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Country Reports

Aung San Suu Kyi bekräftigt Führungsanspruch der NLD in Myanmar

by Dr. Wilhelm Hofmeister

Historischer Parteikongress wählt die Friedensnobelpreisträgerin zur Parteivorsitzenden

Historischer Parteikongress wählt die Friedensnobelpreisträgerin zur Parteivorsitzenden. Doch vor der Übernahme von Regierungsverantwortung muss die NLD noch ernsthafte Anstrengungen zur organisatorischen und programmatischen Erneuerung unternehmen.

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Die National League for Democracy (NLD), die wichtigste Oppositionspartei in Myanmar, hat vom 8. bis 10. März in Yangon den ersten Parteikongress in ihrer 25-jähigen Geschichte veranstaltet. Dieser Parteitag war das bislang wichtigste politische Ereignis seit dem Beginn des politischen Öffnungsprozesses vor zwei Jahren. Er ist ein Indiz für den bemerkenswerten politischen Wandel, den das Land seit dem Antritt der Regierung von Präsident Thein Sein im April 2011 erlebt. Die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi wurde während des Kongresses als Vorsitzende der NLD bestätigt.

Das Charisma von Frau Suu Kyi und 1,2 Millionen Mitglieder machen die NLD zur wichtigsten politischen Kraft des Landes. Der Parteikongress sollte diesen politischen Führungsanspruch der NLD und ihrer Führerin untermauern. Zugleich war der Kongress aber auch Ausdruck des Bemühens, die NLD als Partei neu auszurichten, ihre Organisation zu stärken und nicht zuletzt ihrer politischen Führungsspitze endlich eine demokratische Legitimierung zu verschaffen.

Sammelbecken der demokratischen Opposition gegen das Militär

Die NLD ist im September 1988 während der kurzen politischen Aufbruchsphase nach dem Abtreten des sozialistischen Regimes als ein Sammelbecken demokratischer Kräfte gegründet worden. Damals wurde Aung San Suu Kyi, die Tochter von General Aung San, der in den vierziger Jahren die Unabhängigkeitsbewegung der Burmesen anführte, die unumstrittene Führerin der Demokratiebewegung und der neu gegründeten NLD. Bei den Parlamentswahlen von 1990 gewann die Partei zwar 59% der Stimmen und 392 von 492 Parlamentsmandaten. Doch die regierende Militärjunta erkannte den Wahlsieg der NLD nicht an und verweigerte der Partei die Regierungsbildung. Kurz nach den Wahlen von 1990 wurde die NLD verboten und Frau Suu Kyi unter Hausarrest gestellt. Dieser Arrest wurde mit wenigen Unterbrechungen bis November 2010 aufrecht erhalten, sodass Frau Suu Kyi in dieser Zeit 16 von 21 Jahren im Hausarrest verbrachte. Ihr heroischer Kampf gegen das Militärregime machten sie zur Ikone der Demokratiebewegung in Burma und wurde u.a. mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt.

Der NLD war es zwar im Jahr 2001 von der Militärregierung erlaubt worden, wieder aktiv zu werden, doch 2004 wurden Parteiaktivitäten erneut verboten. Trotz der Verhaftung zahlreicher Parteimitglieder seit 1990 hat die Militärregierung nie den Versuch unternommen, die NLD endgültig zu zerschlagen. Allerdings haben viele derjenigen Mitglieder, die nicht inhaftiert wurden, die Partei infolge der Repression verlassen.

