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Belgien vor wegweisendem Wahltag – und langen Verhandlungen?

Автор: Dr. Olaf Wientzek

Parlaments-, Regional- und Europawahlen am 25. Mai

Am 25. Mai sind knapp acht Millionen Belgier aufgerufen, in sechs verschiedenen Wahlen über die Zusammensetzung von sieben Parlamenten zu entscheiden: Erstmals seit 1999 finden die Parlaments-, Regional- und Europawahlen am gleichen Tag statt. In Belgien herrscht Wahlpflicht.

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Sowohl für die belgische Abgeordnetenkammer als auch für das flämische Parlament erwarten Beobachter einen klaren Sieg der flämischen Regionalisten der N-VA. In der Wallonie werden wohl trotz Verlusten die Sozialisten (PS) von Premierminister Elio di Rupo vorne liegen. Für die Region Brüssel wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Liberalen und Sozialisten erwartet. Bei den Europawahlen scheint noch unklar, welche Partei die meisten Sitze erhält. Die flämischen Christdemokraten mit ihrem Spitzenkandidaten, dem flämischen Ministerpräsidenten Kris Peeters (CD&V), haben sich für alle Wahlgänge die 20%-Marke als Ziel gesetzt. Die ebenfalls der EVP angehörigen wallonischen Zentristen der CDH (Centre Démocrate Humaniste) könnten regional wie auf Landesebene im Vergleich zu den letzten Wahlen Stimmen und Sitze verlieren, doch auch hier sind die Prognosen nicht eindeutig.Im Wahlkampf standen in erster Linie wirtschaftspolitische Themen im Vordergrund. Die Zusammensetzung der künftigen Regierungskoalition ist noch nicht abzusehen. Wahrscheinlich wird sie fünf Parteien umfassen.

Hintergrund

Am 25. Mai entscheiden die Belgier über die Zusammensetzung der Legislativorgane auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene. Aufgrund der komplexen Struktur des belgischen Föderalismus – unterhalb der Landesebene existieren parallel drei Regionen (Flandern, Wallonie, Brüssel-Hauptstadt) und drei Sprachgemeinschaften (deutsch, niederländisch, französisch) nebeneinander – finden insgesamt sechs Wahlen statt, die die Zusammensetzung der folgenden sieben Parlamente bestimmen:

  • das Europäische Parlament. Hier wählen die Belgier insgesamt 21 Abgeordnete (12 für das niederländischsprachige Kolleg, 8 für das französischsprachige Kolleg, 1 für die deutschsprachige Gemeinschaft). Im scheidenden Parlament saßen je 5 Abgeordnete in der EVP-(Europäische Volkspartei), in der S&D-(Sozialisten & Demokraten) und in der ALDE-(Liberale) Fraktion, vier bei den Grünen sowie jeweils einer bei ECR (Konservative), EFD (Europaskeptiker und Rechtspopulisten) und den Fraktionslosen.
  • die belgische Abgeordnetenkammer mit insgesamt 150 Abgeordneten (88 Niederländischsprachige, 62 Französischsprachige). Der wallonische Sozialist Elio di Rupo führt eine Sechsparteienkoalition aus Sozialisten (39 Sitze), Liberalen (31) und Christdemokraten (26 Sitze) beider Sprachgruppen an.
  • das wallonische Parlament (75 Sitze). Ministerpräsident Rudy Demotte (Sozialist) führt derzeit eine Mitte-Links-Koalition aus PS, CDH und den Grünen von Ecolo an.
  • das Parlament der Region Brüssel-Hauptstadt mit 89 Abgeordneten, davon 72 Französischsprachige und 17 Niederländischsprachige. Ministerpräsident der Region ist der Sozialist Rudi Vervoort. Die französischsprachigen Abgeordneten des Brüsseler Parlaments wählen aus ihrer Mitte 19 Abgeordnete, die gemeinsam mit den 75 Abgeordneten des Parlaments der Wallonie das Parlament der französischsprachigen Gemeinschaft bilden.
  • das flämische Parlament mit insgesamt 124 Abgeordneten. Die Kammer ist sowohl das Parlament der Region Flandern wie der niederländischsprachigen Gemeinschaft. Sechs Abgeordnete vertreten die niederländischsprachige Gemeinschaft in Brüssel und sind nur in diesen Fragen (und nicht in Fragen, die die Region Flandern betreffen) stimmberechtigt. Ministerpräsident Kris Peeters (CD&V, flämische Christdemokraten) führt eine Koalition von Christdemokraten, N-VA (flämische Regionalisten) und den flämischen Sozialdemokraten (sp.a) an.
  • das Parlament der deutschsprachigen Gemeinschaft mit insgesamt 25 Mitgliedern. Stärkste Fraktion ist derzeit die CSP mit 8 Mandaten. Es regiert eine linksliberale Dreiparteienregierung unter dem sozialistischen Ministerpräsidenten Karl-Heinz Lambertz, die CSP ist in der Opposition.
Leitthemen des Wahlkampfs

