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ALEXEJ MESCHTSCHANOW

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Interview mit Alexej Meschtschanow

Berlin, Mai 2016

Kannst du den Begriff der Position in der bildenden Kunst kurz erklären?
Das ist ein Begriff aus den Neunzigern des letzten Jahrhunderts. Damals wurde von den Kunstwissenschaftlern gern eine Mischung der Jargons aus dem militärischen, politischen und wirtschaftlichen Bereich gesprochen. Die Kunst war ein Betriebssystem, Künstler entwickelten Strategien und bezogen Positionen. Ich bin im Innersten ein Pazifist und habe eine Abneigung gegen diese Wortwahl.

In deinem Katalog Die Geburt der Hygiene schreibt Oliver Kossack, du würdest in deiner Arbeit einen Exorzismus der Gegenstände betreiben. Hältst du das für eine gute Beschreibung deines Tuns?
Ich benutze gern Fundstücke als Material. Der Mensch kann absolut nichts herstellen, was nicht neben der angewandten Funktion auch als eine Art Psychogramm funktioniert. Den ursprünglichen gewollten oder ungewollten ideellen Mehrwert aus den harmlosen Gegenständen heraus zu kitzeln, interessiert mich sehr.

Du hast in Leipzig studiert an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, bei Timm Rautert und Arno Rink, einem Fotografen und einem Maler.
Das stimmt, ich habe in der Malerei angefangen und war später Meisterschüler bei einem Fotografen.

Wie bist du zur Skulptur gekommen?
Ich habe bereits während der ersten zwei Semester begriffen, dass ich der Welt meine Malerei unbedingt ersparen muss.

War sie so schrecklich?
Ja. Aber vielleicht hat es mich einfach auch interessiert, direkter in die Wirklichkeit einzugreifen. Dreidimensionale Objekte haben eine andere Präsenz als Bilder. Sie verkomplizieren den Prozess der Abstraktion. Einerseits sind sie einfach; sie stehen da, als würden sie zur Welt gehören. Auf der anderen Seite fordern sie gerade heute vom Betrachter eine neue Form der Auseinandersetzung. Zweidimensionale Kunst leidet sehr darunter, dass die Bilderflut so stark geworden ist. Auch das prägnanteste Bild ist immer nur eines von Milliarden, die das Auge permanent zu filtern hat. Skulpturen hingegen müssen in ihrer Sperrigkeit übersetzt werden. Sie selbst sind Quellen von unzähligen Ansichten, die im Kopf zu einem virtuellen Objekt zusammengesetzt werden. Die Abbildungen von Objekten werden selbstverständlich von dem Strom mitgerissen – aber nicht die Objekte selbst. Innerhalb des Betriebssystems Kunst habe ich eine spezifische künstlerische Strategie entwickelt und folgende Position bezogen: wenn ich den Lauf der Zeit nicht festschrauben kann, wie ich das gerne hätte, möchte ich, dass meine Produkte wenigstens als Nierensteine in der Harnröhre der Geschichte stecken bleiben. Diesen Wunsch kann mir die Malerei nicht erfüllen.

Hast du nach der Malerei gleich begonnen, dich mit Möbeln zu beschäftigen?
Nicht sofort. Aber dieses Pathologisierende war von Anfang an da; es gibt da anscheinend eine persönliche Affinität. Mit Möbeln arbeite ich seit 13 Jahren. Es sind fast ausschließlich Stühle, der erste von 2003. Mir liegen sie so am Herzen, dass ich mich immer wieder entschließe, einen weiteren zu machen. Es gibt kaum einen so einleuchtenden Stellvertreter für eine abwesende Person. Und bestätigenderweise werden gerade die Stühle von allen Abbildungen meiner Arbeiten auch am stärksten vom Publikum wahrgenommen.

Was für eine Kenntnis von Möbelgeschichte setzt du voraus? Muss der Betrachter wissen, wer Thonet war, damit sich deine Arbeit ihm erschließt?
Eigentlich nicht. Es gibt eine Überebene, die sich allen erschließen könnte, die einmal einen Stuhl benutzt haben. Man erkennt ein Sitzmöbel, auf dem niemand sitzt, welches gestützt wird und kränkelt.

