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Korrupte Richter – Bedrohung für den Rechtsstaat

von Dr. Franziska Rinke, Marie-Christine Fuchs, Gisela Elsner, Aishwarya Natarajan, Dr. Arne Wulff, Nils Seidel, Hartmut Rank, Mahir Muharemović, Dr. jur. Anja Schoeller-Schletter
Richter sind das Kernstück eines funktionierenden Rechtsstaats. Leider sind auch sie nicht vor Korruption gefeit. Mehrere spektakuläre Fälle der letzten Jahre haben gezeigt, dass korrupte Richter weltweit ein Problem sind. Zwar müssen Lösungen im Kampf gegen Korruption in der Justiz auf nationaler Ebene gefunden werden, dennoch lohnt sich eine globale Perspektive auf dieses Phänomen.

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Einleitung

Franziska Rinke

Richter sein ist mehr als ein Beruf. Richterinnen und Richtern wird, entsprechend ihrer Stellung, eine herausragende Bedeutung im Staatswesen beigemessen. Unabhängig, also frei in ihrer Entscheidungsfindung und nur an Recht und Gesetz gebunden, sollen sie sein. Sie üben eine wichtige Kontrollfunktion aus und sind ein notwendiges Gegengewicht zur Gesetzgebung und zur Exekutive. Sie bilden das Rückgrat eines funktionierenden Rechtsstaats. Korrupte Richter sind aus diesem Grund eine der größten Bedrohungen für einen Rechtsstaat. (Antikorruptions-) Gesetze laufen ins Leere, wenn sie durch Richter durchgesetzt werden sollen, die selbst korrupt sind.

Um das genaue Ausmaß der Justizkorruption festzustellen, ist zunächst eine Klärung des Begriffs notwendig. Dies ist nicht ohne Schwierigkeiten möglich. Selbst das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption, der mit 186 Ratifikationen umfassendste völkerrechtlich bindende Vertrag zur globalen Korruptionsbekämpfung, lässt eine genaue Definition des Begriffs vermissen. Jedoch wird man unter Justizkorruption, der Definition von Transparency International folgend, zumindest den Missbrauch der eigenen Position durch Justizpersonal zur persönlichen Bereicherung, sowohl mittels materieller als auch immaterieller Vermögenswerte, jegliches Handeln mit Informationen oder sonstige Einflussnahmen auf den gerichtlichen Entscheidungsprozess sowie politische Einflussnahmen auf die Justiz und ihre Entscheidungsprozesse, insbesondere durch politisch motivierte Ernennungen und Entlassungen von Justizpersonal, einordnen können.

Dass Korruption die richterliche Integrität untergräbt, ist augenscheinlich. Die Folgen hinsichtlich eines effektiven und unparteiischen Justizsystems sowie der richterlichen Unabhängigkeit sind jedoch weitaus gravierender. Viele Länder scheitern im Kampf gegen die Korruption, nicht nur im Bereich der Justiz. Wie stellen sich die Entwicklungen der letzten Jahre dar und gibt es Hoffnung auf Besserung?

Im Jahr 2015 hat das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (United Nations Office on Drugs and Crime, ­UNODC) auf dem 13. Kongress der Vereinten Nationen für Verbrechensprävention und Strafjustiz in Katar die „Doha Declaration“ verabschiedet. Die Erklärung ist handlungsorientiert und stützt sich auf vier Grundpfeiler. Einer davon ist richterliche Integrität. Im April 2018 wurde das Global Judicial Integrity Network ins Leben gerufen. Dies ist ein Netzwerk von Richtern für Richter mit einem peer-to-peer-Ansatz. Neben dem Austausch stehen vor allen Dingen Weiterbildungsangebote im Vordergrund, basierend auf den „Bangalore Principles of Judicial Conduct“. Sie zielen darauf ab, die Justiz bei der Stärkung der richterlichen Integrität und der Verhinderung von Korruption im Justizbereich zu unterstützen. Erklärtes Fernziel ist es, das Vertrauen in öffentliche Institutionen zu stärken.

