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Kolumbiens Katharsis

от Dr. Carsten Wieland
Das Land diskutiert erstmals schonungslos über die Verbindungen zwischen Politik und Paramilitarismus. Ein schmerzhafter Erfolg für die Demokratie.

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„Die Wahrheit, nichts als die Wahrheit!“ Das ist die häufigste Forderung der Kolumbianer aus dem Jahr 2006. Sie ist gerichtet an die mehr als 30 000 Paramilitärs, die zumindest nach offiziellen Angaben unter dem umstrittenen Gesetz „Gerechtigkeit und Frieden“ seit 2003 die Waffen abgegeben haben. Besonders die Köpfe der einst gefürchteten Todesschwadronen haben nun eine neue Waffe — die Wahrheit, oder das, was sie als solche darstellen. Fürchten müssen sie viele Politiker des Landes.

Bis vor wenigen Monaten war es nur ein politisches Gespinst: Knapp ein Drittel der Abgeordneten im Repräsentantenhaus und im Senat hätten Verbindungen zu den Paramilitärs oder wurden gar mit deren Hilfe gewählt. Damit brüstete sich vor zwei Jahren Salvatore Mancuso, einer der Großen aus der Riege der ehemaligen Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC), der sich nun in Medellín vor Gericht verantwortet. AUC-Chef Vicente Castaño legte nach und gab an, mehr als 35 Prozent der nationalen Amtsträger seien Freunde der Paramilitärs.

Hinzu kommen zahlreiche regionale und lokale Politiker. Selbst dem ehemaligen Direktor des Kolumbianischen Geheimdienstes (DAS) wird vorgeworfen, Ermittlungen gegen Paramilitärs aus den Archiven gelöscht zu haben. Er wurde von seinem Botschafterposten aus Mailand abberufen und muss sich nun der Justiz stellen. Ein politisches Erdbeben verursachte schließlich der Rücktritt der Außenministerin Maria Consuelo Araújo am 19. Februar. Sie war nicht mehr zu halten, nachdem der Oberste Gerichtshof Ermittlungen gegen ihren Bruder wegen Verbindungen zu den Paramilitärs aufgenommen und seine Festnahme angeordnet hatte.

Eine Studie der Organisation Nuevo Arco Iris hat detailliert herausgearbeitet, wie Politik und Paramilitarismus in Kommunen und Regionen mit Hilfe neuer politischer Bewegungen eine Symbiose eingegangen sind. Viele Amtsträger kamen mit Hilfe der Selbstverteidigungstruppen auf ihre Posten. Manche von ihnen sitzen heute im Gefängnis. Das wirft schon jetzt einen Schatten auf die Kommunal- und Regionalwahlen im Oktober dieses Jahres. Die Kolumbianer befürchten, dass sich das Muster wiederholt. Wenigstens wird jetzt aber offen darüber gesprochen.

„Jetzt wird der Deckel langsam angehoben und der Gestank dringt heraus“ und „nun wird unsere schmutzige Wäsche gewaschen“, so lassen sich die bissigen Kommentare in den Medien des Landes zusammenfassen.

Denn die Wahrheit schmerzt: Inzwischen wird gegen knapp ein Dutzend Kongressabgeordnete wegen Verbindungen zu Paramilitärs ermittelt. Drei von ihnen sitzen bereits in Untersuchungshaft. Alle stammen aus dem heterogenen Lager von versprengten ehemaligen Liberalen und Konservativen, das Präsident Alvaro Uribe unterstützt. Fünf wurden aus den Parteilisten der Uribe - Treuen inzwischen ausgeschlossen. Insgesamt sollen 60 zum Teil prominente Politiker vor dem Obersten Gericht aussagen. Das Wort von den „Paramentariern“ macht die Runde. Der Skandal weitet sich aus, ohne dass die Kolumbianer besonders überrascht reagieren.

Dennoch ist der Kongress in der öffentlichen Meinung abgestürzt: Nach Angaben der Zeitung Nuevo Siglo hält nur noch 37 Prozent der Kolumbianer die Institution für glaubwürdig; die Hälfte hat allgemein ein negatives Bild von den Volksvertretern. Die Erwartungen lasten nun auf dem Obersten Gerichtshof und auf der Generalstaatsanwaltschaft, das Vertrauen in die staatlichen Institutionen aufrecht zu erhalten.

In Kolumbien ist es ein offenes Geheimnis, dass die Paramilitärs die Wahl 2002 von Präsident Uribe unterstützten. Doch Uribe selbst, dem Mann mit der harten Hand, der das Sicherheitsgefühl der Kolumbianer in den vergangenen vier Jahren deutlich erhöhen und die Mordraten drastisch senken konnte, konnten bisher keine direkten Verbindungen zu den Paramilitärs nachgewiesen werden. Vielmehr verweisen seine Anhänger auf das Verdienst, dass er den rechten Schwadronen Vertrauen abringen konnte und damit die größte Demobilisierung in der Geschichte des 50-jährigen Konflikts möglich gemacht hat. AUC-Anführer Castaño erklärte die Bereitschaft zur Entwaffnung so: „Die Demokratische Sicherheit (von Uribe) hat funktioniert und hat uns die Existenzberechtigung genommen. Die Selbstverteidigungsgruppen hatten sich gegründet, weil uns der Staat nicht verteidigen konnte. Aber inzwischen hat der Staat die Fähigkeit erlangt, seine Bürger zu verteidigen.“ Allerdings hat sich ausgerechnet Castaño bis heute nicht den Behörden gestellt.

