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Parlamentswahl in Rumänien mit Überraschungen

de Dr. Martin Sieg, Andrei Avram

PSD vor PNL, wahrscheinliche Koalitionsbildung um PNL und USR PLUS

Bei der Parlamentswahl in Rumänien am 6. Dezember erhielt die Sozialdemokratische Partei (PSD) entgegen den Prognosen in fast allen Umfragen ca. 30 Prozent der Stimmen, während die regierende Nationalliberale Partei (PNL) lediglich auf ca. 26 Prozent kommen konnte. Demoskopen hatten zuvor mit einem Kopf an Kopf-Rennen zwischen beiden Parteien oder einem Wahlsieg der PNL gerechnet. Mit etwa 16 Prozent belegt die bürgerlich-liberale Partei USR-PLUS den dritten Platz. Nicht ganz überra-schend, aber von den meisten Umfragen nicht vorhergesehen, schafft erstmals die 2019 gegründete Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR), die mit einem nationalistisch-konservativen Diskurs das rechte Spektrum besetzt, den Sprung ins Parlament mit einem starken Ergebnis von neun Prozent. Die Fünf-Prozent-Hürde konnte noch mit knapp sechs Prozent der Demokratische Verband der Ungarn (UDMR) überwinden. Voraussichtlich kommt es jetzt zu Koalitionsverhandlungen zwischen PNL und USR PLUS, unter Einbeziehung der Partei Volksbewegung (PMP) des früheren Präsidenten Traian Basescu - deren Einzug ins Parlament bei knapp fünf Prozent wahrscheinlich, aber noch nicht ganz sicher ist – sowie gegebenenfalls der UDMR.

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Das Wahlergebnis dürfte vor allem darauf zurückzuführen sein, dass mit 33 Prozent die Beteiligung so niedrig wie noch nie zuvor in der postkommunistischen Geschichte des Landes ausgefallen ist. Zwar hat die PSD im Vergleich zur Parlamentswahl 2016 (als die Sozialdemokraten 45 Prozent der Stimmen bekamen) deutlich an Vertrauen eingebüßt, jedoch konnten PNL und USR-PLUS offenbar ihre eigene Wählerschaft nur sehr begrenzt mobilisieren, sodass im Vergleich zu 2016 die PNL nur um ca. sechs Prozent zulegen konnte, USR-PLUS um sieben Prozent.

Die Covid-Krise hat vermutlich zur niedrigen Wahlbeteiligung mit beigetragen. Zunehmende Infektionszahlen seit dem Spätsommer dürften vor allem für die PNL in der Regierungsverantwortung auch ein politisches Dilemma geschaffen haben; denn es scheint in der Gesellschaft wie in der eigenen Wählerschaft eine Polarisierung gegeben zu haben, zwischen einem Teil, der aus Sorge um die Gesundheit schärfere Restriktionen wollte, und einem anderen Teil, der aufgrund sozialer und wirtschaftlicher Sorgen dagegen eingestellt war. Dass in dieser Situation jede Entscheidung Wähler verunsicherte, hat vermutlich mit zu einem Abwärtstrend bei der PNL geführt, die bei den Kommunalwahlen im September noch stärkste Partei geworden war. Das bedeutet nicht, dass das relativ schlechte Abschneiden der PNL ein Votum gegen die Partei war. Es gelang aber nicht, die Wähler für sie zu mobilisieren. Dazu trug vermutlich auch bei, dass die Umstände und Umfragen suggerierten, dass die Wahl eigentlich schon entscheiden war, die PNL ohnehin an der Regierung bleiben würde – was in der Tat auch trotz des jetzigen Ergebnisses der Fall sein dürfte.

Dabei werden Wahlen in Rumänien in der Regel über die Mobilisierung eigener Wähler gewonnen. Da die PSD mit ihrer sozialklientelistischen Ausrichtung über die relativ stärkste Kernwählerschaft verfügt, bedeutet eine niedrige Wahlbeteiligung stets einen strukturellen Vorteil für sie. PNL wie USR PLUS hatten sich in der Vergangenheit vor allem als Gegenspieler zur PSD profiliert – nicht so sehr mit eigenen klar umrissenen Angeboten. Diese Strategie war bei der Europa- und Präsidentschaftswahl 2019 ebenso wie teilweise bei der Kommunalwahl Ende September dieses Jahres erfolgreich. Der Antagonismus zur PSD hatte sich aber mittlerweile, auch infolge von deren Wechsel in die Opposition, abgenutzt.

Bereits im Vorfeld der Wahl war eine sehr aktive Werbung von AUR erkennbar, die bereits in den letzten Wochen einen Einzug ins Parlament zunehmend wahrscheinlich erschienen ließ, auch wenn die den Entwicklungen immer etwas hinterherhinkenden Umfragen das meist nicht mehr erfassten. AUR profilierte sich vor allem mit nationalkonservativen bis nationalistischen Positionen und fordert dabei insbesondere auch eine Vereinigung mit der Republik Moldau. Im Wahlkampf scheint die Partei auch mit traditionellen Familienwerten gepunktet zu haben. Dabei mag sie davon profitiert haben, dass die PSD unter Ciolacu nationalkonservative Positionen weniger abdeckt als in der Vergangenheit. Möglicherweise hat sie auch durch ihre Ablehnung staatlicher Restriktionen in der Covid-Krise in Teilen der Wählerschaft Resonanz gefunden. Dass es in Rumänien grundsätzlich auch ein nationalistisches und euroskeptisches Wählerspektrum gibt, ist nicht neu. In der Vergangenheit hatten aber die etablierten Parteien meist vermocht, dieses Spektrum zumindest teilweise zu integrieren und den Einzug nationalistischer Kräfte ins Parlament, in Bezirksräte und ins Europäische Parlament zu verhindern. Vor diesem Hintergrund wird auch abzuwarten sein, ob AUR im Parlament vor allem bei der PSD als größter Oppositionskraft wieder eine stärkere Hinwendung zu nationalkonservativen Tönen bewirken wird.

