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Länderberichte

Bosnien und Herzegowina: „Priebe“-Bericht erschienen

von Hartmut Rank, Mahir Muharemović

Eine kritische Durchsicht des Berichts zur Situation der Rechtsstaatlichkeit in der bosnischen Justiz

Der in der breiten Öffentlichkeit ebenso wie in der Justiz von Bosnien und Herzegowina (BuH) mit Sehnsucht und Spannung erwartete sogenannte „Priebe“-Bericht wurde am 05.12.2019 in Brüssel vorgestellt. Es handelt sich dabei um einen Bericht mehrerer EU Experten unter der Leitung von Reinhard Priebe (deutscher Jurist und langjähriger Mitarbeiter der EU-Kommission) „über die Probleme der Rechtsstaatlichkeit in BuH“. Der Bericht ist zwar wie erwartet kritisch ausgefallen, lässt aber hinreichend konkrete Handlungsempfehlungen bzw. Reformschritte vermissen.

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Vor einer inhaltlichen Analyse des Berichts sollen kurz Hintergrund, Beweggründe und die Struktur des Berichts beleuchtet werden:

 

Kontext

Im März 2019 startete die EU-Kommission, nach sich häufenden Justizskandalen in BuH, die „EU-Initiative zur Verbesserung der Überwachung der Rechtsstaatlichkeit in BuH“. Diese Initiative konzentriert sich auf die Ursachen der rechtsstaatlichen Defizite in BuH. Sie zielt darauf ab, die Überwachung der Rechtsstaatsreformen und deren Umsetzung zu verbessern und die Rechenschaftspflicht des rechtsstaatlichen Systems in BuH zu erhöhen, bei gleichzeitiger vollständiger Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz. Die Initiative umfasst das gesamte Rechtssystem, einschließlich Gerichte aller Ebenen, Staatsanwaltschaften und Strafverfolgungsbehörden.

Der nach mehrmonatiger Analysetätigkeit vorgestellte, 25 Seiten lange „Priebe“-Bericht muss vor dem Hintergrund der Ambitionen Bosnien-und-Herzegowinas, Mitglied der EU zu werden, gesehen werden. Den Beitrittsprozess hat BuH formell im Jahr 2005 begonnen, bisher jedoch mit recht spärlichen Resultaten. Das Land hat, anders als Serbien und Montenegro immer noch keinen Kandidatenstatus erhalten und liegt in seinen Reformbemühungen auch noch einmal deutlich hinter Nordmazedonien und Albanien. In ihrer Stellungnahme zum Antrag von Bosnien und Herzegowina auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) vom 29. Mai 2019  hebt die EU-Kommission die vielen verbleibenden Mängel im Bereich der Rechtsstaatlichkeit des Landes hervor und kommt zu dem Schluss, dass mit Bosnien und Herzegowina Beitrittsverhandlungen eröffnet werden können, wenn „das erforderliche Maß an Einhaltung der Beitrittskriterien und insbesondere der politischen Kriterien von Kopenhagen erreicht werden, die die Stabilität von Institutionen erfordern, die insbesondere Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gewährleisten“. Das Land müsse „seinen rechtlichen und institutionellen Rahmen grundlegend verbessern, um sicherzustellen, dass es eine Reihe von in der Stellungnahme festgelegten Schlüsselprioritäten erfüllt“, von denen eine beträchtliche Anzahl die allgemeine Rechtsstaatlichkeitssituation im Land verbessern soll.

 

Kernpunkte

Der nun vorgestellte Bericht konzentriert sich auf eine begrenzte Anzahl von Rechtstaatsthemen, hauptsächlich auf die Justiz und mit ihr verbundenen Institutionen. Er deckt dabei keine der anderen Bereiche ab, die offensichtlich für das Funktionieren der Rechtsstaatlichkeit wesentlich sind. Im Bericht werden einige grundlegende Punkte angesprochen, die einen relativ authentischen Eindruck der Lage des Rechtsstaats in BuH geben.

Es wird auch gleich am Anfang deutlich gesagt, dass BuH zwar einen komplexen Verfassungsrahmen habe und sich in einer schwierigen politischen Lage befinde, dass aber diese Umstände nicht die einzigen Gründe für die Schwäche des Rechtsstaats in BuH seien. Es wird, generell, eine Dysfunktionalität der öffentlichen Institutionen bescheinigt. Eine Ursache dafür sei auch das Fehlen jeglichen Willens der Schlüsselpersonen im System, die Justizorganisation zu reformieren. Den bosnischen Institutionen fehle es an einer Kultur der Verantwortung und Transparenz. Es wird darauf hingewiesen, dass nicht die Gesetze das Problem seien (die meisten von ihnen seien schon europäischen Standards angepasst), sondern der Graben zwischen Gesetzen und der alltäglichen Praxis ihrer (Nicht-)Anwendung. Die positivistische und formalistische Interpretation der Gesetze durch Beamte auf allen Ebenen, und das dadurch resultierende Verhalten (oftmals werden mit Absicht Vorschriften fehlinterpretiert), erschwert die richtige und sinnvolle Umsetzung von Gesetzen.