Falls der Entwaffnungsprozess erfolgreich verläuft, was derzeit auf der Kippe steht, würde Uribes Strategie aufgehen: Aus drei Konfliktparteien — dem Militär, den Paramilitärs und den Guerillagruppen — werden zwei. Dem erstarkten Staat als legitime Gewalt stünden dann nur noch „kriminelle“ Gruppen gegenüber. Darunter wären vor allem die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC), die ihr selbst gepflegtes Image als marxistische Gegenkraft zum neoliberalen Establishment und Robin Hood der entrechteten Bauern durch Drogenhandel, Massaker und Entführungen selbst im linken Lager der Bevölkerung längst eingebüßt hat.

Je deutlicher die illegalen Konfliktparteien ihre historischen politischen Rollen verlieren, desto mehr steigt die Glaubwürdigkeit des Staates. Das ist zumindest das Szenario, auf das Uribe setzt. Es wird durch einen Umstand unterstützt, der für Uribe eine bittere Ironie birgt: Erstmals in der Geschichte Kolumbiens hat sich eine sozialdemokratische Opposition etabliert. Der Kandidat der Sammelbewegung Polo Democratico Alternativo, Carlos Gaviria, erstritt bei den Wahlen vergangenen Mai mit 23 Prozent den zweiten Platz, noch vor den Liberalen. Die Partei macht eine gute Basisarbeit, stellt bereits wichtige Bürgermeister und hat ernst zu nehmende Chancen, den nächsten Präsidenten zu stellen, da eine Wiederwahl Uribes nach dem derzeitigen Stand der Verfassung nicht möglich ist und die traditionellen Parteien, Liberale und Konservative, Profil und Geschlossenheit vermissen lassen. Mit seiner programmatisch sozialen Agenda unterhöhlt der Polo den Anspruch der FARC auf eine linke Alternative im Staat.

Uribe reagiert zunehmend gereizt auf die sozialdemokratische Opposition. In mehreren Tiraden in kolumbianischen Radiosendern Anfang Februar bezeichnete Uribe Polo-Politiker als „Terroristen in Zivil“ und heizte damit die innenpolitische Stimmung auf. Einige Oppositionelle haben inzwischen Morddrohungen von Seiten der noch aktiven Paramilitärs erhalten. Zwar hat Uribe bekräftigt, dass der Schutz des Staates auch für die politische Opposition gilt, doch viele Beobachter kritisieren das Vorgehen des Präsidenten als zu emotional und gefährlich. Uribe habe sich auf ein Niveau herabgelassen, das für einen Präsidenten nicht würdig sei, meinen Kommentatoren. Andere vermuten, Uribe möchte von Untersuchungen über seine eigenen Verbindungen zu den Paramilitärs ablenken. Der Präsident wirke zunehmend nervös. Symptome der Einsamkeit zeichneten den temperamentvollen Präsidenten, schrieb die Wochenzeitschrift Semana.

Allerdings hat Uribe nach seiner überwältigenden Wiederwahl im Mai mit fast zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen seine Unterstützung in der Bevölkerung ausbauen und seine Unabhängigkeit auch gegenüber den Paramilitärs stärken können. Im Dezember ließ Uribe keinen Zweifel daran, dass er sich weder von der Guerilla noch von den Paramilitärs einschüchtern lässt. In einem Überraschungscoup ließ er 57 führende AUC-Mitglieder, die sich dem Entwaffnungsprozess unterworfen haben, von einem ehemaligen Urlaubsressort in ein Hochsicherheitsgefängnis nach Medellín, bringen. Die Paras protestierten gegen den Wortbruch und kündigten den Friedensprozess auf, allerdings aus einer denkbar schwachen Position heraus. Uribe drohte ihnen, die umstrittenen Privilegien — wie maximal acht Jahre Haft — unter dem Gesetz „Gerechtigkeit und Frieden“ zu verlieren und an die USA ausgeliefert zu werden, falls sie die Verhandlungen abbrechen.

Keine der noch existierenden Einheiten griff erneut zu den Waffen, um den Kampf innerhalb der alten Befehlsstrukturen fortzusetzen. Auch die demobilisierten Kämpfer, von denen viele ein Studium aufgenommen haben, solidarisierten sich nicht. Die Entscheidung Uribes wird von der Bevölkerung unterstützt und war zugleich ein Befreiungsschlag mitten im Para-Skandal des Parlaments. Präsident Uribe hätte stark an Glaubwürdigkeit eingebüßt, wäre ihm der Prozess in diesem entscheidenden Moment aus der Hand geglitten und hätten die Ex-AUC-Chefs die Flucht ergriffen, wie manche befürchteten.