Der nationale und der regionale Wahlkampf drehten sich – anders als noch 2010 – vor allem um sozioökonomische Themen. Das Thema der institutionellen Reformen und der Zukunft des Landes geriet in den Hintergrund. Abhängig vom Ergebnis der N-VA könnte es aber durchaus wieder auf die Tagesordnung gelangen – für die Regierungsparteien, die soeben mit Unterstützung der Grünen eine mühsame Staatsreform verabschiedet haben, wäre das ein Albtraum: Der Kompetenz- und Personaltransfer an Regionen und Gemeinschaften erfolgt nämlich erst zum 1. Juli 2014. Ginge es nach der N-VA, würden die Parteien über eine siebte Staatsreform verhandeln, ehe sich die sechste überhaupt bewähren konnte.

Die Wähler räumen jedoch den wirtschaftspolitischen Fragen Priorität ein: Umfragen zufolge sind Gesundheitspolitik, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Ankurbelung der Wirtschaft in allen Landesteilen die wichtigsten Themen. Mithin fokussierte selbst die N-VA, die mittelfristig für ein konföderales und auf lange Sicht für ein unabhängiges Flandern eintritt, ihren Wahlkampf auf wirtschafts- und sozialpolitische Themen.

Die Kernthemen des Wahlkampfs: Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung, die mögliche Abschaffung der Lohnindexierung, Aufweichung des Kündigungsschutzes, Aktivierungspolitik für Arbeitslose, Entlastung des Mittelstands, Beschränkung der (bisher unbegrenzten) Bezugsdauer des Arbeitslosengelds. Mit der Vorstellung ihres sog. 3-D-Programms (Duidelijk, Duurzaam en Doelgericht, auf dt.: klar, nachhaltig und zielgerichtet) zu Wirtschafts- und Sozialreformen sorgten die Christdemokraten der CD&V dafür, dass sich die Debatte rasch um konkrete Zahlen und Fakten drehte.

In den Folgewochen zogen die meisten übrigen Parteien auf beiden Seiten der Sprachengrenze mit entsprechenden Berechnungen nach. Die N-VA tritt dabei mit einem klassischen liberal-konservativen Wirtschaftsprogramm an: Abschaffung der Indexierung, Einfrieren des Ausgabenniveaus auf föderaler Ebene, Begrenzung der Laufzeit des Arbeitslosengelds, Aufweichung des Kündigungsschutzes. Mit diesen Forderungen punktet die N-VA insbesondere bei der Unternehmerschaft und Selbstständigen auf Kosten der Liberalen (OpenVld, Die Flämischen Liberalen und Demokraten), aber auch der CD&V.

