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Interviews

„Wir brauchen eine Kette der Verantwortung“

de Caroline Schmidt, Dr. Annette Ranko

Lena Düpont (MdEP) im Gespräch zur GEAS-Reform und der Relevanz von Abkommen mit Drittstaaten

Lena Düpont, innen- und migrationspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Gruppe, verweist auf die Dringlichkeit eines Erfolgs der GEAS-Reform. Dabei betrachtet sie die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitstaaten als Teil einer „Kette der Verantwortung“.

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1. Große Reformen stehen beim Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) an. Dabei sind funktionierende Migrationsabkommen mit Nicht-EU Staaten ein wichtiges Element. Sie sind Abgeordnete im Europäischen Parlament. Wie erleben Sie derzeit die Debatten um die Reformpläne und welche Hoffnungen gibt es mit Blick auf die angestrebten Abkommen? Wo verlaufen die Diskussionslinien, welche Lager gibt es?

Bei den laufenden Verhandlungen zum GEAS müssen wir eine schwierige politische Balance wahren. Einerseits wird das Paket – once concluded – einen signifikanten Unterschied für die Mitgliedstaaten machen. Dafür brauchen wir nicht weniger als eine „Kette der Verantwortung“, angefangen bei der Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitstaaten über die Sicherung der Außengrenze und effiziente Verfahren zur Bestimmung der Schutzberechtigung bis hin zur konsequenten Rückführung nicht Schutzberechtigter sowie einer menschenwürdigen Unterbringung und Versorgung Schutzberechtigter in der EU. Gleichzeitig muss im Sinne des Erwartungsmanagements klar sein, dass das Paket nur in seiner Gesamtheit eine Wirkung entfalten kann und alle Mitgliedstaaten dementsprechend ihren Teil werden leisten müssen. Das betrifft unter anderem das gemeinsame und koordinierte Vorgehen bei der Zusammenarbeit mit Drittstaaten. Der Team-Europe-Ansatz[1] ist ein wesentliches Merkmal einer konstruktiven, realistischen und zielführenden Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitstaaten.

Diesen Ausgleich zu finden, ist Auftrag und Verpflichtung zugleich, nicht weniger sollte unser Anspruch in den Verhandlungen sein. Denn schlussendlich gilt es, nicht nur einen über zehn Jahre schwelenden Konflikt zu lösen, sondern auch, Mitgliedstaaten und Europäische Union besser zu wappnen für die Herausforderungen der Zeit.

2. Zuletzt stand die Absichtserklärung, die das „Team Europe“ mit Tunesien im Juli unterzeichnet hat, im medialen Fokus und wurde oftmals als Durchbruch und Blaupause für weitere Abkommen der EU mit Drittstaaten gewertet. Wie bewerten Sie die Absichtserklärung?

Der Vorteil des Team-Europe-Ansatzes ist das konsequente Zusammendenken unterschiedlicher Instrumente und Themen, er bricht in gewisser Weise mit dem silohaften Denken der Kommission in den letzten Jahren und erkennt an, dass das nicht nur nicht mehr zeitgemäß ist, sondern uns auch an der Bewältigung von Zukunftsaufgaben gehindert hat. Wir bringen damit die Interessen der Europäischen Union an einer stabilen und prosperierenden Nachbarschaft mit den Interessen der Drittstaaten an eben dieser zusammen. In der Debatte wird das MoU (Memorandum of Understanding, Anm.) ja stark fokussiert auf den Kampf gegen Schleuserkriminalität und Grenzsicherung wahrgenommen – ohne Frage ein wesentlicher und wichtiger Teil der Erklärung. Zu sehr außer Acht gelassen wird aber dabei, dass es ebenso um den Aufbau von Unterbringungs- und Versorgungskapazitäten und unterschiedliche Instrumente der Zusammenarbeit bei legaler Migration geht, die den Interessen der Menschen vor Ort und Tunesiens Rechnung trägt. Gleichzeitig bauen wir die Kooperation mit internationalen Hilfsorganisationen, allen voran IOM (Internationale Organisation für Migration, Anm.) und UNHCR (Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen, Anm.) sowie mit lokalen Hilfsorganisationen aus, um Schutz und Unterstützung für vulnerable Gruppen zu leisten. Mit denselben Partnern arbeiten wir auch zusammen, um Ad-hoc-Hilfe zu gewährleisten, wie die Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln, medizinischer Hilfe und Sachmitteln.