Doch die kritische Phase hat längst begonnen, in der immer mehr Ex-Paramilitärs in die Kriminalität zurück fallen. Nach dem Auslaufen eines einjährigen Regierungsstipendiums finden sie keine Arbeit oder keine Motivation im zivilen Leben, oder sie werden von neuen kriminellen Gruppen abgeworben und unter Druck gesetzt, wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen. Andere werden ermordet, entweder durch Racheakte der Rebellen oder durch ehemalige Weggefährten, die ein zu viel an Wahrheit fürchten. So wurde Ende Dezember ein enger Weggefährte Mancusos erschossen. Spekulationen verdichteten sich, dass der Mordbefehl direkt aus dem Hochsicherheitsgefängnis in Medellín stammte.

Insgesamt verloren bisher mehr als 400 entwaffnete Paramilitärs ihr Leben. Das erinnert an den Teufelskreis der 80er und 90er Jahre, als Mitglieder der Guerilla-Gruppe M-19 den bewaffneten Kampf aufgaben und es wagten, mit einer neuen Partei, der Union Patriotica, in die legale Politik zu gehen. Seither wurden mehr als 3000 von ihnen als Lokalpolitiker oder Bürgermeisterkandidaten ermordet, zwei davon waren sogar Präsidentschaftskandidaten. Diese Erfahrung führen die FARC gern als Begründung an, um ihren Kampf fortzusetzen. Allerdings verliert dieses Argument an Wirkung, sollte die Demobilisierung der Paramilitärs nachhaltigen Erfolg haben und der Staat sein Gewaltmonopol durchsetzen.

Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, auch mit Blick auf starke Defizite im Justizsystem. Skeptiker weisen zudem darauf hin, dass in viele Zonen, in denen zuvor die Paramilitärs herrschten, nicht das Militär sondern die Guerilla vorrückt. In das Vakuum stoßen auch neue Banden vor, wie die Schwarzen Adler (Aguilas Negras), die vor allem an der Küste an der Grenze zu Venezuela operieren, in Drogenhandel, Mord und Erpressung verwickelt sind. Nach der Entwaffnung der traditionellen Paramilitärs wird die Lage unübersichtlicher.

Der renommierte Analyst Alfredo Rangel spricht von einer Lebenslüge, die bisherigen Konfliktparteien lediglich als kriminelle Gruppen zu betrachten. Erstmals haben sich rund zehntausend Händler, Unternehmer, Viehzüchter, Lokalpolitiker und Bürger in der Region Antioquia im Westen Kolumbiens in einer Unterschriftenaktion dazu bekannt, freiwillig paramilitärische Gruppen unterstützt zu haben. Das sei ein gesellschaftliches und politisches Phänomen, kein kriminelles, unterstreicht Rangel. Zugleich wundere er sich, warum niemand die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit, von Guerilleros verlangt habe, als diese früher in (meist erfolglosen) Verhandlungen mit kolumbianischen Regierungen standen.

Dass sich so viele Kolumbianer heute offen zu einer Kooperation mit Paramilitärs bekennen, ist Teil der gesellschaftlichen und politischen Katharsis, die das gebeutelte Land durchläuft. Eigentlich haben es alle vermutet, aber jetzt kann man darüber reden. Journalisten dürfen Politikern Para-Verbindungen ankreiden, ohne dass sie um ihr Leben fürchten oder auswandern müssen. Die Scheinheiligkeit ist vorbei. Das ist ein Fortschritt, ein Etappensieg der kolumbianischen Demokratie, so schmutzig und schmerzhaft er sein mag.

Ob diese Reinigung zu einem Frieden in Kolumbien beitragen kann, wird davon abhängen, ob nicht nur der Präsident, sondern auch die staatlichen Institutionen wie Parteien und Volksvertreter ihre Glaubwürdigkeit stärken, ob der Staat das Sicherheitsvakuum der Paramilitärs und die etablierten politischen Akteure das soziale Vakuum in der kolumbianischen Politik füllen können. Die meisten Kolumbianer fühlen sich sicherer und die Wirtschaft läuft rund. Jetzt verlangen sie mehr: Reformen gegen soziale Ungleichheit und politische Verhandlungen mit der FARC. Es ist Uribes Verdienst, dass diese aus einer Position der Stärke heraus geführt werden können, anders als bei seinem gescheiterten Vorgänger Andrés Pastrana.

Zwar weiß der Präsident, dass er in seiner zweiten Amtszeit nicht mehr nur mit einer starken Hand wird punkten können. Dennoch lässt er keine Chance ungenutzt, Zeichen der Unnachgiebigkeit gegenüber den illegalen bewaffneten Gruppen zu setzen anstatt sich auf vorschnelle Verhandlungen einzulassen. Zum Beispiel ernannte er Fernando Araújo zum Nachfolger der über den Para-Skandal gestürzten Außenministerin (keine Verwandtschaft zur Vorgängerin Maria Consuelo). Dieser war sechs Jahre lang von der FARC entführt und konnte sich über Sylvester aus dem Dschungel befreien. Dank eines Luftangriffs der Armee auf das Lager der Rebellen.

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