Die Behauptung seitens der N-VA und weiterer Experten, Flamen und Wallonen unterschieden sich in ihren sozioökonomischen Vorstellungen fundamental voneinander, wird durch Erhebungen der letzten Monate nur sehr bedingt gestützt. Zwar gibt es durchaus Unterschiede zwischen Flamen und Wallonen, die Positionen gleichen einander aber sehr viel deutlicher, als der politische Diskurs der N-VA es vermuten lässt. So unterstützt nach einer von der Libre Belgique in Auftrag gegebenen Erhebung eine Mehrheit der französisch- (71,4%) wie der niederländischsprachigen (64%) Belgier die Indexierung, ein Großteil (78,5% bzw. 72,5%) lehnt die Aufweichung des Kündigungsschutzes ab. Gleichzeitig gibt es auf beiden Seiten einen weitreichenden Konsens zur Begrenzung der öffentlichen Ausgaben in den kommenden Jahren (73,2% bzw. 79,5%). Selbst die Aufteilung der sozialen Sicherungssysteme – eine Kernforderung der N-VA und auch der rechtsextremen Vlaams Belang – wird nur von rund einem Drittel der Niederländischsprachigen unterstützt. Markantere Unterschiede zeigen sich hingegen bezüglich der Begrenzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengelds. Hier sprechen sich 53,8% der Niederländischsprachigen für eine zeitliche Beschränkung aus, aber nur 39,5% der Frankophonen.

Gleichwohl betrieben im Wahlkampf die beiden derzeit größten Parteien beider Landesteile, die PS und die N-VA, ihre gegenseitige Dämonisierung. Insbesondere Bart de Wever stilisierte die Wahl zu einer Abstimmung zwischen dem N-VA- und dem PS-Modell – obwohl nur in Brüssel beide Parteien auf einer Wahlliste stehen. Vor diesem Hintergrund ist der Mehrwert der Anfang Mai zwischen den Parteivorsitzenden Paul Magnette (PS) und Bart de Wever (N-VA) durchgeführte Fernsehdebatte fragwürdig. Letztlich diente sie beiden Parteien zur Mobilisierung der eigenen Klientel und zur Überzeichnung der Gegensätze zwischen dem Norden und dem Süden des Landes: Die PS kann sich als Bollwerk des belgischen Wohlfahrtsstaates und der staatlichen Einheit gegen die N-VA gerieren. Die N-VA hingegen stellt sich als (alleiniger) Verteidiger Flanderns dar. Dabei beschwört de Wever oft die angeblich gemeinsame Interessenlage mit den flämischen Christdemokraten und den Liberalen. So erklärt sich auch, dass sich de Wever lange sträubte, in einem TV-Duell gegen den CD&V-Spitzenkandidaten für Flandern, den amtierenden flämischen Ministerpräsidenten Kris Peeters, anzutreten. Grund: die CD&V ist de Wevers bevorzugter Koalitionspartner. Zudem ist Kris Peeters äußerst populär. Eine zu harte Konfrontation könnte de Wever daher schaden. Durch seine regelmäßigen Beteuerungen, er würde am liebsten mit der CD&V in Flandern zu regieren, versucht de Wever den Eindruck zu erwecken, dass eine Stimme für die N-VA keine Stimme gegen Ministerpräsident Peeters sei. Selbst im TV-Duell betonte de Wever, er sehe sich nicht als Herausforderer von Kris Peeters, sondern als Widersacher von Elio di Rupo. Auf der anderen Seite verteufeln die wallonischen Sozialisten die N-VA und rücken Parteien, die eine Koalition mit ihr in Erwägung ziehen, nahezu in den Verdacht des Landesverrats. Dadurch geriet insbesondere der Hauptkonkurrent der PS, der (rechts-)liberale MR unter Druck, der in seiner Reformagenda viele Ähnlichkeiten zur N-VA, OpenVld und auch zu der CD&V aufweist. Wenige Wochen vor den Wahlen distanzierte sich die MR von der N-VA.