In diesem Sinne muss auch die bosnische Justiz systematisch reformiert werden. Ein zentraler Punkt im Bericht ist das Problem des verlorenen Vertrauens der Öffentlichkeit in die bosnische Justiz. Es wird darauf hingewiesen, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist, dass die Entscheidungen der Justiz politisiert seien. Es wird auch festgestellt, dass der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte in BuH reformiert werden müsse. Er werde weithin als unverantwortliche Macht in den Händen einiger Personen wahrgenommen, die den Interessen eines Netzwerks politischer Schirmherrschaft und Einflussnahme dienten. Als zentrale Einrichtung zur Gewährleistung der Unabhängigkeit und der Funktionsweise der Justiz in Bosnien und Herzegowina müssten die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Funktionsweise des Rates erheblich verbessert werden, um den Interessen der Justiz und der Bürger besser gerecht zu werden. Aber neben dem rechtlichen Rahmen ist auch ein radikaler Bruch mit dem bisherigen Verhalten der Mitglieder des Rates von Nöten. Es müssten Personen im Rat sitzen, die sich auch mit ethischen und moralischen Verhalten auszeichnen damit bei der Öffentlichkeit nicht mehr der Eindruck entsteht, dass diese Personen über dem Gesetz stehen. Damit eng verbunden ist auch die Frage der Integrität der Richter und Staatsanwälte. Die Ernennung und Beförderung von Richtern und Staatsanwälten müsse primär auf Leistung und Wissen beruhen und nicht auf ethnischen Prinzipien. Die Beurteilung der Leistung der Justizträger müsse mehrqualitative statt wie bisher quantitative Merkmale berücksichtigen. Das derzeitige System, Vermögenserklärungen nur auf Papier zu erfassen, ohne dass Kontrollen durchgeführt werden, sei sinnlos und müsse verstärkt werden. Dies müsse einer genauen externen Überwachung unterzogen werden. Es wird auch bemerkt, dass ein Vetting (Lustration), als letztes Mittel, durchaus in Frage kommen könnte. Der Bericht kritisiert auch in grundsätzlicher Weise das System der Ausbildung und Fortbildung der Richter und Staatsanwälte. Darüber hinaus fehle Transparenz in der Justiz (Entscheidungen würden nicht genügend begründet, die Verfahren und Entscheidungen seien nicht immer der Öffentlichkeit zugänglich.)

Wichtige Verbesserungen in der Zivil- und Strafverfahren seien erforderlich. Diese müssten Ergebnisse liefern. Zivilverfahren seien zu mühsam, komplex und formalistisch und nehmen zu viel Zeit in Anspruch. Die bosnische Strafgerichtsbarkeit sei nicht in der Lage, schwere Kriminalität und Korruption zu bekämpfen.

Die Autoren des Berichtes fordern weiterhin eine ordnungsgemäße Durchsetzung und ausreichende Rechtsmittel, um einen wirksamen rechtlichen Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu gewährleisten. Insbesondere die Nichteinhaltung der Rechtsprechung des EGMR sei inakzeptabel.

Der Bericht befasst sich auch auf die Fragen des Verfassungsrahmens in BuH. Die derzeitige Verfassung von Bosnien und Herzegowina sowie die Verfassungen der Entitäten bedürfen grundlegender Reformen, um insbesondere den „institutionellen Overkill“ zu überwinden. Solche Verfassungen sind nicht geeignet, um das Land auf seinem Weg zur europäischen Integration voranzubringen und es zu befähigen, weitere Fortschritte bei der Festigung einer stabilen Demokratie auf der Grundlage von Rechtsstaatlichkeit, höchsten Menschenrechtsstandards und einer gesunden wirtschaftlichen Entwicklung zu erzielen. Parallel zur Erarbeitung von Verfassungsreformen sollten alle erdenklichen Anstrengungen unternommen werden, um die Mängel innerhalb des derzeitigen Verfassungsrahmens zu beheben. Das gemeinsame Interesse sollte überwiegen und nicht der ethnische Ansatz.

Am Ende des Berichts wird noch einmal deutlich formuliert, woran es in BuH tatsächlich fehlt: Die Politiker im Land müssten konstruktiver zusammenarbeiten, damit wichtige Reformen eingeleitet werden können. Genau das findet aber seit Jahren nicht ausreichend statt.

