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Gründungsaufruf der CDU in Berlin

by Ralf Thomas Baus
Obwohl der Berliner Gründungsaufruf kein ausgereiftes Parteiprogramm war, enthielt er doch bereits wesentliche Grundzüge christdemokratischer Politik. Es waren die beherrschenden Motive der Unionsgründung, die im Aufruf vom 26. Juni 1945 zum Ausdruck kamen: eine am Christentum orientierte Haltung für das politische Leben, das Ziel, demokratisch und konservativ gesinnten Kreisen eine politische Heimat zu bieten und das Bekenntnis zum politisch-sozialen Neubeginn.

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In den letzten Junitagen des Jahres 1945 kursierte in den Trümmerbergen der untergegangenen „Reichshauptstadt“ Berlin ein Aufruf in dem zu lesen war: „Deutsches Volk! In der schwersten Katastrophe, die je über ein Land gekommen ist, ruft die Partei Christlich-Demokratische Union Deutschlands aus heißer Liebe zum deutschen Volk die christlichen, demokratischen und sozialen Kräfte zur Sammlung, zur Mitarbeit und zum Aufbau einer neuen Heimat.“

Nur wenige Tage zuvor, am 10. Juni 1945, hatte die Sowjetische Militäradministration in ihrem Befehl Nr. 2 auf dem gesamten Territorium der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) die Bildung politischer Parteien erlaubt, soweit sie sich „die endgültige Ausrottung der Überreste des Faschismus und die Festigung der Grundlage der Demokratie und der bürgerlichen Freiheiten in Deutschland [...] zum Ziel setzen.“ Bereits einen Tag später war die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), die nach sowjetischem Willen die Führung in Deutschland übernehmen sollte, mit ihrem in Moskau verabschiedeten „Aktionsprogramm“ an die Öffentlichkeit getreten.

 

Andreas Hermes: Motor der Gründung

Schon im Frühjahr 1945 hatten auch im bürgerlichen Lager erste Vorbereitungen zur Gründung einer Partei stattgefunden. Führender Kopf der christlich orientierten Kreise war der ehemalige Reichsminister und Agrarfachmann Andreas Hermes. Hermes gehörte in der Weimarer Republik zu den einflussreichsten Zentrumspolitikern. 1920 bis 1922 war er Reichsminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, 1922 bis 1923 Reichsminister der Finanzen. Als missliebiger Repräsentant der Weimarer Republik und als weltanschaulicher Gegner des Nationalsozialismus wurde Hermes im März 1933 erstmals verhaftet und zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Während des Zweiten Weltkrieges kam er in Verbindung zu Widerstandskreisen. Der konservative Widerstandskämpfer Carl Goerdeler führte ihn in einer seiner Ministerlisten als möglichen Landwirtschaftsminister, nach einem erfolgreichen Attentat auf Hitler.

Für den Gründungsprozess der CDU waren die vielfältigen persönlichen Verbindungen aus der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus, an die nach 1945 wieder angeknüpft werden konnte, von großer Bedeutung. „Nicht wenige“, so berichtete der CDU-Politiker Johann Baptist Gradl nach dem Krieg, „waren aus der alten Zentrumspartei nach der Auflösung 1933 in Verbindung geblieben. Man hatte sich getroffen beim sonntäglichen Kirchgang, bei unregelmäßigen Verabredungen in unauffälligen Restaurants oder Veranstaltungen, aber auch über berufliche Möglichkeiten und in häuslichen Begegnungen.“

So hatte Andreas Hermes bereits bei einem Treffen mit dem christlichen Gewerkschafter Jakob Kaiser im Jahre 1943 in Bad Godesberg den Gedanken einer großen politischen Sammlungspartei auf interkonfessioneller Grundlage entwickelt. Dabei verfocht er das Konzept einer christlichen Partei der „Bürger, Bauern und Arbeiter“, während Kaiser eine „Partei aller werktätigen Menschen“ anvisierte. Hermes wollte als Reaktion auf die Erfahrungen in der Weimarer Republik und ermutigt durch die Gespräche im Widerstand eine neue politische Kraft bilden, eine „Union der christlichen und demokratischen Gruppen“, der „Stände und Berufe“, der „Klassen und Schichten“, eine „Union aller Kreise im Geiste einer neuen allumfassenden Volkspartei“.

