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Das Nuklearabkommen mit Iran: Hoffnungsschimmer oder Fata Morgana?

von Sebastian Pfülb, Dr. Gidon Windecker

In den Golf-Staaten überwiegt das Misstrauen

Kaum ein Konflikt hat die Weltgemeinschaft über die letzten Jahre so sehr beschäftigt, wie der Streit um das iranische Atomprogramm. Nach über 13 Jahren zäher Verhandlungen wurde am 14. Juli 2015 nun mit der Unterzeichnung des ''Joint Comprehensive Plan of Action'' Geschichte geschrieben. Doch für die Golf-Staaten geht es mittlerweile um viel mehr als nur eine iranische Atombombe: Sie befürchten eine weitere Eskalation durch die Verschiebung des strategischen Kräftegleichgewichts in der gesamten Region.

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Während die Bekanntgabe des Verhandlungsdurchbruchs in westlichen Regierungskreisen als Sieg der Diplomatie und Stärkung moderater Kräfte in Iran gefeiert wurde, nahmen die Staaten des Golfkooperationsrats (GKR) das Ergebnis von Genf vorsichtiger auf. Einige der GKR-Staaten, allen voran Saudi-Arabien, hegen eine langjährige Antipathie gegenüber der Islamischen Republik und beäugen den persischen Nachbarn mit großem Misstrauen. Gleichzeitig ist das Verhältnis der Golf-Staaten zu Iran keineswegs einheitlich und besonders die kleineren Monarchien könnten von dem Abkommen wirtschaftlich erheblich profitieren - eine Ambivalenz, die sich auch in den Reaktionen auf das Verhandlungsergebnis vom 14. Juli 2015 widerspiegelt.

 

 

Hoffnung auf Geschäfte …

 

So überrascht es nicht, dass das Sultanat Oman als Erster auf die Neuigkeiten vom Verhandlungserfolg reagierte und den beteiligten Parteien, insbesondere Präsident Obama und Präsident Rohani, zum Ergebnis gratulierte. In einer Stellungnahme pries das omanische Außenministerium das Vertragswerk zudem als eine „historische Win-win-Situation”. Der omanische Minister für Äußeres Yusuf bin Alawi bin Abdullah sah es gar als Grundstein für die Beilegung der schwelenden Konflikte in Syrien, Irak und Jemen. Das Land an der Spitze der arabischen Halbinsel teilt sich mit Iran die Kontrolle über die strategisch bedeutsame Straße von Hormus und unterhält bereits seit den 1970ern enge, freundschaftliche Beziehungen zum persischen Nachbarn. Als ehrliche Makler haben omanische Unterhändler zudem eine entscheidende Rolle in den Konsultationen und vertrauensbildenden Maßnahmen zwischen den E3+3 und Iran gespielt. Selbst unter dem harten Sanktionsregime war Iran einer der wichtigsten Handelspartner; Oman exportierte im Jahr 2014 Waren im Wert von 441 Millionen US-Dollar in die Islamische Republik. Mit dem Wegfall der Sanktionen können beide Länder nun auf ein Aufblühen des Handels hoffen.

 

Ebenso optimistisch zeigte sich Katar, das sich mit seinem persischen Nachbarn das größte bekannte Gasvorkommen der Welt teilt, auf dessen Ausbeutung sich fast der gesamte Wohlstand des Emirats begründet. Stabile Beziehungen zu Iran sind allein deshalb für Doha von enormer strategischer Bedeutung, auch wenn sie in der Vergangenheit nicht immer spannungsfrei waren. Das katarische Außenministerium hüllte sich so in freundlich-diplomatische Floskeln: „Wir gratulieren zu dieser Übereinkunft und sehen sie als wichtigen Schritt an. … Wir hoffen, dass dieses Abkommen den Frieden und die Stabilität der Region fördern wird.” Auch Vertreter Kuwaits begrüßten das Verhandlungsergebnis als positiven Schritt. In einem Telegramm an Präsident Rohani brachte Emir Sabah Al Sabah die Hoffnung zum Ausdruck, dass das Abkommen nun auch einen Neuanfang in den persisch-arabischen Beziehungen einläuten könnte.

