Wahl mit verpflichtender Stimmabgabe
Die Wahlen am 16. November 2025 in Chile fanden unter bislang einmaligen Bedingungen statt. Erstmals wurde bei einer Präsidentschafts- und Parlamentswahl die Wahlpflicht in Verbindung mit der automatischen Registrierung aller Wahlberechtigten ab 18 Jahren eingeführt. Rund fünf Millionen Chilenen und Ausländer mit Aufenthaltstitel, die bislang nicht regelmäßig an Wahlen teilgenommen hatten, wurden somit in den Wahlprozess miteinbezogen und waren verpflichtet ihre Stimme abzugeben – Verstöße werden mit Geldbußen geahndet. Die Beteiligung dieser zuvor kaum aktiven Wählergruppe erschwerte eine verlässliche Prognose und erhöhte die Unvorhersehbarkeit der Wahlergebnisse deutlich.
Laut der chilenischen Wahlbehörde Servel waren 15,7 Millionen Wähler zur Stimmabgabe berechtigt. Rund 13,4 Millionen Menschen gaben ihre Stimme ab, was einer Beteiligung von etwa 85 Prozent entspricht – ein historisch hoher Wert. Im Vergleich dazu lag die Wahlbeteiligung bei der Wahl 2021 lediglich bei rund sieben Millionen Menschen, was etwa 47 Prozent der Wahlberechtigten entsprach. Besonders entscheidend war die Región Metropolitana, die mit 38,9 Prozent der registrierten Wähler einen überproportionalen Anteil der abgegebenen Stimmen stellt und somit maßgeblichen Einfluss auf das landesweite Ergebnis ausübt.
Driftet Chile politisch nach rechts oder links?
Die Mehrheit der Chilenen hat sich bei der Präsidentschafts- und Parlamentswahl am vergangenen Sonntag gegen eine gemäßigte Politik der Mitte entschieden. Stattdessen dominierten Kandidaten mit klar zugespitzten Positionen: Radikale sicherheitspolitische Maßnahmen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, vertreten durch die Kandidaten José Antonio Kast und den Rechtspopulisten Johannes Kaiser sowie sozialistisch gefärbte gesellschaftspolitische Vorschläge der Kandidatin Jeannette Jara setzten sich eindeutig gegen das ausdifferenzierte und moderate Programm der mitte-rechts Kandidatin Evelyn Matthei durch. Bei der Stichwahl am 14. Dezember werden sich die Bürger Chiles zwischen zwei extremen politischen Positionen entscheiden müssen, die sich am Außenrand des politischen Spektrums positionieren.
Die Gewinner der Präsidentschaftswahl
Gewinnerin der Präsidentschaftswahl ist mit 26,85 Prozent der abgegebenen Stimmen die Kandidatin Jeannette Jara des Linksbündnisses Unidad por Chile, bestehend aus sieben Parteien des linken politischen Spektrums, darunter der sozialdemokratischen Partei Partido Socialista, der aktuellen Regierungspartei von Präsident Gabriel Boric Frente Amplio, sowie der kommunistisch-marxistisch-leninistischen Partido Comunista, der Jara seit ihrer Jugend angehört. Die christdemokratische Partido Demócrata Cristiano (PDC) ist ebenfalls Teil des Wahlbündnisses Unidad por Chile, womit sich die Partei endgültig aus dem Werte- und Prinzipienprogramm der Christdemokratie verabschiedet hat.
Als Präsidentschaftskandidatin der amtierenden Regierungskoalition ging Jeannette Jara als Siegerin einer internen Vorwahl Ende Juni 2025 hervor. Entgegen allen Umfragen setzte sich die Kommunistin Jara gegen die gemäßigte, sozialdemokratische Kandidatin Carolina Tohá durch. Somit entschieden sich die Anhänger des linken politischen Lagers für die Nominierung der weitaus radikaleren Kandidatin und distanzierten sich von der mitte-links Kandidatur Tohás. Unbeantwortet bleibt bis heute die Frage, wo Jeannette Jara tatsächlich politisch verortet werden kann. Während des Wahlkampfes hat sie sich öffentlich von marxistisch-leninistischen Positionen distanziert. Entgegen der offiziellen Positionierung ihrer Partei äußerte sie sich beispielsweise kritisch gegenüber den aktuellen Regimen in Venezuela, Kuba und Nicaragua. Andererseits bleibt fraglich, ob eine Politikerin, die sich fast vierzig Jahre lang mit den marxistisch-leninistischen Idealen der Kommunistischen Partei identifiziert hat, eine so deutliche Wende in Richtung moderaten, sozialdemokratischen Positionen vollbringen und sich somit von extremen politischen Positionen distanzieren kann. Für viele Beobachter und Experten der chilenischen Politik stellt dieser angebliche Richtungswechsel eine unglaubwürdige politische Finte dar.