Vor den Wahlen im November 2010 hätte die NLD zwar die Möglichkeit gehabt, sich neu registrieren zu lassen und an den Wahlen teilzunehmen. Doch weil das Wahlrecht einige Bestimmungen enthielt, die gezielt eine Teilnahme von Frau Suu Kyi und weiterer prominenter Mitglieder der Partei ausschlossen, entschied sich die Partei gegen die Neu-Registrierung und gegen die Teilnahme an den Wahlen. Daraufhin wurde die Partei offiziell verbannt – konnte aber ihre Parteizentrale in Yangon weiter betreiben. Eine kleine Gruppe von Parteimitgliedern, die die Verweigerung der Wahlteilnahme für falsch hielt, trat im Frühjahr 2011 aus der NLD aus und gründete die National Democratic Force. Diese erhielt bei den Wahlen knapp drei Prozent der Stimmen und einige wenige Parlamentsmandate. Seit der Neu-Registrierung der NLD wollen einige der NDF-Mitglieder und andere, die die NLD vor den Wahlen von 2010 verlassen hatten, der NLD wieder beitreten. Die Entscheidung darüber wurde aber stets auf den Parteikongress vertagt.

Erst nachdem die neue Regierung ihren Willen an einer politischen Öffnung erkennen ließ und Frau Suu Kyi in einer denkwürdigen Begegnung mit Staatspräsident Thein Sein im August 2011 offensichtlich glaubwürdige Zusagen über die politischen Liberalisierungsabsichten der Regierung erhalten hatte, entschied die Führung der NLD, die Partei neu registrieren zu lassen und an den bevorstehenden Nachwahlen teilzunehmen. Bei diesen Nachwahlen am 1. April 2012, errang die NLD einen überwältigenden Sieg, der in dieser Eindeutigkeit selbst von führenden Parteimitgliedern und erst recht von in- und ausländischen Beobachten nicht erwartet worden war. Zwar ging es nur um eine relativ kleine Zahl von 45 Parlamentsmandaten. Doch die NLD gewann 44 dieser Mandate. Selbst in der Hauptstadt Naypyidaw gingen die vier zur Wahl stehenden Mandate alle an die NLD. Frau Suu Kyi wurde für einen Wahlkreis in der Region Yangon ins Parlament gewählt.

Spätestens seit den Wahlen vom April 2012 hat die NLD ihre Rolle als wichtigste politische Kraft des Landes bestätigt. Kaum jemand zweifelt daran, dass die Partei auch die nächsten Wahlen von 2015 gewinnen wird. Allerdings kann Frau Suu Kyi gemäß bislang noch geltender Bestimmungen der Verfassung nicht zur Präsidentin gewählt werden. Eine Verfassungsänderung ist aber letztlich nur möglich mit Zustimmung des Militärs; denn 25% der Sitze in den beiden Kammern des nationalen Parlaments (und ebenso in den 14 Regionalparlamenten) sind den Militärs vorbehalten. Die Friedensnobelpreisträgerin hat in den vergangenen Wochen verschiedene Bemerkungen gemacht, die darauf hindeuten, dass sie nicht nur das Ziel ihrer Wahl zur Präsidentin verfolgt, sondern auch die Zustimmung des Militärs für eine notwendige Verfassungsänderung gewinnen will.

Demokratische Wahl der Führungsspitze als Antwort an die Parteikritiker

Frau Aung San Sun Kyi und ihre Partei wollen nicht nur die wichtigste Oppositionskraft bleiben, sondern die politische Führung des Landes übernehmen. Das hat die Friedensnobelpreisträgerin jetzt während des Kongresses wiederholt bekräftigt. Zudem hat sie in den letzten Wochen deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie Präsidentin des Landes werden will. Angesichts ihrer dominierenden Rolle haben in den vergangenen Monaten Politiker aus verschiedenen Lagern, Wirtschaftsvertreter, Mitglieder gesellschaftlicher Organisationen und selbst Anhänger und Mitglieder der NLD jedoch zunehmend besorgt danach gefragt, ob die Partei und ihre Vorsitzende für die Übernahme der politischen Führung des Landes vorbereitet sind.

