Die Wiederwahl von Präsident Iohannis war bereits im Vorfeld des Urnenganges absehbar. Schon bei der ersten Runde am 10.11. war die interessanteste Frage, ob Dancila überhaupt ein Einzug in die Stichwahl gelingt. Iohannis hatte dort 38 Prozent erhalten, gegen 22 Prozent für Dancila. Der Drittplatzierte, Dan Barna von der oppositionellen Union Rettet Rumänien (USR), der zuvor auf 15 Prozent kam, hatte in der Stichwahl Iohannis unterstützt. Das gilt auch für den früheren Premierminister und Vorsitzenden der Fraktion Renew Europe im Europaparlament Dacian Ciolos, dessen Partei Freiheit, Einheit und Solidarität (PLUS) mit der USR einen Wahlblock bildet (USR-PLUS) und gemeinsam Barna als Kandidaten aufgestellt hatte. Für Iohannis sprach sich auch der Kandidat der Partei Volksbewegung (PMP), Theodor Paleologu, aus, der in der ersten Runde 6 Prozent erhalten hatte. Die Parteien PRO Romania des früheren Premierministers Victor Ponta und die Allianz der Liberalen und Demokratien (ALDE), die mit Mircea Diaconu einen gemeinsamen Kandidaten aufgestellt (9 Prozent) und damit primär potentielle PSD-Wähler angesprochen hatten, gaben für die Stichwahl keine Wahlempfehlung ab.
Historisch niedrige Wahlbeteiligung
Historisch hoch war nicht nur die Niederlage der PSD, historisch niedrig war für eine Präsidentenwahl auch die Wahlbeteiligung von etwa 55 Prozent. 2014 hatte die Wahlbeteiligung noch bei 64 Prozent gelegen. Zu der niedrigen Wahlbeteiligung 2019 dürfte beigetragen haben, dass diese Wahl schon im Vorfeld entschieden schien. Von Wahlkampf war vergleichsweise wenig zu spüren. Eine weit höhere Wahlbeteiligung als bei früheren Wahlen war, wie schon in der ersten Runde, nur in der Diaspora zu verzeichnen; denn anders als bei früheren Urnengängen konnten Rumänien im Ausland nun innerhalb von drei Tagen ihre Stimme abgeben. Das wird die Rolle der Diaspora bei rumänischen Wahlen deutlich stärken. Im Vergleich: In der Stichwahl 2014 gaben etwa 380.000 Wähler im Ausland ihre Stimme ab, was etwa 3 Prozent der insgesamt abgegebenen Stimmen entspricht. In diesem Jahr waren es über 940.000 Stimmen, was etwa 9,5 Prozent der Stimmen entspricht. Dabei wählt die Diaspora ganz überwiegend bürgerlich-liberale Parteien. 93 Prozent der Auslandsstimmen gingen in der Stichwahl an Iohannis.
Eine niedrige Wahlbeteiligung bedeutet in Rumänien normalerweise eher einen Vorteil für die PSD, da diese ihre Wähler in der Regel effektiver mobilisieren kann als andere Parteien. Der große Vorsprung von Iohannis spricht bei dieser Wahl allerdings für eine stark asymmetrische Mobilisierung der Wähler gegen die PSD. Insgesamt stimmten bei dieser Wahl etwa 1,7 Millionen Wähler weniger ab als 2014. Aufgrund der wesentlich höheren Beteiligung aus der Diaspora konnte Iohannis die Zahl seiner Stimmen im Vergleich zu 2014 dabei aber sogar leicht von 6,3 auf 6,5 Millionen steigern. Dancila erhielt 3,3 Millionen Stimmen und damit fast 2 Millionen Stimmen weniger als Victor Ponta, der 2014 für die PSD kandidiert hatte. Wie schon bei der Europawahl im Mai spricht viel dafür, dass der nachwirkende Unmut vieler Wähler über die vorangegangenen Regierungen der PSD viele Wähler für Iohannis motiviert hat, während die Sozialdemokraten ihrerseits ein Mobilisierungsproblem hatten.
