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Die Bürgerplattform am Scheideweg

Автор: Dr. Christian Schmitz, Dr. Piotr Womela

Polens Politik nach Donald Tusk

Die Berufung von Donald Tusk in das Amt des EU-Ratspräsidenten steht für einen Epochenwechsel in der polnischen Politik. Fünfundzwanzig Jahre nach der demokratischen Wende und zehn Jahre nach dem EU-Beitritt wurde ein Pole in eines der wichtigsten EU-Ämter gewählt. Dies ist nicht nur ein großer Erfolg für Polen, sondern auch für die regierende Bürgerplattform (PO) und für Donald Tusk persönlich.

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Es ist darüber hinaus eine Anerkennung der europäischen Staatenfamilie dafür, dass der ehemalige Regierungschef und seine Partei mit einem konstruktiven europapolitischen Kurs ihr Land zu einem europäischen Verantwortungsträger gemacht haben.

Wenn Staatspräsident Bronislaw Komorowski, wie zuletzt im Deutschen Bundestag, mit Blick auf die deutsch-polnischen Beziehungen gerne von einer „Verantwortungsgemeinschaft für Europa“ spricht, dann beschreibt er damit auch die durch die Regierung Tusk seit 2007 verfolgte Partnerschaft mit Deutschland für Europa.

Der Umzug von Donald Tusk nach Brüssel wird nun nachhaltige Auswirkungen auf die innenpolitische Szene in Polen haben. Zunächst hat er, anders als von vielen Beobachtern vorher vermutet, binnen kurzem zu einem sprunghaften Wachstum der Umfragewerte für Tusks Partei geführt, die damit, nach einem Jahr der Verluste und dem Imageverlust durch die Abhöraffäre der zurückliegenden Monate, in den Umfragen wieder gleichauf mit der PiS-Opposition liegt. Zum anderen könnten der bevorstehende Wechsel an der Spitze der Partei und die Umbildung des Kabinetts der seit sieben Regierungsjahren zuletzt mitunter glücklos und verbraucht erscheinenden PO neuen Schwung, auch für parteiinterne Reformen, geben. Es stellt sich die Frage, ob die Partei diese Chance in den schwierigen Zeiten der bevorstehenden Wahlkampagnen (Kommunal-, Präsidentschafts- und Parlamentswahlen) ohne ihre bisherige, unumstrittene Führungspersönlichkeit nutzen und wie die politische Konkurrenz damit umgehen wird. Der Abgang von Donald Tusk aus der nationalen Politik stellt die PO vor massive Herausforderungen und ist ein Prüfstein für die gesamte Parteienlandschaft in Polen.

Ministerpräsident Tusk hatte bereits am 9. September sein Rücktrittsgesuchs bei Staatspräsident Bronisław Komorowski eingereicht. Der Präsident hat daraufhin am 15. September die Nachfolgekandidatin der bestehenden Koalition, Sejmmarschallin Ewa Kopacz, mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Das neue Kabinett soll am 22. September vereidigt werden und sich dann fünf Tage später einer Vertrauensabstimmung im Sejm stellen.

Es war Donald Tusk selbst, der Ewa Kopacz zu seiner Nachfolgerin, nicht nur in der Regierung, sondern auch in der Partei bestimmt hat. Ewa Kopacz ist ausgebildete Kinderärztin und wurde Mitte der 1990er Jahre als Politikerin aktiv. So gehörte Kopacz von 1994 bis 2001 zunächst der liberalen Partei Unia Wolności an und wechselte bei der Wahl 2001 zur neugegründeten Bürgerplattform. Dort schaffte sie auf An-hieb den Sprung in den Sejm. Sie erwies sich als eine der loyalsten Mitarbeiterinnen von Donald Tusk, mit dem sie auch persönlich befreundet ist und dessen schwerkranke Schwester sie betreute. 2007 wurde Ewa Kopacz als Gesundheitsministerin im ersten Kabinett Donald Tusks vereidigt. Während ihrer Amtszeit entschied sie sich als einzige Gesundheitsministerin Europas gegen den enorm kostspieligen Erwerb von Impfstoffen zur Bekämpfung der Schweinegrippe und behielt am Ende mit ihren Argumenten zugunsten dieser Entscheidung Recht.

Von der Opposition wurde ihr Fahrlässigkeit im Umgang mit Informationen über die Identifizierung der Opfer der Flugkatastrophe von Smolensk im April 2010 vorgeworfen. Bei den letzten Parlamentswahlen 2011 wurde Kopacz, die ein eher liberales Politikerprofil pflegt und immer wieder mit den konservativ-katholischen Politikmilieus aneckte, zur Parlamentspräsidentin des Sejm gewählt. 2013 folgte sie innerparteilich mit starker Unterstützung durch Tusk Grzegorz Schetyna als stellvertretende Vorsitzende der PO. Die Politikerin hat ein unprätentiöses Auftreten - Kritiker werfen Ewa Kopacz deshalb mangelndes Charisma und politische Unselbständigkeit vor. Politische Gegner polemisieren, sie werde von Donald Tusk aus Brüssel ferngesteuert werden.