Diese globalen Entwicklungen sind begrüßenswert. Im Kampf gegen Justizkorruption müssen jedoch in erster Linie nationale Lösungen gefunden werden. Alle Länder, Regionen und Kontinente sind divers sowohl in politischer, wirtschaftlicher, kultureller als auch in rechtlicher Hinsicht. Es kann keine Einheitslösungen geben. Doch können effektive Antikorruptionsmaßnahmen in einem Land zu Denkanstößen woanders führen. Die konkreten Korruptionsbeispiele aus den verschiedenen Weltregionen werden den Finger in die Wunden legen, gleichzeitig aber konkrete Lösungswege aufzeigen, die Vorbild für andere Regionen sein können.

Lateinamerika

Marie-Christine Fuchs

Korruption in der Justiz gehört in Lateinamerika zur Tagesordnung und wurde jahrzehntelang von der Bevölkerung, aber auch von staatlicher Seite als nicht vermeidbares Übel wahrgenommen. Wer Geld oder Macht hat, kann sich etwa durch die Bestechung von Richtern oder durch das Inaussichtstellen lukrativer Posten nach Beendigung ihrer Karriere leicht die Gunst korrumpierbarer Richter sichern. Dabei steigert es die Empfänglichkeit der Richter für solche illegalen Vorteile, dass gerade in niedrigeren Positionen ihr Gehalt kaum ausreicht, um eine Familie zu ernähren. Selbst redliche Richter, die sich gesetzestreu verhalten möchten, werden des Öfteren durch Bedrohungen der körperlichen Unversehrtheit oder gar des Lebens gefügig gemacht. Sie fällen aus Angst Entscheidungen, die mit objektiver Anwendung und Auslegung der Gesetze nicht mehr viel zu tun haben. In Extremfällen wie in Venezuela, wo spätestens seit der Machtergreifung des diktatorischen Herrschers Nicolás Maduro der Rechtsstaat de facto aufgehört hat zu existieren, dient die Justiz nur noch als verlängerter Arm der Exekutive. Richterliche Unabhängigkeit gibt es dort nicht.

In Peru kam es Mitte 2018 zu einem Korruptionsfall, der viele hochrangige Richter, Staats- und Rechtsanwälte, Justiz- und Verwaltungsbeamte, darunter der Justizminister, der Generalstaatsanwalt, der Präsident der Justizverwaltung und der Leiter der nationalen Wahlbehörde, zur Niederlegung ihrer Ämter zwang und schließlich sogar eine Verfassungsreform auslöste. Perus Justiz ist bis heute im Kern getroffen. Ausschlaggebend dafür waren mitgeschnittene Telefonaufzeichnungen, die offenlegten, dass es in der peruanischen Justiz jahrelang zu moralisch und ethisch verwerflichem Verhalten von Justiz- und Verwaltungsrepräsentanten, von freundschaft­lichen Bitt- und Hilfestellungen im richterlichen, administrativen und politischen Netzwerk bis hin zu „Wunschurteilen“ zugunsten führender Politiker gegen Bares kam, so z. B. in der Affäre um den Hafen von Callao bei Lima. Im Sommer 2018 erfolgten fast täglich neue Veröffentlichungen von prekären Tonbandaufzeichnungen, die das interne sowie externe Ausmaß des justiziellen Korruptionsnetzwerkes Schritt für Schritt ans Licht brachten. Die Tonbänder wurden flächendeckend in lokalen Fernseh- und Radiosendern ausgestrahlt. Tausende Menschen gingen auf die Straße. In der in Reaktion auf den Skandal per Plebiszit auf den Weg gebrachten Justizreform soll nun insbesondere die Richterauswahl, die zuvor durch einen allmächtig erscheinenden und korruptionsanfälligen Richterrat erfolgte, einer Kompletterneuerung unterzogen werden. Eine neu geschaffene Richterauswahljunta soll zukünftig mit Mitgliedern besetzt werden, deren wichtigstes Auswahlkriterium ihre nachgewiesene Distanz zur Politik ist. Bezeichnend ist jedoch, dass bis heute nur ein einziger geeigneter Kandidat gefunden wurde. Darüber hinaus sind bis heute, mehr als ein Jahr nach Veröffentlichung der ersten Tonbandaufzeichnungen, nur zwei von acht geplanten Gesetzesänderungen umgesetzt worden.