Im Vergleich zu den nationalen und den regionalen Wahlen stehen die Europawahlen etwas im Hintergrund. Grund-sätzlich einigt die meisten Parteien ein starker proeuropäischer Konsens. Alle drei EVP-Partnerparteien (CD&V, CDH, CSP) bekennen sich eindeutig zu Europa. So spielt die in einigen anderen EVP-Parteien vernehmbare Forderung nach einer Rückverlagerung von Kompetenzen auf die nationalstaatliche Ebene keine Rolle. Der proeuropäische Konsens ist in der belgischen Bevölkerung nach wie vor stark ausgeprägt. Laut einer Umfrage fordern zwei Drittel der Frankophonen und knapp 60% der Niederländisch-sprachigen die Direktwahl des Kommissionspräsidenten. Der bei den Belgiern beliebteste Spitzenkandidat für die Eu-ropawahl ist wenig überraschend der ehemalige belgische Premier Guy Verhofstadt (33%), vor dem EVP-Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker (10%), und dem sozialistischen Spitzenkandidaten Martin Schulz (6%). Der Flame Verhofstadt ist dabei insbesondere bei den Brüsselern (47%) und den Wallonen beliebt (43%). Erstaunlich ist sein großer Rückhalt auch bei Wählern der PS (43%) und des CDH (55%). Jean-Claude Juncker schneidet überdurchschnittlich gut bei den Wählern der CD&V, der N-VA, der konservativen wallonisch Kleinpartei PP (Parti Populaire) und mit Abstrichen beim CDH ab.

Umfragen

Aus den Umfragen der letzten Wochen und Monate lassen sich die folgenden Trends ablesen (siehe auch Anhang im PDF):

1. Trotz gleichzeitiger Durchführung keine Gleichheit der Ergebnisse. Beispiele: Die Open VLD wird wohl dank ihrer Spitzenkandidatin Maggie de Block auf nationaler Ebene deutlich besser abschneiden als bei den Wahlen zum flämischen Parlament. Die CD&V kann wiederum dank Kris Peeters für das flämische Parlament auf ein besseres Ergebnis hoffen als auch nationaler Ebene. Am deutlichsten werden die Kontraste bei den Europawahlen in Flandern. Hier könnte die CD&V und selbst die Liberalen möglicherweise die N-VA überflügeln. Grund: Die Wähler schätzen die Europaexpertise von CD&V und OpenVld höher ein. Zudem stellen die CD&V mit Ex-Vize-Premier Steven Vanackere und Marianne Thjissen sowie die OpenVld mit Ex-Premier mit Guy Verhofstadt sehr namhafte und populäre Kandidaten auf. Noch ist unklar, wie stark die belgische Gruppe in der EVP-Fraktion sein wird: Die belgischen EVP-Parteien können realistisch mit 3-5 der 21 belgischen Sitze im Europaparlament rechnen. Die CDH kann fast sicher davon ausgehen, nicht mehr und nicht weniger als einen Sitz im EP zu erhalten, der christliche Gewerkschafter Claude Rolin löst Anne Delvaux als Spitzenkandidat ab. Pascal Arimont, Nachfolger des langjährigen Abgeordneten Mathieu Grosch, könnte erneut den einzigen Sitz für die deutschsprachige Gemeinschaft für die CSP gewinnen. Die CD&V musste lange fürchten von drei auf zwei Sitze zu fallen, letzte Umfragen nähren die Hoffnung auf eine der aktuellen Zahl der Mandate.

2. Die N-VA wird bei 10-15% Vorsprung vor der CD&V höchstwahrscheinlich sowohl in der Abgeordnetenkammer wie auch im flämischen Parlament die größte Fraktion stellen. Vieles deutet zudem darauf hin, dass sie auch die symbolisch wichtige 30%-Marke übertrifft.

3. Schwere Verluste der PS und Gewinne für bisherige Kleinparteien in der Wallonie. Die PS wird ihre Regierungsbeteiligung voraussichtlich mit empfindlichen Stimmeneinbußen bezahlen. Davon würden aber nicht die anderen traditionellen Parteien profitieren, sondern in erster Linie das linksradikale Bündnis PTB Go!, das mit rund 8% in die kommende Abgeordnetenkammer einziehen könnte. Gute Aussichten auf einige Parlamentssitze hat auch die konservative Kleinpartei PP.