Kränkelt es? Sie sehen immer schön aus, deine Möbel.
Danke, ehrt mich! Die applizierte Prothese ist jedoch ein Signal, dass diese schönen Entlastungshilfen nicht intakt sind. Selbst ein Betrachter, der gar nichts über Möbelgeschichte weiß, nimmt den Materialunterschied zwischen dem warmen Holz der Möbel und dem Stahl der Zwingen war. Er kann den punktuellen Druck der Berührungsstellen spüren. Er sieht auch, dass ein Bauhausstuhl jünger ist als ein Biedermeierstuhl. Diese Verständnisebene ist die wichtigste, wichtiger als die bildungsbürgerlichen Anekdoten drum herum. Zugegebenermaßen sorgten Thonet, Bauhaus oder Biedermeier früher für Halluzinationen bei mir, sind aber inzwischen eher sekundär.

Kannst du versuchen, das Verhältnis der Stahlprothesen zu den Möbeln in deinen Arbeiten zu beschreiben? Handelt es sich eher um ein liebevolles Stützen oder um einen Angriff?
Das Verhältnis ist den Tatsachen entsprechend. Jede liebevolle Geste hat ihre gewaltsame Kehrseite. Und jede Kritik ist eine Form von Zuwendung.

Die Titel deiner Arbeiten sind deutsch oder englisch. Deine Muttersprache allerdings ist russisch. Wie ist dein Verhältnis zu den drei Sprachen?
Ich bin früh nach Deutschland gekommen, mit zehn. Allerdings war ich auf einer russischen Schule für sowjetische Offizierskinder. Davon gab es damals allein in Leipzig so viele, dass diese Schule drei Parallelklassen hatte. Meine Sozialisierung in Deutschland fand erst nach dem Abitur statt. Inzwischen – seit Anfang dieses Jahres – bin ich vollständig assimiliert.

Wie kommen die Titel zu Stande: Dämonen benutzen geschlossene Türen zum Beispiel?
Zugegebenermaßen naiv: Dämonen benutzen geschlossene Türen oder Come to Daddy oder Das vollständige Portrait. Dazu muss ich mit einer Geschichte ausholen. Ich habe meinen Zivildienst in einem Alters- und Pflegeheim absolviert. Da gab es eine Dame, die tatsächlich ihren 100. Geburtstag während meiner Zeit dort erlebte, und die ich eines Tages neben dem Fahrstuhl stehend und mit ihrem Gehstock auf die Fahrstuhltür einschlagend erwischte. Ich näherte mich und fragte, was sie da tue. Sie antwortete: „Sehen Sie nicht, junger Mann, dass ich mit meinem Stock auf die Fahrstuhltür einschlage?“. Ich war nachhaltig beeindruckt von der entwaffnenden Komik der Situation, in der diese Frau den Unfug bei vollem Bewusstsein trieb und es auch offen aussprach. Dämonen ist eigentlich viel zu opulent für eine Arbeit aus dem Jahr 2010, und gehört eher ins 19. Jahrhundert wie z. B. Goyas Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer. Aber manchmal gefällt mir gerade die Komik des Buchstäblichen. Ich finde es angenehm, hin und wieder ein Fünkchen Mitleid aus den allwissenden Blicken von Intellektuellen zu ernten.

Gibt es Werke mit russischen Titeln?
Nein. Die vermeide ich, um eine gewisse Klarheit der Mentalität zu bewahren. Mein Lebenslauf hat mich nach Deutschland geführt. Ich lese viel auf Russisch, spreche Russisch mit meiner Mutter, aber das ist nicht mehr der Bereich, in dem ich sprachlich arbeite. Ein ganz anderes Problem habe ich mit dem Englischen. Ich habe das Gefühl, dass es nicht nur darum geht, eine neue Sprache zu erlernen, sondern darum, eine neue Mentalität auszubilden. Momentan wird weltweit auf eine sprachliche Monokultur zugesteuert, alle lokalen Dialekte werden wohl bald der Vergangenheit angehören und zum Spielzeug für Zurückgebliebene, Sonderlinge und Spezialisten degradiert. Englisch ist für mich der Donald Trump unter den Sprachen: energisch, rücksichtslos, durchsetzungsfähig und nur mit einer Fliegenklatsche zu bekämpfen. Wenn eine Algerierin und ein Däne sich im Smalltalk üben, sehe ich zwei dilettierende Amerikaner vor mir. Man kann doch nicht allen Ernstes glauben, dass das Wechseln der Form nicht zwangsläufig zum Modifizieren der Inhalte führt. Ein Grund mehr für mich, Dinge zu machen, die man mit dem Hintern erspüren kann. Insgeheim bin ich sprachlos.