Auch in Kolumbien kam es in den letzten Jahren zu aufsehenerregenden Skandalen wie z. B. den um den Verfassungsrichter Pretelt aus dem Jahre 2015. Diesem wurde nachgewiesen, gegen Zahlung einer beträchtlichen Geldsumme der Firma Fidupetrol ein Verfahren, das dem Unternehmen umgerechnet 7,5 Millionen US-Dollar Strafzahlung auferlegen sollte, unrechtmäßig niedergeschlagen zu haben. Er wurde seines Amtes enthoben und strafrechtlich verurteilt.

Um langfristig Erfolg zu haben, muss sich die Justiz dringend von innen heraus demokratisieren.

Anlass zur Hoffnung liefert jedoch die Tatsache, dass es anders als in vielen anderen Staaten der Welt, in denen Korruptionsstraftaten in höchsten Justizkreisen regelmäßig ungesühnt bleiben, in Kolumbien zu groß angelegten, strafrechtlichen Verurteilungen der Involvierten kam. Zudem wurde das missbrauchsanfällige ­kolumbianische System der gerichtlichen Zuweisung von Fällen reformiert. Es ist heute transparenter und öffentlich zugänglicher. Auch wenn die Aufdeckung und Aburteilung der aufgezeigten Korruptionsfälle noch keinen flächendeckenden Abschreckungseffekt haben, so lassen sie Bürger und redliche Richter hoffen, dass Bestechung in der Justiz zukünftig immer weniger ungeahndet bleibt. Um langfristig Erfolg zu haben, muss sich die Justiz jedoch dringend von innen heraus demokratisieren. Die Richterauswahl muss streng nach dem Leistungsprinzip erfolgen und transparent ausgestaltet sein. Die Richter müssen sich der Würde ihres Amts bewusst werden. Nur so kann das verloren gegangene Vertrauen in die staatliche Justiz in Lateinamerika Stück für Stück wiederhergestellt werden.

Asien

Gisela Elsner / Aishwarya Natarajan

Recht haben und Recht bekommen ist leider auch in Asien mitunter eine Frage der Beziehungen und des Geldbeutels. Die Länder der Region zeichnen sich durch große Heterogenität in politischer, religiös-kultureller, sozialer und ökonomischer Hinsicht aus. Dies hat auch Auswirkungen darauf, wie Recht bzw. Rechtsstaatlichkeit gesehen werden. Korruption in der Justiz, mangelnde Accountability und fehlende Verfahrensregeln etwa für die Untersuchung von Unregelmäßigkeiten oder für die Ernennung von Richtern sind weit verbreitet, wie die folgenden Beispiele aus Indonesien, Indien und Malaysia zeigen.

Akil Mochtar, ehemaliger Abgeordneter im indonesischen Repräsentantenhaus, wurde 2008 ans Verfassungsgericht der Republik Indonesien berufen. 2013 wurde er zu dessen Präsident gewählt. Sein Aufstieg in die höchste richter­liche Position des Landes kam überraschend, da er weder als juristische Koryphäe noch als führender Wissenschaftler bekannt war. Nach nur sechs Monaten als Verfassungsgerichtspräsident enthob ihn der damalige indonesische Präsident Yudhoyono seines Amtes. Mochtar wurde von der Antikorruptionskommission verhaftet und für schuldig befunden, im Rahmen eines Rechtsstreits, der ihm zur Entscheidung vorlag, Bestechungsgelder in Höhe von mehreren Millionen US-Dollar angenommen zu haben. Er wurde 2014 vom Antikorruptionsgericht – erstmals in dessen Geschichte – zu lebenslanger Haft verurteilt. Justizkorruption führte zur Hinterfragung der Legitimität des Verfassungsgerichts auch nach der Amtsenthebung und Verurteilung von Akil Mochtar. 2017 kam es zu einem weiteren Skandal, bei dem die indonesische Antikorruptionsbehörde den Verfassungsrichter Patrialis Akbar in einem mutmaßlichen Bestechungsfall festnahm.