Zweiter Gewinner der Präsidentschaftswahl ist der ultrakonservative, rechts-außen Kandidat José Antonio Kast der Partido Republicano. Mit zirka 23,92 Prozent der abgegebenen Stimmen erreicht Kast, neben Jara, die Stichwahl am 14. Dezember. Kast gilt als erfahrener Politiker. Der 59-Jährige verlor bei der letzten Präsidentschaftswahl knapp gegen den amtierenden Staatspräsidenten Gabriel Boric. Sein Wahlkampf konzentrierte sich auf wirtschafts- und sozialpolitische Vorschläge zu drastischen Kürzungen der Staatsausgaben und zur Reduzierung des Staatsapparats. Im Mittelpunkt des Wahlkampfes stand jedoch die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, die Wiedererlangung einer tragbaren inneren Sicherheit und die sofortige Rückführung illegaler Einwanderer in ihre Heimatländer. Kast ist in Bezug auf Einwanderungsfragen und den Schutz Chiles vor der illegalen Migration ein Bewunderer von Viktor Orbán. In den letzten Jahren hat er sich mehrmals aktiv an der Conservative Political Action Conference (CPAC) beteiligt. Seine letzte Auslandsreise vor der Wahl führte ihn nach Italien – zu einem Privatbesuch bei Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Trotz der Radikalität vieler seiner Aussagen und Vorschläge wird Kast, sollte er die Stichwahl am 14. Dezember gewinnen, die seit der Wiedererlangung der Demokratie im Jahr 1990 mühsam aufgebauten und stabilen Institutionen Chiles voraussichtlich nicht in Frage stellen. Als Hardliner wird Kast vermutlich alle verfassungskonformen Mittel ausreizen, um seine politischen Ziele zu erreichen, ohne jedoch die rechtsstaatliche Ordnung zu brechen. Er wird als ultrakonservativer Politiker – auch in Sozialfragen wie beispielsweise beim Thema Schwangerschaftsabbruch – nicht als Systemveränderer fungieren.
Völlig überraschend war das Ergebnis des politisch nicht verortbaren Kandidaten Franco Parisi der Partei Partido de la Gente - eine Partei, die im aktuellen Parlament nicht vertreten ist. Der Kandidat Parisi ist jedoch kein Unbekannter: Bei der Präsidentschaftswahl 2021 erreichte er 12,80 Prozent der Stimmen. Seinen Wahlkampf führte er damals ausschließlich aus den Vereinigten Staaten von Amerika, da ihm aufgrund unterlassener Unterhaltszahlungen die Einreise nach Chile verwehrt wurde. Bei der aktuellen Präsidentschaftwahl erzielte er 19,70 Prozent der Stimmen und positionierte sich an dritter Stelle. Parisi gilt als Populist und als Vertreter der Antisystembewegung. Politische Parteien bezeichnet er als verzichtbar und korrupt. Seine Wähler sind hauptsächlich junge Protestwähler, die das politische Establishment reformieren oder sogar abschaffen wollen. Seine Wahlkampfstrategie bestand hauptsächlich aus einer starken Präsenz in den digitalen Medien, insbesondere in den sozialen Netzwerken. Parisis Botschaften wirkten während des Wahlkampfes oft konfus und wirr. Seine Vorschläge reichten von der Abschaffung der Mehrwertsteuer für Medikamente und Windeln bis zum Einsatz von Antipersonenminen an der chilenisch-bolivianischen Grenze, um die Einreise irregulärer Migranten zu verhindern. Franco Parisi war der eindeutige Sieger in den mit Bolivien angrenzenden Regionen Nordchiles.
Die Verlierer der Präsidentschaftswahl
Eindeutige Verliererin der Präsidentschaftswahl ist die Kandidatin des Wahlbündnisses Chile Grande y Unido, Evelyn Matthei. Sie schnitt bei der Wahl mit 12,47 Prozent der abgegebenen Stimmen unerwartet schlecht ab. Ihre Wahlallianz besteht aus der mitte-rechts Partei Renovación Nacional, der einzigen Volkspartei in Chile; der liberalen Évopoli; der konservativen Unión Demócrata Independiente und der aus der Christdemokratie hervorgegangenen Partei der Mitte, Demócratas. Mattheis Kandidatur wurde ebenfalls von der Mitte-Partei Amarillos por Chile unterstützt.