Nach dem 20. Juli 1944 war Hermes abermals verhaftet und zunächst in das Konzentrationslager Ravensbrück gebracht worden, von wo aus er im Oktober nach Berlin in das Gefängnis in der Lehrter Straße eingeliefert wurde. Unter Leitung von Roland Freisler verurteilte der Volksgerichtshof ihn am 11. Januar 1945 zum Tode. Erst der Einmarsch der Roten Armee beendete die Ungewissheit über sein weiteres Schicksal. Nur wenige Tage nach seiner Befreiung wurde Hermes vom sowjetischen Stadtkommandanten, Generaloberst Bersarin, zum Leiter des Ernährungswesens für Berlin ernannt. Das Amt am Fehrbelliner Platz wurde dann für die Gründer der Union zu einem wichtigen Treffpunkt. Im Ernährungsamt selbst waren mit Theodor Steltzer, Otto Lenz, Otto Heinrich von der Gablentz und Johann Eudenbach vier zukünftige Mitbegründer der CDU tätig.

 

Jakob Kaiser: Konzept einer deutschen Labour Party

Am 18. Mai 1945 traf sich Hermes mit Jakob Kaiser und gewann ihn für die Mitarbeit zur Gründung einer neuen Partei. Auch Jakob Kaiser hatte vor 1933 dem Zentrum angehört. In der Weimarer Republik war er einer der führenden christlichen Gewerkschafter. Kaiser, der sich bis Ende April 1945 in einer Kellerflucht in Berlin-Babelsberg vor der Gestapo versteckt halten musste, wollte zunächst sein altes Ziel, die Neugründung der Gewerkschaften als Einheitsgewerkschaft, verfolgen. Erst nach dem Gespräch mit Hermes trat auch für Kaiser die Frage der Parteigründung zunehmend in den Vordergrund.

Während Hermes als national gesinnter Konservativer mit der zu gründenden Partei ein Sammelbecken aller christlichen, demokratischen und sozialen Kräfte der Mitte anstrebte, favorisierte Kaiser schon bald die Idee einer deutschen Labour Party. Den Versuch einer Sammlung der Kräfte der linken Mitte musste Kaiser jedoch bereits Anfang Juni 1945 wieder aufgeben, als deutlich wurde, dass die beiden traditionellen Arbeiterparteien, SPD und KPD, wiederauflebten, und dass der programmatische Linkskurs der SPD ein solches Unterfangen von vornherein unmöglich machte.

 

Erweiterung des Gründerkreises

In Berlin fanden sich im Mai und Juni 1945 immer weitere Freunde des alten Zentrums und anderer demokratischer Parteien aus der Zeit vor 1933 ein. Anfang Juni 1945 tauchte Otto Lenz  bei Kaiser auf. Lenz war nach dem 20. Juli 1944 zu mehreren Jahren Zuchthaus verurteilt und nun durch die Rote Armee in Brandenburg befreit worden. Dass die Repräsentanten der ehemaligen Zentrumspartei in Berlin nach dem Krieg für die Gründung einer überkonfessionellen Partei eintraten, war für den weiteren Gründungsprozess entscheidend.

Keimzelle der Gründung war die Wohnung von Andreas Hermes in der Platanenallee 11. Als man sich dort am 25. Mai 1945 traf, hatte sich der Kreis bereits beträchtlich vergrößert. Walther Schreiber und Ferdinand Friedensburg, beide ehemalige Mitglieder der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), waren durch Vermittlung Ernst Lemmers dazu gestoßen. An den Beratungen waren von nun an auch die Professoren Eduard Spranger, Ferdinand Sauerbruch und Emil Dovifat sowie Margarethe Ehlert, Elfriede Nebgen, Katharina Müller, früher Vorsitzende des Verbandes weiblicher Handels- und Büroangestellter, Heinrich Vockel, Wilhelm Happ und Josef Ersing beteiligt.

Seit dem 16. Juni 1945 beriet der Gründerkreis über Charakter, Programm und Namen der neuen Partei. Schon am 22. Juni 1945 wurde der Aufruf „Deutsches Volk!“ mit dem „Notprogramm für Brot, Obdach und Arbeit“ endgültig verabschiedet. Am Abend des 26. Juni 1945 fand schließlich bei einem Zusammentreffen der Verfasser des CDU-Programms im Haus von Hermes die Unterzeichnung des Gründungsaufrufes statt.