Eine unrühmliche Rolle spielte 2017 auch der damalige Chief Justice des Obersten Gerichtshofs in Indien, Dipak Misra. Der Oberste Richter versuchte manipulativ in anhängige Fälle am Gericht einzugreifen, in denen er ein konkretes Eigeninteresse hatte. Dies führte dazu, dass ein Untersuchungsausschuss eingerichtet werden sollte. Unter Ausnutzung seiner Befugnisse im Hinblick auf die Gerichtsorganisation machte er die Einsetzung jedoch rückgängig und verwies den Fall an die Kammer, die er als vorsitzender Richter selbst leitete. Stattdessen hätte er sich für befangen erklären müssen. Er hätte also weder als Richter in dem Fall entscheiden noch bei Zuweisung des Falles an einen Spruchkörper mitwirken dürfen. Der Fall zeigt einen Mangel an klaren Regeln für die Ausübung der Befugnis des Chief Justice. Er weist aber auch auf die Tatsache hin, dass es an Verfahren fehlt, Korruptionsvorwürfe gegen hochrangige Richter einzureichen und zu untersuchen.

Prozessbetrug, Veruntreuung und politische Einflussnahme sind die Schlagwörter im Fall aus Malaysia. Konkret ging es um Verträge, die zwischen Vertretern der Politik und der Regierung geschlossen wurden. Nachdem letztere von den Verträgen zurücktrat, wurde die Regierung von der Vertragspartei auf Schadensersatz verklagt. Wird dieser durch ein wohlgesonnenes Gericht zugesprochen, liegt der Schaden bei der Staatskasse. Eklatant ist vor allen Dingen das Zusammenspiel mehrerer Gewalten, die eigentlich für die Checks and Balances in einem Land verantwortlich sind. Mitwisser am Gericht schweigen oft zu diesen Vorwürfen im Interesse der nächsten Beförderung. Anders im vorliegenden Fall. Ein hoher Richter, deckte die Machenschaften erst durch seine eidesstaatliche Versicherung auf.

Fälle wie diese schaden nicht nur dem Ruf eines Gerichts, sondern beeinträchtigten dessen Legitimität. Letztendlich mündet dies in mangelndem Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz. Institutionelle Reformen, das Nachhalten ihrer Umsetzung und auch eine Bewusstseins­änderung bei den Justizeliten über ihre wichtige Rolle als beispielgebende, Recht schaffende Akteure in einem demokratischen Rechtsstaat sind dringend notwendig, um diese Herausforderungen anzugehen. Die Bewusstseinsbildung muss dabei bereits im Studium erfolgen sowie in der Aus- und Fortbildung von Richtern, Staatsanwälten und Angehörigen der Justizverwaltung fortgesetzt werden.

Subsahara-Afrika

Arne Wulff / Nils Seidel

148 Milliarden US-Dollar sind viel Geld – etwa 20 Berliner Flughäfen, 13 Haushalte des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie circa ein Viertel des durchschnittlichen Bruttoinlandsproduktes aller afrikanischer Länder. Laut Schätzung der Geschäftsführerin der Wirtschaftskommission für Afrika der Vereinten Nationen, Vera Songwe, handelt es sich dabei um den Betrag, welcher dem Kontinent jährlich durch Korruption entzogen wird. Auch wenn Korruption geografische und sprachliche Grenzen überschreitet, sich durch alle politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereiche des Kontinentes zieht, so weckt doch ihre Ausweitung auf die Justiz besondere Besorgnis.

Eine Abschätzung des tatsächlichen Ausmaßes der Justizkorruption in Subsahara-Afrika ist mangels genauer Fallzahlen nur schwer möglich. So führte bereits Mario Fumo Bartolomeu Mangaze, Vorsitzender Richter des Obersten Gerichtshofes von Mosambik, aus: „Auch wenn statistische Erhebungen über die durch Gerichte bearbeiteten Korruptionsfälle nicht zur Verfügung stehen, ist es nicht schwer zu erkennen, dass solche Zahlen zu niedrig wären, da es sich bei der Justizkorruption um eine Grauzone handelt.“ Heutzutage wird es immer schwieriger, Beweise für Korruptionsverbrechen zu finden. Bestechungsgelder werden oft nicht mehr bar oder per Scheck bezahlt, sondern elektronisch an Konten im Ausland überwiesen oder über das Internet übermittelt. Oft bleiben Vorwürfe der Justizkorruption fernab der Öffentlichkeit, da auf Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigten verzichtet wird. Der Mangel an offiziellen Zahlen lässt jedoch keinesfalls den Schluss zu, dies sei nur ein Scheinproblem. Wie weit sich die Justizkorruption tatsächlich ausbreitet, wird immer wieder durch einzelne Enthüllungen sichtbar.