 

Genauso zeigten sich die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) auf offizieller Ebene erfreut über das Zustandekommen einer Einigung. Kronprinz Scheich Mohammed bin Zayed Al Nahyan begrüßte das historische Abkommen, welches er als „Hoffnungsträger für ein neues Kapitel im arabischen Golf“ bezeichnete. Wie Oman könnten auch die VAE von dem Abkommen wirtschaftlich stark profitieren. Denn die Wirtschaftsmetropole Dubai ist Heimat von knapp 400.000 Exil-Iranern, viele von ihnen erfolgreiche Geschäftsleute, und mehr als 10.000 Firmen im Land haben einen iranischen Eigentümer. Seit Erlass der Sanktionen gegen das Mullah-Regime ist das Emirat so zum Hauptumschlagspunkt für Schmuggelgut avanciert. Experten schätzen daher, dass mit der Aufhebung der Sanktionen allein im ersten Jahr ein Handelszuwachs von bis zu 20% zu erwarten ist. Gleichzeitig betonte Abu Dhabi aber auch immer wieder, dass Iran nun seine Politik der Destabilisierung in der Region, insbesondere in Irak, Syrien, Libanon und Jemen beenden müsse. Die Herrscherfamilie der Hauptstadt sieht die Beziehungen zu Iran traditionell kritischer als die Führung Dubais, unter anderem vor dem Hintergrund des Konflikts um drei von Iran beanspruchte Inseln vor der emiratischen Küste.

 

 

… Sorge um politische Konsequenzen

 

Diese Sorge um Teherans destabilisierende Politik teilt auch das bahrainische Königshaus. In einem Schreiben an Präsident Rohani gratulierte König Hamad bin Issa Al Khalifa zwar zu den erfolgreichen Verhandlungen, machte aber gleichzeitig deutlich, dass Iran nun seine Einmischungen in die inneren Angelegenheiten der arabischen Staaten beenden müsse. Doch nicht einmal zwei Wochen später kam es bereits wieder zum diplomatischen Zwischenfall. Als Reaktion auf „feindselige Äußerungen” der iranischen Führung und die andauernde Unterstützung militanter Gruppen im Königreich kündigte Manama den Rückruf seines Botschafters aus Teheran an. Bahrain hatte Iran immer wieder der Unterstützung und Aufwiegelung der schiitischen Opposition im Land bezichtigt, insbesondere nachdem es im Frühjahr 2011 auch im Inselstaat zu Massendemonstrationen und Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften gekommen war, die schlussendlich durch eine von Saudi-Arabien angeführte Militärintervention niedergeschlagen wurden.

 

Als wichtigstes Land des Golf-Kooperationsrats und historischer Antagonist blieb Saudi-Arabien hingegen zunächst überraschend wortkarg. Als die Neuigkeiten über den Verhandlungsdurchbruch am 14. Juli an die Weltpresse drangen, ließ das Königshaus lediglich durch einen nicht namentlich genannten, mittleren Beamten verlautbaren, dass Riad stets das Zustandekommen eines Regelwerks unterstützt habe, das eine nukleare Bewaffnung Irans verhindert. Generell sei man an guten nachbarschaftlichen Beziehungen mit Iran interessiert, basierend auf dem Prinzip der Nicht-Einmischung. Gleichzeitig ließ das Königshaus aber auch durchsickern, dass es über die letzten 40 Jahre immer wieder schmerzhaft habe lernen müssen, dass Wohlwollen gegenüber Iran stets „zu einer bitteren Ernte” geführt habe.

