Schwierige Ausgangslage angesichts geopolitischer Veränderungen
Ein erklärtes Ziel Chinas für die zukünftige Ausrichtung des BRICS-Kooperationsmechanismus ist es, ein Gleichgewicht zwischen „Flexibilität, Effektivität und einer Verstetigung des Prozesses“ zu erreichen.1 Auf diplomatischer Ebene hat Peking hierfür alle Hebel in Bewegung gesetzt. Trotz entsprechender Offerten und eines klaren rhetorischen Fokus, die BRICS-Erweiterung als Teil einer „nicht- oder postwestlichen multipolaren Weltordnung“ zu deklarieren, fällt es schwer, diese Absichten auch politisch zu untermauern.
In Peking werden die Differenzen unter den Mitgliedstaaten zunehmend deutlich wahrgenommen. Dies betrifft insbesondere Russland, das sich durch seine aggressive Außenpolitik international isoliert hat. Neben BRICS bleiben Russland nur wenige multilaterale Formate – etwa die Shanghai Cooperation Organization (SCO) – zur wirksamen Artikulation seiner Interessen. Entsprechend divergieren Russlands Prioritäten innerhalb von BRICS-Initiativen wie der in Shanghai ansässigen New Development Bank stark von denen anderer Mitglieder.
Auch Indien gilt in Peking als „schwieriger, aber nicht zu ignorierender“ Partner. Beim Treffen der SCO-Verteidigungsminister Ende Juni in Qingdao scheiterte eine gemeinsame Erklärung am Widerstand des indischen Verteidigungsministers.2 In Peking wächst der Eindruck, dass Neu-Delhi chinesische Initiativen für regionale und internationale Kooperationsformate untergräbt. Auch dass Narendra Modi anlässlich eines Abendessens im Rahmen des Gipfels in Rio als Ehrengast empfangen wird, dürfte die Stimmung bei Xi Jinping nicht zugunsten einer Teilnahme verändert haben.3
Während in den frühen BRICS-Jahren vor allem die Internationalisierung des Yuan (RMB) und chinesische Finanzofferten im Vordergrund standen, hat Peking in den letzten Jahren verstärkt versucht, über BRICS komplementäre Angebote („Global Public Goods“) für Länder des Globalen Südens bereitzustellen – und sich dabei als neutraler Dienstleister zu positionieren. Chinas Vormachtstellung innerhalb der BRICS – gespeist durch Handelsbilanzüberschüsse mit fast allen Mitgliedern (außer Brasilien) sowie technologischem Know-how in Infrastruktur- und Entwicklungsprojekten – hat das Ansehen Pekings in vielen Ländern gestärkt und zur Verbesserung der digitalen und logistischen Infrastruktur beigetragen.4
Schwerpunkte Chinas mit Blick auf gemeinsame BRICS-Positionen
Im Vorfeld des Gipfels in Rio hat sich Peking deswegen vor allem um fünf Themenschwer-punkte im Sinne einer Agenda für die Länder des Globalen Südens bemüht:
- Klimafinanzierung und grüne Transformation: China unterstützt die brasilianische Klimaagenda und den COP30-Gipfel im Laufe dieses Jahres und betonte im Vorfeld des BRICS-Summits die Bereitschaft, Entwicklungsländer weiter finanziell auf ihrem Pfad der Dekarbonisierung zu unterstützen.
- Globale Finanzreformen: Das Ansinnen, die Reform der Bretton Woods-Institutionen IWF und Weltbank zu unterstützen wird insbesondere mit einer stärkeren Mitsprache der Entwicklungsländer begründet. China unterstützt außerdem den Ausbau des Handels mit nationalen Währungen, nicht zuletzt, um die Abhängigkeit vom US-Dollar zu verringern.
- Multilateralismus und UN-Reform: China wird seine Position immer wieder bekräftigen, dass man auf eine stärkere Rolle der Vereinten Nationen poche und „Unilateralismus ablehne“. Im gleichen Atemzug werden auch die BRICS-Staaten von China animiert, ein ausgewogeneres und inklusiveres globales Governance-System zu fördern.
- Digitale Wirtschaft und Cybersicherheit: China ist daran interessiert, globale digitale Regeln maßgeblich zu gestalten und die digitale Kluft zu überbrücken, insbesondere durch BRICS-geführte Initiativen.