Lage der EVP-Parteien

Sowohl für die CDH als auch für die CD&V haben diese Wahlen jenseits der Machtoptionen eine große symbolische Bedeutung.

CDH: Die wallonischen Zentristen versuchen seit ihrem Namenswechsel vor über einem Jahrzehnt sich als dritte Kraft zwischen der PS und der wirtschaftsfreundlichen liberalen MR zu behaupten und gleichzeitig den Abstand zu beiden Parteien nicht zu groß werden zu lassen. Zwar ist die Partei wie auch die Gemeinderatswahlen deutlich machten, lokal nach wie vor gut verankert. Doch fällt es ihr nach dem Verzicht auf das C im Parteinamen unverändert schwer, sich auf nationaler Ebene klar in dem engen politischen Raum zwischen PS, Ecolo und MR zu profilieren. Bei diesen Wahlen versuchte sie sich mit einem eigenen familienfreundlichen Steuerkonzept insbesondere von MR und PS abzuheben. Auf der anderen Seite überschatteten Diskussionen über die Änderung der Flugrouten über Brüssel den Wahlkampf der Partei – das Portfolio liegt in den Händen der Zentristen. Es ist unwahrscheinlich, dass der CDH seine ordentlichen Ergebnisse aus den letzten Regionalwahlen wiederholen oder zumindest das enttäuschende Resultat der Parlamentswahlen verbessern kann. Sollte der CDH nah an die 10%-Marke rücken oder diese in Brüssel oder der Wallonie gar unterschreiten, wäre das psychologisch ein schwerer Schlag. Beobachter betonen, dass eine Regierungsbeteiligung dann umso wichtiger wäre, um eine gewisse Sichtbarkeit zu behalten. Unabhängig davon wird die Partei nach den Wahlen wohl eine eingehende Diskussion über ihre Ausrichtung führen, um nicht langfristig zu einem bloßen Mehrheitsbeschaffer für PS oder MR zu werden. Zwar hat die Partei in Brüssel teilweise ein neues Elektorat in der a frikanisch-stämmigen Bevölkerung gefunden. Gleichwohl hat sie ihre Wahlergebnisse insgesamt auch hier nicht nachhaltig verbessert. In der Wallonie blieb sie hingegen auf die Kernwählerschaft beschränkt, ein (kleiner) Teil der christlich orientierten Wählerschaft ging an den MR verloren. Unter dem Vorsitzenden Benoît Lutgen hat zwar keine vollständige Wende vom Mitte-Links-Kurs seiner in Brüssel beliebten Vorgängerin Joelle Milquet stattgefunden, doch ist die Partei stärker auf eine Äquidistanz zu PS und MR bedacht.

CD&V: Ziel der langjährigen Regierungspartei, die in der Geschichte Belgiens mit Abstand die meisten Premierminister gestellt hat, ist das Erreichen der 20%-Marke. Gegenüber den Parlamentswahlen von 2010, bei denen die Partei ein historisch schlechtes Ergebnis erzielt hatte, würde das einen leichten Zugewinn bedeuten. Zumindest aber soll der enorme Abstand zwischen N-VA und CD&V geschlossen werden. Der Erfolg der N-VA u.a. bei vielen bürgerlichen Wählergruppen (Unternehmer, Ärzte) trifft die Christdemokraten schwer. Das Erreichen der 20%-Marke wäre für die rund 80.000 Mitglieder starke CD&V, die sich nach wie vor als erste Volkspartei Flanderns sieht, daher auch psychologisch sehr wichtig. Große Hoffnung der CD&V ist Kris Peeters, der in Flandern als Ministerpräsident sehr geschätzt wird und dort ähnliche Beliebtheitswerte wie der alles überstrahlende N-VA-Vorsitzende Bart de Wever erzielt. Weitere in der Bevölkerung geschätzte Politiker sind Finanzminister Koen Geens und die flämische Ministerin für Mobilität Hilde Crevits. In den ersten Wochen des Wahlkampfs gelang es allerdings noch nicht, diese Wertschätzung für Persönlichkeiten in entsprechende Umfrageergebnisse für die Partei umzumünzen. Der stark auf Kris Peeters zugeschnittene Wahlkampf brauchte Zeit um in Gang zu kommen.