Führungskrise in der PSD
Geschwächt wurde die Position Dancilas im Wahlkampf durch das Misstrauensvotum gegen die eigene Regierung und ihre Ablösung durch Ludovic Orban. Zugleich überdeckte der Wahlkampf eine latente Führungskrise innerhalb der PSD. Dancila war der Vorsitz nach den Europawahlen zugefallen, weil sie Premierministerin war, ein Amt, das sie vor allem ihrer Loyalität zu ihrem Vorgänger im Parteivorsitz, nicht aber einer starken Hausmacht innerhalb der PSD zu verdanken hatte. Bereits mit ihrer Abwahl als Premierministerin stand die Führungsfrage in der PSD damit im Raum. Diese wurde durch den Präsidentschaftswahlkampf nur vertagt. Dancila konnte nach der Wahl zumindest darauf verweisen, dass sie ungefähr dieselbe Stimmenzahl „wieder“ erlangt habe, die die PSD bei der Parlamentswahl 2016 erhalten hatte. Rücktrittsabsichten wies sie daher von sich, ihr Verbleib im Vorsitz dürfte gleichwohl unwahrscheinlich sein. Andere führende Parteimitglieder sprachen von einem Desaster, distanzierten sich von Dancila und forderten einen Neuanfang. Die Frage eines baldigen Parteitages steht im Raum.
Auftakt für die Wahlkämpfe 2020
Klaus Iohannis hatte seinen Wahlsieg einerseits als Erfolg für ganz Rumänien begrüßt, zugleich aber als größten „Sieg über die PSD, der je errungen würde“. Mit dieser Stoßrichtung hat er praktisch zugleich den Auftakt für die Wahlkämpfe 2020 eingeleitet, wo im Frühsommer zuerst Kommunalwahlen und zum Jahresende eine reguläre Parlamentswahl anstehen. Der Präsident kann sich jetzt auf die Regierung Orban stützen, diese bleibt aber eine Minderheitsregierung, während die PSD mit potentiellen Verbündeten nach wie vor über eine Mehrheit im Parlament verfügt. Mit der Präsidentenwahl sei „eine Schlacht gewonnen, aber noch nicht der Krieg“. Im Blick auf die bevorstehenden Parlamentswahlen erklärte Iohannis seine Absicht, eine neue Mehrheit zu gewinnen und die PSD endgültig in die Opposition zu schicken. Dabei appellierte der Präsident ausdrücklich nicht nur an die Wähler der PNL, sondern auch von USR-PLUS, der PMP und der Demokratischen Union der Ungarn (UDMR) – womit er auch Konturen der angestrebten künftigen Regierungsmehrheit andeutete.
Die Wiederwahl von Iohannis und ihre Folgen, nicht zuletzt die Tatsache, dass die PSD zunächst mit der inneren Führungskrise beschäftigt sein wird und sich neu sortieren muss, werden zunächst auch die Durchsetzungskraft der Regierung Orban stärken. Deren vordringliche Aufgabe besteht jetzt in der Verabschiedung des Haushalts für 2020. Steuersenkungen und Erhöhungen der Sozialausgaben der PSD-geführten Regierungen haben dabei erhebliche Haushaltsdefizite hinterlassen. Spätestens im nächsten Frühjahr dürfte die politische Auseinandersetzung in Rumänien aber wieder an Schärfe zunehmen. Die PSD kann sich weiterhin auf eine starke soziologische Wählerbasis stützen; wenn sie sich unter einer neuen Führung konsolidiert, kann sie aus der Opposition neue Kraft gewinnen. Zugleich werden auch Orban und Iohannis ihrerseits den politischen Diskurs gegen die PSD weiter entschieden führen müssen, denn darin liegt das stärkste Motiv für die Mobilisierung vieler liberaler und bürgerlicher Wähler in den kommenden Jahren. Eine offene Frage liegt in der Entwicklung des Verhältnisses zwischen der PNL und der USR-PLUS als der zweiten großen bisherigen Oppositionskraft. Beide werden als Partner einer künftigen Regierungsmehrheit jenseits der PSD aufeinander angewiesen sein, stehen sich aber auch als unmittelbare Konkurrenten um sich großenteils überschneidende Wählerschichten gegenüber. Dass die PNL die Regierung bildet, während die USR-PLUS in der Opposition verbleibt, wird dabei zusätzliche Reibungsfläche bieten. Die Wiederwahl und die Höhe des Wahlsieges von Iohannis haben ihm ein starkes Mandat verschafft. Zusammen mit der PNL und der Bildung der Regierung Orban hat er seinen politischen Führungsanspruch für die zweite Amtszeit erhoben. Eingelöst werden muss dieser Anspruch durch die kommenden Parlamentswahlen.
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