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Führungswechsel in Singapur

Lawrence Wong übernimmt als Premierminister die Amtsgeschäfte von Lee Hsieng Loong

Am 15. Mai übernimmt der bisherige Finanzminister und stellvertretende Premierminister Lawrence Wong (51) die Regierungsgeschäfte in der Inselrepublik Singapur. Er folgt als erst vierter Regierungschef in der knapp sechzigjährigen Geschichte des Landes seit der Staatsgründung im Jahr 1965 auf Lee Hsieng Loong (72), der seit 2004 den Stadtstaat führte. Die Übergabe der Amtsgeschäfte ist von langer Hand vorbereitet. Lee hatte bereits für 2022 angekündigt, vom Posten des Premierministers zurücktreten zu wollen. Am 5. November des vergangenen Jahres folgte die Konkretisierung, sein Amt spätestens im November 2024 an seinen Stellvertreter Lawrence Wong zu übergeben. Mitte April kam die überraschende Ankündigung, dass Wong bereits am 15. Mai als neuer Premier vereidigt werden solle. Mit der Übergabe der Amtsgeschäfte auf den zwanzig Jahre jüngeren Lawrence Wong wird ein Generationenwechsel eingeleitet. Mit Lee Hsieng Loong zieht sich der älteste Sohn von Staatsgründer Lee Kuan Yew aus der ersten Reihe der Politik zurück. Lee wird dennoch dem Regierungskabinett in beratender Funktion als Senior Minister erhalten bleiben.

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Lawrence Wong als Vertreter der 4G

Mit Lawrence Wong tritt die vierte Generation („4G“) von Spitzenpolitikern das Erbe Lee Kuan Yews an. Diese löst nun schrittweise die Vorgängergeneration um Lee Hsien Loong und Staatspräsident Tharman Shanmugaratnam (67) ab, die bei der rasanten Entwicklung Singapurs in den vergangenen zwanzig Jahren Schlüsselrollen einnahmen. Lawrence Wongs politische Karriere begann, als er 2011 als Abgeordneter für die People's Action Party (PAP) erstmals ins Parlament gewählt wurde.  Zuvor war er als Beamter in verschiedenen Ministerien und Positionen (u.a. Handel & Industrie, Gesundheit, Finanzen) tätig. In den Jahren zwischen 2005 und 2008 war er als Privatsekretär für Premierminister Lee tätig.
Innerhalb der PAP stieg Wong nach 2011 schnell auf und bekleidete in den letzten Jahren wichtige Ämter innerhalb von Partei und Regierung. Kurz nach Einzug ins Parlament sammelte er erste Regierungserfahrung als Staatssekretär im Verteidigungs- und anschließend im Bildungsministerium. Sein erstes Ministeramt für „Culture, Community and Youth“ führte er ab Mai 2014, bevor er im Oktober 2015 als Minister für Nationale Entwicklung („National Development“) die Zuständigkeiten wechselte. Hierzu zählen die Bereiche wie Stadtplanung, sozialer Wohnungsbau und eine Anpassung der Stadt an die Herausforderungen des Klimawandels, von denen Singapur als Inselstaat besonders stark betroffen ist. Wong übernahm sodann im Juli 2020 die Geschicke als Bildungsminister, bevor er im Mai 2021 als Finanzminister das Ressort erneut wechselte. Als Finanzminister Singapurs war Wong zuletzt u.a. für die Wirtschaftspolitik und Haushaltsplanung des Landes verantwortlich.
Besonders während der Covid19-Pandemie trat er als Krisenmanager in Erscheinung und wurde so einer breiten Bevölkerung in Singapur bekannt. In dieser herausfordernden Zeit stand Wong als Ko-Vorsitzender des Krisenstabs der Regierung im Rampenlicht und sorgte dafür, dass Singapur eine der niedrigsten Raten an Infektionen und Todesfällen weltweit aufwies.  Zudem sorgte er für die Verabschiedung einiger wirtschaftspolitischer Maßnahmenpakete, um die Auswirkungen der Pandemie abzumildern.
Durch seine ministeriale Erfahrung in mehreren Ressorts wie Verteidigung, Bildung, Entwicklung und Finanzen weist Wong ein ausgezeichnetes Portfolio für die Nachbesetzung von Lee auf, denn gerade diese Bereiche sind für den Standort Singapur und dessen Zukunftsfähigkeit von großer Bedeutung. Zudem hat Lawrence Wong als stellvertretender Premierminister in den zurückliegenden Monaten mit Auslandsreisen nach China, in die USA, nach Deutschland und Frankreich sowie in die Nachbarländer Malaysia und Indonesien begonnen, sein außenpolitisches Profil zu schärfen.
 