In der Tat war dieser mehr als eine Dekade lang der alleinherrschende Chef der PO und der erste Ministerpräsident Polens der die Wiederwahl schaffte und fast zwei Legislaturperioden im Amt blieb. Er führte seine Partei von einem Wahlsieg zum anderen. Eine derartige Machtkonzentration in Händen einer Partei und eines dominierenden Politikers war in der jungen Geschichte des demokratischen Polens bislang nicht vorgekommen. Donald Tusk hat der PO und dem polnischen Parteiensystem seinen Stempel aufgedrückt – und er tat dies in quasi symbiotischer Weise zusammen mit seinem politischen Hauptgegner, dem Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski. Donald Tusk hatte stets das soziale Talent, einerseits Menschen um sich zu vereinen sowie andererseits die Fähigkeit, eigene Position knallhart durchzusetzen. So herrschte er mit loyalen und ambitionslosen Parteigängern, die für den Parteivorsitzenden keine Bedrohung darstellten, jahrelang unangefochten über die Partei. Ähnlich verlief und verläuft es in der Oppositionspartei PiS. Zu den charakteristischen Merkmalen des polnischen Parteisystems zählte demnach bisher eine starke Personalisierung der Politik, und bis vor kurzem konnte man sich die PO ohne Tusk gar nicht vorstellen. Was für eine Partei verlässt aber eigentlich ihr Anführer?

Der Name „Bürgerplattform“ beschreibt die PO absolut zutreffend. Sie war bisher keine nach etwa deutschen Vorstellungen organisierte politische Partei sondern eben eine Plattform für pragmatische und an Maßstäben der Vernunft orientierte Menschen, die vor allem nie mehr unter einer PiS-Regierung leben wollten. Die PO besitzt zwar Strukturen auf allen Ebenen, jedoch entwickelte sie kein praktisches Konsultationswesen mit den Parteiaktivisten und den normalen Mitgliedern in den Regionen. Die nur 40.000 PO-Mitglieder – nicht zu sprechen von ihren Wählern - bilden keine Gemeinschaft. Sie vereint eher das Streben nach individuell bezogener Stabilität der Lebensverhältnisse, als ein Gefühl von Partizipation an einem wichtigen politischen Projekt. Die Kommunikation in der Partei verlief bisher ausschließlich vertikal, von oben nach unten. Sogar für Mitglieder der PO-Fraktion im Sejm waren die Entscheidungen der Parteispitze mitunter weder kommuniziert noch nachvollziehbar. Das entmündigte Parteivolk akzeptierte dies scheinbar ohne Murren, weil ihr Anführer mehrfach unter Beweis gestellt hatte, dass er alleine im Stande war, die Partei zum Erfolg oder aus der Bredouille zu führen. Ohne ihn muss die PO nun bildlich gesprochen im Schnell-durchgang ihr Reifezeugnis ablegen und selbständig werden.

Der formale Weg zur Neubesetzung der Funktion des Vorsitzenden erfolgt dabei satzungsgemäß. Nachfolgerin von Donald Tusk wird zunächst automatisch seine erste Stellvertreterin aus dem Parteivorstand, Ewa Kopacz. Einen Parteitag zur Neuwahl des oder der Vorsitzenden und des Vorstandes wird man nach jetzigem Stand und nach dem Willen von Donald Tusk wohl erst nach den Parlamentswahlen im Herbst 2015 durchführen, um der Öffentlichkeit Geschlossenheit zu demonstrieren. Insgesamt könnten der Wechsel im PO-Vorsitz und die damit bevorstehenden parteiinternen Wahlen, die eine Mobilisierung und Involvierung der Parteimitglieder erfordern, für die PO durchaus eine Möglichkeit der Stärkung des innerparteilichen Demokratisierungsprozesses und der Bottom-Up-Strukturen werden.

Mit dem Machtwechsel in der Bürgerplattform können jedoch auch selbstzerstörerische Kräfte in Gang gesetzt werden. Ein offener Kampf von Fraktionen innerhalb der Partei scheint zwar zurzeit unwahrscheinlich – die Anordnungen von Donald Tusk haben nach wie vor Geltung – aber dieser ist in einer kurz- bis mittelfristigen Perspektive nicht auszuschließen. Einige Anzeichen dafür gibt es: so wurden die Führungskompetenzen von Ewa Kopacz bereits durch den Fraktionschef Rafal Grupinski öffentlich in Frage gestellt. Die neue Parteivorsitzende wird auf jeden Fall viel Einfühlungsvermögen benötigen, um zwischen den verschiedenen Interessengruppen in der Partei zu lavieren. Unterstützung wird Sie wohl bei der sogenannten „Genossenschaft“ („społdzielnia”) finden, einer fraktionsinternen Gruppe von Pragmatikern um den Abgeordneten und PO-Chef von Lodz, Cezary Grabarczyk, die vor allem in den Regionen Einfluss hat. Möglicher Gegenwind droht von Grzegorz Schetyna, dem von Donald Tusk gedemütigten, einst mächtigem Parteivize, der weiterhin über Einfluss in Partei und Fraktion verfügt und von dem stets niemand weiß, was er plant.

