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Kosmetische vs. systemische Demokratisierung

In der Nacht vom 6. auf den 7. März 2009 hat sich Jana Poljakowa, eine 36 Jahre alte Menschenrechtsaktivistin aus Soligorsk, das Leben genommen. Der Fall ist symptomatisch für die Situation in Belarus gut ein halbes Jahr, nachdem mit der Freilassung von Alexander Kozulin der Prozess der sog. Liberalisierung im Land begonnen hatte.

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In der Nacht vom 6. auf den 7. März 2009 hat sich Jana Poljakowa, eine 36 Jahre alte Menschenrechtsaktivistin aus Soligorsk, das Leben genommen. Der Fall ist symptomatisch für die Situation in Belarus gut ein halbes Jahr, nachdem mit der Freilassung von Alexander Kozulin der Prozess der sog. Liberalisierung im Land begonnen hatte. Poljakowa war nach eigenen Angaben im September 2008 von einem Polizeibeamten während eines Verhörs misshandelt worden. Die Verletzungen, die sie davon getragen hatte, waren ärztlich dokumentiert worden. Gleichwohl lehnte es die Staatsanwaltschaft von Soligorsk nicht nur ab, ein Strafverfahren gegen den Polizeibeamten einzuleiten, Poljakowa wurde ihrerseits im Januar 2009 wegen falscher Anschuldigung angeklagt. In einem Prozess, in dem fast ausschließlich Polizeibeamte als Zeugen geladen waren, wurde Jana Poljakowa Anfang März zu zweieinhalb Jahren Freiheitsbeschränkung („restricted freedom“) und einem Schmerzens-geld von umgerechnet 350 Dollar verurteilt. Der Menschenrechtsanwalt Oleg Woltschak, der noch am Tag zuvor mit Jana Poljakowa gesprochen hatte, berichtete, sie sei sehr deprimiert gewesen und fürchtete auf Grund des Urteils eine Stigmatisierung in der Kleinstadt Soligorsk.

Es kann als ein bemerkenswertes Phänomen des autoritären Regimes Lukaschenko angesehen werden, dass es als ein repressives System von außen nur schwer zu erkennen ist. Anders als in Russland gibt es in Belarus keine regelmäßigen Morde an kritischen Journalisten oder Menschenrechtsaktivisten. Belarus hatte keine bürgerkriegsähnlichen Konflikte wie Tschetschenien oder im Nordkaukasus, das Phänomen der Dedowschtschina in der Armee ist praktisch unbekannt. Wer als Tourist oder politischer Beobachter nach Minsk kommt, hat nicht den Eindruck, sich in einem autoritären Staat zu befinden. Und im Gespräch mit den Menschen wird schnell deutlich: Wer sich in Belarus nicht politisch oder zivilgesellschaftlich engagiert (oder interessiert), der kann ruhig und unbe-helligt leben. Aber gerade deshalb ist der Selbstmord von Jana Poljakowa so signifikant: Alle Diskussionen um Liberalisierung des Systems und Öffnung des Landes, um Dialog mit der EU und die Teilnahme an der Östlichen Partnerschaft bleiben dann oberflächlich, wenn sie die alltägliche Realität hinter den potemkinschen Fassaden unberücksichtigt lassen.

Rechtswillkür als Grundlage subtiler Repression

Eines der größten Probleme in Belarus liegt im willkürlichen Gerichtswesen mit Hunderten von willfährigen Richtern und Staatsanwälten, das jederzeit jeden beliebigen Bürger des Landes, der Zivilcourage zeigt und sich politisch engagiert, erniedrigen und einsperren kann. Die absolute, zugleich aber nirgendwo fixierte Kontrolle des Präsidenten über die Justiz ist einer der wichtigsten Pfeiler, auf den Lukaschenko seine mittlerweile bald 15jährige Herr-schaft durchaus erfolgreich gründet. Sie ist die Voraussetzung für eines der intelli-gentesten repressiven Systeme weltweit, das Andersdenkende mit ausgesprochen subtilen und ausgefeilten Methoden unterdrückt. Der Repressionsapparat arbeitet u.a. mit Zwangsrekrutierung in die Armee, willkürliche Entlassung (Lehrer arbeiten in Belarus seit 2006 auf Vertragsbasis, d.h. es kann ihnen jederzeit ohne Angabe von Gründen gekündigt werden), Ausschluss aus der Universität und Druck auf Familienangehörige von demokratischen Aktivisten, die Zuflucht vor politischer Verfolgung in der Ukraine oder in den westlichen Nachbarländern von Belarus suchen.