 

Erst zwei Tage nach der historischen Einigung äußerte sich der saudische Außenminister Adel Al Jubeir am Rande eines Treffens mit US-Außenminister Kerry zu der Sache und erklärte, dass „wir alle in der Region eine friedliche Lösung für Irans Atomprogramm sehen wollen” aber dass Saudi-Arabien auch entschlossen sei, Iran entschieden entgegenzutreten, „falls es versuchen sollte, Unruhe in der Region zu stiften.” Ebenso skeptisch meldete sich der ehemalige Botschafter Saudi-Arabiens in den USA, Prinz Bandar bin Sultan, in einem Leserbrief an die Washington Post zu Wort und zog den historischen Vergleich zu dem gescheiterten Nuklearabkommen, das Präsident Bill Clinton 1994 mit Nordkorea ausgehandelt hatte: „Obama hat seine Entscheidung über das iranische Nuklearabkommen gefällt, obwohl ihm bewusst ist, dass die außenpolitischen Erfahrungen, strategische Analysen sowie amerikanische Geheimdienstinformationen und Erkenntnisse amerikanischer Verbündeter in der Region alle auf einen schlimmeren Ausgang hindeuten, als im Falle Nordkoreas – und Iran wird Zugang zu Milliarden von Dollar haben. … Das Abkommen wird Chaos und Verwüstung im Mittleren Osten zur Folge haben.”

 

 

Es geht um viel mehr als nur die Bombe

 

In der Tat wird die Einigung im Atomstreit für Saudi-Arabien und seine Verbündeten im GKR von der regionalen Rolle Irans überschattet. Schon lange geht es nicht mehr nur darum, ob Iran die Bombe bauen kann oder nicht. Spätestens seit den Umbrüchen in der arabischen Welt von 2011, insbesondere dem Aufbegehren der schiitischen Mehrheit in Bahrain und dem Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs, sehen die Golf-Staaten sich zunehmend in einem konfessionalisierten Machtkampf mit Iran um die Vorherrschaft in der arabischen Welt verwickelt – und da kam der Streit um das iranische Atomprogramm und die damit verbundene internationale Ächtung und Verschärfung der Sanktionen gegen den Erzrivalen gerade recht. Besonders Saudi-Arabien fürchtet das Erstarken einer schiitischen Achse von Beirut bis Teheran und macht Irans – reale und imaginäre – Unterstützung für schiitische Gruppen in der Region für die zunehmende Destabilisierung des Mittleren Osten verantwortlich.

 

Vor diesem Hintergrund sorgen sich die Entscheidungsträger am Golf, dass Iran durch das Abkommen international rehabilitiert wird und der Nuklearvertrag so einem Freibrief für weitere Einmischungen gleichkommt. Insbesondere die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen bereitet ihnen Kopfschmerzen, denn Teheran könnte so die materielle und finanzielle Unterstützung für seine schiitischen Verbündeten erheblich ausbauen und das Kräftegleichgewicht in der Region weiter verschieben. Zwar hatten die iranischen Verhandlungsführer immer wieder versichert, mit der Finanzspritze die einheimische Wirtschaft wieder anzukurbeln und einen Neuanfang in den Beziehungen zu den arabischen Staaten suchen zu wollen. Die jüngsten Aussagen Ajatollah Ali Khameneis dürften die Bedenken allerdings nicht schmälern. Anlässlich des Endes des Fastenmonats Ramadan hatte Irans oberster Führer am 18. Juli erklärt, dass egal „ob das Abkommen angenommen oder abgelehnt wird, wir werden niemals aufhören unsere Freunde in der Region und die Völker von Palästina, Jemen, Syrien, Irak, Bahrain und Libanon zu unterstützen.”

 

Die Furcht, dass die Einigung im Atomstreit die Machtansprüche der Mullahs noch weiter ausdehnen wird, ist dabei mittlerweile omnipräsent. So erklärte Tariq Al Shammari, der Präsident des Council of Gulf International Relations, dass „dieses Abkommen aus unserer Sicht eine indirekte Bedrohung für den Golf, die arabischen Interessen und den Frieden ist.” Daher müssten die arabischen Staaten des Golfs auch weiterhin hinter den Kulissen eng zusammenarbeiten, um dafür zu sorgen, dass Iran politisch und wirtschaftlich isoliert bleibe. Auch für Al Watan könnte das Abkommen in erster Linie Irans expansive Rolle in der Region stärken: „Das jüngste Abkommen hat die iranische Atombombe lediglich um 15 Jahre verzögert … im Gegenzug für die Aufhebung der Sanktionen. Das ist der wahre Gewinn Irans und er öffnet die Tür für den persischen Staat, sich voll und ganz auf die regionalen Konflikte zu konzentrieren sowie den Versuch, seinen Einfluss in Bagdad, Beirut und Damaskus weiter auszubauen.”

