieder Rückschläge möglich sind, wie die Jahre der „IV. Republik“ in Polen gezeigt haben. Vielfältige Verbindungen, darunter rund 650 Städtepartnerschaften sorgen heute für Begegnung und Austausch. Der deutsche Arbeitsmarkt ist schon sehr weitgehend freigegeben und wird 2011 völlig frei zugänglich sein. Jüngste Umfragen zeigen, dass die gegenseitigen Akzeptanz- und Sympathiewerte trotz der Beeinträchtigungen durch verschiedene politische Konflikte recht hoch sind. So beurteilt zum Beispiel knapp die Hälfte der Befragten in Deutschland die Beziehungen zu Polen positiv. 57 % würden einen polnischen Chef, eine polnische Schwiegertochter oder einen Schwiegersohn aus Polen akzeptieren. Fast zwei Drittel würden mit jemandem aus Polen gerne Freundschaft schließen wollen. Die Daten stammen vom Institut für Öffentliche Angelegenheiten in Warschau.

Mein Fazit lautet also: Die polnische EU-Mitgliedschaft hat sich in einer positiven Weise entwickelt. Sie ist für Polen genauso von Vorteil wie für die EU und Deutschland. In der erweiterten EU von 27 Staaten könnte Polen vielleicht einmal gemeinsam mit Deutschland und Frankreich so etwas wie ein Motor werden, der dieses politische Schiff antreibt. Auch die deutsch-polnischen Beziehungen innerhalb der EU liegen nach einer Zeit der Konfrontation, die Spuren hinterlassen hat, in einem ansteigenden positiven Trend. Die Konrad-Adenauer-Stiftung als christdemokratische Einrichtung, die seit nunmehr 20 Jahren mit einem Büro in Polen arbeitet, möchte diese positiven Entwicklungen gemeinsam mit ihren vielen polnischen Partnern unterstützen und vorantreiben. Auch dies ist ein Zeichen des Dankes für den Aufbruch, den die polnische Solidarność Europa gebracht hat.

Angesichts dessen, was die Menschen im 20 Jahrhundert unter den totalitären Regimes des Kommunismus und Nationalsozialismus erlebt haben, sollten wir nie vergessen: Die EU ist ein Geschenk, das uns die Gründerväter dieser Union, darunter bedeutende christdemokratische Staatsmänner wie Robert Schuman aus Frankreich, Alcide de Gaspery aus Italien und Konrad Adenauer aus Deutschland vermacht haben. Später sind auch polnische Christdemokraten wie Tadeusz Mazowiecki oder Jerzy Buzek diesem europäischen Weg mit Leidenschaft gefolgt. An uns liegt es, dieses Geschenk zu bewahren und den Herausforderungen der Zeit entsprechend weiter zu entwickeln. Denn diese Union hat uns ein Leben in Frieden und Freiheit und – mehr oder weniger – auch in Wohlstand gebracht.

Dafür brauchen wir politischen Sachverstand und klare ethische Prinzipien, ein gutes Verständnis des Menschen und der menschlichen Gesellschaft. Es ist ein Pole, bei dem wir diesbezüglich Orientierung finden können: beim polnischen Papst Johannes Paul II. und seiner Soziallehre. In der christlichen Lehre von der Freiheit und Verantwortung des Menschen vor Gott und in den Leitprinzipien der Solidarität, der Subsidiarität und der Orientierung am Gemeinwohl. In diesem Sinne und durch das tatkräftige Engagement von Christen gemeinsam mit allen Menschen guten Willens wird die Europäische Union gelingen und Bestand haben. Dafür lohnt es sich, politisch zu streiten.

Stephan Raabe ist seit Herbst 2004 Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Polen. Bis 2007 war er zugleich für Belarus zuständig. Nach dem Studium der Geschichte, Theologie, Philosophie und Politik in Bonn und München arbeitete er als Referent für politische Bildung für das Erzbistum Berlin. Von 2002 bis 2004 war er Bundesgeschäftsführer des Familienbundes deutscher Katholiken. Raabe hat zahlreiche Beiträge zu gesellschaftspolitischen Themen sowie zu Polen veröffentlicht. In deutscher und polnischer Sprache hat er zuletzt herausgegeben: Eine neue Ordnung der Freiheit. Die Sozialethik Johannes Pauls II. – eine Vision für das vereinte Europa, Osnabrück, Krakau 2007; Von den römischen Verträgen zum Reformvertrag. Die Rolle der katholischen Kirche im Prozess der europäischen Integration, Warschau 2008.

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