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Verfassung über Nacht, unvollendete Rücktritte und Neuwahlen – vielleicht

Kurzbericht KAS Belgrad 11.10.06, Claudia Nolte

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Während in vielen langen Monaten sich nichts in Serbien bewegt hat, so ändern sich die politischen Prozesse in den letzten drei Wochen täglich. Zu den Fakten Stand heute in Kurzzusammenfassung: Die neue Verfassung Serbiens ist am Abend des 30. September mit allen anwesenden 242 Stimmen, von 250 möglichen, verabschiedet worden. Am 28. und 29. Oktober zwischen 7:00 und 20:00 Uhr wird das Verfassungsreferendum durchgeführt. Zur Annahme der Verfassung werden 50%+1 „Ja“-Stimmen der in den Wahllisten eingeschriebenen Wahlberechtigten benötigt. Bei einem Erfolg des Referendums, soll zeitnah das Datum für Neuwahlen für das Parlament und das Präsidentenamt, wenn möglich an einem Tag, festgelegt werden. Bislang wird über Termine im Dezember spekuliert.

Bei genauer Betrachtung der Abläufe und des gefundenen Kompromisses zur Verfassung zeigt sich ein beachtliches Taktieren seitens des Ministerpräsidenten Kostunica auf der einen Seite und auf der anderen die starke Biegsamkeit des Parlaments und anderer demokratischen Institutionen.

Schon lange steht das Verfassungsprojekt auf dem Plan. Als 2003 Kostunica seine Minderheitsregierung begann, gehörte eine neue Verfassung zu den Schwerpunkten seiner Regierung. Eine Einigung schien aber all die Jahre unmöglich, trotz vorliegender Verfassungsentwürfe, die nicht so weit auseinander lagen. Hürde war vor allem das benötigte Verfassungsreferendum mit seinem hohen Quorum und dem erwarteten Boykott der Radikalen Partei, die immerhin die stärkste politische Kraft im Parlament und bei Umfragen ist. Kostunica nutzte die Notwendigkeit einer neuen Verfassung immer als ein Argument gegen Neuwahlen, die schon seit etlichen Monaten immer wieder ins Spiel gebracht wurden. Nun wurde eine neue Verfassung in einem solchen Eiltempo verabschiedet, dass selbst viele der Abgeordneten am Tag der Abstimmung den Entwurf noch nicht kannten und der Abstimmungstermin auch erst am Abend vorher feststand. Ganz zu schweigen von den Experten, den internationalen Institutionen oder gar der Bevölkerung.

Möglich wurde dieser Prozess aufgrund einer Einigung aller Parteien, vor allem der DSS, DS und der Radikalen Partei. Ausgearbeitet wurde der Kompromis von einem Experten-Tandem (Staats- und Lokalverwaltungsminister Zoran Lončar /DSS/ und Privatrecht-Prof. Dragor Hiber /DS/). Der Schlüssel für die Einigung ist das Kosovo. Mit einer Präambel in der Verfassung, die das Kosovo als einen Bestandteil Serbiens festschreibt, war den Radikalen aller Wind aus den Segeln genommen, sich gegen diese neue Verfassung zu stellen. Der Weg, die notwendige Mehrheit beim Referendum zu erlangen, scheint den Parteien damit gesichert. Es sind nur die kleineren, wie die Liberalen, die zu einem Boykott der Wahlen aufrufen. Stimmen in der Vojvodina, wie die von der stellvertretenden Ministerpräsidentin Ivana Dulic-Markovic (G17+) sind eher unter wahltaktischen Gesichtspunkten zu sehen, denn dort erhofft sich ihre Partei, einen großen Teil ihrer Stimmen damit zu sichern. Schließlich muß ihre Partei bangen, den Sprung über die 5%-Hürde zu schaffen.