 

Programmberatungen im Juni 1945

Spätestens am 17. Juni 1945 hatte der Kreis um Hermes damit begonnen, das Programm der zukünftigen Partei zu beraten. Zu diesem Zeitpunkt umfasste die Gruppe etwa fünfzehn Personen, wobei mit Ernst Lemmer, Jakob Kaiser und Elfriede Nebgen ein Redaktionsausschuss zur Erarbeitung eines Programmes gebildet wurde. Bereits zwei Tage zuvor hatte Hermes einen ersten Entwurf vorgelegt und noch am 16. Juni 1945 eine schriftliche Fassung erstellen lassen. Auf der Sitzung am 17. Juni wurde vor allem Einigkeit darüber erzielt, das Zentrum nicht wiederzugründen, denn vor dem Hintergrund der Erfahrungen in der Weimarer Republik war man sich einig, dass eine erneute parteipolitische Zersplitterung zu vermeiden sei. Das Ziel war deshalb die Sammlung der demokratischen Kräfte in einer Partei. Diese müsse auf christlichem Boden stehen und so die katholischen und evangelischen Christen umfassen. In ihr sollten alle bekenntnistreuen kirchlichen Kreise Platz finden, jedoch auch jene, die das Christentum bejahten, sich aber zu keiner festen kirchlichen Bindung bekannten.

Ernstere Meinungsverschiedenheiten gab es im Gründerkreis in der Frage der künftigen Wirtschaftsordnung, bei der Kaiser für eine starke Sozialisierung eintrat, während Hermes und die ehemaligen Mitglieder der liberalen DDP den Grundsatz der möglichst großen Freiheit befürworteten. In einem Aufrufentwurf hatte Kaiser seine Position pointiert in dem Satz formuliert: „Die Zeit der freien Wirtschaft ist vorbei.“ Die Kontrolle und Lenkung der Gesamtwirtschaft sei durch übergeordnete Instanzen unerlässlich. Auch Hermes war sich darüber im Klaren, dass zumindest in einer Übergangsphase auf planerische Elemente nicht verzichtet werden könnte, um den wirtschaftlichen Aufbauprozess erst einmal wieder in Gang zu bringen. Dennoch war er es vor allem, der das Gegengewicht zu Kaisers Sozialisierungsprogrammatik bildete.

Kaiser vertrat darüber hinaus die Auffassung, die „bürgerliche“ Gesellschaftsordnung gehöre der Vergangenheit an; insofern könne die neue Partei auch nicht eine Sammlungspartei des Bürgertums werden. Vielmehr glaubte Kaiser, das „Zeitalter sozialistischer Lebensgestaltung“ habe begonnen und dies müsse sich nun auch parteipolitisch niederschlagen.

Die meisten Differenzen gab es um den Namen der Partei. Im Gespräch war die Bezeichnung „Aufbau-Partei“ mit den möglichen Zusätzen „Deutsche“ beziehungsweise „Christliche Aufbaupartei“. Auch der Begriff einer „Vereinigten Volkspartei“ taucht in den Dispositionen auf. Nach längeren Diskussionen schlug Hermes schließlich den Namen „Demokratische Union Deutschlands“ vor, der jedoch auf Wunsch Dovifats, Krones und von der Gablentz’ mit dem Zusatz „christlich“ versehen werden sollte.

 

„Trümmerhaufen sittlicher und materieller Werte“

In dem Gründungsaufruf war die Rede von einem „Trümmerhaufen sittlicher und materieller Werte“ und dem „Weg der Wiedergeburt“. „Aus dem Chaos von Schuld und Schande, in das uns die Vergottung eines verbrecherischen Abenteurers gestürzt hat,“ könne eine „Ordnung in demokratischer Freiheit nur entstehen“, wenn man sich „auf die kulturgestaltenden sittlichen und geistigen Kräfte des Christentums“ besinne.

