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Die Rückkehr der Salafisten in Ägypten

Автор: Dr. Andreas Jacobs, Heidi Reichinnek
Seit Wochen wird in den ägyptischen Medien über das Erstarken radikalislamischer Gruppen diskutiert. Nach jahrzehntelanger Unterdrückung reorganisieren sich im Ägypten der Nach-Mubarak-Ära sog. „Salafisten“ und machen mit Gewaltakten und politischen Forderungen von sich reden. Über Organisation und Schlagkraft dieser Gruppen besteht allerdings ebenso Unklarheit wie über ihre tatsächliche politische Relevanz für die Zukunft Ägyptens.

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Seit Tagen protestieren vor dem Sitz des koptischen Papstes im Kairoer Stadtteil Abbassiya aufgebrachte Muslime und fordern die Freiheit von Kamilla Shehata. Shehata, die Frau eines koptischen Priesters, sei vom Christentum zum Islam übergetreten und werde deshalb gegen ihren Willen von der Kirche festgehalten, so die Demonstranten. Als Reaktion auf die Proteste haben koptische Aktivisten für den 6. Mai zu einem „Millionenprotest“ aufgerufen, um die Kathedrale vor einem „Ansturm der Salafisten“ zu schützen (Al Masry Al Youm vom 3.5.2011). Viele Beobachter rechnen mit gewaltsamen Auseinandersetzungen.

 

Unklare Strukturen

Die jüngsten Ereignisse in Abbasiya haben einer heftig geführten Debatte über Interessen, Aktivitäten und Einfluss radikaler Gruppen in Ägypten neue Nahrung gegeben. Tatsächlich sind salafistische Gruppen aber schon seit Jahrzehnten Bestandteil von Politik und Gesellschaft im Land. Der Begriff „Salafismus“ leitet sich aus dem arabischen Wort für „Vorfahre“ ab und bezieht sich auf den Propheten und seine unmittelbaren Nachfolger. Im ägyptischen Sprachgebrauch werden als „Salafisten“ die Vertreter einer ultrakonservativen Islam-Interpretation verstanden. Sie werden unterschieden von den „Jihadisten“, die ihre politischen Ziele - im Gegensatz zu den Salafisten - mit Gewalt durchzusetzen versuchen. Nach diesem Sprachgebrauch waren jihadistische Gruppen für die Anschläge der neunziger Jahre verantwortlich, während sich salafistische Gruppen bislang politisch weitgehend zurückhielten. Durch den zunehmenden politischen Aktivismus der Salafisten in Ägypten wird diese Unterscheidung von vielen Kommentatoren allerdings zunehmend fallengelassen bzw. in Frage gestellt.

Vertreter beider Richtungen orientieren sich auch optisch durch Bart und Vollverschleierung am (tatsächlichen oder vermeintlichen) Vorbild des Propheten und seines Umfelds. Trotz gemeinsamer Grundeinstellungen bilden die Salafisten in Ägypten traditionell eine heterogene Gruppierung ohne zentrale Organisationsstrukturen und ohne klares politisches Programm. Allerdings werden einige Scheichs und Prediger wie z.B. der Alexandriner Abdel Menem Al-Shahat oder Mohammed Hassan sowie die Gruppierungen „Ansar Al-Sunna“ und „Al-Dawa Al-Salafiya“ häufig als Sprecher und Vertreter der Salafisten in Ägypten genannt. Alle salafistischen Gruppierungen eint die Forderung nach einer Rückkehr zu den politischen und gesellschaftlichen Zuständen der Prophetenzeit und nach einer vollständigen Anwendung des islamischen Rechts, der Scharia.

Als gesellschaftliche und politische Reformbewegung teilt der moderne Salafismus in Ägypten seine Wurzeln mit der Muslimbruderschaft, unterscheidet sich von dieser aber hinsichtlich der Reichweite seiner religiösen und gesellschaftlichen Forderungen sowie hinsichtlich des Organisationsgrades. Durch Unterdrückung, Folter und erzwungene Emigration hatte das Mubarak-Regime das „Salafisten–Problem“ weitgehend unter Kontrolle gebracht. Die Salafisten konzentrierten sich in dieser Zeit auf das Vorantreiben des gesellschaftlichen Wandels und enthielten sich weitgehend politischer Stellungnahmen. Die massive Zunahme von Ganzkörperverschleierung und die Verbreitung salafistischen Gedankenguts in Ägypten waren das Ergebnis dieser Strategie.

 

Zunehmende Übergriffe

Mit dem Ende des Mubarak-Regimes scheinen die Salafisten diese Strategie zu revidieren und treten verstärkt und oft gewaltsam als politische Akteure in Erscheinung. Diese Rückkehr des (politischen) Salafismus äußerte sich in Ägypten in einer Reihe von Ereignissen. Bereits während des Umbruchs konnten zahlreiche, zum Teil schwerkriminelle Salafisten und Jihadisten aus den Gefängnissen entkommen. Einige, darunter Aboud und Tarek al-Zomor, die Drahtzieher des Anschlags auf den früheren Präsidenten Sadat, wurden entlassen. Daneben sollen aus dem Ausland 3000 weitere Salafisten zurückgekehrt sein, nachdem ihnen von den ägyptischen Behörden Straffreiheit zugesagt worden war (Al Masry Al Youm vom 31.3.2011).