Am letzten Mittwoch erklärte Präsident Lukaschenko auf einer Pressekonferenz, Belarus sei bereit, mit Europa nach den Prinzipien zusammenzuarbeiten, auf die man sich mit Javier Solana bei dessen Besuch in Minsk Mitte Februar geeinigt habe. Er werde aber nicht auf Forderungen eingehen, die den Gesetzen des Landes widersprechen würden: „Man verlangt von mir: verändere dieses, mach jenes. Was verlangt ihr vom Präsidenten? Der Präsident muss sich an die Gesetze halten. Es gibt nur ein Gesetz, sowohl für die Opposition als auch für mich; für euch, wie für uns alle. Und nach diesem Gesetz leben alle.“ Sowohl dem Beobachter von außen als auch dem einfachen Untertan im Land, der die Worte „seines Präsidenten“ gewöhnlich als Tatsachenbehauptung rezipiert, fällt es schwer, diese Äußerung als das zu identifizieren, was sie eigentlich ist: als Propaganda, die mit der Realität nichts zu tun hat. Zahllose Einzelbeispiele können das belegen: In einem Dorf in der Region Gomel ist am 6. Januar 2009 ein 43 Jahre alter Mann ermordet worden, dem mehrere Fälle von Brandstiftung zur Last gelegt wurden. Vier Tage nach der Tat konnten drei Verdächtige von der Polizei festgenommen werden. Die Bewohner des Dorfes ersuchten um Gnade für die Beschuldigten, und am 6. Februar wies Lukaschenko auf einer Regierungskonferenz seinen Innenminister an, die Männer aus der Untersuchungshaft zu entlassen: „Sie können nicht ins Gefängnis gesteckt werden. Ist etwa ein großer Mann gestorben? Er (der vermeintliche Brandstifter) war mal im Gefängnis, dann wieder draußen, er kam zurück und terrorisierte das gesamte Dorf.“ Wenige Stunden nach dieser Äußerung wurden die Männer entlassen und in ihr Dorf zurückgebracht. So funktioniert die Rechtssprechung in Belarus in allen politisch relevanten Fällen.

Kosmetische vs. systemische Reformen

Auf der bereits erwähnten Pressekonferenz appellierte Lukaschenko an die EU, „ihn nicht wegen kleinerer Punkte (wie Menschenrechtsfragen) zu stören“, sondern eher den „Wald hinter den Bäumen“ zu sehen. Mit dem Wald ist vermutlich die positive Dynamik in den Beziehungen zwischen Belarus und der EU gemeint, die in den letzten sechs Monaten zu notieren war. Etwa die Freilassung von politischen Gefangenen im August 2008, die Aussetzung des Einreiseverbots gegen belarussische Offizielle im Oktober, die Wiederaufnahme von zwei unabhängigen Zeitungen in die landesweiten Verteilernetze im November und die Registrierung der Bewegung „Für die Freiheit“ von Alexander Milinkiewitsch im Dezember. Dass die internationale Isolation von Belarus aufgebrochen und durch einen vorsichtigen Dialog mit der EU ersetzt ist, wird einhellig und auch von den radikalen Teilen der demokratischen Opposition im Land begrüßt. Unterschiedlich ist jedoch die Einschätzung, wie nachhaltig (systemisch) oder kosmetisch die Liberalisierung in Belarus ist. Denn der beschriebenen positiven Grundtendenz stehen zahlreiche negative Indizien gegenüber wie die undemokratischen Wahlen Ende September, die wiederholte willkürliche Inhaftierung von demokratischen Aktivisten und die Weigerung, auch nur eines der international immer wieder kritisierten restriktiven Gesetze zu ändern. Das macht es für die EU schwer, bei drei wichtigen Entscheidungen, die in diesen Tagen gefällt werden, zu einer konsistenten und überzeugenden Haltung zu kommen:

a. Was passiert mit den im Oktober 2008 für 6 Monate suspendierten Einreisebeschränkungen gegen 36 Offizielle, darunter auch Präsident Lukaschenko?