Hingewiesen wurde auch auf den Unterschied zur Situation nach 1918, da „ein gewissenloser Diktator mit seinem Anhang einen frivol entfesselten Krieg bis zu letztem Ausbluten unseres Volkes“ trieb. Der Aufruf räumte auch „die Schuld weiter Kreise unseres Volkes“ ein, die sich „bereitwillig zu Handlangern und Steigbügelhaltern für Hitler erniedrigten“. Im Geiste des Vermächtnisses der Opfer des nationalsozialistischen Terrors bekannte man sich zu der Pflicht, „mit diesem Volke den Weg der Sühne, den Weg der Wiedergeburt zu gehen“. Die Schuldigen sollten „in strenger Gerechtigkeit, jedoch ohne Rachsucht“ zur Rechenschaft gezogen werden.

Die Unterzeichner bekannten sich zu einem „wahrhaft demokratische(n) Staat“ und einer rechtsstaatlichen Verfassung. „Das Recht“ müsse „wieder die Grundlage des ganzen öffentlichen Lebens werden.“ Sie forderten die persönlichen Freiheitsrechte, das Elternrecht, einen von der Kirche geleiteten Religionsunterricht, Freiheit von Wissenschaft und Kunst sowie den Schutz des Privateigentums. Dennoch sollten die „Bodenschätze in Staatsbesitz übergehen“ und der wirtschaftliche Aufbau „in straffer Planung“ durchgeführt werden, da das „unermessliche Elend in unserem Volke“ dies erzwinge.

Der zweite Teil des Gründungsaufrufes, der als „Notprogramm für Brot, Obdach und Arbeit“ betitelt war, hob zudem die Bedeutung des selbständigen Handwerks hervor und forderte eine „umfassende ländliche und gärtnerische Siedlung“ die –auch unter Heranziehung des Großgrundbesitzes – möglichst vielen Deutschen den „Zugang zu eigener Scholle und zu selbständiger Arbeit“ eröffnet. Ein freischaffendes Bauerntum sollte wirtschaftlich durch den Ausbau des ländlichen Genossenschaftswesens gesichert werden.

In dem Aufruf wurde die „einheitliche Gewerkschaftsbewegung der Arbeiter und Angestellten zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Rechte“ begrüßt. Auch der Verantwortung „für die Notleidenden und Schwachen, für die Kriegsopfer, die Opfer des Hitlerterrors und die Versorgungsberechtigten“ waren sich die Unterzeichner bewusst und forderten, dass sich die „charitative Arbeit“ ungehindert entfalten könne. Den Müttern und berufstätigen Frauen sicherte man eine schnelle Erleichterung ihres „immer schwerer gewordenen Alltags“ zu.

Im letzten Abschnitt „Beziehungen zu anderen Völkern“ wünschten sich die Unterzeichner „die Geltung der gleichen Grundsätze der Freiheit und Gerechtigkeit wie für unser persönliches und innerstaatliches Leben.“ Grundlage für die „Anbahnung einer vertrauensvollen Zusammenarbeit“ sollte die „(l)oyale Erfüllung unserer Verpflichtungen aus dem verlorenen Krieg und die äußerste Anspannung innerer Wiedergesundung“ sein. Der Aufruf endete mit einem Gedenken an die eigenen Toten und Kriegsgefangenen sowie „in menschlicher und christlicher Verbundenheit der gleichen Opfer der Völker um uns“. Die Unterzeichner gelobten schließlich noch „alles bis zum letzten auszutilgen, was dieses ungeheure Blutopfer und dieses namenlose Elend verschuldet hat, und nichts zu unterlassen, was die Menschheit künftig vor einer solchen Katastrophe bewahrt.“

Bei dem Gründungsaufruf handelte es sich nicht um ein ausgereiftes Parteiprogramm, sondern vielmehr um eine politisch-programmatische Momentaufnahme, in der allerdings wesentliche Grundzüge christdemokratischer Politik skizziert wurden. Da man schnell an die Öffentlichkeit treten wollte, verzichtete man auf längere programmatische Beratungen, hinzukam, dass die Erfordernisse des Wiederaufbaues das Bemühen um eine ausgereifte Programmatik in den Hintergrund treten ließen.

 

Wer waren die Mitglieder des Gründerkreises?

Als Gründerkreis im engeren Sinne können die 35 Unterzeichner des Aufrufes vom 26. Juni 1945 verstanden werden. Allerdings traten nachträglich noch einige Persönlichkeiten dem Gründungsaufruf bei. Der vollständige Gründerkreis umfasste im August 1945 insgesamt 46 Personen.

Nach politischer Herkunft waren der früheren DDP sechs Gründer zuzuordnen. Dem katholischen Lager beziehungsweise dem früheren Zentrum gehörten 21 Gründer an. Zwölf der Gründer waren Protestanten, sie hatten in der Weimarer Republik überwiegend dem konservativen Parteienspektrum angehört. Aus dem „Kampfverband Freies Deutschland“ kamen sechs Personen. Einer der Gründer, Richard Kantorowicz, war jüdischen Glaubens.

Führend unter den evangelischen Christen waren die Mitglieder der brandenburgischen Kirchenleitung Otto Heinrich von der Gablentz, ehemaliges Mitglied der Kirchenleitung der Altpreußischen Union, Reinhard Moeller, Direktor des Berliner Stadtsynodalverbandes, und der Oberkonsistorialpräsident Hans von Arnim. Zu den führenden Protestanten gehörte ferner Theodor Steltzer. Der Journalist Willy Fuchs gehörte früher der SPD an. Unter den 35 Unterzeichnern des Aufrufes waren auch vier Frauen: Margarete Ehlert, Katharina Müller, Elfriede Nebgen und Hildegard Staehle.

Der Berufsgliederung nach überwog unter den Unterzeichnern der öffentliche Dienst, dem siebzehn Personen zuzurechnen waren. Die Gruppe der Arbeiter und Angestellten stellte elf Mitglieder, fünf waren Journalisten, drei Selbständige, zwei Hochschullehrer, ein Unterzeichner Gutsbesitzer. Landsmannschaftlich fanden sich im Gründerkreis fast alle deutschen Regionen vertreten. Auch hierin kam die reichsweite Funktion Berlins und der Führungsanspruch des Gründerkreises, der durch seine Zusammensetzung eine gesamtdeutsche Ausstrahlungskraft entfaltete, zum Ausdruck.

Über die Grenzen der Konfessionen hinweg verband den Kreis die gemeinsam erlittene Verfolgung unter dem Nationalsozialismus. So waren Andreas Hermes und Theodor Steltzer zum Tode verurteilt worden. Ferdinand Friedensburg, Willy Fuchs, Paulus van Husen, Otto Lenz, Hans Lukaschek, Walther Schreiber, Hildegard Staehle, Graf York von Wartenburg, Rudolf Pechel, Eberhard Plewe und Heinrich Krone hatten in Gefängnissen, Zuchthäusern oder Konzentrationslagern gesessen.

 

Selbstverständnis der CDU

Die CDU verstand sich als Sammlungspartei neuen Typs und nicht als Nachfolgeorganisation einer der Weimarer Parteien. Schon der Name sollte dies zum Ausdruck bringen: „Union“ stand für eine umfassende und einende politische Kraft. „Christlich“ verwies auf den überkonfessionellen Charakter der Partei und die Orientierung an den christlichen Grundwerten in der Politik. „Demokratisch“ drückte die antitotalitäre und einer freiheitlichen Ordnung verbundene Grundhaltung aus. Der Zusatz „Deutschlands“ schließlich formulierte den Willen, in und für ganz Deutschland zu wirken.

Es waren die beherrschenden Motive der Unionsgründung, die im Aufruf vom 26. Juni 1945 zum Ausdruck kamen: eine am Christentum orientierte Haltung für das politische Leben, das Ziel, demokratisch und konservativ gesinnten Kreisen eine politische Heimat zu bieten und das Bekenntnis zum politisch-sozialen Neubeginn.

Der Konstituierungsprozess der CDUD – so die Parteiabkürzung in der SBZ – fand schließlich am 22. Juli 1945 mit der Gründungskundgebung im Theater am Schiffbauerdamm seinen Abschluss. Neben einer großen Rede von Hermes, in der er betonte, dass das Christentum für die Union keine Scheidegrenze bilde und die neue Partei auch jenen offenstehe, „die ohne Bindung an eine kirchliche Gemeinschaft das Gesetz der natürlichen Ethik in sich tragen“, sprachen weitere Gründungsmitglieder.

