50 Jahre in Zahlen
Vor 50 Jahren traten sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch die Deutsche Demokratische Republik der UN bei. 17 Jahre lang waren beide Staaten Mitglieder der Vereinten Nationen. Die deutsche Wiedervereinigung änderte auch den Status der beiden deutschen Staaten in der UN. Lothar de Mazière, Ministerpräsident der DDR, informierte den UN-Generalsekretär wenige Tage vor der deutschen Wiedervereinigung darüber, dass mit dem Beitritt der DDR in den Geltungsbereich des Grundgesetzes, das Fortbestehen der Mitgliedschaft der DDR in den UN-Organisationen obsolet würde.[1] Seitdem tritt die wiedervereinigte Bundesrepublik Deutschland unter der Bezeichnung ‚Deutschland‘ in den Vereinten Nationen auf.[2] Deutschland hat zunehmend mehr Verantwortung in den Vereinten Nationen übernommen und ist mittlerweile der zweitgrößte Beitragszahler im gesamten UN-System.[3] Insgesamt 33 UN-Institutionen mit 1000 Beschäftigten sind in Deutschland angesiedelt.[4]
Internationale Verantwortung
Das zunehmende Verantwortungsbewusstsein Deutschlands und die Bedeutung, die es dem UN System beimisst, lässt sich deutlich daran ablesen, dass Deutschland alle acht Jahre für einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat kandidiert. Gleichzeitig treibt Deutschland gemeinsam mit den G4 Partnern Brasilien, Indien, und Japan Bemühungen um eine Sicherheitsratsreform voran.[5]
Zuletzt war Deutschland im Jahr 2019/2020 gewähltes Mitglied im Sicherheitsrat und wurde dort von Botschafter Christoph Heusgen, dem langjährigen außen- und sicherheitspolitischen Berater der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, vertreten. Aus seiner Sicht zeigte bereits die Rekordzahl von Stimmen in der Generalversammlung, mit denen Deutschland 2018 in den Sicherheitsrat gewählt worden war, dass Deutschland nicht nur ein gefragter Gesprächspartner ist, dessen Stimme Gehör findet, sondern dass Deutschland verantwor-tungsvolle Rollen bei der Lösung verschiedener Konflikte übernimmt. „Und Deutschland hat das getan”, so Botschafter Christoph Heusgen.[6]
Ein Konflikt, bei dem Deutschland die Führungsrolle bei der Konfliktlösung übernommen hat, ist der Libyen-Konflikt. Im Jahr 2019 befand sich der libysche Friedensprozess in einer schwierigen Situation: internationale Akteure intervenierten in dem Staat, die libysche Regierung der „Nationalen Übereinkunft“ war angeschlagen und der versuchte Angriff auf Tripolis verschlechterte die angespannte Lage zusätzlich. „Es war also die Zeit, in der Deutschland unter der Führung von Bundeskanzlerin Merkel versuchte, mit seinen guten Beziehungen zu den zahlreichen internationalen Akteuren, in Libyen zu vermitteln. Und das wurde von den Libyern damals begrüßt“, so beschreibt es der Ständige Vertreter Libyens bei den Vereinten Nationen, Botschafter Taher El-Sonni.[7] Der sogenannte Berlin-I-Prozess ermöglichte 2020 den Waffenstillstand, abseits des UN-Sicherheitsrates.
Deutschlands internationale und europäische Führungsrolle und seine Neutralität im Libyen-Konflikt spielten dabei eine zentrale Rolle.
Durch die deutschen Vermittlungsbemühungen gelang es damals, die bewaffnete Konfrontation in einen diplomatischen Konfliktlösungsprozess zu überführen, auch wenn der Waffenstillstand immer wieder gebrochen wird.[8]
Der Berlin-II-Prozess (2021) sollte dann den Weg zu Wahlen ebnen, die allerdings bis heute nicht realisiert werden konnten und daher seit 2022 erneut zwei Regierungen um die Macht ringen.[9] Aus libyscher Sicht wird daher eine weitere Phase der Berlin-Prozesse immer dringlicher. „Ich denke, es ist jetzt an der Zeit, dass auch Deutschland mit seinen Bemühungen versucht, die Agenda des demokratischen Prozesses voranzutreiben, den wir anstreben, und die UN-geführte Vereinbarung zu unterstützen, um einen Durchbruch zu erzielen und zu sehen, wo die Hindernisse liegen.“, so Botschafter El-Sonni.[10] Weiteres Engagement Deutschlands für den Friedens- und Demokratisierungsprozess in Libyen ist ausdrücklich erwünscht.