Seither reißen die Berichte über salafistische Umtriebe und Übergriffe in den ägyptischen Medien nicht ab. Ende März erregte die Nachricht die Gemüter, dass einem Kopten in Qena ein Ohr abgeschnitten wurde, weil er seine Wohnung an eine Prostituierte vermietet haben soll. Wenig später stürmten Salafisten in der Delta-Stadt Menoufiya das Haus einer Frau und beschuldigten sie der Prostitution. Gleichzeitig kam es im Fayoum zu gewaltsamen Auseinandersetzungen um ein Alkoholgeschäft, bei dem ein Mann starb und acht weitere verletzt wurden. Schließlich ist immer wieder von geplanten Säureattentaten gegen un- oder zu wenig verschleierte Frauen zu lesen (Al Arabiya News vom 30.3.2011).

 

Sufis und Christen als Gegner

Ins Visier der Salafisten sind vor allem Sufis, Christen und Säkulare geraten. Besonders die in Ägypten traditionell stark verwurzelten volksislamischen Sufi-Bewegungen sind den Salafisten ein Dorn im Auge. Sufische Praktischen wie ekstatischer Tanz oder die Verehrung von Heiligenschreinen gelten den Salafisten als Häresie und schweres Vergehen gegen den Islam. Seit Mitte März häufen sich in Ägypten dementsprechend Übergriffe gegen Sufi-Schreine. Allein in Alexandria soll es bereits Anschläge gegen 16 von insgesamt vierzig Sufi-Schreinen gegeben haben. Weitere Auseinandersetzungen werden aus den Delta-Städten Tala, Qalyubiya, Beheira und Menoufiya gemeldet. Besonders der Angriff auf den El-Mursi Abul Abbas-Schrein in Alexandria erhitzte die Gemüter. Der Sufi-Scheich Mohamed Alaa Abul Azayem drohte danach mit einem „Krieg der Sufis gegen die Zerstörer der Schreine“ (Al Masry Al Youm vom 31.3.2011).

Opfer der salafistischen Renaissance sind aber vor allem die ägyptischen Christen. Nach einem Brandanschlag auf eine koptische Kirche Anfang März im Kairoer Vorort Mokattam protestierten Kopten mit Sitzblockaden und Straßensperren gegen die mutmaßlich salafistischen Täter. Radikale Gruppierungen aus einem benachbarten Armenviertel griffen daraufhin die protestierenden Kopten an (Al Ahram vom 9.3.2011). Bei den darauffolgenden Auseinandersetzungen starben 13 Menschen, 110 wurden verletzt. Salafisten werden ebenfalls verdächtigt, hinter dem Anschlag auf eine koptische Kirche in Alexandria zu stehen, bei dem am Neujahrstag 21 Menschen ums Leben kamen. Nach Presseberichten soll ein Salafist im Zusammenhang mit dem Anschlag verhaftet und von Polizeikräften zu Tode gefoltert worden sein (Daily News Egypt vom 18.1.2011).

Auch bei den jüngsten Ereignissen im oberägyptischen Qena spielten Salafisten eine tragende Rolle. Wütende Demonstranten hatten zwei Wochen lang den Sitz des örtlichen Gouverneurs belagert, Straßen und die wichtigste Eisenbahnverbindung des Landes blockiert und das öffentliche Leben in der Provinzmetropole weitgehend lahmgelegt. Auslöser der Unruhen war die Ernennung von Emad Shehata Michael zum neuen Gouverneur. Michael sei ein Vertreter des alten Regimes, so seine Gegner. Außerdem ist Michael aber auch Christ und deshalb für viele radikale Muslime als Gouverneur inakzeptabel. Gerade die Salafisten, so Beobachter, seien nicht bereit, einen Christ als Gouverneur zu akzeptieren. Der für seine radikalen Ansichten bekannte Philosophieprofessor Mahmoud Saad bringt es in der Zeitung Al-Ahram (vom 19.4.2011) auf den Punkt: „Wir wollen ihn nicht, weil er Kopte ist. Alles andere ist eine große Lüge. Qena ist eine muslimische Stadt, sie sollte einen muslimischen Führer haben.“

 

Verhinderung der Säkularisierung

Salafistische Gruppen machen aber nicht nur durch Anschläge und Gewaltakte von sich reden. Nach einem Jahrzehnt (erzwungener) politischer Zurückhaltung wollen sie sich nach dem Sturz Mubaraks auch als politische Kraft reorganisieren. Obwohl viele salafistische Denker Demokratie und die Teilnahme an Wahlen ablehnen, ist immer wieder von der Gründung einer salafistischen Partei und der Aufstellung salafistischer Kandidaten für die im September anstehenden Parlamentswahlen zu lesen (Al Masry Al Youm vom 25.3.2011). Auch einen Namen für die vermutete Parteigründung gibt es schon: „Al-Nahda“ (dt. Renaissance).