Derzeit sieht es danach aus, dass die Partei Volksbewegung (PMP) des ehemaligen Präsidenten Traian Basescu den Einzug ins Parlament knapp geschafft hat und damit als potentieller dritter Koalitionspartner von PNL und USR PLUS in Frage kommt. Hingegen ist die Partei Pro Romania des ehemaligen sozialdemokratischen Premierministers Victor Ponta knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Die Zukunft der Partei ist damit ungewiss. Dabei stärkt das Scheitern von Pro Romania die PSD zwar strukturell, weil damit ein Konkurrent geschwächt wird oder verschwindet, der das linke Wählerspektrum zu spalten drohte. Zugleich fehlen ihr damit aber auch potentielle Koalitionspartner, sodass ihr trotz relativ guten Abschneidens die Opposition bevorstehen dürfte.

Die Vorsitzenden von PNL wie USR-PLUS haben bereits am Wahlabend einem potentiellen Bündnis mit den Sozialdemokraten eine klare Absage erteilt. Zwar hat der PSD-Vorsitzende Marcel Ciolacu erklärt, er würde bei den anstehenden Konsultationen mit Präsident Klaus Iohannis einen eigenen Kandidaten für den Posten des Premierministers vorschlagen. Iohannis hatte aber bereits vor der Wahl angedeutet, nicht die PSD, sondern erneut die PNL mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Am Wahlabend sprach der Premierminister und PNL-Vorsitzende Ludovic Orban über die Bildung einer parlamentarischen Mehrheit der „demokratischen, euro-atlantischen Kräfte“, während der Co-Vorsitzende der USR-PLUS Dacian Ciolos die Notwendigkeit einer reformorientierten Koalition anmahnte. Für eine stabile Mehrheit werden allerdings auch die Stimmen der PMP und gegebenenfalls der UDMR erforderlich sein, deren Vorsitzender Kelemen Hunor ebenfalls am Wahlabend sagte, dass eine Mitte-Rechts-Koalition wünschenswert sei. AUR hat selbst eine Mitwirkung an etwaigen Regierungskoalitionen bereits ausgeschlossen, deren Beteiligung ist aber auch für die anderen Parteien, insbesondere auch die UDMR praktisch ausgeschlossen. Der UDMR hatte der Vorsitzende von AUR auch bereits die Existenzberechtigung als Minderheitenpartei abgesprochen.

Premierminister Orban übernahm am Montagabend die Verantwortung für das schlechte Abschneiden seiner Partei und erklärter seinen Rücktritt als Regierungschef. Parteivorsitzender wird er, jedenfalls zunächst, bleiben; Ersatz wird nicht leicht zu finden sein, da es Orban war, der die PNL nach der schweren Wahlniederlage 2016 neu aufgestellt hatte und innerhalb der Partei wie in der rumänischen Politik insgesamt eine Autorität gewonnen hatte, die nicht einfach mit politischen Ämtern einhergeht und die sich ein Nachfolger erst erarbeiten müsste, um eine klare politische Führung zu gewährleisten. Auch nach dem Wahlausgang war Orbans Führungsrolle weder in der PNL noch bei den potentiellen Koalitionspartnern ernsthaft umstritten. Daher war auch allgemein erwartet worden, dass Orban erneut Regierungschef wird.

Der Präsident hat zunächst Verteidigungsminister Nicolae Ciuca mit der kommissarischen Regierungsführung beauftragt. Ciuca war zunächst als nichtpolitischer Minister in die Regierung eingetreten. Er ist ehemaliger Generalstabschef der Streitkräfte. Bei dieser Wahl wurde er als Senator für die PNL ins Parlament gewählt, ist allerdings in der Partei noch wenig verwurzelt. Dass der Präsident Ciuca und nicht etwa Vizepremierministerin Raluca Turcan oder Finanzminister Florin Citu als die nach Orban führenden Vertreter der PNL ernannte, hat Spekulationen ausgelöst, der Präsident wolle mit Ciuca einen eher technokratischen und ihm nahestehenden Kandidaten als künftigen Premier aufbauen. Allerdings kann es auch so gedeutet werden, dass der Präsident mit einem parteipolitisch weniger profilierten Kandidaten Vorfestlegungen vermeiden wollte.

Vermutlich wird Iohannis Konsultationen mit den Parteien aufnehmen, sobald das amtliche Endergebnis vorliegt und endgültig bestätigt, ob die PMP im Parlament vertreten sein wird. Er wird dann einen neuen Premier nominieren. Die Offenheit der Führungsfrage bringt Ungewissheiten über den weiteren Fortgang der Verhandlungen mit sich. Zwar dürften die Koalitionsverhandlungen – bedingt durch die zusätzliche Teilnahme von PMP und/oder UDMR – schwierig werden. Dabei geht es besonders zwischen PNL und USR PLUS voraussichtlich nicht so sehr um inhaltliche Differenzen, sondern um Ministerien und das Bedürfnis, das eigene Profil zu wahren. Allerdings wird es bei allen Akteuren auch einen Einigungsdruck geben, um Handlungsfähigkeit zu zeigen. Das neue Parlament wird sich voraussichtlich am 21. Dezember konstituieren.

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