Die von vielen Staaten eingeforderte Führungsrolle Deutschlands bei der Lösung internationaler Konflikte basiert auf der internationalen Wahrnehmung Deutschlands.[11] Deutschland gilt als verlässlicher, berechenbarer Akteur, der weder mit einer umfangreichen kolonialen Hypothek noch einer ausgeprägten Agenda nationaler Interessen in Verbindung gebracht wird. Selbst für den Ständigen Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen in New York war dies während der Mitgliedschaft im Sicherheitsrat ein prägender Eindruck: „Das hat mich in dieser Zeit schon auch sehr positiv überrascht, nämlich, dass Deutschland einen sehr guten Ruf weltweit hat. Das hat sehr viel zu tun mit der ausgleichenden Art und Weise, wie Deutschland in den letzten Jahren und Jahrzehnten seine Politik betrieben hat“, so Botschafter Heusgen.[12] Diese Führungsrolle hat eine noch höhere Relevanz in einer Zeit, in welcher die Aggressionen Russlands gegen die Ukraine die internationale Ordnung schwer belasten.
Nachhaltige Entwicklung
Für Deutschland sind der Kampf gegen den Klimawandel, wie auch die Realisierung der Agenda 2030, internationale und nationale Priorität.
Die Vereinten Nationen sind bei der internationalen Koordination und Verhandlung dieser Bemühungen der zentrale Akteur. Bei der diesjährigen UN-Generalversammlung stand daher die Halbzeitbilanz zu den Sustainable Development Goals (SDGs) der UN von 2015 ganz oben auf der Agenda. Ein eigens einberufener SDG-Gipfel sollte die Staatengemeinschaft nochmals auf die Ziele und deren konkrete Umsetzung einschwören. Bereits im diesjährigen SDG-Fortschrittsbericht warnte UN-Generalsekretär António Guterres, dass nur 12% der Sustainable Development Goals bei der aktuellen Entwicklung erreichbar seien und der Fortschritt bei 50% der Ziele schwach bis nicht ausreichend sei.[13]
Im internationalen Entwicklungssystem spielt Deutschland ebenfalls eine zentrale Rolle. Deutschland hat den Anteil der Entwicklungsinvestitionen und -finanzierung in den letzten Jahren erheblich gesteigert, sodass sie nun über 0,7 % des Bruttoinlandsproduktes erreichen; das Ziel, welches die Vereinten Nationen bereits vor über 30 Jahren vereinbart hatten.[14] Deutschland ist damit der zweitgrößte Geldgeber für Investitionen in die Entwicklung in der ganzen Welt. Die weltweite Umsetzung der Sustainable Development Goals wird so zu erheblichen Teilen durch deutsche finanzielle und ideelle Beiträge zum UN-System vorangetrieben.
Als Administrator des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) ist der Deutsch-Brasilianer Achim Steiner einer der Verantwortlichen der SDG-Umsetzung. Seit 2017 ist er in dieser Position und war zuvor bereits Exekutivdirektor des UN-Umweltprogramms.
Für die aktuelle Ständige Vertreterin Deutschlands bei den Vereinten Nationen in New York, Botschafterin Antje Leendertse, ist die Tatsache, dass Deutschland der zweitgrößte Geber des UN-Systems, aber nur die viertgrößte Volkswirtschaft ist, auch ein Ausdruck für den Stellenwert, den Deutschland dem Multilateralismus und vor allem den Vereinten Nationen beimisst.[15]
Bewusstsein schaffen in Deutschland
Ebenso wichtig, wie das Agieren Deutschlands in den Vereinten Nationen ist die Vermittlung der multilateralen Themen nach Deutschland hinein.
Um auch zukünftig die Unterstützung der deut-schen Bevölkerung für das internationale Engagement zu bekommen, ist die Einbeziehung der nachwachsenden Generationen in die multilateralen Prozesse entscheidend. Gerade bei Fragen der nachhaltigen Entwicklungen wollen junge Menschen nicht länger als passive Akteure behandelt werden. Dies haben sowohl die UN als auch die Mitgliedstaaten erkannt. Generalsekretär Guterres hat eigens eine Vertretung für Jugenddelegierte im Generalsekretariat angesiedelt und UN-Mitgliedsstaaten können Jugenddelegierte für nachhaltige Entwicklung und für die Generalversammlung ernennen. Die Jugenddelegierten fungieren als „Bindeglied zwischen jungen Menschen in Deutschland und politischen Entscheidungsträgern“, die Deutschland in New York vertreten. So beschreibt Fidelis Stehle seine Rolle als einer der aktuellen deutschen Jugenddelegierten für nachhaltige Entwicklung.[16]
Ebenso wichtig wie die direkte Einbeziehung von ausgewählten Personengruppen in die Prozesse in New York, ist die mediale Berichterstattung und die Herausforderung, einen oft trockenen und technokratisch erscheinenden Stoff so aufzubereiten, dass sich die breite Bevölkerung dafür interessiert. Es gilt zu vermitteln, dass die Geschehnisse auf der Welt, zum Beispiel im Sudan oder in Mali, in letzter Konsequenz jeden Einzelnen betreffen und man als Bürger Mitverantwortung für mögliche Folgen zu tragen hat.