Evelyn Matthei hatte das Rennen um die Präsidentschaft bis Mai 2025 deutlich angeführt. In den Umfragen führte sie mit sichtlichem Abstand und galt als klare Favoritin; in Expertenkreisen sah man sie als sichere Siegerin. Während des Wahlkampfes versäumte Matthei jedoch, sich klar und deutlich als Kandidatin der liberal-konservativen politischen Mitte zu positionieren. Zu lange hat sie mit rechts-außen Positionen ihrer Kontrahenten Kast und Kaiser geliebäugelt. Zu oft hat sie versucht, mit radikalen Vorschlägen zum Thema Innere Sicherheit und Bekämpfung der organisierten Kriminalität gleichzuziehen oder diese sogar zu übertreffen. Beispielsweise hat sie sich öffentlich für die Todesstrafe ausgesprochen und den Militärputsch von Pinochet verteidigt. Durch diese Positionierungen verlor Matthei die politische Orientierung und somit viele Stimmen der politischen Mitte. Eine emotionale Bindung zum Wähler konnte sie nie aufbauen; sie wirkte oft kühl und distanziert, ihre Botschaften erschienen teilweise erratisch und konfus, selten verbunden mit Hoffnungsbotschaften und positiven Erwartungen. Ihre Wahlkampagne war zudem geprägt von Widersprüchen und Kontroversen innerhalb des Wahlkampfteams. Zahlreiche Sprecher der Kampagne sprangen ab, wodurch beim Wähler der Eindruck entstand, Matthei sei eine Kandidatin ohne klare Linie und zeige nicht das nötige Durchsetzungsvermögen bei der Bewältigung der aktuellen Probleme Chiles. In den letzten Wochen vor der Wahl kündigten zahlreiche Matthei-Anhänger und Mitglieder ihres eigenen politischen Wahlbündnisses öffentlich an, im ersten Wahlgang für Kast zu stimmen. Hintergrund war der rasche Anstieg der Umfragewerte des rechtspopulistischen Kandidaten Johannes Kaiser. Um das Szenario einer Stichwahl zwischen der kommunistischen Kandidatin Jara und Kaiser zu verhindern, entschieden sich nicht wenige Wähler des Mitte-Rechts-Spektrums, ihre Stimme für Kast abzugeben.
Die Befürchtung erwies sich jedoch als unbegründet. Das Ergebnis des Rechtspopulisten der Partido Nacional Libertario, Johannes Kaiser, lag weit hinter den Erwartungen zurück. Er erhielt 13,94 Prozent der abgegebenen Stimmen und belegte somit den vierten Platz. Sein Image als neuer Shooting-Star der chilenischen Politik scheint vorerst abgeschwächt. Seine politischen Ansichten sind nicht nur rechtsradikal und populistisch, sondern gefährden - im Gegensatz zu Kast - die Institutionen Chiles. Vermutlich hat Kaiser in den letzten Wochen vor der Wahl den Bogen mit seinen radikalen Botschaften überspannt. In den letzten Tagen des Wahlkampfes drohte er beispielsweise mit dem Austritt Chiles aus den Vereinten Nationen, dem Pariser Klimaabkommen von 2015 und dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte. Ferner kündigte er an, die Grenzen zu Bolivien zu schließen und die friedlichen Beziehungen zum Nachbarland zu beenden: „no le vamos a dar paz a La Paz“ (wir werden La Paz, der Hauptstadt Boliviens, keinen Frieden gewähren). Bei seiner Abschlussrede im Wahlkampf ertönte die dritte Strophe der Nationalhymne. Diese Strophe galt während der Militärdiktatur als Symbol der Pinochet-Anhänger und wird heute nicht mehr öffentlich gespielt. Kaisers populistische Aussagen haben zwar viele Chilenen überzeugt, insbesondere Wähler aus der unteren Mittelschicht, doch die Mehrheit hat sich bei der Stimmabgabe von ihm distanziert. Trotz der Wahlniederlage hat sich der 49-Jährige als rechtspopulistischer Politiker etabliert. In diesem Zusammenhang ist besorgniserregend, dass die Partido Republicano von Kast und die Partido Nacional Libertario von Kaiser auf Ebene der Parlamentswahlen ein Wahlbündnis gebildet haben, sodass die Parlamentskandidaten - Abgeordnete und Senatoren - beider Parteien unter derselben Liste aufgestellt wurden.