- Stabilisierung der Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten: In diplomatischer Hinsicht wird Ministerpräsident Li Qiang eine pragmatischere Zusammenarbeit in geopolitischen Konflikten sowie eine zurückhaltende, aber entschlossene multilaterale Haltung betonen.5
Zwischen bilateralen und globalen Interessen
Peking ging es in den vergangenen Jahren vor allem darum, innerhalb der BRICS-Runde für politische Verlässlichkeit zu sorgen, nicht zuletzt, um wirksam gegen den globalpolitischen Einfluss der USA agieren zu können. Aus diesem Kalkül heraus setzte man darauf, über einer Erweiterung der BRICS auch die große Rhetorik einer gleichberechtigten „multipolaren Ordnung“ zu verstetigen und die einzelnen Konflikte in den Hintergrund rücken zu lassen. Daher war es aus Perspektive Pekings besonders erstrebenswert, über die BRICS-Erweiterung die Arithmetik der globalen Strukturen weiter in den Sog der eigenen Koordinaten ziehen zu können.6 Aber auch bilateral bleibt das Bild sehr komplex, nicht zuletzt aufgrund der fehlenden Reziprozität in vielen bilateralen Handelsbeziehungen Pekings. Sowohl Südafrika als auch Brasilien haben jüngst Antisubventions- und Antidumpingmaßnahmen ergriffen, um chinesische Produkte wie Stahl, Elektrofahrzeuge, Solarmodule und Glasfaserkabel über Zölle zu kontrollieren.7 Diese „überschüssigen“ Waren wirken sich andersrum auch negativ auf die inländische Verbrauchernachfrage in China aus.
Angesichts der aktuellen Kriegsschauplätze und geopolitischen Spannungen im BRICS-Umfeld bleibt die Lage komplex: Russlands Versuch, BRICS-Plus geostrategisch zu instrumentalisieren, die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Indien und Chinas Verbündetem Pakistan, sowie die Eskalation im Nahen Osten und die Schwächung des iranischen Regimes stellen erhebliche Herausforderungen dar. Die militärische Intervention der USA an der Seite Israels gegen den Iran hat zudem deutlich gemacht, wie unterschiedlich die sicherheitspolitischen Interessen innerhalb der BRICS sind – insbesondere mit Blick auf neue Mitglieder wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, die enge Beziehungen zu den USA pflegen.
Insgesamt wird es für BRICS zunehmend schwieriger, weitreichende Entscheidungen zu treffen. Mehr noch: Es zeigt sich, dass Peking kaum in der Lage ist, die unterschiedlichen Weltanschauungen seiner wichtigsten Partner innerhalb des Bündnisses zu harmonisieren.
1 SIIS Report (2025): Decoding Greater BRICS Cooperation, A Non-Western Path to a Shared Development Community, Volume 43, March 2025
2 Roy Rajesh (2025): India rejects signing Shanghai Cooperation Organization statement seen as pro-Pakistan, 26.06.2025, auf: https://apnews.com/article/china-india-meeting-statement-refusal-67bfc09a329e93b9c721029c36e31176 (letzter Zugriff: 03.07.2025)
3 SCMP (2025): In a first, Xi will miss Brics summit in Rio as Li Qiang leads China delegation: sources, 25.06.2025 auf: https://www.scmp.com/news/china/diplomacy/article/3315708/first-xi-will-miss-brics-summit-rio-li-qiang-leads-china-delegation-sources
4 Bericht der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua, laut dem der globale Süden (zu dem man sich selbst rechnet) mehr als 40% der weltweiten Wirtschaftsleistung erwirtschaften und 80% zum globalen Wirtschaftswachstum beitragen würde. Auch vor diesem Hintergrund werden Chinas Infrastrukturinitiativen, u.a. im Rahmen der BRI-Initiative, als Schwerpunkt chinesischer Kooperationsprojete mit den Ländern des Globalen Südens, hervorgehoben, siehe Xinhua Net, 18.03.2025: gong ying gong rong – xiangmu hezuo daidong quanjiu nanfang fazhan (Win-Win für gemeinsamen Wohlstand - Projektzusammenarbeit treibt Entwicklung im globalen Süden voran), auf:http://www.news.cn/20250318/a5fee40c0bd0414aa4236c9b4ad6a3c2/c.html 共赢共荣!项目合作带动全球南方发展-新华网 (letzter Zugriff: 03.07.2025)
5Wang Yi, Außenminister und Direktor der Kommission für Auswärtige Angelegenheiten der Kommunistischen Partei Chinas, beim Treffen der BRICS-Außenminister in Rio Ende April, siehe Ministry of Foreign Affairs, 1. Mai 2025: Wang Yi on BRICS Cooperation on Counter-Terrorism and Cybersecurity, auf: https://www.fmprc.gov.cn/mfa_eng/wjbzhd/202505/t20250504_11615432.html (letzter Zugriff: 03.07.2025)
6China Daily (2025): Jin Guanping: zhongguo shi quanqiu hulian hutong zhongyao qudong liliang (Jin Guanping: China ist eine wichtige treibende Kraft für globale Konnektivität), 15.01.2025, auf: https://china.chinadaily.com.cn/a/202501/15/WS67871766a310b59111dadcac.html (letzter Zugriff: 03.07.2025)
7siehe Canalsolar (2025): New tariff for importing solar panels comes into force in Brazil, auf: https://canalsolar.com.br/en/new-tariff-for-imports-of-solar-panels-comes-into-force-in-Brazil/ (letzter Zugriff: 03.07.2025)
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