Neben vielem Anderen leidet vor allem die Qualität der neuen Verfassung. Sie ist in jeder Hinsicht ein Kompromis, so dass jede Partei sich wiederfindet. Sich widersprechende Artikel wurden dabei billigend in Kauf genommen. Ohne hier in der Tiefe auf Details eingehen zu können, seien nur die gefundenen Kompromisse zu den früher strittigen Fragen genannt: Der Präsident wird auch künftig direkt gewählt, es wird auch weiterhin nur eine Kammer geben, Serbien ist der Staat des serbischen Volkes und aller Bürger, die in diesem Staat leben und die autonome Provinz Vojvodina wird eine größere finanzielle Unabhängigkeit bekommen. Für künftige Verfassungsänderungen ist das Quorum auf eine einfache Mehrheit bei 50% Mindestbeteiligung herabgesetzt worden. Jetzt bleiben noch knapp drei Wochen, um für den Entwurf bei der Bevölkerung zu werben.

Die Politiker sind dabei weitgehend überzeugt, dass das Referendum das notwendige Quorum erreichen wird. Anders als man es vermuten könnte, wenn man Reaktionen aus der Bevölkerung wahrnimmt. Schon die früheren Umfragen haben deutlich gemacht, dass die Bevölkerung sich kaum mobilisieren lässt. Nur 40% geben an, dass sie sich an Wahlen beteiligen würden. In Zahlen ausgedrückt: es müssen für ein erfolgreiches Referendum mehr als die Hälfte der 6,5 Millionen Wahlberechtigten mit „Ja“ stimmen und es ist nicht zu erwarten, dass die 1,3 Millionen Albaner sich am Referendum beteiligen würden. In der letzten Zeit ist deshalb darüber spekuliert worden, ob die Wahllisten verändert würden, was aber von Nenad Popovic, stellvertretendem Vorsitzenden des Koordinationszentrums für Kosovo und Metohija, ausgeschlossen wurde. Allerdings sollen die zur Rede stehenden Listen schon im Jahr 2004 „angepasst“ worden sein, so dass wahrscheinlich nur ein Bruchteil der Albaner auf den Listen registriert ist. Die technische Umsetzung des Referendums im Kosovo wird wohl ähnlich „gut“ wie bei den Wahlen funktionieren. UNMIK wird keine Unterstützung für die Durchführung leisten, aber auch niemanden an der Beteiligung hindern. Insgesamt bezweifeln viele Wähler, dass das hohe Quorum erreichbar ist. Dazu kommt bei vielen eine große Verärgerung über das Verfahren. Man fühlt sich übergangen und ungefragt. Und anders als die meisten Politiker glauben machen, gibt es viele Serben, die die Verfassung lieber ohne die Präambel zum Kosovo sähen. Man bekommt aber auch Reaktionen zu hören, die lauten, es ist sowieso egal, ob man seine Stimme abgibt oder nicht, „die“ werden schon ihre nötigen Mehrheiten bekommen, schließlich ist ja eine Nacht zwischen den beiden Abstimmungstagen.

Die Frustrationen und Enttäuschungen sind gut nachvollziehbar. Seit Jahren spüren die Menschen keine Verbesserungen. Damit geht die Bereitschaft, den Stolpereien der Politik zu folgen, verständlicher Weise verloren. Trotzdem muss gefragt werden, ob bei allen Schwächen des Verfassungsentwurfes und des Prozesses das Weiterbestehen der derzeitigen Verfassung aus Milosevic Zeiten eine echte Alternative darstellt. Bisherige fachliche Kommentare machen jedenfalls deutlich, dass der jetzte Entwurf besser ist, als was man jetzt hat. Internationale Institutionen wie die Venedig-Kommission oder die OSZE haben sich bislang nicht zum Inhalt der Verfassung geäußert.

Die Eile für das Verfahren ist zudem durchaus erklärbar. Ein erster Grund hat mit dem Koalitionspartner G17+ zu tun. Im Frühjahr hatte diese Partei schon angekündigt, am 1. Oktober die Regierung zu verlassen, wenn bis dahin nicht die Verhandlungen zum SAA wieder aufgenommen sein würden. Das sind sie nicht und so musste G17+ zu ihrem Wort stehen. Daraus ergab sich ihrer Meinung nach, dass eine Abstimmung noch am 30. September stattfinden musste. Warum eine Zustimmung zur Verfassung jenseits der Koalition nicht möglich gewesen wäre, wo doch auch die Oppositionsparteien diese unterstützen, ist nicht erläutert worden.