3. Was sind Ihrer Meinung nach die Voraussetzungen dafür, dass Abkommen zu einer besseren Steuerung von Migration führen, und welche Mechanismen und Instrumente gibt es, um den effektiven Schutz von Menschenrechten in die Abkommen einzubeziehen?

Die angestrebten Abkommen werden auf dem Prinzip des MoU basieren, aber natürlich auch den Interessen des jeweiligen Drittstaats Rechnung tragen. Ein wesentlicher Schlüssel zu einer erfolgreichen Umsetzung liegt eben darin: Akzeptanz und Anerkennung unterschiedlicher Interessen, die für ein gemeinsames Vorgehen genutzt werden können. Nur so kann eine Partnerschaft auf Augenhöhe funktionieren und beide Seiten zur Einhaltung anhalten. Das gilt natürlich auch und erst recht für den Bereich der Menschenrechte. Ich sehe sehr wohl, dass wir uns unsere Verhandlungspartner nicht immer aussuchen können und mit Nachdruck auf die Einhaltung der Menschenrechte drängen müssen. Aber nicht zu kooperieren und damit die Augen vor der Lage und der geografischen Position der EU zu verschließen, führt erst recht zu keinen Verbesserungen. Hinzu kommt, dass das rechtlich vorrangige Assoziierungsabkommen mit Tunesien dezidierte Menschenrechtsklauseln enthält und sich der Assoziationsgipfel Ende des Jahres explizit mit der Lage der Menschenrechte befassen wird.

4. Welche Interessen sehen Sie aufseiten Tunesiens und bei weiteren möglichen Partnern für die Vereinbarung von Abkommen im Bereich der Migrationskooperation und inwiefern müsste die EU diese Interessen (stärker) aufgreifen, um zum Erfolg zu kommen?

Tunesien hat seine eigenen Interessen in dem Abkommen von Anfang an mit einfließen lassen und seine Verhandlungshebel genutzt, nicht nur in der Frage des Kapazitätenaufbaus, sondern auch mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Finanzielle Unterstützung seitens der EU ist das eine, aber der Blick auf die Schaffung von Perspektiven gerade junger Tunesierinnen und Tunesier im eigenen Land kann nicht unterschätzt werden. Derzeit verlässt jeder fünfte Tunesier sein Land und sucht Perspektiven vor allem in der Europäischen Union. Gleichzeitig ist beispielsweise einem der Wünsche der Europäerinnen und Europäer, auch nicht tunesische Staatsangehörige rückführen zu können, nicht entsprochen worden. Der Schlüssel für erfolgreiche Abkommen bleibt also: Akzeptanz und Anerkennung unterschiedlicher Interessen, die für ein gemeinsames Vorgehen genutzt werden.

5. Die Schweiz hat eine Vorreiterfunktion für bilaterale Migrationspartnerschaften. Können bilaterale Migrationsabkommen mit Herkunfts- und Transitstaaten, wie zwischen Spanien und Marokko, neben EU-Abkommen einen Mehrwert liefern, wenn es darum geht, Lösungen im gegenseitigen Interesse zu finden?

Bilaterale Abkommen können durchaus hilfreich sein, da sie spezifisch auf die Interessen und Probleme zweier Länder angepasst werden können. Gleichzeitig müssen wir innerhalb der EU darauf achten, dass sie dann auch den Interessen der Europäischen Union als Ganze dienen, oder ihnen zumindest nicht zuwiderlaufen. Sonst kann sich der Team-Europe-Ansatz nicht vollständig entfalten und unser aller Ziele beim Asyl- und Migrationspakt werden unterlaufen.

 

[1] Der Team-Europe-Ansatz wurde im April 2020 von der Europäischen Union ins Leben gerufen. Ursprüngliches Ziel war, die Partnerländer der EU bei der Bewältigung der Corona-Krise zu unterstützen. Im Verlauf der Pandemie hat sich Team Europe zu einem übergreifenden Ansatz der gemeinsamen europäischen Außen- und Entwicklungspolitik weiterentwickelt. Der Ansatz bündelt erstmals die entwicklungspolitischen Beiträge der Europäischen Kommission, der EU-Mitgliedstaaten und der EU-Finanzinstitutionen und Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Somit trägt er dazu bei, die Führungsrolle, Verantwortung und Solidarität der EU auf der globalen Bühne herauszustellen und gemeinsame Werte und Interessen stärker ins Blickfeld zu rücken.

Quelle: Bundesministerum für Zusammenarbeit und Entwicklung (o.J.), Team Europe. https://www.bmz.de/de/service/lexikon/technische-zusammenarbeit-tz-118298 (zuletzt aufgerufen: 21.9.2023).

 

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