Ausblick
Aktuell koordiniert Deutschland gemeinsam mit Namibia die Verhandlungen, welche als Vorberei-tung für den Summit of the Future dienen. Dieser Gipfel wird im September 2024 stattfinden mit dem Ziel, das UN-System neu auszurichten, zu-kunftsfähig zu machen und das Bekenntnis zu den Sustainable Development Goals und der UN-Charta zu bekräftigen.17 Ein Anliegen Deutsch-lands ist es, bei der Neuausrichtung „dazu zu kom-men, dass wir den Druck abmildern, indem wir sa-gen, wir werden kongruent mit den Interessen und Perspektiven des globalen Südens“.18 Deutschland wird bereits heute als eine Stimme wahrgenommen, welche die Interessen des soge-nannten globalen Südens unterstützt und dafür auch Anerkennung erhält.[19]
Diese Momentaufnahme aus verschiedenen Perspektiven zeigt, dass Deutschland zum 50. Jahrestag seiner Mitgliedschaft eine bedeutende Führungsrolle im UN-System spielt und das sowohl finanziell als auch ideell. Diese Führungsrolle und die damit einhergehende Verantwortung werden gestützt von der Wahrnehmung Deutschlands als vermittelnder und verlässlicher Partner, was ein positives Licht auf die zukünftige Position Deutschlands in der UN wirft.
[1] Bundeszentrale für Politische Bildung (2023), Vor 50 Jahren im September: Zweimal Deutschland in der UNO, https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/518364/vor-50-jahren-im-september-zweimaldeutschland-in-der-uno/ (abgerufen am 3. Oktober 2023).
[2] Ebenda.
[3] Der Beitrag Deutschlands lag bei 6,7 Milliarden US$ im Jahr 2021. Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen (2023), 50 Jahre Deutschland in den Vereinten Nationen, https://new-york-un.diplo.de/un-de/50-jahre-deutschland-in-den-vn/381468#:~:text=Info,Dollar%2C%206%2C1%25 (abgerufen am 3. Oktober 2023).
[4] Ebd.
[5] Die sogenannten G4 Staaten unterstützen sich seit 2004 gegenseitig in ihren Bemühungen um einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat und arbeiten daher gemeinsam an einer Reformierung des Gremiums. Eva Mareike Schmitt: Weltordnung in der Revision. Die deutsche Politik zu der Reform des Sicherheitsrates 1990-2005. Wiesbaden 2013, S. 406; Ministry of Foreign Affairs of Japan (2023), Meeting of the Foreign Ministers of the G4 Countries on UN Security Council Reform, https://www.mofa.go.jp/fp/unp/page6e_000390.html (abgerufen am 25.9.2023).
[6] KAS New York (2023), Interview mit Botschafter Christoph Heusgen a.D., https://www.youtube.com/watch?v=SqZFZOfW6rM (abgerufen am 4. Oktober 2023).
[7] Ebd.
[8] Ebd.
[9] Ebd.
[10] KAS New York (2023), Interview mit Botschafter El-Sonni, https://youtu.be/Znb-T91x39k?feature=shared (abgerufen am 4. Oktober 2023).
[11] Auswärtiges Amt (2015), Review 2014 Außenpolitik weiterdenken, Krise, Ordnung, Europa; S.20.
[12] KAS New York (2023), Interview mit Botschafter Christoph Heusgen a.D., https://www.youtube.com/watch?v=SqZFZOfW6rM (abgerufen am 4. Oktober 2023).
[13] United Nations, Meetings Coverage and Press Releases (2023), Warning Over Half of World Is Being Left Behind, Secretary-General Urges Greater Action to End Extreme Poverty, at Sustainable Development Goals Progress Report Launch, https://press.un.org/en/2023/sgsm21776.doc.htm (abgerufen am 28. September 2023).
[14] Statista (2023), Anteil der Zahlungen für Entwicklungs-hilfe am Bruttonationaleinkommen (ODA-Quote) in Deutschland von 1995 bis 2021, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/2564/umfrage/entwicklungszusammenarbeitsausgaben-entwicklung-seit-1995/#:~:text=Die%20Statistik%20zeigt%20den%20Anteil,Prozent%20des%20deutschen%20Bruttonationaleinkommens%20aus (abgerufen am 3. Oktober 2023).
[15] KAS New York (2023), Interview mit Antje Leendertse, https://youtu.be/dM3wBmxUDfo?feature=shared (abgerufen am 4. Oktober 2023).
[16] KAS New York (2023), Interview mit Fidelis Stehle, https://www.youtube.com/watch?v=VUcqONj5lEo (abgerufen am 3. Oktober 2023).
[17] United Nations (2023). The Summit of the Future in 2024, https://www.un.org/en/common-agenda/summit-of-the-future (abgerufen am 3. Oktober 2023).
[18] KAS New York (2023), Interview mit Antje Leendertse, https://youtu.be/dM3wBmxUDfo?feature=shared (abgerufen am 4. Oktober 2023).
[19] KAS New York (2023). Interview mit Antje Passenheim, https://www.youtube.com/watch?v=Y1G7c0OdZZs (abgerufen am 3. Oktober 2023).