Einer der Gründe: Erst nach der letzten Sitzung des flämischen Parlaments konnte Peeters als amtierender Ministerpräsident in die Kampagne durchstarten. Anders als 2010 wehrt sich die CD&V gegen die „Umarmung“ durch den früheren Kartellpartner N-VA. Auch Kris Peeters distanzierte sich sowohl beim Parteitag des CD&V am 26. April in Brügge als auch in den folgenden TV-Duellen mit Bart de Wever deutlich von der N-VA und ihrem Programm. Die CD&V widerspricht Forderungen nach einer neuen Staatsreform in den kommenden Jahren. Sie positioniert sich selbst als Verfechterin des belgischen Wirtschafts- und Sozialmodells. Allerdings setzt sich die CD&V durchaus für Reformen, für Haushaltskonsolidierung und die Verringerung von Lohnnebenkosten und damit eine Entlastung des Mittelstands ein. Gleichzeitig versucht die Partei mit ihren Errungenschaften in der scheidenden Regierung – Staatsreform und Erfolge bei der Haushaltskonsolidierung – zu punkten.

Auffällig: Anders als viele christdemokratische Parteien findet die CD&V Zuspruch bei jungen Menschen. Auf den Kandidatenlisten finden sich viele junge Kandidaten auf durchaus aussichtsreichen Listenplätzen.

In Folge des Todes des langjährigen Premiers Jean-Luc Dehaene am 15. Mai, setzte die CD&V für drei Tage ihren Wahlkampf aus. Dehaene war einer der Architekten des belgischen Föderalismus und zahlreicher Kompromisse zwischen den Sprachgruppen. Der Christdemokrat galt über die Parteigrenzen hinweg als herausragender Staatsmann.

Koalitionsoptionen nach der Wahl

Vorhersagen über die künftige Regierungskoalition sind mit Vorsicht zu genießen. Grund: die Regional- und die Nationalwahlen können nicht völlig voneinander getrennt werden. Zwar gibt es keinen Zwang zur Schaffung identischer Koalitionen auf nationaler und regionaler Ebene. Dennoch würden identische Koalitionen auf föderaler wie regionaler Ebene helfen, insbesondere nach den durch die Staatsreform erfolgten umfassenden Kompetenzübertragungen. Reibungen zwischen den verschiedenen Ebenen zu reduzieren. Derzeit halten Beobachter drei Szenarien für wahrscheinlich:

1. Fall: Fortführung der aktuellen Koalition der traditionellen politischen Kräfte beider Sprachgruppen.

Eine der zentralen Fragen ist, ob die drei traditionellen Parteien (CD&V, Sp.a, Open Vld) im flämischen Parlament und im niederländischsprachigen Kolleg der Abgeordnetenkammer eine Mehrheit erhalten. Dann wäre die Fortführung der aktuellen Regierungskoalition wahrscheinlich. Noch nicht sicher wäre, ob der Premier auch weiterhin Elio di Rupo heißen wird. Dies würde nicht zuletzt auch vom Kräfteverhältnis zwischen Sozialisten, Liberalen und Christdemokraten abhängen. Sollten die drei flämischen Partner keine eigene Mehrheit in Flandern oder in der Kammer haben, wäre ein solches Bündnis erst nach langwierigen Verhandlungen wahrscheinlich. Die CD&V will vermeiden, ein zweites Mal einer Regierung beizutreten, die im flämischen Wahlkolleg keine Mehrheit hat. Für die etablierten Parteien hätte die Fortführung der Koalition den Reiz, die übermächtige N-VA für Jahre auf die Oppositionsbank zu verbannen. Es ist fraglich, ob diese ihren Höhenflug dann fortsetzen könnte: Die Partei hat viele Anhänger im bürgerlichen Lager gewonnen, die auf Dauer kaum für eine Partei stimmen, die keine Aussichten auf eine Regierungsteilnahme besitzt. Auch deshalb strebt die N-VA danach, in Flandern (mit)zu regieren.