 

Reaktionen

Die Aufnahme des Expertenberichts in Fachkreisen in BuH ist gemischt ausgefallen. Die meisten Reaktionen schwanken zwischen dem Standpunkt: „wir haben das alles schon gewusst – aber es ist gut, dass es jemand, der objektiv ist, anspricht“ und der Enttäuschung darüber, dass der Bericht nicht noch deutlicher die Personen benannt hat, welche ein Problem in der Justiz von BuH darstellen, sowie dem Bedauern, dass der Bericht nicht deutlich konkreter ist.  Auch Milan Tegeltija, Präsident des im Bericht kritisierten „Hohen Richter- und Staatsanwälterates von BuH“, der unlängst selbst stark in die Kritik geraten war im Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen gegen ihn, hat sich bereits zu Wort gemeldet. Er merkt lapidar an, dass der Bericht noch schlimmer für die Justiz von BuH hätte ausfallen können, angesichts der (nach seinen Worten) „aufgeblähten negativen Stimmung gegen den Rat von Seiten der Medien, der Geheimdienste und der Politik in BuH.“  Am Ende kommt er zu dem Schluss, dass der Bericht nicht allzu schlecht ist für die Justiz und das er einige Punkte richtig anspreche, aber auch Einiges nicht richtig sei und dass man den EU Experten die Informationen falsch serviert habe (– dies übrigens ein beliebter Vorwurf, den man in jüngerer Zeit häufiger in Staaten Südosteuropas hört).

Es bleibt festzustellen, dass der Bericht in den Grundzügen einige gravierende Defizite des bosnischen Rechtsstaats anspricht. Diese Feststellungen sind Fachleuten in Bosnien jedoch schon länger bekannt. Außerdem muss man feststellen, dass der Bericht sehr generell und abstrakt gehalten ist, mit zahlreichen pauschalen Aussagen, ohne jedoch ausreichend konkrete Lösungsvorschläge zu unterbreiten. So wird man bspw. im direkten Vergleich mit den zwei (ebenfalls von Priebe geleiteten und weitgehend positiv aufgenommenen) EU-Expertenberichten zur Lage der mazedonischen Justiz aus den Jahren 2015 bzw. 2017,  feststellen, dass diese deutlich mehr und spezifischere Handlungsempfehlungen enthielten: Allein der Bericht aus dem Frühling 2015, welcher im Umfang dem jetzigen zu BuH ähnelt, enthielt 55 Empfehlungen. Die mazedonischen „Priebe“-Berichte hatten aber einen anderen Anlass: es waren Abhörprotokolle in großem Umfang aufgetaucht, und die EU lieferte konkrete Ratschläge u.a. auch zu Aspekten im Medienbereich.  

Hingegen wirken die (nur) 14 „Schlüsselprioritäten“ im Anhang des jetzt zu BuH vorgestellten Berichts bescheiden. Dies ist wohl einerseits ein Zeugnis für die noch grundlegenderen Probleme, mit denen die bosnische Justiz zu tun hat. Andererseits wirkt es auch wie ein Stück Ratlosigkeit, die die internationalen Berater nach Jahrzehnten der Projektarbeit und – auch finanzieller Unterstützung des bosnischen Rechtssystems – ergriffen hat.

Dennoch ist es wichtig, dass die EU nun diesen nüchternen Bericht veröffentlicht hat. Damit werden die bestehenden Missstände nun auch von höchster Instanz offengelegt bzw. bescheinigt. Dabei scheint die Intention der EU-Experten gewesen zu sein, nicht zu große Wellen zu schlagen, sondern nur ausgewählte Missstände anzusprechen, wohlwissend um die seit Staatsgründung schwierige verfassungsrechtliche und politische Situation in BuH. Sorge bereitet aber, dass die EU auf dem Konzept der „local ownership“ beharrt, (was in vielen Fällen richtig und logisch wäre), in Bosnien aber seit gut zehn Jahren nicht zu funktionieren scheint.

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die politischen Entscheidungsträger in BuH – aber auch die Eliten in der bosnischen Justiz – nun angesichts eines neuerlichen Berichts alsbald konstruktiv und mit großem Eifer die nötigen systematischen Reformen, die im Bericht genannt werden, vorantreiben werden. Das System braucht dafür neue Leute, die aber derzeit nicht im bestehenden System Fuß fassen können. Es ist klar, dass eine tiefgreifende und nachhaltige Reform nur von „innen“ kommen kann. Aufgabe der EU und der internationalen Gemeinschaft ist es dabei, neue (jüngere) bosnische Kräfte aktiv zu unterstützen, damit das bestehende System diese nicht außen vor hält.

 

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Kontakt

Dr. Pavel Usvatov

Dr. Pavel Usvatov

Leiter des Rechtsstaatsprogramms Südosteuropa

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