Am 16. März entschieden die EU-Außenminister, die Aussetzung der Einreisebeschränkungen gegen hochrangige Offizielle aus Belarus um weitere neun Monate zu verlängern. Gleichzeitig wurde beschlossen, die „restriktiven Maßnahmen“, darunter die Einfrierung von Privatkonten der Betroffenen, formal um ein Jahr zu verlängern, um die Regierung in Minsk zu ermutigen, „weitere konkrete Maßnahmen auf dem Weg zu Demokratie und der Respektierung von Menschenrechten und fundamentalen Freiheiten“ vorzunehmen. Auf die zentrale Frage gab es allerdings keine konkrete Antwort: Woran wird im Dezember 2009 gemessen werden, ob konkrete Maßnahmen von Minsk in einem Umfang vorgenommen wurden, der eine vollständige Aufhebung der Sanktionen rechtfertigt? Werden weitere „kosme-tische Schritte“ genügen, um Brüssel Ende des Jahres zu diesem Zugeständnis zu bewegen? Oder wird die EU tatsächlich „systemische Veränderungen“ von Lukaschenko einfordern?

Die Vereinigten demokratischen Kräfte in Belarus begingen einen Fehler, als sie nach der ersten Suspendierung des Einreiseverbots im Oktober 2008 eine umfangreiche Forderungsliste an die eigene Regierung formulierten (und an die EU lancierten), in der nahezu alle Politikfelder aufgeführt waren, in denen demokratische Reformen im Land für notwendig erachtet wurden. Für eine „Probezeit“ von 6 Monaten war diese Liste vollkommen unrealistisch. Dass jedoch andererseits die EU gar keine konkreten Forderungen für diese 6 Monate aufgestellt hatte, führte im Rückblick dazu, dass sich die Regierung in Minsk auf kosmetisch-symbolische Schritte beschränken konnte. Eine Fortsetzung dieses taktischen Spiels ist nicht wünschenswert.

Der konstruktive Teil der demokratischen Kräfte in Belarus hat nun an die EU appelliert, für diese zweite Probezeit die Abschaffung von mindestens zwei Paragraphen aus dem Strafgesetzbuch zu fordern, die wie eine Art Damoklesschwert über einem Großteil der demokratischen Aktivisten hängen: § 193-1, der die Tätigkeit im Namen einer nicht registrierten Organisation unter Strafe stellt sowie § 369-1, der die die Diskreditierung der Republik Belarus als Straftatbestand klassifiziert. Eine solche Forderung hätte zwei wichtige Vorteile: Sie ist politisch gesehen realistisch, das heißt in neun Monaten umsetzbar und würde die Führung in Minsk zu nachhaltigen (weil unumkehrbaren) Reformen in Richtung Demokratie auffordern.

b. Soll Alexander Lukaschenko zum EU-Gipfel zur Östlichen Partnerschaft am 7. Mai nach Prag eingeladen wer-den?

Die Frage, ob Lukaschenko zum EU-Gipfel nach Prag eingeladen wird, ist noch nicht entschieden. Hier stehen sich innerhalb der EU zwei Positionen gegenüber: Die eine Seite plädiert für eine Einladung und verweist auf das Problem der doppelten Standards, denn es ist praktisch unstrittig, dass der Aserbaidschanische Präsident Alijew nach Prag kommen wird. Die Menschenrechtslage in Aserbaidschan ist jedoch mindestens ebenso besorgniserregend wie in Belarus, und es gibt auch immer noch zahlreiche po-litische Häftlinge beim südkaukasischen EU-Nachbarn. Diese Aspekte spielen jedoch bei der Diskussion über die Aufnahme von Aserbaidschan in das Programm der Östlichen Partnerschaft praktisch keine Rolle.

