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Краінавая справаздача

Der Südkaukasus im Herbst 2022

Im Windschatten von Russlands Krieg in der Ukraine

Durch Grenzen mit Russland und der Türkei und als Anrainer des Schwarzen Meeres befindet sich der Südkaukasus praktisch in Sichtweite des russischen Krieges gegen die Ukraine. Mit dieser Perspektive stehen in der Region, anders als in Mittel- und Westeuropa, nicht die hohen Gaspreise oder Waffenlieferungen an die Ukraine im Mittelpunkt der Diskussionen, sondern Fragen der inneren und regionalen Sicherheit angesichts unkontrollierter russischer Migrantenströme vor allem nach Armenien und Georgien sowie der Tatsache, dass Russland in allen drei Ländern militärisch präsent ist. Was werden die bestimmenden Themen in Georgien, Armenien und Aserbaidschan in diesem Herbst sein?

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Georgien

Die Europäische Union hatte Georgien im Juli – anders als der Ukraine und der Republik Moldau – den EU-Kandidatenstatus lediglich in Aussicht gestellt und von der Befolgung von zwölf Empfehlungen vor allem in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung abhängig gemacht. Der wichtigste Punkt bezog sich auf die Entpolarisierung der politischen Debatte im Land, die seit Monaten von unsachlicher und zum Teil rüder Polemik beherrscht wird: Die Regierungspartei Georgian Dream beschuldigt die Opposition, aber auch westliche Politiker und Diplomaten, Georgien in einen Krieg gegen Russland hineinziehen zu wollen, und United National Movement als größte Oppositionspartei wirft der Regierung vor, (pro-) russisch zu sein und das Land vom europäischen Kurs abbringen zu wollen. Beide Seiten scheinen bislang nicht bereit, bei der Adressierung der zwölf Empfehlungen zusammenzuarbeiten. Die EU, deren Vertretung in Tiflis ab September vom polnischen Diplomaten Pawel Herczynski übernommen wird, will voraussichtlich Mitte des nächsten Jahres den Reformfortschritt Georgiens bewerten und entscheiden, ob es dann ein osteuropäisches EU-Kandidaten-Trio aus Georgien, Moldau und der Ukraine gibt, oder ob Georgien wird nachsitzen müssen.

Der wirtschaftliche und soziale Einfluss des Krieges in der Ukraine und die Einreise von Zehntausenden von Russinnen und Russen nach Georgien seit Februar ist das zweite große Thema im Land. Georgien hat sich den westlichen Sanktionen gegen Russland nicht angeschlossen, weswegen viele Russen ihre Geschäftstätigkeit dorthin verlegen: Etwa 6.400 russische Unternehmen wurden zwischen März und Juni in Georgien registriert. Das hat zur Folge, dass sich die Immobilienpreise immens erhöhen und die lokale Währung, der Lari, durch den massiven Zustrom von russischem Kapital in den vergangenen sechs Monaten gegenüber dem Euro um rund 26% an Wert zugelegt hat.

Außerdem ist Georgien seit Jahren eines der beliebtesten russischen Reiseländer. So boomt derzeit die georgische Wirtschaft, insbesondere die Tourismusbranche. Für das Jahr 2022 wird ein Wirtschaftswachstum von rund 9% prognostiziert. Doch nehmen die sozialen Spannungen zu: „Putin mordet Menschen in der Ukraine, während Russen in Georgien Chatschapuri essen“ ist nur eines von vielen kritischen Graffitis in Tiflis. Der Regierung wird vorgeworfen, die Migration aus Russland nicht regulieren zu wollen. Während für Georgier die Einreise nach Russland visumspflichtig ist, können sich Russen in Georgien ein Jahr lang ohne Visum aufhalten. Eine online-Petition, die dazu aufrief, den visafreien Aufenthalt von Russen in Georgien auf drei Monate zu begrenzen, sammelte in kurzer Zeit über 20.000 Unterschriften. Auch der Verdacht, dass Georgien Russland helfen könnte, die Sanktionen zu umgehen, steht im Raum.