Kritisch kommentiert wurde auch die zentralistische Führungsstruktur der NLD, deren Struktur eher einer sozialistischen Kaderpartei entspricht, in der es keine offenen Diskussionen über politische Fragen gab und in der die wichtigen Entscheidungen nur von einem ganz kleinen Kreis Getreuer um die Parteiführerin getroffen werden. Selbst innerhalb der NLD regte sich in den vergangenen Monaten Kritik über diese hermetische Führungsstruktur, die der politischen Öffnung widerspräche. Nicht zuletzt gab es im Vorfeld des Parteikongresses einiges Gerangel und einen Wettbewerb im Hinblick auf die Neubesetzung der Führungspositionen. In der Öffentlichkeit jedoch oder gar in den Medien wurden solche kritischen Fragen nicht gestellt; denn (noch) ist jede öffentliche Kritik an Frau Suu Kyi und der NLD verpönt und fällt auf den Kritiker zurück.

Aung San Suu Kyi selbst hat zu verstehen gegeben, dass ihr die Kritik und die innerparteilichen Konflikte nicht verborgen blieben. Während ihrer Eröffnungsrede des Kongresses im März gestand sie ein, dass die NLD in der Vergangenheit zuweilen etwas undemokratisch agiert habe, indem manche Entscheidungen nur von dem Zentralkomitee getroffen worden waren. Dies aber sei Folge der Restriktionen des Militärregimes gewesen. Nun aber werde die Partei ihre Führungsspitze in einem demokratischen Prozess wählen. Außerdem, so fügte sie im Hinblick auf „einige Querelen“ innerhalb der Partei hinzu, sei der demokratische Stil der Politik nicht ohne Makel und Meinungsverschiedenheiten gehörten zum menschlichen Wesen. Die Parteimitglieder rief sie zu verantwortlichem Handeln auf, anstatt nach Posten zu jagen. Bei den anstehenden Wahlen für die Führungspositionen sollten Konflikte möglichst vermieden werden. Sie ermahnte die Parteitagsdelegierten ehrlich, loyal und dankbar zu sein.

Den ethnischen Parteien und anderen Organisationen, die die NLD in der Vergangenheit unterstützt hatten, dankte Frau Suu Kyi ausdrücklich, und sie rief die Parteimitglieder auf, den „Geist der Einheit“ zu erhalten, der die NLD in der Vergangenheit stark gemacht habe und der aufgrund der Unterschiede innerhalb des Landes eine wesentliche Voraussetzung für künftige politische Erfolge sei.

Schon bei der Vorbereitung des Parteikongresses hatte Frau Suu Kyi darauf gedrängt, den demokratischen Charakter der NLD deutlich zu machen. Deshalb wurden in den vergangenen Monaten die 862 Delegierten landesweit in lokalen Parteiversammlungen gewählt, an denen im Prinzip alle 1,2 Millionen eingeschriebenen Mitglieder teilnahmen. Diese Delegierten wählten am zweiten Tag des Kongresses zunächst 85 Mitglieder des zentralen Arbeitskomitees. Darunter sind viele gut ausgebildete und teilweise auch relativ junge Mitglieder sowie etliche Frauen. Am nächsten Tag wählte der Kongress die 15 Mitglieder des zentralen Exekutivkomitees der Partei; bisher hatte das Zentralkomitee nur acht Mitglieder. Diese wählten anschließend die 67 jährige Aung San Suu Kyi zur Vorsitzenden der Partei. Frau Suu Kyi, die aufgrund ihres Charismas, ihres familiären Hintergrundes und ihres beispiellosen Kampfes gegen das Militärregime 25 Jahre lang die Führung der Partei ausgeübt hatte, ohne in einem breiteren demokratischen Prozess gewählt worden zu sein, besitzt nun eine auch formal eindeutige demokratische Legitimität als Vorsitzende der NLD. Gewiss, die 15 Mitglieder des Zentralkomitees sind alle von ihr handverlesen und letztlich haben nur diese 15 Personen die Vorsitzende gewählt. Eine Wahl oder Akklamation durch alle Delegierten des Parteikongresses wäre noch eindruckvoller gewesen. Allerdings kann es keinen Zweifel daran geben, dass Frau Suu Kyi für alle Mitglieder der NLD die legitime Vorsitzende ist.

