Nachdem ALDE bei der Europawahl im Mai lediglich 4,1 Prozent erhalten hatte, scheint ihr politisches Überleben gefährdet. Dabei ist ALDE stark auf die Person ihres Vorsitzenden Tăriceanu ausgerichtet. Unter dem früheren Vorsitzenden der PSD, Liviu Dragnea, hatte es Gespräche über einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten gegeben. Innerhalb von ALDE hatte dies Hoffnungen genährt, Tăriceanu könnte dieser Kandidat werden, da er in der zweiten Runde einer Präsidentschaftswahl vermutlich bessere Chancen gehabt hätte, als nahezu alle führenden Politiker der PSD. Ohne Unterstützung der PSD konnte er die zweite Runde der Wahl aber auch nicht erreichen. Allerdings musste Dragnea einen Tag nach der Europawahl eine Haftstrafe antreten, nachdem er eine Berufungsverhandlung gegen eine Verurteilung wegen Amtsmissbrauchs verloren hatte. Dăncilă löste ihn an der Spitze der PSD ab und wurde von ihrer Partei jetzt auch als Präsidentschaftskandidatin nominiert. Damit drohte ALDE eine politische Marginalisierung. Reibungen in der Regierungskoalition waren daher schon seit einigen Wochen erkennbar. Jetzt sucht Tăriceanu den Ausweg durch den Gang in die Opposition und ein neues Wahlbündnis mit PRO Romania. Die der ALDE angehörenden Minister erklärten ihren Rücktritt. Tăriceanu unterstrich die Entscheidung für die Opposition, indem er zugleich vom Vorsitz des Senats, einer der beiden Kammern des rumänischen Parlaments, zurücktrat. Die Ämter der Parlamentspräsidenten werden traditionell von der Regierungsmehrheit besetzt.
Zugleich kündigten PRO Romania und ALDE an, einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten aufzustellen. Als Kandidat nominiert wurde Mircea Diaconescu, früherer Schauspieler und Kultusminister im Kabinett Ponta, dem es 2014 gelungen war, als unabhängiger Kandidat einen Sitz im Europaparlament zu gewinnen. Seine Chancen bei der Präsidentschaftswahl dürften begrenzt sein. Das gilt in dieser Konstellation aber ebenso für Tăriceanu wie Ponta. Wichtiger dürfte sein, dass das Zusammengehen mit Ponta für Tăriceanu und seine Partei den Wiedereinzug ins Parlament bei den Parlamentswahlen 2020 sichern kann. Zugleich wird es das Gewicht Pontas in der rumänischen Politik steigern, dessen PRO Romania bei den Europawahlen mit 6,5 Prozent auch eher hinter den Erwartungen zurückblieb.
Dăncilă wird nun ihre Regierung umbilden und sich innerhalb von 45 Tagen einer Vertrauensabstimmung stellen müssen, da sich die Zusammensetzung der die Regierung tragenden Parteien geändert hat. Ob die Regierung Dăncilă über diese Vertrauensabstimmung stürzt, bleibt aber trotz der geänderten Mehrheitsverhältnisse fraglich. Für diesen Fall zeichnet sich auch keine stabile Mehrheit für eine andere Regierung ab. Würden die Oppositionsparteien die Regierung übernehmen müssen, wäre sie nur sehr begrenzt handlungsfähig, da jede Mehrheit im Parlament von einer Vielzahl unterschiedlicher und oft gegensätzlicher Interessen und Gruppierungen abhängig wäre. In dem Jahr, das bis zu den nächsten Parlamentswahlen bliebe, könnte sie wenig erreichen. Zugleich aber dürfte die Unzufriedenheit großer Teile der Öffentlichkeit und besonders bei den Anhängern der jetzigen Opposition dann gegen sie umschlagen. Umgekehrt hätte auch die PSD grundsätzlich die Opposition in dieser Lage nicht zu fürchten, sondern könnte ihre Ausgangslage für die kommenden Parlamentswahlen eher verbessern. Ein vergleichbares Szenario gab es bereits vor vier Jahren, als die PSD die Regierung eineinhalb Jahre vor der letzten Parlamentswahl an ein technokratisches Kabinett übergeben musste, diese Wahlen dann aber aus der Opposition Ende 2016 hoch gewann. In der jetzigen Konstellation kommt jedoch hinzu, dass sich die PSD nach der Verhaftung von Dragnea noch in einem inneren Prozess der Neuaufstellung befindet und Dăncilă wird das Amt der Ministerpräsidentin brauchen, um ihre Stellung als neue Parteivorsitzende zu konsolidieren. In dieser Situation dürfte vor allem – und vielleicht auch nur – Ponta ein klares Interesse an einem Sturz der Regierung haben, weil sich für ihn damit Hoffnungen verbinden können, entweder in seiner früheren Partei wieder selbst eine Rolle spielen zu können oder von einer Krise der PSD parteipolitisch zu profitieren.
Zugleich sind die Hürden für Neuwahlen hoch: es bedarf dazu zweier gescheiterter Versuche zur Bildung einer neuen Regierung. Deshalb hat es ein solches Szenario auch noch nicht gegeben. Nach dem Rückzug von ALDE hat die PSD so zwar rein rechnerisch ihre Regierungsmehrheit im Parlament endgültig verloren. Viele Abgeordnete dürften aber wenig Interesse sowohl an Neuwahlen als auch an einer anderen Regierungsbildung haben. Deshalb sind auch in der Vergangenheit Misstrauensanträge gegen die Regierung mit deutlich größerem Abstand an Stimmen gescheitert, als es die rechnerisch knappen Mehrheitsverhältnisse im Parlament nahelegten. Der Vorsitzende der Nationalliberalen Partei (PNL) als der größten Oppositionspartei, Ludovic Orban, hat daher zwar bereits ein weiteres Misstrauensvotum in Aussicht gestellt, aber angekündigt, man werde dies erst einbringen, wenn tatsächlich die notwendige Mehrheit von 233 Abgeordneten und Senatoren den Antrag schriftlich unterstützt hat. Ob es zu einer Mehrheit gegen die Regierung Dăncilă kommt, bleibt also noch abzuwarten.