Eine andere Fraktion von EU-Mitgliedern – und mit ihr auch die demokratische Opposition in Belarus – halten die Einladung von Lukaschenko für ein falsches Signal und warnen davor, dass es von der Führung in Minsk als eine Carte blanche für weitere repressive Maßnahmen gegen demokratische Aktivisten verstanden werden könnte. Zu den Skeptikern gehört auch Deutschland. In Berlin wird argumentiert, dass grundsätzlich immer noch ein Einreiseverbot für Lukaschenko besteht, auch wenn dieses zeitweise ausgesetzt ist. Die EU würde sich aber selbst widersprechen, wenn sie einen unter Visabann stehenden Präsidenten zu einem EU-Gipfel einladen würde. Gegen eine Einladung spricht auch, dass Lukaschenko es Mitte März vorzog, nicht mit der für die Östliche Partnerschaft zuständigen EU-Kommissarin Ferrero-Waldner zusammenzutreffen, die zu einem lange angekündigten Besuch nach Minsk kommen wollte. Die Tatsache, dass Lukaschenko kurzfristig zu einem Staatsbesuch nach Armenien abreiste, ist als ein Zeichen dafür zu werten, dass er noch nicht bereit ist, ernsthaft und konstruktiv über das Thema der Östlichen Partnerschaft zu sprechen.

C. In welchem Umfang soll Belarus in das Programm der Östlichen Partnerschaft einbezogen werden?

Auf dem EU-Gipfel in Brüssel am 20. März entschieden die Staats- und Regierungschefs, dass auch Belarus grundsätzlich in das Programm der Östlichen Partnerschaft aufgenommen werden soll. Gleichzeitig wurde betont, dass der Umfang der Teilnahme des Landes von den demokratischen Refor-men in Belarus abhänge. Ferrero-Waldner wiederholte, dass unter den Schritten, die man von Minsk erwarte, die Reform der Wahlgesetzgebung, der Zugang der Bürger zu unabhängigen Informationen, die Verbesserung der Situation von NGOs und die Frage der Versammlungsfreiheit seien. „Wenn Belarus Reformen und größere Offenheit wählt, ist die EU bereit, eine positive Antwort zu geben und Belarus zu helfen, wo immer sie kann.“ Die Regierung in Minsk reagierte positiv auf die Entscheidung, hob aber hervor, dass „der Mechanismus der Östlichen Partnerschaft“ auf einer gleichberechtigten und „nicht-diskriminatorischen“ Beziehung zu allen Teilnehmern an dem Programm gründen müsse. Der Leiter der Präsidialadministration, Makey, traf sich am 20. März mit den diplomatischen Vertretern der EU in Minsk, um mit ihnen über die Perspektiven von Belarus im Rahmen der Östlichen Partnerschaft zu sprechen.

Die Entwicklung der Beziehungen zu Belarus und die Ausgestaltung der Östlichen Partnerschaft in Bezug auf Belarus bedeuten für die EU eine große Herausforderung. Die Erfahrungen der zurückliegenden sechs Monate und der Fall Poljakowa zeigen exemplarisch, dass es nicht ausreichend ist, sich auf einen Dialog mit dem offiziellen Minsk zu beschränken. Eine realistische Einschätzung der Situation im Land erhält die EU nicht von der offiziellen Seite, sondern von den kritischen Beobachtern aus der Zivilgesellschaft und von Teilen der demokratischen Opposition im Land. Deshalb muss die EU Lukaschenko auch immer wieder darauf hinweisen, dass sie sich von kosmetische Veränderungen nicht blenden lässt und dass es zwecklos ist, die demokratischen Kräfte in Belarus – wie auf einer Pressekonferenz in der letzten Woche – als „Floh-Opposition“ oder fünfte Kolonne abzukanzeln. Systemische Veränderungen als Voraussetzung für eine weitere Verbesserung und Intensivierung der Beziehungen mit der EU sind nicht in Konfrontation, sondern nur in Kooperati-on mit dem konstruktiven Teil der demokratischen Opposition im Land zu erreichen.

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