Zu Beginn der neuen Kommission standen die Beziehungen zum afrikanischen Kontinent im ersten Halbjahr kaum im Mittelpunkt. Inzwischen rückt die EU sie zunehmend in den Fokus: Bereits beim AU-EU-Ministertreffen im Mai bemühten sich beide Seiten, erste Weichen für neue Akzente in der Partnerschaft zu setzen. Auch beim Global Gateway Forum im Oktober[1], bei dem Projekte der weltweiten EU-Infrastrukturinitiative erörtert wurden, fiel die starke Präsenz afrikanischer Staats- und Regierungschefs besonders auf.
Erwartungen der Afrikanischen Union an den Gipfel
Für zahlreiche afrikanischer Regierungen stand im Vorfeld des Gipfels vor allem die Frage, ob Europa bereit ist, den vielfach geforderten Paradigmenwechsel einzuleiten – weg vom klassischen Geber-Nehmer-Verhältnis, hin zu einer strukturellen, wirtschaftlich tragfähigen Partnerschaft. Erwartet wurden keine weiteren Förderzusagen, sondern belastbare, strategische Angebote: fairere Handelsbedingungen im Kontext der afrikanischen Freihandelszone AfCFTA, Unterstützung bei Regionalwertschöpfung statt reiner Rohstoffextraktion sowie Investitionen in Infrastruktur und Energie, die langfristiges Wachstum sichern. Zentral war zudem die Hoffnung, dass Europa Versorgungssicherheit nicht länger einseitig definiert, sondern afrikanische Industrialisierungsinteressen systematisch berücksichtigt – einschließlich technologieoffener Finanzierung, Risikoversicherung für private Investoren und einer ernsthaften Debatte über Marktzugänge.
Darüber hinaus erwartete die afrikanische Seite eine stärker kontextsensitive sicherheitspolitische Kooperation: weniger missionsbasierter Aktionismus, mehr Unterstützung in Frühwarnarchitektur, Mediation und lokalem Peacebuilding. Angesichts neuer Machtkonstellationen durch China, Russland, den Golfstaaten und die Türkei ging es vielen afrikanischen Akteuren nicht mehr primär um Zusagen, sondern um Selbstbestätigung – Europa sollte zeigen, dass es Afrika nicht als geopolitische Variable behandelt, sondern als eigenständigen Akteur mit eigenen Normen, historischen Sensibilitäten und globalem Gestaltungsanspruch. Entsprechend groß war das Interesse an einem Gipfel, der konkrete Schritte benennt, wie multilaterale Gremien – insbesondere der Sicherheitsrat – inklusiver gestaltet werden können und wie europäische Kritik an Demokratiedefiziten künftig formuliert wird, ohne als moralischer Zeigefinger zu wirken.
Versuch einer strategischen Neuausrichtung der EU gegenüber Afrika
Seit einigen Jahren und insbesondere mit der neuen von der Leyen-Kommission bemüht sich die EU, ihre Beziehungen zu wichtigen globalen Partnern zu erneuern und das traditionelle Geber-Nehmer-Verhältnis durch eine tragfähige, strategische Partnerschaft „auf Augenhöhe“ zu ersetzen. Entsprechend betonten EU-Vertreter wiederholt den partnerschaftlichen Charakter der Beziehungen und gemeinsame Interessen in einer sich wandelnden Welt[1]. Vor dem Gipfel wurde das Ziel, die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen beiden Kontinenten auszubauen, mehrfach hervorgehoben. Gleichzeitig verzichtete die EU - mit bemerkenswerter Ausnahme des Europäischen Parlaments - in den vergangenen Monaten weitgehend auf öffentliche Kritik an problematischen Entwicklungen bei zurückliegenden Wahlen auf dem afrikanischen Kontinent u.a. in Tansania und Côte d’Ivoire. Unverändert bleibt das starke Interesse der EU an einer engeren Zusammenarbeit bei der Bekämpfung illegaler Migration, der Verstärkung von Rückführungen sowie am Zugang zu kritischen Rohstoffen.