Neue Machtverhältnisse im Parlament
Parallel zur Präsidentschaftwahl wurde am 16. November auch das Parlament neu gewählt. In der Abgeordnetenkammer wurden alle 155 Sitze neu vergeben, im Senat fast die Hälfte der Mandate, 23 von insgesamt 50 Sitzen, verteilt auf sieben Regionen des Landes. Eingeschrieben waren 1.096 Kandidaten für ein Mandat in der Abgeordnetenkammer, während 125 Kandidaten für den Senat antraten. Die Parlamentswahl war geprägt von einer stark fragmentierten Parteienlandschaft: Neben den fünf registrierten Wahlbündnissen traten weitere sechs Parteien ohne Bündnis an, ergänzt durch zahlreiche unabhängige Kandidaturen.
Bei der chilenischen Wahlbehörde Servel wurden folgende fünf Wahlbündnisse eingetragen:
- Cambio por Chile – rechts-außen Parteien: Partido Republicano (PR), Partido Social Cristiano (PSC) und Partido Nacional Libertario (PNL)
- Chile Grande y Unido – gemäßigtes mitte-rechts-Bündnis: Renovación Nacional (RN), Unión Demócrata Independiente (UDI), Evópoli und Demócratas
- Unidad por Chile – größtenteils regierungsnahe Linksbündnis: Frente Amplio (FA), Partido Comunista (PC), Partido Socialista (PS), Partido por la Democracia (PPD), Partido Radical (PR), Partido Liberal (PL); Demokratische Christliche Partei (DC)
- Verdes, Regionalistas y Humanistas – Federación Regionalista Verde Social (FRVS) und Acción Humanista (AH)
- Izquierda Ecologista Popular Animalista y Humanista – Partido Humanista (PH) und Partido Igualdad (PI)
Weitere kleinere Parteien traten bei der Parlamentswahl unabhängig von den großen Bündnissen mit eigenen Listen an, darunter auch Amarillos por Chile und die Partei Partido de la Gente (PDG) des Präsidentschaftskandidaten Franco Parisi.
Die Parlamentswahl in Chile führte zu einer Neuordnung der Kräfte in der Abgeordnetenkammer. Das rechts-außen Bündnis Cambio por Chile, bestehend aus den Parteien Partido Republicano, Partido Nacional Libertario und Partido Social Cristiano, errang 42 Mandate, während das gemäßigte mitte-rechts Bündnis Chile Grande y Unido, bestehend aus Renovación Nacional (RN), Unión Demócrata Independiente (UDI), Evópoli und Demócratas, nur 34 Sitze gewann. Insgesamt kamen die rechten Bündnisse somit auf 76 der 155 Sitze und lagen damit deutlich hinter den Erwartungen einer klaren Mehrheit zurück. Das linke Bündnis Unidad por Chile erzielte 61 Sitze. Überraschend stark schnitt die Partei des Präsidentschaftskandidaten Franco Parisi, die Partei Partido de la Gente (PDG), ab: Mit 14 Mandaten erreichte sie erstmals eine nennenswerte Präsenz im Parlament und könnte bei den knappen Mehrheitsverhältnissen eine entscheidende Rolle spielen. Ob sich die Abgeordneten des PDG künftig der Opposition anschließen oder eine unabhängige Position vertreten, wird ausschlaggebend für politische Entscheidungen in der Abgeordnetenkammer sein.Im Senat begegnen sich nach der Wahl die Kräfte in etwa auf Augenhöhe: Die rechten und mitte-rechts Parteien erzielten 11 Mandate: Cambio por Chile gewann 6 Sitze, Chile Grande y Unido 5 Sitze. Das regierungsnahe Bündnis Unidad por Chile zusammen mit dem Bündnis Verdes, Regionalistas y Humanistas sicherte sich 12 Mandate. Hinzu kommen zwei unabhängige Senatoren. Somit ergibt sich ein nahezu ausgeglichenes Kräfteverhältnis zwischen den politischen Lagern.
Die Zusammensetzung des neuen Parlaments deutet auf eine komplexe Legislaturperiode hin, in der parteiübergreifende Verhandlungen an Bedeutung gewinnen werden. Eine zentrale Herausforderung ist, nicht nur eine einfache Mehrheit in der Abgeordnetenkammer und im Senat zu erreichen, sondern darüber hinaus auch eine stabile legislative Mehrheit für die Umsetzung der politischen Ziele zu sichern. Dabei zeigen sich sowohl zwischen den politischen Lagern als auch innerhalb der rechten Wahlbündnisse erhebliche Differenzen – insbesondere zwischen den traditionell-konservativen und rechtspopulistischen Kräften, deren Positionen teilweise deutlich auseinandergehen. Die Fähigkeit der künftigen Regierung, ihre Agenda durchzusetzen, wird davon abhängen, ob diese unterschiedlichen Gruppen ihre Positionen abstimmen und tragbare Kompromisse eingehen können.