Dein Katalog trägt den Titel Die Geburt der Hygiene. Was bedeutet hier Hygiene?
Mich interessiert der Umstand, dass der Mensch das Unmögliche versucht. Die menschliche Seele ist ein Mysterium. Er befindet sich in einem Spagat zwischen Rationalität und Emotionalität. Dieser Spagat interessiert mich.

Das Emotionale wäre das Unhygienische und das Rationale das Hygienische?
Vielleicht, ich bin mir nicht sicher. Hygiene wird als Voraussetzung für Gesundheit angesehen. Die Frage ist, inwieweit das stimmt. Gestern habe ich in einer dunkleren Ecke hinter meinem Atelier verwilderte Himbeeren von dem sie überwuchernden Unkraut befreit. Da merkt man, wie instabil mein Pazifismus ist. Dieses Jahr kann ich also eine gewisse Ernte erwarten, im Gegensatz zu den letzten Jahren. Gleichzeitig habe ich dadurch etwas zerstört, was perfekt war: das Gleichgewicht der Dinge. Die Pflanzen in meinem Garten haben miteinander und gegen den Schimmel gekämpft. Das wurde durch meinen Eingriff nivelliert. Jetzt haben nur mehr die Himbeeren eine Chance. Ich kann nicht sagen, was die Himbeere der menschlichen Seele sein soll und ob ausgerechnet sie Dasjenige ist, was den Keim der Überlebensfähigkeit in sich trägt.

Du sagtest vorhin, das Interesse für Pathologien ziehe sich schon immer durch deine Arbeit.
Ich bin im 7. Monat auf die Welt gekommen. Meine erste Erfahrung menschlicher Wärme muss wohl die mechanische Zuverlässigkeit eines Inkubators gewesen sein. Das hat mich später beschäftigt. Eine Prothese ist nicht nur unnatürlich, sie ist ein Angriff gegen die Natur. Egal, wie behutsam sie angebracht ist, sie bleibt ein Fremdkörper. Mir ist es wichtig, in meinen Arbeiten eine gewisse Harmonie und eine Art Gleichgewicht zu erzeugen. Die applizierten Rohrkonstruktionen sollen formal dem Objekt so entsprechen, dass sie eine Einheit bilden. Je unauffälliger das zusammengesetzte Endprodukt, desto besser meine Leistung. Es soll so selbstverständlich wirken, als wäre es immer ein Gegenstand gewesen.

Psychologisierst du Möbel?
Psycho- können wir stehenlassen, bei -logie bin ich mir nicht sicher. Mein Zugang ist kein wissenschaftlicher. Wir waren ja vorhin beim Biedermeier. Der Stil wird auch als Empire des kleinen Mannes bezeichnet. Diese Mentalität hat die Eskalationen der letzten Jahrhunderte wie Revolutionen, Faschismus oder Kommunismus überstanden. Sich einrichten in Träumen, die nur paar Zentimeter über dem Boden schweben, das geht. Man kann sich auch durch die schillernden Oberflächen der digitalen Geräte und die Abziehbildchen aus der Database nicht täuschen lassen: wir leben eine Ideologie, die aus Repräsentationsbedürfnis und einem Minderwertigkeitskomplex zusammengesetzt ist. Der aktuelle Hipster ist nichts anderes als der reinkarnierte Biedermann: er agiert in einer Praxis von angehobener Unsichtbarkeit. Die Antiseptik des weißen Turnschuhs ist der einzige Versuch einer Trennlinie zum schmutzigen Boden der Realität.

 

 

Alexej Meschtschanow, geboren 1973 in Kiew, bildender Künstler und Bildhauer, lebt in Berlin. EHF Fellowship der Konrad Adenauer Stiftung 2008.

Katharina Schmitt, geboren 1979 in Bremen, Theaterregisseurin und Autorin, lebt in Berlin und in Prag. EHF Fellowship der Konrad Adenauer Stiftung 2014.

Bilder ©  Alexej Meschtschanow und Klemm's Berlin
Texte © Katharina Schmitt

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