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Im Monat März verteidigte die mexikanische Bischofskonferenz (CEM) das Recht und die Pflicht der katholischen Kirche, zu allen Bereichen des öffentlichen Lebens - unter Einschluß der Politik - Stellung zu nehmen. Die mexikanische Regierung, die schon einmal, im Jahr 1996, sehr heftig auf eine offizielle Kritik an ihrem liberalen Wirtschaftskurs reagiert hatte, schlug einen deutlichen Ton an und warnte die Kirche, daß sie, wenn sie sich in weltliche Angelegenheiten einmischen wolle, "ihrer Soutanen entledigen und von der Kanzlei herabsteigen solle". Die Kirche solle ihre "legitime soziale Fürsorge" nicht mit einer Einmischung in die Politik verwechseln.
Mit einem Paukenschlag präsentierte die Bischofskonferenz dann am 24. März ihren Hirtenbrief "Jesus Christus und die Solidarität mit allen Menschen", in dem die katholische Kirche ihre Position zu allen wichtigen Problemen des Landes formuliert.
Obwohl der Brief in Zeiten eines komplizierten Wahlkampfes veröffentlicht wird, geht sein Inhalt deutlich über die Wählerentscheidung des 2. Juli hinaus und versucht, nicht nur die gegenwärtige politische, wirtschaftlich - soziale und kulturelle Situation Mexikos zu diagnostizieren, sondern auch Zukunftslösungen zu beleuchten. Die Vorarbeiten liefen seit einem Jahr, weit über die Kirche hinaus waren eine Reihe von gesellschaftlichen Gruppierungen über Befragungen und Foren an der Ausarbeitung des Papiers beteiligt gewesen.
Man darf vermuten, daß Inhalt und der gewählte Zeitpunkt der Veröffentlichung des Papiers hauptsächlich auf zwei Erwägungen beruhen:
- Die christliche Sozialdoktrin der Kirche muß sich aus Sicht der CEM stärker in den Bemühungen um Lösung der gewachsenen Sozialprobleme in Mexiko abbilden, und dies in einem engeren Kontakt zu den betroffenen Gesellschaftsschichten und weniger in Kontakten zwischen den Spitzen von Staat und Kirche.
- Die katholische Kirche fürchtet um ihr Ansehen angesichts des wachsenden Einflusses anderer Religionen und Sekten und nicht zuletzt wegen einer von vielen Mexikanern als unangemessen betrachteten Annäherung zwischen der Klerusspitze und der Zedillo - Regierung bei der Nachfolge des streitbaren, aber sozial engagierten Chiapas - Bischofs Ruiz und der vorzeitigen Abberufung des kritischen Apostolischen Nuntius Justo Mullor.
Gefordert wird weiter eine Förderung der indigenen Kultur und Entwicklung, ein authentischer Föderalismus und - dies besonders bemerkenswert - eine baldige Beendigung des politischen Übergangs zur Demokratie, der nach Auffassung der Bischöfe vor allem durch einen sichtbaren Wechsel in der Präsidentschaft zum Ausdruck käme.
Insgesamt hat das Papier viel Aufsehen erregt und die Position der Kirche als Einflußfaktor, auch in der Politik, unterstrichen. Die Stellungnahme der Kirche kann jedoch nicht als eine verdeckte Wahlhilfe verstanden werden, da die pastoralen Aspekte und Ziele weit über den Wahltermin hinausweisen. Gleichwohl darf die darin enthaltene Kritik und der Bezug auf einen Wechsel in der Präsidentschaft insgesamt als eine Stärkung der Oppositionsparteien, der gemäßigt konservativen PAN und der Mitte - Links - Partei der PRD, betrachtet werden.
Obwohl die Regierung in ihrer ersten offiziellen Stellungnahme nicht von einer formalen Verletzung der Verfassung und des Konkordats sprach, mehren sich die Hinweise, daß die entsprechenden Reformen von 1992 hinsichtlich der Rechte und Pflichten der religiösen Institutionen einerseits und der Regierung andererseits einer größeren Präzisierung bedürfen, um gravierende Konflikte in der Zukunft zu vermeiden.
Zugleich entsteht der Eindruck, daß innerhalb der katholischen Kirche die beiden Hauptströmungen, die sich zum einen für eine Politikgestaltung und Diskussion auf der Ebene der Spitze von Staat und Kirche aussprechen und die zum anderen eine Problemlösung in starkem, unmittelbaren Kontakt mit der Gesellschaft, insbesondere auch mit den minderbemittelten und rechtlich wehrloseren Teilen suchen, ihre Beziehungen zueinander noch zu klären haben.