Die Ergebnisse der Parlamentswahl bedeuten zugleich einen klaren Rückschlag für die politische Mitte. Kleinere Parteien wie Amarillos por Chile und die liberale Evópoli, die den für den Erhalt von Mandaten erforderlichen Schwellenwert von fünf Prozent nicht erreicht haben, müssen sich laut Gesetz auflösen und werden künftig nicht mehr im Parlament vertreten sein. Ob die verbleibenden Parteien der politischen Mitte in entscheidenden Fragen künftig mit der Regierung kooperieren oder sich als Opposition positionieren werden, bleibt abzuwarten.
Ausblick
Das Ergebnis der Präsidentschafts- und Parlamentswahl zeigt eindeutig, dass Chile stark polarisiert ist. Nicht nur auf der politischen, sondern auch auf der regionalen Ebene lassen sich völlig unterschiedliche Wahlmuster erkennen. In Nordchile stimmten die Wähler mit überwältigender Mehrheit überraschend für Franco Parisi. In den dicht besiedelten Zentralregionen des Landes ging Jeannette Jara als Siegerin hervor, während José Antonio Kast fast alle Regionen des Südens eindeutig für sich gewinnen konnte. Chile wird voraussichtlich ab März 2026 von José Antonio Kast regiert werden. Die Summe der Stimmen von Kast, Kaiser und Matthei bei der Präsidentschaftswahl ergibt mehr als 50 Prozent der abgegeben Stimmzettel. Franco Parisi ist politisch nicht einzuordnen. Viele seiner politischen Ansichten tendieren aber zu Positionen, die rechts von der Mitte verortbar sind.
Die vielleicht erschreckendste Erkenntnis dieser Wahl ist die Schwäche der politischen Mitte. Der politische Kolumnist Tomás Mosciatti bezeichnet diese Situation als „Vakuum der politischen Mitte“. Den kleinen Mitte-Parteien Amarillos por Chile und Demócratas droht das politische Aus. Die mitte-rechts Partei Renovación Nacional, die einzige Volkspartei Chiles, erlitt auf Parlamentsebene einen erheblichen Dämpfer und verlor zahlreiche Senats- und Abgeordnetensitze. Die neue Zusammensetzung des Parlaments wird das Regieren in Chile komplexer gestalten als bisher. Zünglein an der Waage und mehrheitsbestimmend wird im Abgeordnetenhaus die unberechenbare Partido de la Gente sein. Im Senat haben sich die Mehrheitsverhältnisse nur leicht verschoben. Die rechts-außen Parteien des Wahlbündnisses Cambio por Chile gehen gestärkt aus den Wahlen hervor und verdrängen die gemäßigten Kräfte der mitte-rechts Wahlallianz Chile Grande y Unido. Dies wird zu einer heftigeren Konfrontation und zu einer Polarisierung im Parlament führen.
Es ist noch zu früh, um die Zukunft der gemäßigten Kräfte des mitte-rechts Spektrums zu analysieren. Die Volkspartei Renovación Nacional wird im März einen neuen Parteivorstand wählen. Das neue Präsidium der Partei wird eine Entscheidung treffen müssen, ob sie mit einer neuen, möglicherweise von José Antonio Kast geführten Regierung, aktiv zusammenarbeiten wird oder in die Opposition geht. Die Stimmung innerhalb der Partei ist gespalten und diese Entscheidung kann eine Zerreißprobe für die Partei bedeuten. Eins steht jedoch fest: Die politische Karriere von Evelyn Matthei neigt sich dem Ende zu. Eine Erneuerung und Verjüngung der Parteien der politischen Mitte und des mitte-rechts Spektrums ist dringend erforderlich. Bei Renovación Nacional stehen junge, erfolgreiche Bürgermeister aus vielen Regionen des Landes in den Startlöchern. Ihnen wurde während des Wahlkampfes kaum die Möglichkeit gegeben, sich aktiv am Wahlkampf oder an der Formulierung des Parteiprogramms zu beteiligen. Vielleicht stellt die Wahlniederlage eine Gelegenheit dar, diesen engagierten, jungen Politikern eine Chance zu geben, sich politisch auf nationaler Ebene zu behaupten.
Topik
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Auslandsbüro ChileTentang seri ini
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