 

Vor dem Hintergrund dieser regionalen Herausforderung könnte die Einigung im Nuklearstreit den Golf-Staaten einen Bärendienst geleistet haben, argumentierte Al Sharq Al Awsat. Denn auch wenn durch die Inspektionen erfolgreich eine nukleare Bewaffnung Irans verhindert würde, stehen „die westlichen Regierungen … unter großem Druck, den Deal zu einem Erfolg werden zu lassen. Deshalb werden sie ihre Augen vor der destruktiven Politik Irans und der schamlosen Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Nachbarstaaten verschließen.”

 

 

Vertrauenskrise zwischen Riad und Washington

 

Gefördert wird diese Entwicklung durch das Gefühl, von der traditionellen Schutzmacht USA im Stich gelassen zu sein. Dieses Empfinden wird von weiten Teilen der saudischen Königsfamilie geteilt, wie in den Äußerungen des langjährigen saudischen Geheimdienstchefs Prinz Turki bin Faisal deutlich wird: Präsident Obama habe aus Sicht der Saudis „die traditionellen Verbündeten der USA hintergangen, nur um dieses Abkommen zu erreichen”, konstatierte der Prinz jüngst in einem Vortrag am südkoreanischen Asan Institute for Policy Studies.

 

Dabei zweifeln die Golf-Staaten schon seit geraumer Zeit an der Verlässlichkeit der Vereinigten Staaten, das mit seiner durch die Fracking-Revolution beförderten Energieunabhängigkeit zunehmend das Interesse an der arabischen Welt zu verlieren scheint. Als Präsident Obama im Frühjahr 2011 dann auch noch dem engen Verbündeten Hosni Mubarak innerhalb weniger Wochen die Unterstützung entzog und sich hinter die Protestbewegungen des „Arabischen Frühlings” stellte, sahen die Golf-Staaten ihre Zweifel bestätigt. Auch das Nichteingreifen in Syrien, selbst nachdem die von Obama persönlich gezogene „rote Linie” des Einsatzes von Chemiewaffen überschritten wurde, hat das Vertrauen in die Zusicherungen der Supermacht weiter untergraben.

 

Bereits Mitte Mai 2015 hatte die amerikanische Regierung die Staatschefs der GKR-Staaten daher zu einem mehrtägigen Gipfeltreffen nach Camp David eingeladen und versucht, die Sorgen der Golf-Herrscher vor einer sich anbahnenden Einigung mit Iran auszuräumen – mit mäßigem Erfolg. Denn diese hatten im Vorfeld des Gipfels von Präsident Obama eine verbindliche Sicherheitsgarantie gefordert, unter welcher sich Amerika verpflichten würde, die Staaten des Golfkooperationsrats im Falle eines iranischen Angriffs zu verteidigen, ähnlich wie sie bereits für die NATO-Staaten als auch Japan und Südkorea besteht. Zu mehr als einer Erneuerung des bisherigen, impliziten Gentlemen’s Agreement und weiteren Waffenlieferungen wollte sich Präsident Obama allerdings nicht verpflichten, war er doch mit dem Wahlkampfversprechen gestartet, Amerika aus seinen – oftmals blutigen und kostspieligen – Verstrickungen im Mittleren Osten zu lösen und das außenpolitische Engagement der Weltmacht nach Asien zu verlagern. Enttäuscht sagte der saudische König Salman seine Teilnahme an dem Gipfeltreffen kurzfristig ab; ein unübersehbarer Ausdruck der Unzufriedenheit des wichtigsten arabischen Verbündeten über die Nahost-Politik Obamas.

 

In ihrer Enttäuschung spielen die Golf-Staaten, allen voran Saudi-Arabien, vermehrt mit der Idee, sich ebenfalls neuen Partnern zuzuwenden, insbesondere Russland und China: „Iran verwüstet die arabische Welt und wird sein Einflussgebiet nach dem Abkommen noch weiter ausdehnen, und die GKR-Staaten sollten daher ihr Vertrauen in Amerika reduzieren und ihren Fokus stattdessen auf Russland und China legen,“ resümierte Mohammed Al Mohya, der Nachrichtensprecher des staatlichen Fernsehsenders Saudi Channel 1, medienwirksam in der New York Times.