Die Verjüngung der Parteiführung ist nur bedingt gelungen und blieb auf das 85-köpfige Arbeitskomitee beschränkt. Offensichtlich konnte (oder wollte) Frau Suu Kyi bei der Besetzung des Exekutivkomitees auf die Vertreter der „alten Garde“ nicht verzichten, denn dessen Mitglieder sind ausschließlich Personen in einem Alter über sechzig und siebzig Jahre. Das Verharren der älteren NLD-Führer auf ihren Posten wurde außerhalb und auch innerhalb der Partei immer wieder als ein Grund für den bislang so schleppend verlaufenden innerparteilichen Modernisierungsprozess gesehen. Ob das neue Exekutivkomitee nun die Kraft und Kreativität aufbringt, die Partei organisatorisch und programmatisch zu erneuern, moderne Kommunikationsformen zu entwickeln, Parteimitglieder auszubilden und auf die Übernahme von politischen Mandaten vorzubereiten und vor allem auch konkrete Vorschläge zu einer Vielzahl von Politikbereichen zu entwerfen, bleibt abzuwarten.

Grenzen des Einflusses der Vorsitzenden zeigten sich bei der Entscheidung über die Wiederaufnahme ehemaliger Mitglieder, die 2010 die NLD verlassen hatten, um an den Wahlen teilzunehmen. Obwohl Frau Suu Kyi zu verstehen gab, dass sie die Wiederaufnahme dieser ehemaligen Mitglieder akzeptieren würde, stimmten etwa zwei Drittel der Delegierten gegen einen solchen Vorschlag. Noch sitzt der Ärger über diese „Parteispalter“ sehr tief und die NLD ist sicher, dass sie auf diese Dissidenten keine Rücksicht nehmen muss.

Auch mit innerparteilichen Kritikern geht die Partei keineswegs zaghaft um. Einige von der Basis gewählte Delegierte sind von der Teilnahme an dem Kongress ausgeschlossen worden, weil sie öffentlich Kritik an einigen Entscheidungen der Parteiführung geäußert hatten.

Hinsichtlich des Parteiprogramms brachte der Kongress keine großen Neuerungen. Das Bemühen um Frieden und Versöhnung, die Bereitschaft zur Vermittlung bei ethnischen Konflikten, insbesondere im Kachin- und dem Rakhine-Staat, das Bekenntnis zur Rechtsstaatlichkeit, vor allem aber die Betonung der Notwendigkeit einer Verfassungsänderung waren die wichtigsten programmatischen Aussagen des NLD-Kongresses. Die Diskussion und Verabschiedung eines neuen Parteiprogramms hatte nicht auf der Tagesordnung gestanden.

Die Erneuerung muss nach dem Kongress beginnen

Der erste Kongress in ihrer Geschichte demonstrierte die Bereitschaft der NLD zur Erneuerung der Partei vor dem Hintergrund der veränderten politischen Verhältnisse – und auch vor dem Hintergrund der allmählich deutlich gewordenen Kritik an hierarchischer Führung und organisatorischer und programmatischer Schwäche. Der Kongress hat nun eine neue Führungsspitze gewählt, dabei aber in wichtigen Positionen lediglich die bisherige Führungselite bestätigt. Zu Aung San Suu Kyi hat die Partei keine Alternative. Gerade weil die NLD aufgrund der herausragenden Persönlichkeit ihrer Vorsitzenden sehr gute Chance hat, im Jahr 2015 von der wichtigsten Oppositionspartei zur wichtigsten Regierungspartei zu werden, müsste sie nun damit beginnen, die notwendige Erneuerung und Modernisierung in die Praxis umzusetzen. Der Parteikongress vom März 2013 kann dafür nur der Ausgangspunkt sein.

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