Inzwischen sind die Rücktritte der G17+ Minister eingereicht, ihre Gültigkeit allerdings noch nicht bestätigt. Angebliche Formfehler würden dem entgegenstehen. So hätten die Rücktrittserklärungen eine Frist enthalten, nach der sie erst nach dem Referendum Gültigkeit erlangen sollten. Solch eine Frist ist aber vom Gesetz nicht vorgesehen. Es ist zu vermuten, dass diese Variante gewählt wurde, um auf Zwischenfälle im Parlament reagieren zu können. Eigentlich war verabredet, dass das Parlament bis zum Referendum nicht mehr tagt. Da die Neuwahl dann schon bald stattfinden soll, wären die Rücktritte für die Regierung Kostunica unkritisch gewesen. Aber in den letzten Monaten ist es schon zur Normalität geworden, dass aufgrund eiliger Dinge Sondersitzungen anberaumt wurden. Und so eine Situation ergab sich dann auch jetzt, als in einer Sondersitzung über die Aufhebung der Immunität des stellvertretenden Gerichtspräsidenten der Staatsanwaltschaft wegen eines Korruptionsskandals entschieden werden musste. Ohne die G17+ Stimmen wäre eine Mehrheit nicht gesichert und so war es hilfreich darauf verweisen zu können, dass sie noch gar nicht aus der Regierung austreten konnten. Inwieweit dieses Taktieren der G17+ bei den Wahlen hilfreich ist, wird sich zeigen.

Es gibt aber einen tiefer liegenden Grund für die Eile. Und wiedermal ist dieser in der Frage Kosovo zu finden. Es scheint den politisch Verantwortlichen in Serbien langsam klar zu werden, dass es an einer Entscheidung zum Status des Kosovo kein Vorbeikommen gibt. Für diesen Fall ist es sicher, dass bei Wahlen die Wahrscheinlichkeit für eine demokratische Regierung vor einer Statusentscheidung wesentlich höher ist als danach. Der Rest ist eine Rechenaufgabe: Wenn der Status zum Jahresende entschieden wird, müssen die Neuwahlen noch im Dezember stattfinden. Da es diese aber nach Selbstfestlegung durch Kostunica nur mit einer neuen Verfassung geben kann, musste so schnell wie möglich ein Kompromiss gefunden werden. Da die Vorbereitungen sowohl für das Referendum als auch für die Wahlen entsprechende Zeitabläufe vorsehen, ließ sich tatsächlich kaum ein anderes Szenario vorstellen.

Aber ob es am Ende wirklich schon zu einer Wahl im Dezember kommt, lässt sich trotzdem nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen. Die Hoffnung, dass vielleicht auch eine Verschiebung der Statusentscheidung möglich ist, dürfte in der Kalkulation von Kostunica mit zugrunde liegen.

Und so zeigt sich der Ministerpräsident als Taktiker. Denn am Ende könnte er der Gewinner dieses Prozesses sein. Da seine Bilanz nicht sehr überzeugend ist, musste er Neuwahlen scheuen. Bei einem erfolgreichem Referendum könnte er immerhin ein Projekt als erledigt vorweisen, was sich bei den Neuwahlen positiv für ihn auswirken dürfte. Den Radikalen geht ein wichtiges Wahlkampfthema verloren, da nun alle Parteien glaubwürdig die Kosovo-Karte spielen. Schon kursieren Gerüchte über Absprachen für die Wahl. DSS und DS wissen, dass sie nach einer Wahl aufeinander angewiesen sein werden, wollte man die Radikalen verhindern. Und da auch die DS in der Neuwahl eine nicht unaktraktive Position wie die des Präsidenten zu verlieren hat, liegt es nahe, sich in den Wahlen gegenseitig zu stützen. Wenn diese Rechnungen nicht aufgeht, so sollte man nicht vergessen, dass bislang noch keine klare Absage an die Radikalen durch die DSS erfolgt ist.

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