 

Neben der Notwendigkeit des Schmiedens neuer Partnerschaften und Allianzen haben die Golf-Staaten vor allem die Schlussfolgerung gezogen, dass sie sich in ihrem Schicksal zunehmend selbst überlassen seien und daher die Sicherheitskooperation im GKR stärken müssten. So wurde im November 2014 der außenpolitische Konflikt zwischen den Bruderstaaten Katar und Saudi-Arabien beigelegt. Außerdem wurde beschlossen, die militärischen Kommandostrukturen der GKR-Staaten weiter zu integrieren und die gemeinsame Einsatztruppe Peninsula Shield aufzuwerten. Auch versucht Saudi-Arabien seit einiger Zeit, sein diplomatisches Gewicht dafür zu nutzen, den Rest der arabischen Welt hinter sich zu sammeln und eine geeinte Front zu präsentieren. Eine erste Zurschaustellung der neuen Unabhängigkeit, und gleichzeitig Test der Belastbarkeit dieser arabischen Koalition, ist die von Riad angeführte Militärintervention im Nachbarland Jemen, die einen kaum zu übersehenden Bruch mit der saudisc

hen Scheckbuchdiplomatie der letzten Jahrzehnte darstellt. Als Reaktion auf den Rückzug der USA aus dem Mittleren Osten rüsten die Golf-Monarchien zudem massiv auf und gehören mittlerweile zu den weltweit größten Abnehmern hochmoderner Waffensysteme. Allein Saudi-Arabien plant derzeit mehr als 150 Milliarden US-Dollar in Rüstungsprojekte zu investieren.

 

 

Startschuss für ein nukleares Wettrüsten?

 

Zusätzlich zu einem konventionellen Rüstungsmarathon am Golf besteht weiterhin die Gefahr, dass die Einigung im Nuklearstreit mit Iran nun als Startsignal für ein atomares Aufrüsten am Golf gesehen wird. Immer wieder hatten Vertreter des saudischen Königshauses wie Prinz Turki im Verlauf der Verhandlungen deutlich gemacht, dass man sich gegebenenfalls genötigt sehen könnte, ein eigenes Nuklearprogramm zu starten, sollte keine zufriedenstellende Lösung gefunden werden.

 

Diese Meinung wurde im Kontext der Einigung auch offensiv von saudischen Medien vertreten. Die saudische Tageszeitung Al Jazirah argumentierte gleich in mehreren Kommentaren, dass das Nuklearabkommen gerade einmal eine Laufzeit von 10 bis 15 Jahren habe und man daher nach dieser Zeitspanne wieder vor der gleichen Gefahr stehen würde, wie zuvor. „Daher sollten die Golf-Staaten, allen voran Saudi Arabien und VAE, sich für diesen Tag wappnen und daran arbeiten, die wissenschaftliche Basis und nukleare Infrastruktur zu errichten, … die dazu dienen kann, das nukleare Gleichgewicht mit Iran und Israel zu erhalten.“ Und Ibrahim Al Marie, ehemaliger Oberst und Experte für Sicherheitspolitik in Riad, erklärte gegenüber dem Wall Street Journal: „Unsere Führer werden Iran niemals erlauben die Bombe zu erlangen, wenn wir sie nicht ebenfalls besitzen. … Falls Iran der Öffentlichkeit eine Bombe präsentiert, können wir es uns nicht leisten, mehr als 30 Jahre auf unsere eigene Bombe zu warten – wir sollten in der Lage sein, unsere innerhalb von einer Woche zu präsentieren.“

 

Dabei wird es keinesfalls darum gehen, direkt eine saudische Bombe zu bauen, sondern vielmehr darum, die notwendige zivile Infrastruktur, Technologie und Knowhow im Land aufzubauen, um im Falle eines iranischen break-out nach Ablauf des Nuklearabkommens gegebenenfalls möglichst zeitnah gleichzuziehen. Hier könnten Saudi-Arabien seine Beziehungen zur Atommacht Pakistan zugutekommen. Denn in den 1970er Jahren finanzierte Riad maßgeblich die Arbeit von A.Q. Khan, dem Vater des pakistanischen Atomprogramms, um im Gegenzug von Pakistan bei Bedarf die notwendige Technologie zum Bombenbau oder gar fertige Gefechtsköpfe zu erhalten.