 

Armenien

Während das Phänomen der russischen Emigration in Folge des Krieges in der Ukraine sowie die wirtschaftlichen Auswirkungen (starke Währung, hohe Immobilienpreise, Wirtschaftswachstum) in Armenien ähnlich wie in Georgien sind, dominiert der in 2020 verlorene Krieg gegen Aserbaidschan den politischen Diskurs. Seit dem Frühjahr finden Friedensverhandlungen zwischen Armenien und Aserbaidschan statt, bei denen die EU im Mai mit einem Treffen von Präsident Alijev und Premierminister Paschinjan in Brüssel überraschend Russland als federführenden Akteur abgelöst hat. Eine bilaterale Kommission, die sich mit dem Grenzverlauf zwischen den beiden Staaten befasst, wurde eingerichtet und es wird über die Wiederherstellung von Straßen und Eisenbahnverbindungen durch die Region verhandelt. Armenien ist grundsätzlich bereit, die territoriale Integrität von Aserbaidschan anzuerkennen, fordert aber Sicherheitsgarantien für die über 100.000 Armenier, die immer noch im nicht von Aserbaidschan kontrollierten Gebiet von Bergkarabach leben, ein Punkt, über den Aserbaidschan nicht verhandeln will.

Währenddessen erweist sich der von Russland im November 2020 vermittelte und von etwa 2.000 russischen „Friedenstruppen“ kontrollierte Waffenstillstand als brüchig: Zuletzt gab es Anfang August Auseinandersetzungen, bei denen auf beiden Seiten Soldaten getötet wurden und die die Frage aufwarfen, ob Russland noch in der Lage ist, die Waffenruhe zu garantieren. Armenien verdächtigt Aserbaidschan, die internationale Aufmerksamkeit auf den Krieg in der Ukraine dazu nutzen zu wollen, die militärische Kontrolle über ganz Bergkarabach zu gewinnen und die Armenier aus dem Gebiet zu vertreiben.

Eine weitere bemerkenswerte Entwicklung der letzten Monate in Armenien sind die Gespräche mit der Türkei über die Normalisierung der Beziehungen, die seit Anfang der 90er Jahre faktisch eingefroren sind. Nach mehreren bilateralen Treffen in Moskau und Wien im Frühjahr und einem Telefonat zwischen dem türkischen Präsidenten Erdoğan und Paschinjan im Juli ist für den Herbst erstmals ein bilaterales Treffen von mehreren Ministern geplant, das in der Türkei stattfinden und bei dem über eine Grenzöffnung sowie den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen verhandelt werden soll.

 

Aserbaidschan

Auch in Aserbaidschan ist der Krieg um Bergkarabach immer noch das beherrschende Thema: In großem Tempo wird die Infrastruktur in den „befreiten Gebieten“ wieder aufgebaut und sogenannte „Smart Cities“ errichtet, in welche die während des ersten Krieges 1991–1994 vertriebenen Menschen zurückkehren können. Wichtig ist für Aserbaidschan vor allem eine Landverbindung zur Exklave Nachitschewan, die an die verbündete Türkei grenzt. Die Verbindung verliefe allerdings über armenisches Staatsgebiet. Es ist weiterhin strittig, wie der Personen- und Warenverkehr in der Zukunft geregelt werden soll.

Russlands Krieg gegen die Ukraine hat für Aserbaidschan in mehrfacher Hinsicht Bedeutung: Wirtschaftlich profitiert das Land von den enorm gestiegenen Energiepreisen sowie davon, dass Europa alternative Bezugsquellen für Gas und Öl sucht, um die Abhängigkeit von Russland beenden zu können. Der Besuch der EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen in Baku im Juli unterstreicht dies.

Gleichzeitig versucht Aserbaidschan, die wirtschaftlichen Verbindungen nach Zentralasien zu intensivieren: Präsident Alijev besuchte Usbekistan und Turkmenistan im Juni, bereits im April war der kirgisische Präsident in Baku und im August besuchte der kasachische Präsident die aserbaidschanische Hauptstadt. Ziel dieser Treffen ist vor allem, die Potentiale des „mittleren Korridors“ auszuloten – eines Transportwegs, der China über Zentralasien, Aserbaidschan, Georgien und die Türkei mit Europa verbindet und der langfristig helfen kann, die wegen der Isolierung Russlands vielfach unterbrochenen globalen Lieferketten wiederherzustellen. Gleichzeitig dienen die mit der Türkei abgestimmten Kontakte nach Zentralasien dazu, angesichts der aggressiven russischen Politik die pan-turkischen Allianzen im post-sowjetischen Raum zu stärken.

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Stephan Malerius

Stephan Malerius

Leiter des Regionalprogramms Politischer Dialog Südkaukasus

stephan.malerius@kas.de +995322459112
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