So beispielsweise 2015 in Ghana: Zwei Jahre hatte sich der Investigativjournalist Anas Aremeyaw Anas als Freund oder Verwandter von Angeklagten ausgegeben und dabei 34 Richter gefilmt, wie sie Bestechungsgelder und in einem Fall eine Ziege, im Gegenzug zur Verhängung milderer Strafen, angenommen hatten. Die Aufnahmen wurden schließlich im Film „Ghana in the Eyes of God“ (Ghana in den Augen Gottes) veröffentlicht und führten zur Entlassung von 13 Richtern der Oberen Gerichtshöfe, 20 Richtern aus niederen Instanzen sowie 19 Beamten der Justizverwaltung und von Übersetzern.

Eine Gefahr für die Unabhängigkeit der Gerichte geht jedoch nicht nur von Privatpersonen und Unternehmen aus, sondern auch von Organen des Staates selbst in Form politischer Einflussnahme. Im Fokus steht daher immer wieder der Ernennungsprozess der Richter. So wird in Äthiopien eine Tendenz zur Rekrutierung von Staatsanwälten und Richtern aus der aktiven Mitgliedschaft der Regierungspartei oder ihrer regionalen Ableger beklagt. Dieses Phänomen ist erst recht erkennbar in Staaten Subsahara-­Afrikas, welche über keinen oder nur einen unzureichend unabhängigen Justizrat verfügen, der über die Kandidaten für Richterämter verbindlich entscheidet. So gehen zum Beispiel alle Mitglieder des für die Auswahl von Kandidaten entscheidenden Justizrates Tansanias auf Ernennungen des Präsidenten zurück. Hinzu kommt, dass dieser bei der Ernennung der Richter nicht an die Empfehlungen des Justizrates gebunden ist.

Das Vertrauen in die Makellosigkeit richterlicher Entscheidungen ist gerade der Ursprung der juristischen Gewalt.

Laut einer repräsentativen Umfrage des ­Gallup-Institutes gaben 52 Prozent der Befragten aus allen afrikanischen Ländern an, kein Vertrauen in die Justiz zu haben. Dabei ist das Vertrauen in die Makellosigkeit richterlicher Entscheidungen gerade der Ursprung der juristischen Gewalt. Die Judikative selbst besitzt keine Mittel der Rechtsetzung und Vollstreckung, ihre Macht liegt allein in ihrer öffentlichen Akzeptanz als Schiedsrichter über die Gewalten, als fried­liche Schlichtungsinstanz von Disputen jeglicher Art. Vertrauen in die Justiz und die Integrität ihrer Entscheidungsträger kann letztlich nur durch die Bekämpfung der Justizkorruption herbeigeführt werden.

Südosteuropa

Hartmut Rank / Mahir Muharemović

Glaubt man den Medien und der Perzeption der Bürger, sind die Richter in den meisten Ländern Südosteuropas politisch abhängig und korrupt. So konnte man beispielsweise in den letzten Jahren in den serbischen Medien lesen, wie in einzelnen Fällen gegen Richter Strafverfahren geführt und sie wegen Korruption verurteilt wurden. Auch Amnesty International bestätigt, dass die Justiz in diesen Ländern als abhängig und korrupt wahrgenommen wird, mit einer Tendenz zur Verschlimmerung. Sieht man jedoch von den Einzelfällen in Serbien ab, bei denen es sich im Übrigen um low-profile-Korruptionsfälle handelt, ohne politischen Kontext oder Systemrelevanz, gab es zwar vereinzelt Anklagen gegen Richter, doch resultierten diese nicht in rechtskräftigen Verurteilungen.

Wie ist diese Diskrepanz zu erklären? Möglicherweise wird durch die Medien die Korruption in der Justiz künstlich aufgebläht, um Druck auf diese auszuüben. Ein Funken Wahrheit steckt sicher darin, da die Medien in der Region als nicht sonderlich unabhängig gelten. Die Korruption in der Justiz hat jedoch tiefere Wurzeln als objektiv (im Sinne rechtskräftiger Verurteilungen) erkennbar.