Ergebnisse und Stimmung des Gipfels
Die Gipfelerklärung[2] umfasst - wie bereits der Minister im Mai - vier zentrale Pfeiler: a. Wirtschaft und Nachhaltigkeit; b. Frieden und Sicherheit; c. Bekenntnis zum Multilateralismus sowie d. Migration und Mobilität. Sie verweist mehrfach auf die Agenda 2063 der Afrikanischen Union und unterstreicht damit die stärkere Ausrichtung der gemeinsamen Agenda an afrikanischen Prioritäten.
Insgesamt setzt die Erklärung einen starken Fokus auf eine Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit sowie den Ausbau von Infrastruktur und Konnektivität in Afrika und zwischen beiden Kontinenten, durch die EU-Infrastrukturinitiative Global Gateway. Sowohl die Erklärung als auch die Eröffnungsrede von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonten die Unterstützung für die Umsetzung der afrikanischen Freihandelszone (AfCFTA) und die Industrialisierung afrikanischer Länder. Geplant ist die Förderung nachhaltiger Wertschöpfungsketten, um die Wettbewerbsfähigkeit lokaler Industrien zu stärken und globale Lieferketten im Bereich kritischer Rohstoffe zu diversifizieren. Das gemeinsame Statement hebt zudem die Bedeutung eines engen Dialogs zu handelsbezogenen Umweltmaßnahmen der EU hervor, etwa zum CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) und zur Entwaldungsverordnung, die in vielen afrikanischen Ländern umstritten sind. Darüber hinaus bekennen sich EU und AU zu einer fairen, gerechten und nachhaltigen Energiewende und wollen bis 2030 mindestens 100 Millionen Menschen mit sauberem Strom versorgen. Beide Seiten beabsichtigen außerdem, die bereits intensivierte Zusammenarbeit im Bereich Globale Gesundheit fortzusetzen, insbesondere bei Pandemieprävention, der Entwicklung und lokalen Herstellung von Gesundheitsprodukten sowie der Unterstützung des Afrikanischen Zentrums für Krankheitsbekämpfung und Schutzmaßnahmen (Afrika CDC, Africa Centre for Disease Control and Prevention).
Im Sicherheitsbereich setzt die EU ihren Ansatz zur Unterstützung „afrikanischer Lösungen“ fort, u. a. durch die Europäische Friedensfazilität, die neben der AU in den vergangenen fünf Jahren 16 afrikanische Staaten unterstützt hat. Auch die humanitäre Unterstützung soll weitergeführt werden. Beide Seiten bekennen sich zur Förderung eines nachhaltigen und gerechten Friedens in der Ukraine, im Sudan, Südsudan, im Sahel, Somalia und der DR Kongo. Mit Blick auf die multilaterale Zusammenarbeit unterstützen AU und EU den UN-Zukunftspakt sowie die UN-80-Initiative zur Reform der Vereinten Nationen und drängen auf Reformen, die einen inklusiveren und repräsentativeren UN-Sicherheitsrat ermöglichen.
Zu traditionell umstrittenen Themen wie Verschuldung und Migration bleiben die Positionierungen unverbindlich: Die Erklärung erkennt zwar die Bedeutung legaler Migrationswege an und stellt umfassende, maßgeschneiderte und ‚für beide Seiten vorteilhafte‘ Partnerschaften zur Bekämpfung irregulärer Migration in Aussicht. Sie betont zudem die Notwendigkeit einer wirksamen, sicheren, zeitnahen und würdigen Rückkehr, Rückübernahme und nachhaltigen Wiedereingliederung von Migranten. Ein kurzer Abschnitt bekräftigt das gemeinsame Bekenntnis zu Demokratie, inklusiver Regierungsführung, Menschenrechten und friedlicher Konfliktlösung. Das Recht auf faire, freie und inklusive Wahlen bleibt jedoch unerwähnt.
Bemerkenswert ist eine Passage, die das „unsägliche Leid“ anerkennt, das „Millionen von Männern, Frauen und Kindern durch den Sklavenhandel, den Kolonialismus und die Apartheid zugefügt wurde“[3] – ein Novum gegenüber dem Gipfel von 2022. Beide Seiten erkennen zudem „die Bedeutung eines inklusiven Dialogs an, um sicherzustellen, dass „die dauerhaften Beiträge und Erfahrungen von Afrikanern und Menschen afrikanischer Herkunft anerkannt, respektiert“ und in die künftigen Beziehungen integriert werden.