Politisches Hauptziel der Salafisten ist die Verhinderung einer Säkularisierung Ägyptens. Salafistische Gruppen werden dementsprechend häufig hinter Kampagnen gegen säkulare Politiker vermutet. Vor allem der ehemalige Leiter der Internationalen Atomenergie-Behörde und Präsidentschaftskandidat, Mohamed El-Baradei, wurde wiederholt von Salafisten als „Ungläubiger“ diskreditiert (Al Masry Al Youm vom 3.4.2011). Die salafistische Sorge vor einer Aufkündigung des islamischen Staatscharakters Ägyptens war auch der Hintergrund für ihr Engagement für ein „Ja“ zum Mitte März durchgeführten Verfassungsreferendum. Viele salafistische Prediger hatten damals in Moscheen für eine Zustimmung zum Referendum aufgerufen. Das von Kopten und Säkularen geforderte „Nein“ und damit die Aussicht auf eine neue Verfassung hätte aus Sicht der Salafisten die Gefahr einer Säkularisierung mit sich gebracht.

 

Beschwichtigung und Panikmache

Angesichts der unklaren Organisationsstrukturen und dem Fehlen eines klaren politischen Programms der Salafisten fällt den meisten Beobachtern eine Einordnung und Bewertung salafistischer Aktivitäten nicht leicht. In den ägyptischen Medien finden sich in der Regel zwei gegensätzliche Grundpositionen. Die eine Richtung bezeichnet die Berichte über salafistische Umtriebe als von Vertretern des „alten Regimes“ gezielt gesteuerte Panikmache. Die andere Grundposition geht davon aus, dass der Salafismus die zentrale und gefährlichste Herausforderung für die Zukunft des Landes darstellt.

Die Vertreter der Beschwichtigungsthese verweisen vor allem auf die politische Instrumentalisierung der Salafisten. „Eine salafistische Angstindustrie hat sich in den Medien entwickelt“, konstatiert beispielsweise der Journalist Ashraf al-Sherif. Nach seiner Einschätzung fehlten den Salafisten die Erfahrung, die Organisationskompetenz und die Fähigkeit zur politischen Mobilisierung, um sich tatsächlich zu einer politischen Kraft zu formieren (Al Masry Al Youm vom 29.3.2011). Hossam Tammam, ein Experte für salafistische Gruppen, vermutet außerdem, dass Vertreter des bisherigen Regimes das Angstpotential der Salafisten gezielt nutzen, um sich selbst als (einzige) Garanten für Stabilität und Ordnung zu positionieren (International Herald Tribune vom 2.4.2011).

Die Gegner dieser Thesen führen vor allem die Gewaltakte der jüngsten Vergangenheit ins Feld. Vor allem koptische und säkulare Politiker und Aktivisten wenden sich vehement gegen die Einstufung der Salafisten als kopflose, schlecht organisierte und instrumentalisierte Bewegung, die letztendlich unpolitische Ziele verfolge. Nach Einschätzung vieler Salafisten-Gegner sei die Gefahr real und höchst alarmierend. Ganze Dörfer, so ein Kommentator, ständen bereits vollständig unter Kontrolle von Radikalen. Nur die Armee könne noch verhindern, dass die Salafisten „das Land in Blut ertränken“ (Al Masry Al Youm vom 4.4.2011).

 

Schlussfolgerungen

Die Rückkehr der Salafisten ist im Ägypten der Nach-Mubarak-Ära unübersehbar. Bereits seit Jahren nimmt die Zahl vollverschleierter Frauen kontinuierlich zu. Gleichzeitig finden salafistische „Etikette“ immer breitere Akzeptanz. Seit dem Umbruch melden sich Salafisten auch mit politischen Forderungen immer lauter und gewaltsamer zu Wort. Ihr politisches Hauptziel besteht in der Erhaltung und Vertiefung des islamischen Staats- und Gesellschaftscharakters Ägyptens. Die Einschätzung ihrer tatsächlichen Schlagkraft und damit ihrer Relevanz für die politische Zukunft des Landes ist hingegen schwierig. Verlässliche Zahlen sind nicht zu bekommen und klare Strukturen noch nicht erkennbar. Dementsprechend beruht die Salafismus-Debatte vor allem auf Vermutungen und Zuweisungen.

In der ägyptischen Salafismus-Debatte manifestiert sich allerdings eine der entscheidenden politischen Grundfragen Ägyptens: die nach dem Verhältnis von Religion und Staat. Nach der (bisherigen) Verfassung ist Ägypten ein islamischer Staat, die Scharia ist die Hauptquelle der Rechtssprechung. In der Lebenswirklichkeit der ägyptischen Oberschicht und in seiner außenpolitischen Selbstdarstellung präsentierte sich Ägypten allerdings als gemäßigt islamisches Land mit säkularem Staatscharakter. Viele Akteure wollen diese prekäre Balance zwischen islamischem Anspruch (nach Innen) und säkularer Selbstdarstellung (nach Außen) jetzt neu austarieren bzw. verhandeln. Die Salafisten sind sowohl Akteure, aber auch Argument in diesem Verhandlungsprozess.

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