Exemplarisch hierfür steht ein jüngst bekannt gewordener Fall in Bosnien und Herzegowina. Der Vorsitzende des Hohen Richterrates, Milan Tegeltija, wurde zusammen mit einem Polizeiinspektor von einem lokalen Geschäftsmann in einer Bar gefilmt, als er diesem versprach, seinen Fall gemeinsam mit der Oberstaatsanwältin zu „überprüfen“. Die Staatsanwaltschaft untersuchte die Vorwürfe des Geschäftsmanns, der zuvor eine Strafanzeige gegen einige einflussreiche Personen gestellt hatte, nicht effektiv. Später war im Video zu sehen, wie der Polizeiinspektor ohne das Beisein des Vorsitzenden von dem Geschäftsmann einen größeren Geldbetrag entgegennimmt und dabei sagt, das Geld sei für den Vorsitzenden bestimmt. Der Vorsitzende wurde kurz darauf von seinen Kollegen im Richterrat in einem Disziplinarverfahren freigesprochen. Im anhängigen Strafverfahren wird er nicht einmal als Verdächtiger geführt. In Rumänien hingegen hat es in den letzten Jahren durchaus mehrere Verurteilungen von Richtern (bis hinauf zum Obersten Gerichtshof) wegen Korruptionsdelikten gegeben und zwar zum Teil mit empfindlich langen Haftstrafen.

Es ist schwierig, sofern die Korruption in den höchsten Ebenen der Justiz angekommen ist, Richter strafrechtlich zu verfolgen. Notwendig ist vielmehr, dass bestehende Verflechtungen aufgelöst werden. In vielen südosteuropäischen Ländern bestehen alte Seilschaften, die weit über die Justiz hinausgehen. Es wird, teilweise sogar offen, Klientelismus in den höchsten Justiz­gremien betrieben. Dies hat schwerwiegende Konsequenzen: mangelnde Kompetenz, Abhängigkeiten, Straflosigkeit und Vertrauensverlust. Hiergegen hilft wohl nur eine tiefgreifende Lustration, wie sie in Albanien derzeit betrieben wird. 2018 hat man dort eine umfassende Überprüfung sämtlicher Staatsanwälte und Richter begonnen, das Vetting. Im Mai 2019 wurden nach der Überprüfung von 140 Richtern oder Staatsanwälten nur 53 im Amt bestätigt. Häufigster Grund des Nichtbestehens war dabei, dass die betroffenen Richter oder Staatsanwälte nicht plausibel nachweisen konnten, auf welchem Weg sie ihr Vermögen erworben hatten.

Was kann angesichts publik gewordener Korruptionsfälle, offensichtlicher richterlicher Fehlentscheidungen und zugleich nur begrenzter juristischer Aufarbeitung in Zukunft besser gemacht werden? Rigide Transparenz und die Offenlegung sämtlicher Vermögensverhältnisse sind sicher Instrumente, die verlorenes Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz Südosteuropas teilweise wiederherstellen können. Es führt wohl kein Weg vorbei an einer tiefgreifenden Lustration, die unbelastete Juristen, mit einem besseren Berufsethos und immun gegen Empfänglichkeiten von dritter Seite, hervorbringen sollte.

Naher Osten und Nordafrika

Anja Schoeller-Schletter

Unter großer medialer Aufmerksamkeit wurde im Januar 2017 ein stellvertretender Oberster Richter des ägyptischen Verwaltungsgerichts wegen des Vorwurfs der Annahme von Bestechungsgeldern verhaftet. Eine mediale Berichterstattung über die rechtlichen Details des Falles fand indes nicht statt. Im Mai 2017 wurde ein marokkanischer Richter wegen Bestechung zu einem Jahr Haft verurteilt, wobei auch dieses Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgte. Daneben wurden erst kürzlich im Iran, im Rahmen einer internen Antikorruptionskampagne, mehrere hochrangige Angehörige des Justizapparates verhaftet. Auch im Libanon wurde Anfang dieses Jahres eine Kampagne zur Eindämmung von Korruption unternommen. Diesen Fällen der Korruptionsbekämpfung ist neben den wenigen anderen bekannten Beispielen innerhalb der ­MENA-Region gemein, dass eine Information der Öffentlichkeit über den konkreten rechtlichen Vorwurf, die Ergebnisse von Ermittlungen und die prozessuale Verfahrensweise kaum erfolgt.