 

Schon jetzt hat das Land mehrere staatliche Kooperationsabkommen zur Durchführung von Machbarkeitsstudien und Forschungskooperation mit führenden Exporteuren von Nukleartechnologie geschlossen. Eine Klausel, die dem Land die Anreicherung von Uran verbieten würde, enthalten diese Abkommen - anders als beispielsweise das Kooperationsabkommen zwischen VAE und den USA - nicht. Bis 2040 ist der Bau von knapp 16 saudischen Reaktoren mit einer Gesamtleistung von über 17 Gigawatt geplant. Auch in den VAE sind bereits zwei Reaktoren aus Südkorea in Bau, zwei weitere sind in Planung.

 

Die Überlegungen zum Ausbau der nuklearen Infrastruktur sind dabei – wie im Falle Irans – nicht nur von strategischen, sondern insbesondere auch wirtschaftlichen Überlegungen motiviert. Denn mit einem rapide steigenden Energieverbrauch beraubt sich das Königreich zunehmend seiner Haupteinnahmequelle: Immer mehr saudisches Öl wird für die Energiegewinnung auf dem stark subventionierten heimischen Markt verbraucht, wodurch der Regierung die Gewinne aus dem Exportgeschäft entgehen, die 2014 immer noch knapp 87 Prozent aller Staatseinnahmen ausmachten. Der Bau von Atomkraftwerken und die Diversifizierung der Energieversorgung weg von Öl, auch vor dem Hintergrund des sinkenden Ölpreises, könnten hier Abhilfe schaffen. Im Fall der Fälle könnten sie aber ebenso als Sprungbrett für eine nukleare Militarisierung dienen.

 

 

Ausblick

 

Auch wenn die Möglichkeit einer iranischen Atombombe für die nächsten 10 bis 15 Jahre vorerst abgewendet sein sollte, so bleibt das Nuklearabkommen mit Iran aus Perspektive der Golf-Staaten vor allem ein Gewinn für Iran und schürt – trotz aller Hoffnungen auf wirtschaftliche Gewinne – Ängste vor einem Machtgewinn schiitischer Kräfte in der Region. Ob das Abkommen wirklich zu einer regionalen Entspannung beitragen wird oder ob es den Startschuss zu einer neuen Eskalation der Konfliktherde im Mittleren Osten geben wird, bleibt also abzuwarten. Vieles wird davon abhängen, wie Iran mit dem Zugang zu neuen Finanzmitteln und Technologie umgehen wird: Kommen sie in erster Linie der Entwicklung der iranischen Wirtschaft und Gesellschaft zugute oder aber wird Teheran nach dem Wegfall der Sanktionen seine Unterstützung für schiitische Parteien und Milizen ausbauen und somit den Kampf um die regionale Vorherrschaft mit Saudi-Arabien weiter anheizen?

 

Mittelfristig wird aber wohl vor allem die innenpolitische Entwicklung in Iran über Erfolg und Misserfolg entscheiden: Wird die außenpolitische Annäherung als Schwäche ausgelegt und den Hardlinern in die Hände spielen? Oder wird das Abkommen eine Stärkung moderater, reformorientierter Kräfte in Teheran zu Folge haben und auf eine Öffnung des Landes hinwirken? Letzteres ist die Wette, die der Westen mit dem auf 15 Jahre begrenzten Abkommen implizit eingegangen ist; eine Wette, die die Golf-Staaten so nicht unterschreiben würden.

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Philipp Dienstbier

Leiter des Regionalprogramms Golf-Staaten

philipp.dienstbier@kas.de +962 6 59 24 150
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24. Juli 2015
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Das Nuklearabkommen mit Iran: Die Sicht aus dem Golf Public Domain/US Department of State

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