2. Fall: Mitte-Rechts-Bündnis

Sollte die N-VA deutlich über 30% erhalten und die drei traditionellen Parteien in Flandern keine Mehrheit besitzen, wird man auch mit ihr Verhandlungen führen müssen. Bart de Wever hat im Wahlkampf mehrfach erklärt, eine Regierung ohne die PS bilden zu wollen. Noch ist aber unklar, wie ernst das Bekenntnis ist, auch auf Landesebene Regierungsverantwortung übernehmen zu wollen. Entscheidend würde dann sein, ob sich die N-VA dazu durchringen kann, ihre Forderungen nach einer neuen Staatsreform und weiteren Kompetenzverlagerungen hintanzustellen. Sollte sie zu diesem Verzicht bereit sein, würde sie im Gegenzug wohl eine weitreichende Umsetzung ihres wirtschaftspolitischen Programms verlangen. Diese Option birgt folgende Probleme:

1. Voraussichtlich würden der CDH und der MR – die beiden „Wunschpartner“ einer solchen Koalition weder eine Mehrheit im wallonischen Parlament noch im französischsprachigen Kolleg der Abgeordnetenkammer erhalten. Beide Parteien würden durch ihre Zusammenarbeit mit der N-VA heftiger Kritik der anderen wallonischen Parteien ausgesetzt sein. Bei der CDH wäre der Schritt höchst umstritten Während in der Vergangenheit einige Parteivertreter wie Melchior Wathelet durchaus Sympathie für eine Mitte-Rechts-Koalition durchblicken haben lassen, wollen andere an dem Bündnis mit den beiden linken Parteien PS und Ecolo festhalten. Auch die MR hat sich in den letzten Wochen wieder von dieser Koalitionsoption distanziert, obwohl es durchaus gute Kontakte zur Open Vld und zur CD&V gibt.

2. Fraglich wäre ob die CDH aber auch die CD&V die wirtschaftspolitischen Forderungen der liberalen Parteien und der N-VA mittragen würden.

3. Fall: Die N-VA ist unverzichtbar (s.o.) und besteht auf die Durchführung umfassender institutioneller Reformen.

In diesem Fall würden die französischsprachigen Parteien wohl kaum ohne die PS in eine Regierung gehen. Zudem wäre erneut eine 2/3-Mehrheit für die Verabschiedung einer weiteren Staatsreform notwendig. Angesichts der sehr harten Auseinandersetzungen von PS und N-VA in Wahlkampf, aber auch in den Jahren zuvor, ist so ein Szenario schwer vorstellbar. In jedem Fall würden dann erneut sehr lange und harte Regierungsverhandlungen drohen.

Zwei Faktoren sprechen gegen eine rasche Regierungsbildung, obgleich Vertreter aller Parteien genau dies als Ziel ausgeben:

1. Die kommende Regierung wird wohl aus mindestens fünf Parteien bestehen.

2. Die Regierungsbildung auf Landesebene wird nicht losgelöst von den Verhandlungen auf regionaler Ebene erfolgen. Bart de Wever wird zwar darauf drängen, zunächst eine Koalition in Flandern zu schließen und erst dann ernsthaft die Verhandlungen auf Landesebene in Angriff zu nehmen. Die anderen Parteien lehnen diese Vorgehensweise ab.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich die CD&V sowohl in Flandern als auch auf nationaler Ebene nach den Wahlen in der Regierung wiederfinden wird: Die N-VA hat bereits deutlich gemacht, dass die CD&V ihr bevorzugter Partner ist. Sollte es zudem keine alternative Mehrheit für eine N-VA-OpenVld-Koalition geben, liegen die Schlüssel für die Regierungsbildung bei der CD&V. Auch der CDH hat gute Aussichten auf eine Regierungsteilnahme sowohl auf regionaler wie auf föderaler Ebene – als begehrter Bündnispartner sowohl für den MR als auch für die PS.

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