Vortrag
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Artikel und Bücher sind über die DDR geschrieben worden, einzelne Aspekte des Systems wurden intensiv analysiert und trotzdem hat man das Gefühl, dass sich das Phänomen „DDR“ einer gerechten Wahrnehmung zunehmend entzieht.
Einerseits neigt ein Großteil der ehemaligen DDR-Bürger zur Verklärung der Vergangenheit. Im Verhältnis zur Gegenwart scheint dann die Vergangenheit ein geradezu erstrebenswerter Zustand gewesen zu sein. Andererseits legt die Bewertung und Aufarbeitung der DDR ihren Fokus auf die verdrängten Teile der Diktaturerfahrung. Sie will und soll bewusst machen, wie verbrecherisch geschlossene Ssysteme werden können, wenn jede Form einer externen Normierung verloren geht. Wenn man als ehemaliger DDR-Bürger ausschließlich mit diesen Fakten konfrontiert und identifiziert wird, fühlt man sich missverstanden.
Beide Haltungen: Relativierung und Dämonisierung, präsentieren die extremen Pole des Umganges mit der DDR-Erfahrung. Sie werden dem damaligen Alltagserleben nicht gerecht. Nicht jeder lebte in ständiger Angst und dem Bewusstsein des totalen Überwachungsstaates. Das DDR-System war ein Ideologieschwellensystem, das besonders aktiv wurde, wenn man sich nicht systemkonform verhielt. Dann offenbarte es allerdings alle Dimensionen
eines totalitären Staates. Die (Lebens)Kunst des Einzelnen bestand darin, minimale Kompromisslinien zu finden und nicht vorauseilenden Gehorsam zu leisten. Deshalb wird es notwendig, Gewissenserforschung zu betreiben und sich zu erinnern, wie die DDR war und wie sie erlebt wurde.
Wir sollten beginnen, uns unsere Biographien zu erzählen!
Wolfgang Schuller (Jg. 1935) studierte Rechtswissenschaften und anschließend Klassische Altertumswissenschaften, Ägyptologie und Geschichte. Bereits in seiner Promotion setzte er sich mit dem "Politischen Strafrecht in der DDR 1945–1953" auseinander. Schuller lehrte Alte Geschichte in Berlin und bis zu seiner Emeritierung 2004 an der Universität Konstanz. Seit 1990 ist Schuller ordentliches Mitglied der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt.