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Country Reports

Zum Konsens verurteilt. Libanons neue „Regierung der nationalen Einheit“ vor großen Herausforderungen

by Michael Däumer
Mit der konstituierenden Sitzung der neuen „Regierung der nationalen Einheit“ am 16. Juli, die Staatspräsident Michel Suleiman eröffnete und lediglich 30 Minuten dauerte, hat der Libanon einen wichtigen Schritt zurück zur institutionellen Normalität genommen. Erste Aufgabe der Regierung wird es sein, ein gemeinsames Regierungsprogramm zu erarbeiten. Neue Diskussionen sind jedoch vorprogrammiert. Insbesondere die Verhandlungen über die Modalitäten der Parlamentswahlen 2009 dürften Zündstoff bieten.

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„Die Regierung der nationalen Einheit ist die Regierung des gesamten Libanon“ beschwor der alte und neue Ministerpräsident Fouad Siniora seine Landsleute bei der Vorstellung der 30 neuen Minister. Er rief sein neues Kabinett zur Einheit auf, um den verschiedenen Herausforderungen der kommenden Zeit zu begegnen. „Unsere Verschiedenheit sowie unsere unterschiedlichen politischen Zugehörigkeiten sollten kein Hindernis für die Einheit als Regierung sein“, fügte Siniora hinzu. Die neue Regierung, so der Regierungschef, müsse sich nun verstärkt auf die Lösung der Wirtschafts- und Sicherheitsprobleme konzentrieren. Dazu sei es unerlässlich, dass sich die Ministerriege trotz aller Unterschiede auf ein gemeinsames Regierungsprogramm einige. Nach der ersten Kabinettssitzung gab Informationsminister Tarek Mitri die Einrichtung eines Arbeitsausschusses bestehend aus neun Ministern bekannt, der den Entwurf eines Regierungsprogramms ausarbeiten soll.

Ebenso energisch rief Staatspräsident Suleiman die Minister auf, alle Entscheidungen der Regierung trotz der unterschiedlichen Ansichten, die im Verlauf der Beratungen auftreten, zu verteidigen. “Die Einheit der Regierung und die Verpflichtung der Minister, die Entscheidungen zu akzeptieren, sind von größter Wichtigkeit“, hob der Staatschef hervor und fügte hinzu, dass die Regierung als „Gesamtheit“ handeln müsse.

Im neuen Kabinett von Fouad Siniora befinden sich prowestliche Politiker genauso wie explizite Anhänger Syriens. „Natürlich werden unsere Konflikte nicht von einem Tag auf den anderen verschwinden“, räumte der Regierungschef vor diesem Hintergrund ein, „wir haben uns jedoch entschieden, diese Differenzen innerhalb der Institutionen und nicht auf der Straße auszutragen“.

Mit der Konstituierung der neuen Regierung ist es den politischen Kräften im Libanon gelungen, nach der Wahl von Präsident Suleiman die zweite wichtige Einigung der Mai-Verhandlungen von Doha (Katar) in die Tat umzusetzen. Insgesamt 16 der 30 neuen Minister gehören der von Saad Hariri, dem Sohn des ermordeten ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik Hariri, angeführten prowestlichen „Koalition des 14. März“ an. Elf Minister werden hingegen von der oppositionellen pro-syrischen „Bewegung des 8. März“ gestellt. Die drei übrigen Minister sind parteipolitisch unabhängig und wurden von Präsident Michel Suleiman ernannt. Auch konfessionell ist das Kabinett sehr gemischt. Unter den Ministern befinden sich jeweils sechs Schiiten und Sunniten, jeweils fünf griechisch-orthodoxe und maronitische Christen, drei Drusen sowie jeweils zwei Katholiken und Armenier.

Bei der Zusammensetzung der Regierungsmannschaft fallen zwei Dinge besonders ins Auge. Zum einen beschränkt sich die Hisbollah auf einen einzigen Ministerposten. Das Hisbollah-Mitglied Mohammad Fneish steht künftig an der Spitze des Arbeitsministeriums. Dafür erhielt die ebenfalls schiitische und mit der Hisbollah verbündete Amal-Partei drei Mandatsträger, darunter Außenminister Fawzi Salloukh, der dieses Amt bereits vor 2006 inne gehabt hatte. Mit dem neu geschaffenen Posten des stellvertretenden Ministerpräsidenten wird zudem der oppositionelle griechisch-orthodoxe Christ Issam Abu Jamra betraut.

Zum anderen führt das neue Kabinett die typisch libanesische Tradition der Familienclans in der Politik fort. Der unabhängige griechisch-orthodoxe Verteidigungsminister Elias Murr ist der Sohn des ehemaligen Innenministers Michel Murr. Der der Opposition angehörende maronitische Telekommunikationsminister Gebran Bassil ist der Schwiegersohn des Führers der christlichen Opposition, Michel Aoun. Bildungsministerin Bahia Hariri, die einzige Frau der neuen Regierung, ist die Schwester von Rafik Hariri.

Einen besonders wichtigen Ministerposten füllt der unabhängige Maronit Ziad Baroud als Innenminister aus. Als ausgewiesener Experte des libanesischen Wahlsystems wird der Jurist maßgeblich für die Durchführung der nächsten Parlamentswahlen verantwortlich sein. Die Vorbereitung dieser entscheidenden Urnengänge, die voraussichtlich im Frühjahr 2009 stattfinden sollen, hat Ministerpräsident Siniora als eine der wichtigsten Aufgaben der neuen Regierung bezeichnet.

Das libanesische Wahlsystem hat einige Besonderheiten, die aus dem „konfessionellen System“ hervorgehen, welches bei der Gründung des Libanon 1943 etabliert und im Taif-Agreement, welches den libanesischen Bürgerkrieg 1989 beendete, bestätigt wurde. Das Gesetz sieht eine bizarre Aufteilung der Wahlbezirke so vor, dass jede der verschiedenen Religionsgruppen eine gewisse Anzahl an Parlamentsmandaten erhält. So muss das Parlament zu gleichen Teilen aus Christen und Moslems bestehen. Während die Christen bei der Gründung des Libanon sogar in der Mehrheit waren, hat sich diese Verteilung bis heute deutlich zu ihren Ungunsten verändert. Da im Libanon keine Volkszählungen stattfinden, bleiben die genauen Zahlen jedoch im Reich der Spekulation. Schätzungen des amerikanischen Außenministeriums gehen der „Washington Post“ zufolge von mittlerweile 70 Prozent Muslimen und nur noch 23 Prozent Christen aus. In der derzeit gültigen politischen Praxis hat eine christliche Stimme so deutlich mehr Gewicht als eine muslimische. Gewährleistet wird dies unter anderem durch die Bestimmung, dass jeder Libanese nur in der Heimat der Vorfahren anstatt in seinem Wohnort wählen darf.

Der Ruf, dieses Wahlsystem zu reformieren, ist in den letzten Jahren immer lauter geworden. Besonders die geburtenstarken Schiiten fühlen sich deutlich unterrepräsentiert. Im Vorfeld der kommenden Parlamentswahlen sind vor diesem Hintergrund scharfe Auseinandersetzungen zu erwarten.

Dabei kann keine Entscheidung ohne die Zustimmung der von der Hisbollah geführten Opposition erfolgen. Das Abkommen von Doha räumt ihr ein Vetorecht bei wichtigen Entscheidungen ein. In der politischen Praxis besteht dieses Vetorecht darin, dass zwei Drittel aller Kabinettsmitglieder den Gesetzen zustimmen müssen. Unter den 30 stimmberechtigten Ministern befinden sich dabei sechs so genannte „Staatsminister“, die über kein festes Ressort verfügen, für den angestrebten Proporz der verschiedenen politischen Kräfte jedoch benötigt werden.

Die Konstituierung der neuen „Regierung der Nationalen Einheit“ löste im Libanon keine überschwänglichen Reaktionen aus. Walid Dschumblat, Parteiführer der Sozialistischen Fortschrittspartei Libanons (PSP) und der einflussreichste Führer der Drusen im Libanon, erklärte die Einsetzung der Regierung zum „Tag der Nation“. „Die heutige Kabinettssitzung war sehr nützlich und das Regierungsprogramm muss zur Zufriedenheit aller ausgearbeitet werden, betonte Dschumblat. Seiner Ansicht nach spiegelt die Regierung die “wirkliche nationale Einheit” wider. Nun sei es für alle Parteien an der Zeit, ihre internen Differenzen auszuräumen, sagte der ehemalige Milizenführer, der als enger Freund des ermordeten Sunniten Rafik Hariri galt und ein erbitterter Feind Israels ist.

Nicht ganz so optimistisch wie das politische Beirut sieht es die libanesische Online-Zeitung „Ya Libnan“. In einem Kommentar mit der Überschrift „Ein Turm zu Babel?“ schreibt Ghassan Karam: „Was die meistens libanesischen Politiker und Kommentatoren als einen bedeutenden Erfolg für den Versöhnungsprozess eines gespaltenen Libanon beschreiben, ist nichts anderes als der individuelle Versuch eines jeden einzelnen Beteiligten, seinen eigenen Turm zum persönlichen Ruhm zu bauen ohne Rücksicht auf das gemeinsame Staatswohl.“ Am Ende werde die Kakophonie des Turms zu Babel obsiegen mit einer Regierung, die unterschiedliche Sprachen spricht und verschiedene Ziele verfolgt. Karam folgert, zu erwarten, dass die „Hisbollah eine positive Rolle bei der Entstehung einer libanesischen Zivilgesellschaft spielen“ werde, bedeute so viel wie „an das Übernatürliche zu glauben und die Vernunft zugunsten von Wundern auszusetzen“.

Jenseits aller inhaltlichen Fragen ist klar, dass es sich bei der neuen libanesischen Regierung nur um eine Übergangsregierung handelt. Wenn alles nach Plan läuft, wird ihre Amtszeit ein Dreivierteljahr betragen. In dieser Zeit sind kaum grundlegende politische Impulse zu erwarten. Dennoch werden die unterschiedlichen Gruppierungen innerhalb der Regierung versuchen, sich bei Suleiman und Siniora deutlich Gehör zu verschaffen. Besonders bezieht sich dies auf die drängenden Fragen der künftigen Gestaltung der Beziehungen zu Syrien sowie in der Frage der Herstellung eines nationalen Dialogs über die nationale Verteidigungsstrategie, welche das Problem der Entwaffnung der Hisbollah beinhaltet. Sollte es jedoch gelingen, die Regierung in einer zivilisierten Art und Weise und ohne große interne Konflikte durch diese Zeit zu führen, wäre bereits dies als großer Erfolg auf dem Weg zu einer stabileren politischen Zukunft im Libanon zu werten.

Andererseits bleibt den rivalisierenden politischen Gruppen jedoch auch nicht viel anderes übrig, als sich um einen Konsens zu bemühen. Besonders die Hisbollah muss zeigen, dass sie nicht nur Gewaltausbrüche sondern auch politische Ideen produzieren kann. Die „Partei Gottes“ hat nämlich mit den jüngsten Kämpfen gegen das Regierungslager die nach dem Bürgerkrieg aufgestellte interne Regel gebrochen, ihre Waffen nur gegen Israel und nicht gegen eigene Landsleute zu erheben. Um einen Rest von Glaubwürdigkeit zu bewahren, muss sich die Partei-Miliz deshalb jetzt kooperativ verhalten. Und so war es ausgerechnet Hisbollah-Führer Sayyed Hassan Nasrallah, der erklärte, der Libanon könne sich nur durch „Kooperation, Konsens und Solidarität“ zu Wachstum und Wohlstand hin entwickeln.

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