Singapurs Weg in die Zukunft

Lawrence Wong tritt das Amt des Regierungschefs „mit Bescheidenheit und einem tiefen Pflichtgefühl“ an. Singapur sieht sich mit Herausforderungen konfrontiert, die mit demografischen und geopolitischen Fragen zusammenhängen, wie z. B. einer alternden Erwerbsbevölkerung, einer reifenden Wirtschaft, dem wachsenden Einfluss der sozialen Medien, des Klimawandels und dem zunehmenden Wettbewerb durch andere Handelsabkommen.  Daneben ist der Stadtstaat ohne nennenswerte eigene Rohstoffe in hohem Maße von Energieimporten sowie auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen.
Aufgabe der 4G-Führung ist es nun, Singapurs Fortschritt in einer „unruhigen Welt“ fortzusetzen, wie Lawrence Wong betonte , und den erlangten Wohlstand für die nächste Generation zu wahren. Dabei gilt es insbesondere auch die Jüngeren für den singapurischen Traum und nicht zuletzt für die politische Kraft der letzten Jahrzehnte – die People Action Party – zu begeistern. Denn obwohl die PAP bei den letzten Parlamentswahlen im Jahr 2020 83 der 93 Sitze im Parlament und 61 Prozent der gesamten Stimmen in der Bevölkerung gewann, ließ die Unterstützung im Vergleich zu den Parlamentswahlen von 2015 um neun Prozentpunkte nach. Hier wurde vor allem die Unzufriedenheit der jüngeren Wähler mit dem sorgfältig verwalteten demokratischen System des Landes als Grund ausgemacht. Umfragen nach den Wahlen ergaben, dass die Unterstützung für die oppositionelle Arbeiterpartei, die die verbleibenden zehn Sitze gewann, bei den 21- bis 25-Jährigen am höchsten war.
Mit Lawrence Wong an der Spitze der Partei hofft die PAP wieder auf mehr Zustimmung innerhalb der jüngeren Bevölkerungsgruppe. Wong gilt als volksnah und kompetent. Im Juni 2022 lancierte das 4G-Parteiführungspersonal um Lawrence Wong die landesweite „Singapore Forward“-Kampagne , an der sich 200.000 Inselbewohner beteiligten, um über die Herausforderungen der Gegenwart und eine Roadmap für die Zukunft zu diskutieren. Am Ende der Kampagnen stand eine Strategie, die Singapur noch lebenswerter, inklusiver, fairer und widerstandsfähiger in die Zukunft führen soll. Die damit verbundenen Investitionen in Höhe von 40 Milliarden Singapore Dollar (ca. 27 Mrd. Euro) in den nächsten zehn Jahren fließen in erster Linie in (technische) Ausbildung, Gesundheitsversorgung und Infrastruktur und zielen vor allem auf Bürger mit kleineren und mittleren Einkommen sowie ältere Menschen. Nicht zuletzt auf diese Bevölkerungsgruppe nahm der wirtschaftliche Druck angesichts steigender Wohn- und Lebenshaltungskosten stetig zu. Daneben gilt es, das kleine Land mit seiner strategischen Lage an einer der wichtigsten Handelsrouten der Welt sorgsam zwischen den rivalisierenden Großmächten zu navigieren.
In seiner letzten großen Rede als Ministerpräsident im Rahmen der Feierlichkeiten am 1. Mai hob der scheidende Regierungschef Lee nochmals die Kernelemente der singapurischen Erfolgsgeschichte hervor: Sozialer Zusammenhalt, langfristige Planung und politische Stabilität. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Rivalität der Großmächte, der populärer werdenden Forderung nach Deglobalisierung, des technischen Fortschritts, der mit dem Ausbau der künstlichen Intelligenz eine neue Dimension erreicht, des Klimawandels und einer latenten Kriegsbedrohung warnte Lee vor Populismus und kurzfristigen Zugewinnen. „Das System muss nicht völlig versagen, damit Singapur in Schwierigkeiten gerät. Selbst wenn wir nur ein durchschnittliches Land werden, sind wir bereits in ernsthaften Schwierigkeiten" .
Mit diesen Worten legt Lee Hsien Loong die Messlatte für seinen Nachfolger hoch. Er steht damit in der Tradition seines Vaters und Staatsgründers Lee Kuan Yue, der seinerzeit durch geschicktes Auftreten die kleine Inselrepublik vom Entwicklungsland in den Kreis der hochentwickelten Länder geführt hat, das heute über den drittgrößten Hafen, die zehntgrößte Flotte, einen der größten Flughäfen und das viertgrößte Devisenhandelszentrum der Welt verfügt. Mit Lawrence Wong tritt nun ein Vertreter der vierten Generation das Erbe der Staatsgründer an, der den Stadtstaat auf das nächste Level heben soll. Mit seinem sozialen Hintergrund aus der Mitte der Gesellschaft und seiner Verwaltungserfahrung in verschiedenen Ämtern und Ministerien scheint kaum jemand besser geeignet als Lawrence Wong dieses Erbe anzutreten.

 

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Andreas Michael Klein

Leiter des Regionalprogramms Politikdialog Asien

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