 

Historische Grundlagen der CDU

Die Union kam nicht aus dem Nichts. Das Ziel einer „Sammlung aller christlichen, demokratischen und sozialen Kräfte des deutschen Volkes über alle Unterschiede parteipolitischer Vergangenheit, der Konfessionen und der Rasse hinweg“ war nach 1945 nichts gänzlich Neues, obwohl der Wunsch nach einem „Neuanfang“ und dem „Wiederaufbau“ diesen Eindruck erheblich verstärkte.

Der christliche Widerstand im „Dritten Reich“ bildete das Bindeglied zwischen den älteren katholischen wie evangelischen Traditionen und der Politik der Nachkriegszeit. Im Widerstand entstand zuerst der Gedanke einer interkonfessionellen christlichen Volkspartei. Der „Katakombengeist“, der sich in den Kreisen des Widerstandes und in den Konzentrationslagern formte, führte dazu, dass am Ende des Krieges allgemein die Erwartung auf eine politische Union der Christen in Deutschland vorhanden war. „Eine politische Bewegung“, so drückte dies Eberhard Plewe aus, „wurde geboren in den Zellen der Gefängnisse und in den Baracken der Konzentrationslager.“

Der Nationalsozialismus und die Kirchenverfolgung hatten 1933 zu einer entscheidenden Wandlung im Verhältnis zwischen Katholiken und Protestanten geführt. Die Zeit war günstig – doch die Zeitumstände waren schwierig (Hans Maier). Dies galt nicht nur für Berlin, sondern für ganz Deutschland. Die Überwindung der konfessionellen Zersplitterung der Parteienlandschaft, die Erfahrungen des instabilen Parteiensystems der Weimarer Republik und der Widerstand gegen den Nationalsozialismus vertieften die Einsicht, dass nur eine große, konfessionsübergreifende Partei einen neuen Machtfaktor darstellen könne.

Die aus den Überlegungen erwachsenen programmatischen Aussagen der Gründungszirkel waren zugleich Ausdruck eines breiten gesellschaftlichen Konsenses, der sich als Echo auf den Untergang der Weimarer Republik und die nationalsozialistische Tyrannei herausgebildet hatte. In den Gründungszirkeln wurde deutlich, dass die Unionsgründer eine eigene Theorie zur Erklärung des Nationalsozialismus entwickelten. Diese war nicht wissenschaftlich, wertfrei oder voraussetzungslos, sondern sie arbeitete mit moralischen Kategorien und stellte die Verirrung und Verblendung der Menschen in den Vordergrund. Im Mittelpunkt stand die Wiederbesinnung auf die Grundsätze christlicher Moral.

 

Bedeutung der Unionsgründung

Im Ergebnis bedeutete der Sieg des Unionsgedankens die Überwindung der „splendid isolation“ einer strukturell minoritären Konfessionspartei, die das Zentrum immer gewesen war. Die Entstehung der Union war eine „Nova am Parteienhimmel“, wie Hans Maier es nannte, und das „Wunder der CDU“, wie Leo Schwering die Gründung beschrieb, war nicht ausschließlich auf die unmittelbare Nachkriegssituation zurückzuführen. Erst wenn man sich diesen historischen Hintergrund vor Augen führt, lässt sich die spätere „Blitzkarriere“ (Winfried Becker), der Christlich Demokratischen Union erklären.

 

Literatur:

  • Baus, Ralf Thomas: Die Christlich-Demokratische Union Deutschlands in der sowjetisch besetzten Zone. Gründung, Programm, Politik (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte, 36), Düsseldorf 2001.
  • Hermes, Andreas: „Mit unerschütterlichem Gottvertrauen und zähem Kämpfergeist“. Erinnerungen und Dokumente aus der Haft und zur Gründung der CDU 1944/45, Sankt Augustin 2012.
  • Hermes, Anna: Und setzet ihr nicht das Leben ein. Andreas Hermes, Leben und Wirken, Stuttgart 1971.
  • Morsey, Rudolf: Andreas Hermes. Ein christlicher Demokrat in der ersten und zweiten deutschen Demokratie, in: Historisch-Politische Mitteilungen (2003), S. 129–150.

 

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