In den Ländern der ­MENA-Region spielen gewachsene Verbundenheit und politische Zugehörigkeiten eine große Rolle. Ein libanesischer Richter hat die drei größten Risiken, denen Richter in seinem Land ausgesetzt sind, so beschrieben: „Erstens der Versuch von Richtern, ihre Karriere zu beschleunigen, indem sie versuchen, das Wohlwollen einflussreicher Persönlichkeiten zu gewinnen. Zweitens zu versuchen, Teil der Elite zu werden und dabei die richterliche Zurückhaltung zu vergessen, die in der Justizfunktion benötigt wird. Und drittens – und am gefährlichsten für die Entscheidungsträger im Justizwesen – die mit der Leitungsposition erforderliche Neutralität zugunsten alter Loyalitäten aufzugeben und damit politischen Ambitionen entgegenzutreten, die versuchen, in den Rechtsraum einzudringen.“

Die Öffentlichkeit wird in der MENA-Region kaum über den konkreten rechtlichen Vorwurf eines Korruptionsfalls und Ergebnisse von Ermittlungen informiert.

Weitverbreitete Skepsis innerhalb des Richterstandes gegenüber den Erfordernissen von Transparenz, Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen und der Zugänglichkeit von Informationen tragen nicht zur Förderung von Bürgervertrauen in die Justiz bei. Dabei sind es auch tieferliegende strukturelle Fragen, die es Richtern erschweren, frei von äußerem Druck oder unzulässigem Einfluss bei der Prüfung von Fällen zu bleiben. Hinzu kommt, als grundlegende Herausforderung in der ­MENA-Region eine generell sehr mächtige Exekutivgewalt, der gegenüber es an Gegengewicht durch eine starke Legislative und Judikative fehlt.

Zu den wichtigsten Problemfeldern gehören die Ernennungs- und Beförderungsverfahren, bei denen die Prüfung der Qualifikationen der Bewerber nicht transparent ist oder sich nicht auf festgelegte und überprüfbare Kriterien bezieht. Hierdurch eröffnet sich für Regierungsmitglieder oder politische Interessengruppen Raum, bestimmte Bewerber zu forcieren. Daneben spielen auch finanzielle Abhängigkeiten eine Rolle. Darin inbegriffen ist eine unzureichende Finanzierung des Gerichtssystems, sei es durch Vernachlässigung oder durch vorsätzliches Handeln.

Im Bewusstsein über die Notwendigkeit einer funktionsfähigen, professionellen, unabhängigen und berechenbaren Justiz gibt es in zahlreichen Ländern der Region Reformvorhaben. Basierend auf den Erfahrungen der Länder werden dabei strukturelle Garantien richterlicher Kompetenz und Unabhängigkeit sowie verstärkte Transparenz und Nachvollziehbarkeit eine Rolle spielen. Die Frage, wie diese jeweils erreicht werden, wird in jedem landesspezifischen Kontext anders zu beantworten sein. Dazu könnten festgelegte Geschäftsverteilungspläne, Ernennungs- und Beförderungsverfahren, die streng an nachvollziehbaren Kriterien orientiert sind, sowie der Ausbau von Strategien im Hinblick auf Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beitragen, wie auch die konstruktive Begleitung der sich in der Region zunehmend gründenden berufsständischen Richtervereinigungen und -verbände.

Ausblick

Franziska Rinke

Korruption in der Justiz ist leider kein Einzelphänomen. Vielmehr lassen die schillernden Beispiele vermuten, dass dies nur die Spitze des Eisberges ist. Mögen die rechtlichen, historischen und kulturellen Gegebenheiten in den beleuchteten Weltregionen ganz unterschiedliche sein, lassen sich doch augenscheinliche Parallelen ziehen.

Erstens: Die Aufdeckung von Korruption unter Richtern findet, soweit überhaupt, üblicherweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Medial wird nur wenig berichtet. Vielmehr will man bewusst hinter verschlossenen Türen agieren. Nötig ist mehr Transparenz. Einerseits als Abschreckung, andererseits auch, um Vertrauen in der Bevölkerung wieder zu gewinnen. Ob man dabei gleich soweit gehen muss wie in Lateinamerika und die Prozesse live im Fernsehen ausstrahlt, soll dahin gestellt bleiben.