Wie bereits beim AU-EU-Ministertreffen im Mai angekündigt, unterstützte der Gipfel die Schaffung eines neuen permanenten Nachverfolgungsmechanismus, um die Umsetzung aktueller und vergangener Beschlüsse und Verpflichtungen zu verbessern.
Ein deutlich positives Signal war – insbesondere im Vergleich zum EU-Lateinamerika (CELAC)-Gipfel in Kolumbien Anfang November, an dem nur drei Staats- und Regierungschefs teilnahmen – die hochrangige Präsenz europäischer Spitzenvertreter: Neben EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Antonio Costa nahmen u.a. Bundeskanzler Friedrich Merz, der französische Staatspräsident Emmanuel Macron, der polnische Premier Donald Tusk und der spanische Premier Pedro Sanchez teil. Auffällig war auch die überproportional starke Teilnahme von Regierungschefs aus Mittel- und Osteuropa.
Rezeption der Ergebnisse auf afrikanischer Seite
Viele afrikanische Teilnehmer bewerteten die Gipfelerklärung als vorsichtigen Fortschritt – nicht euphorisch, aber respektvoll. Positiv wurde vermerkt, dass koloniale Gewalt und Sklavenhandel nicht nur historisch benannt, sondern ausdrücklich als Bezugspunkt für künftige Beziehungen anerkannt wurden. Für afrikanische Beobachter war dies kein bloßer symbolischer Nebensatz, sondern ein Hinweis darauf, dass Europa bereit sein könnte, Dialogräume zu öffnen, die lange als heikel galten.
Gleichzeitig beobachteten afrikanische Delegationen sehr genau, wie EU-Staaten im geopolitischen Wettbewerb agieren. Angesichts der wachsenden Kooperation vieler Länder mit China, Indien, den Golfstaaten und teilweise Russland, entstand der Eindruck, dass die EU zwar rhetorisch auf die neuen Realitäten reagiert, jedoch noch zu zögerlich konkrete Schritte für neue Formen wirtschaftlicher Ko-Produktion unternimmt. Afrikanische Akteure beobachteten genau, in welchen Bereichen Europa industriepolitisch eigene Interessen – etwa bei Rohstoffen und der grünen Transformation – in den Vordergrund stellte und wo es bereit war, der afrikanischen Industrialisierung Handlungsspielräume zu eröffnen. Erwartet wird nun, dass Zusagen zur AfCFTA-Unterstützung, zur Finanzierung von Wertschöpfungsketten und zur lokalen Produktion medizinischer Güter nicht in Pilotprojekten stecken bleiben. Kurz: Afrika erkennt Chancen – sieht aber ebenso die Option, sie bei zu zögerlichem Handeln Europas mit anderen Partnern umzusetzen.
Analyse und Kommentar
Der Gipfel hat gezeigt, dass sich der Ton zwischen AU und EU verändert hat – die Struktur der Beziehung jedoch nicht. Beide Seiten kommunizieren erkennbar anders als beim letzten Gipfel 2022: weniger paternalistisch, vorsichtiger im Urteil, sensibler für historische Kontexte. Doch der eigentliche Test steht bevor: Wird aus neuer Rhetorik auch neues Handeln? Die Partnerschaft kann nur Bestand haben, wenn Infrastrukturzusagen nicht in Absichtserklärungen verharren und wirtschaftliche Kooperation nicht erneut auf Rohstoffzugang gegen Budgethilfe reduziert wird. Europa formuliert Ambitionen, Afrika Ansprüche – erst wenn beide lernen, Erwartungen nicht nur zu artikulieren, sondern umzusetzen, wird Luanda zum Referenzpunkt und nicht zur Fußnote.