Weltanschauliche Unterschiede mit Blick auf die Diskussionen um In-Vitro-Befruchtung und Abtreibungsrecht ergaben sich bereits zwischen Ewa Kopacz und dem konservativen Flügel der PO, der u.a. von Justizminister Marek Biernacki repräsentiert wird. Schließlich, auch darauf wird Ewa Kopacz Rücksicht nehmen müssen, wird auch Staatspräsident Komorowski, der eine starke PO für seine Wiederwahl 2015 benötigt, großes Interesse an den bevorstehenden innerparteilichen Rochaden haben.

Ewa Kopacz hat als Nachfolgerin von Donald Tusk also recht schwierige Aufgaben vor sich: sie muss sich als Regierungschefin, Parteivorsitzende und Spitzenkandidatin für die Sejm-Wahlen 2015 bestätigen lassen. Auch die Regierungsneubildung wird Fingerspitzengefühl bei den Neubesetzungen erfordern. So wurde die überaus populäre amtierende stellvertretende Ministerpräsidentin und Ministerin für Regionalentwicklung und Transport, Elzbieta Bienkowska, zur Binnenmarktkommissarin berufen. Damit verlor Ewa Kopacz eine wichtige Verbündete, die zuständig war für die Vergabe von EU-Mitteln und mit neuen Investitionen Rückhalt für die ganze Regierung leisten konnte.

Auch das Außenressort steht womöglich zur Neubesetzung an, weil Außenministers Radoslaw Sikorski als neuer Parlamentspräsident im Gespräch ist. Das neu zusammengestellte Kabinett arbeitet dann nur maximal ein Jahr - bis zu den nächsten Parlamentswahlen. Dazwischen werden im November 2014 Kommunalwahlen und im Frühling 2015 Präsidentschaftswahlen stattfinden. Auf der sich neu sortierenden PO wird also ein Jahr lang permanenter Kampagnendruck lasten. Dabei wird es am Ende womöglich um Alles oder Nichts gehen: gewinnt die PO die Parlamentswahlen, dann wird sie sich stabilisieren, innerlich fortentwickeln und aus dem polnischen Parteiensystem kaum mehr fortzudenken sein. Eine Niederlage bei den Parlamentswahlen würde wohl zwangsläufig zu Generalabrechnungen, zu internen Revolten führen und womöglich im Zerfall der Partei enden.

Donald Tusks Rückzug aus der polnischen Politik stellt jedoch auch seine politischen Hauptgegner vor neue Herausforderungen. In den letzten Jahren hatte sich die polnische Parteienlandschaft zu einem bipolaren System entwickelt, das von PO und PiS getragen wurde, an deren Spitzen noch bis vor kurzem ihre Gründungsväter standen – Donald Tusk und Jaroslaw Kaczynski. Die Parteien waren ihr persönliches Projekt, und jeder diente als Kontrapunkt dem Anderen. Die beiden Politiker funktionierten dabei als ergänzende Gegensätze, deren Dominanz langfristig jede neue politische Initiative blockierte. Dieser Dauerclinch wird jetzt nachlassen, und es stellt sich die Frage, wie Jaroslaw Kaczynski ohne seinen politischen Counterpart agieren wird. Die PiS wird gezwungen sein, sich neue Rhetorik und Inhalte in der Kommunikation mit ihren Wählern auszudenken. Die bewährte Generalattacke auf den amtierten Ministerpräsidenten Tusk, als Verkörperung allen Übels, wird wahrscheinlich gegenüber Ewa Kopacz nicht mehr einsetzbar sein. Dies könnte konsequenterweise eine Entpersonalisierung und eine themenbezogenen Versachlichung des politischen Diskurses in Polen befördern.

Die Berufung von Donald Tusk an die Spitze des Europäischen Rates wird die polnische Politik womöglich noch gehörig durcheinanderwirbeln und hat Prozesse in Gang gesetzt, deren Konsequenzen schwer vorauszusehen sind. Die PO konnte nicht ewig so bleiben, wie sie es unter Donald Tusk war. Sie hat nun Chancen, sich definitiv zu etablieren und als politische Kraft fortzuentwickeln. Sie ist in den nächsten eineinhalb Jahren aber auch dem Risiko ausgesetzt, unterzugehen.

Derzeit wird in Polen schon spekuliert, Donald Tusk wolle nach zwei Brüsseler Amtszeiten triumphal in die polnische Politik zurückkehren und als europäischer Staatsmann bei den Präsidialwahlen 2020 antreten. Ob dieser Masterplan in Erfüllung geht, wenn es ihn denn gibt, hängt zunächst von dem politischen Talent und der glücklichen Hand der neuen Ministerpräsidentin Ewa Kopacz ab.

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