Parteienlandschaft: unversöhnliche Lager
Die stärkste Kraft laut jüngsten Umfragen ist ANO (Fraktion Patrioten für Europa im Europaparlament) unter Andrej Babiš mit 31,2 %. Babiš steht allerdings unter Druck wegen womöglich rechtswidrigen Gebrauchs von EU-Fördermitteln für sein Unternehmen. Die Hauptverhandlung in dieser Angelegenheit findet nach den Wahlen statt. Eine Verurteilung ist möglich. Als Premierminister wird er auch deshalb von den demokratischen Parteien der Mitte abgelehnt. Zudem verunsichern seine populistische Rhetorik und euroskeptischen Töne viele, denen die proeuropäische und proatlantische Kontinuität der Außenpolitik des Landes wichtig ist.
Die regierende SPOLU-Koalition, bestehend aus ODS (Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer), TOP 09 und KDU-ČSL (beide Europäische Volkspartei), wird von Premierminister Petr Fiala geführt und steht für eine liberalkonservative, proeuropäische Politik. In aktuellen Umfragen erreicht das Bündnis 20,9 %. Gemeinsam mit dem zentristisch-liberalen Koalitionspartner STAN (Europäische Volkspartei), unter der Leitung von Innenminister Vít Rakušan, lehnen sie die Zusammenarbeit mit Andrej Babiš entschieden ab. STAN liegt in aktuellen Umfragen bei 10,1 %. Damit liegen die Regierungsparteien gleichauf mit ANO. Komplettiert wurde das Regierungslager bis vor einem Jahr von den Piraten (Die Grüne/Europäische Freie Allianz), angeführt vom ehemaligen Prager Oberbürgermeister Zdeněk Hřib, die derzeit auf 8,9 % kommen. Trotz ihres Austritts aus der Regierung positionieren sie sich weiterhin gegen Babiš und sprechen sich für eine Wiederbelebung der konstruktiven Zusammenarbeit mit SPOLU und STAN aus.
Die politischen Ränder bilden die rechtsextreme SPD (12,8 %, Europa der Souveränen Nationen) und die linksradikale Partei Stačilo! – Es reicht! (6,5 %, fraktionslos). Beide agieren vehement gegen EU und NATO.
Die Partei Motoristé sobě – Motoristen für sich (5,1 %, Patrioten für Europa) – setzt auf nationale Souveränität und populistische Versprechen. Ihre Rhetorik ist polarisierend, ihr Programm – u.a. wendet sie sich gegen den Green Deal und ist gegen das Aus für den Verbrenner - gilt als unrealistisch. Diese drei Parteien können sich eine Regierungsbildung mit ANO vorstellen.
Wahlkampfthemen: Wohlstand und Sicherheit
Die Antworten der Parteien auf die wirtschaftlichen Sorgen vieler Tschechen – Inflation, Energiepreise, Wohnkosten – unterscheiden sich fundamental. ANO verspricht Steuersenkungen und gleichzeitig massive Subventionen, SPOLU setzt auf fiskalische Verantwortung und nachhaltige Haushaltsführung.
Auch in der Außenpolitik droht ein Kurswechsel: Sollte ANO tatsächlich mit den extremistischen Parteien koalieren, würde das die NATO-Verpflichtungen infrage stellen, die Unterstützung Tschechiens für die Ukraine beenden und das Verhältnis zur EU stark belasten. Das wäre ein Bruch mit der werteorientierten Außenpolitik der SPOLU-STAN-Regierung, die unter anderem mit der Tschechischen Munitionsinitiative, einer internationalen Aktion zur Lieferung von weit über 1.000.000 Artilleriegeschossen für die Ukraine pro Jahr, und der erfolgreichen Integration von über 380.000 ukrainischen Geflüchteten (der höchsten Pro-Kopf-Quote in der EU) ihre Bereitschaft gezeigt hat, Verantwortung zu übernehmen und eine aktive Rolle in Europa zu spielen.
Wahlbetrugsängste und Desinformationen
Gegen die Kandidatenlisten von Stačilo! und die der SPD wurden Verfassungsbeschwerden eingereicht mit dem Vorwurf, es handle sich um verdeckte Koalitionen, die durch ihre formale Registrierung als Einzelpartei die höheren Sperrklauseln für Wahlbündnisse umgehen wollten. Das Verfassungsgericht hat die Klage abgewiesen. Eine Intervention des Gerichts wurde wohl auch vor dem Hintergrund vermieden, Wahlbetrugsängste in der Bevölkerung nicht zu forcieren. Diese werden nämlich in den Sozialen Medien durch die systematische Verbreitung von Desinformation, die auf eine Delegitimierung der Wahl und demokratischer Institutionen abzielt, befeuert. Es wird dort ein „rumänisches Szenario“ beschworen und die Gerichte werden als „missbraucht“ dargestellt; und tatsächlich glaubt nach aktuellen Umfragen fast die Hälfte der Bevölkerung, dass Wahlbetrug möglich sei.
Fazit: keine einfache Lösung bei der Regierungsbildung
Ein Parlament mit eventuell sieben Parteien macht die Bildung einer stabilen Regierung äußerst schwierig und in jedem Fall kompromissbehaftet. Eine Koalition von ANO mit Extremisten oder eine Minderheitsregierung mit ihrer Unterstützung wäre wegen ihrer außenpolitischen Implikationen die schlechteste aller Möglichkeiten. Die Parteien der jetzigen Regierungskoalition könnten daher unter erheblichem Druck geraten, eine Koalition mit ANO einzugehen, um dies zu verhindern. ANO und auch die Regierungskoalition selbst lehnen eine Zusammenarbeit miteinander allerdings ab. Eine Beamtenregierung bzw. ein Expertenkabinett könnte eine Übergangslösung sein.
Entscheidend wird sein, ob Tschechien seinen Kurs als konstruktiver und verlässlicher Partner in der EU und NATO halten kann – und ob das Vertrauen der Bürger in demokratische Institutionen und Prozesse gestärkt statt weiter erschüttert wird.
Staatspräsident Petr Pavel hat bereits signalisiert, dass er bei der Regierungsbildung aktiv mitgestalten will – insbesondere, wenn EU- oder NATO-feindliche Kräfte Einfluss gewinnen. Seine Haltung ist klar: Tschechien gehört zur westlichen Wertegemeinschaft – auch nach der Wahl!
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