Auffällig blieb die Leerstelle bei Fragen von Demokratie, Wahlen und Regierungsführung im offiziellen Gipfelnarrativ. Während Frieden, Rohstoffe und Mobilität ausführlich behandelt wurden, fehlte eine klare Aussage dazu, wie politische Teilhabe, Rechtsstaatlichkeit und faire Wahlen künftig bewertet oder unterstützt werden sollen. Viele afrikanische Delegationen nahmen dies pragmatisch hin – nicht, weil die Themen unbedeutend wären, sondern weil derzeit weder AU noch EU institutionell an Konfrontation interessiert sind. Doch politische Realität entsteht nicht allein in Gipfelerklärungen, sondern in gesellschaftlichen Bewegungen, bei Wahlbeobachtungen, Journalistennetzwerken und lokalen Menschenrechtsinitiativen. Dort wächst Druck, bevor Institutionen reagieren – und genau dort könnte die nächste Entwicklungsstufe dieser Partnerschaft liegen. Entsprechend wird die Stärkung der zivilgesellschaftlichen, akademischen, unternehmerischen und parlamentarischen[4]Dimension entscheidend sein, um die Beziehungen zu festigen und das gegenseitige Verständnis zu vertiefen.
Im Sicherheitsbereich bleibt die AU-EU-Partnerschaft fragil: Zwar bekräftigt Europa seinen Willen zur Unterstützung „afrikanischer Lösungen“ und setzt auf die Friedensfazilität, doch in zentralen Konflikträumen – Sudan, Horn von Afrika, Sahel – agiert die EU zunehmend reaktiv und spielt oft nur eine nachranginge Rolle, während neue Akteure wie Russland, China, Golfstaaten oder die Türkei ihren Einfluss und ihre militärischen Kapazitäten ausbauen. Auch im Vermittlungsprozess zwischen der DR Kongo und Ruanda übernimmt Europa derzeit eher die Rolle des Unterstützers als die des Taktgebers. Soll die Partnerschaft sicherheitspolitisch Substanz gewinnen, braucht es mehr als finanzielle Mittel – erforderlich sind diplomatische Risikobereitschaft und eine starke Präsenz in regionalen Verhandlungsformaten.
Ob Demokratie im AU-EU-Verhältnis künftig wieder als Wert und nicht nur als Risiko verhandelt wird, entscheidet sich vermutlich nicht in Brüssel und Addis, sondern in Abuja, Nairobi, Kinshasa – und auf dem Universitätscampus in Accra oder Maputo. Afrikanische Zivilgesellschaften sind heute vernetzter, internationaler, strategischer als noch vor einem Jahrzehnt. Gelingt es ihnen, den Diskurs innerhalb der AU von administrativer Stabilität hin zu politischer Beteiligung zu verschieben, könnte dies einen Paradigmenwechsel einleiten: weg von Passivität, hin zu einer kontinental getragenen Forderung nach Rechenschaft, Wahltransparenz und Mitsprache. In diesem Szenario wäre die EU nicht treibende Kraft, sondern Resonanzboden – ein Partner, der unterstützt, wenn der Impuls aus Afrika selbst kommt.
Die Zukunft der AU-EU-Beziehung hängt weniger von weiteren Gipfeltreffen ab als vom Mut beider Seiten, neue Räume jenseits klassischer Diplomatie zu öffnen – etwa durch Städtepartnerschaften, Wissensnetzwerke, private Investitionen sowie Jugend- und Forschungsaustausch. Wenn Europa bereit ist, Risiken einzugehen und Afrika bereit ist, demokratische Gestaltung nicht nur als normative Forderung, sondern als eigene Entwicklungsstrategie zu begreifen, könnte aus Luanda tatsächlich ein Wendepunkt werden. Noch ist nichts entschieden – aber vieles liegt auf dem Tisch.
[1] Siehe auch die Rede von EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen beim Gipfel: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/SPEECH_25_2797
[2] Die gemeinsame Erklärung ist hier einsehbar: https://www.consilium.europa.eu/media/5tdhb1f4/joint-declaration_au-eu-summit.pdf
[3] Absatz 39 der Gipfelerklärung: siehe Fußnote 3.
[4] Die gemeinsame Erklärung des panafrikanischen Parlaments und des EP im Vorfeld des Gipfels findet sich hier: https://pap.au.int/en/documents/2025-11-24/joint-declaration-following-au-eu-parliamentary-pre-summit-meeting
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