Zweitens: Seilschaften und Klientelismus sind Gift für die Unabhängigkeit der Justiz. Bestehende Strukturen müssen zerschlagen werden. Ein Best Practice-Beispiel könnte der ­Vetting-Prozess in Südosteuropa sein. So können unverhältnis­mäßig hohe Vermögenswerte von Richtern aufgedeckt werden, die ein Indiz für Korruption sind. Der VN-Sonderberichterstatter für die Unabhängigkeit von Richtern und Rechtsanwälten, Diego García-Sayán, geht sogar noch weiter, indem er eine strenge Kontrolle von Einkünften und Vermögenswerten nicht nur der Richter selbst, sondern auch von Verwandten fordert. Es bedarf nicht nur einer Reinigung von außen, sondern auch einer von innen. Von generellen background checks, die über eine eventuelle kriminelle Vergangenheit und die finanzielle Situation hinausgehen, ist jedoch abzuraten bzw. diese sollten an klare Verfahren gebunden werden. Die Justiz braucht Richter, die immun gegen Empfänglichkeiten sind. Dies setzt ein Selbstverständnis voraus, das sich der Würde des Amtes bewusst ist. Eine solche Bewusstseinsförderung sollte bereits im Studium beginnen und auch im Beruf fortgesetzt werden. Dabei scheint eine Unterstützung on the job sinnvoll. Dies kann beispielsweise durch Mentorenprogramme für junge Richter erreicht werden, also die Schaffung von Vertrauenspersonen unter den peers am Gericht selbst. Dies führt zu Austausch und der einzelne Richter fühlt sich nicht alleingelassen, wenn er mit einem Korruptionsfall konfrontiert wird. Hilfreich kann auch die Schaffung von Verhaltensrichtlinien für Richter sein. Wichtiger als die Richtlinien auf Papier ist jedoch, dass die Inhalte gelebt werden. Dazu sind Trainings und Weiterbildungen der Richter nötig.

Dies greift nahtlos in den dritten Punkt über: Es bedarf einer Demokratisierung von innen. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Auswahl- und Ernennungsverfahren von Richtern. Sie müssen transparent und streng nach dem Leistungsprinzip erfolgen. Eine Abschirmung von politischer Einflussnahme ist unabdingbar. 70 Prozent der Länder weltweit setzen dabei auf die Einsetzung von Justizräten (judicial councils). Dies sind Selbstverwaltungsorgane der Justiz. Sie können jedoch kein Allheilmittel sein. Auch andere Verfahren sind denkbar. Es gibt eben kein Patentrezept. Jedes System hat historische Wurzeln und muss sich in die Rechtskultur des Landes einbetten.

Die Beiträge haben jedoch gezeigt, dass es sich dennoch lohnt, auf der Suche nach effektiven Maßnahmen im Kampf gegen Korruption den Blick über Landes- oder sogar Kontinentalgrenzen hinaus zu wagen. Globale Initiativen wie das eingangs erwähnte Global Judicial Integrity Network können dabei eine Plattform bieten.

Am Wichtigsten ist es jedoch, das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz wiederherzustellen und zu stärken. Dies kann nur durch die zuvor genannten Punkte erreicht werden. Richter sprechen durch ihre Urteile. Allein durch die Makellosigkeit ihrer Entscheidungen kann Vertrauen geschaffen werden. Und nur so können sie der Würde ihres Amtes und der darin innewohnenden Stellung im Rechtsstaat gerecht werden.

 


 

Dr. Franziska Rinke ist Koordinatorin der internationalen Rechtsstaatsprogramme der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 

Dr. Marie-Christine Fuchs, LL.M. ist Leiterin des Rechts- staatsprogramms Lateinamerika der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 

Gisela Elsner ist Leiterin des Rechtsstaatsprogramms Asien der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 

Aishwarya Natarajan ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Rechtsstaatsprogramm Asien der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 

Dr. Arne Wulff ist Leiter des Rechtsstaatsprogramms Subsahara-Afrika (anglophone Länder) der Konrad-Adenauer-Stiftung. Nils Seidel war von Januar bis März 2019 Praktikant im Rechtsstaatsprogramm Subsahara-Afrika der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 

Hartmut Rank, LL.M., MBA ist Leiter des Rechtsstaatsprogramms Südosteuropa der Konrad-Adenauer- Stiftung.

 

Dr. Mahir Muharemović ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Rechtsstaatsprogramm Südosteuropa der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 

Dr. Anja Schoeller-Schletter ist Leiterin des Rechtsstaatsprogramms Nahost / Nordafrika der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 


 

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