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Interviews

ChatGPT aus Sicht eines Dolmetschers

Immer da, wo menschliche Interaktion ins Spiel kommt, wo es um Interpretation und Sinn geht, kommt ChatGPT an seine Grenzen.

Johannes R. Hampel ist Dolmetscher und setzt auf ChatGPT – jedoch nur in der Vorbereitung und bei standarisierten Aufgaben. Warum ChatGPT nicht darüber hinaus gehen kann, erklärt er im folgenden Interview.

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Podijeli

Wie bereiten Sie sich auf einen Einsatz vor?

Wenn ich das Thema schon gut kenne, versuche ich mich noch auf den neuesten Stand zu bringen. In der Vergangenheit habe ich häufig Google verwendet oder mir Inhalte mühsam aus öffentlichen Quellen wie Zeitungen, Zeitschriften oder Internetseiten zusammengesucht. Für Fachzeitschriften musste ich dabei häufig viel Geld ausgeben. Nun kann ich ChatGPT fragen. Ich lege dann ein Glossar an und schreibe formelhafte Wendungen auf. Ich kann beispielsweise bei Themen der Zeitgeschichte oder neuesten naturwissenschaftlichen Entwicklungen auf die Künstliche Intelligenz zurückgreifen.
Wenn es aber bei einer Veranstaltung, etwa einer Autorenlesung, um Ereignisse aus dem Jahr 1943 in Japan geht, dann nutze ich immer noch bewährte Nachschlagewerke, etwa den Großen Ploetz. Insgesamt sind das bei einem anspruchsvollen Einsatz ein bis zwei Tage Vorbereitung.  Diese Vorbereitung ist für den Dolmetscher oder die Dolmetscherin schon die halbe Miete. Daneben muss er ausgeschlafen, frisch und munter sowie gut gekleidet sein. 

 

Was müssen Sie für einen Einsatz wie eine Lesung für Ihre Übersetzung wissen?

Man muss etwa, wenn die Autorin – in diesem Fall Dacia Maraini – selbst ihre Kindheit in Japan verbracht hat und sich ständig auf Besonderheiten der japanischen Politik in den 1940er-Jahren bezieht, um diese Ereignisse wissen. Sonst versteht man gar nicht, warum sie etwa in einem Konzentrationslager interniert wurde. Und dieses Verstehen ist ganz wichtig, ja sogar entscheidend beim Dolmetschen. Denn je mehr Vorwissen ich schon mitbringe, je mehr ich Zusammenhänge einordnen kann, desto einfacher fällt es mir, die Äußerungen vollständig im Kopf zu behalten. Dafür muss man sich als Dolmetscherin oder Dolmetscher, vor allem beim Konsekutivdolmetschen, Klarheit im Kopf schaffen. 

 

Was macht eine gute Dolmetschung aus?

Eine gute Dolmetschleistung ist sachlich genau, fehlerfrei und vollständig.
Sie berücksichtigt die Stimmung und Intention der sprechenden Person, aber auch die Stimmung und Interessenlage des Publikums. Denn man dolmetscht ja immer für eine bestimmte Personengruppe. Manchmal muss man beispielsweise Begriffe erklären und die eine oder andere Erläuterung einfügen, manchmal nicht. 

 

Gibt es in Ihrem Beruf Gesetze oder professionelle Regeln, die für die Wahrung von Qualität sorgen?

Ja, es gibt Standesregeln. Wenn man diese verletzt, wird man kaum einen Fuß auf den Boden bekommen. Also man muss sich kollegial verhalten, und es gibt etwa Regeln von Berufsverbänden wie dem Bund Deutscher Übersetzer. Der Dolmetsch-Beruf ist aber kein gesetzlich geregelter Beruf, jede Person kann sich Dolmetscherin oder Dolmetscher nennen.

Wie lange können Sie dolmetschen?

Konsekutiv kann ich ein bis zwei Stunden durchhalten, aber dann brauche ich eine Pause. Beim Simultandolmetschen kann ich 30 bis maximal 60 Minuten durchhalten, aber das ist schon die absolute Grenze. Grundsätzlich gilt, dass man 30 Minuten nicht überschreiten sollte und vorher rechtzeitig an die Kollegin oder den Kollegen abgeben sollte.

 

Wie kann man ChatGPT in Ihrem Feld einsetzen?

Man kann ChatGPT für stark standardisierte Aufgaben einsetzen. Beispielsweise kennen Ingenieurinnen und Ingenieure von Schiffsschrauben einzelne Teile in- und auswendig – sie wollen nur wissen, wie etwas funktioniert. Bei solchen technischen oder naturwissenschaftlichen Sachverhalten kann man ChatGPT schon als Konkurrenz sehen. Aber immer da, wo menschliche Interaktion ins Spiel kommt, wo es um Interpretation und Sinn geht, kommt ChatGPT an seine Grenzen.

 

Teilen die Auftraggeberinnen und Auftraggeber diese Einschätzung? Die Künstliche Intelligenz erscheint wesentlich effektiver und kostengünstiger.

Bei den Auftraggebenden wird der persönliche Einsatz sehr geschätzt. Denn persönliches Vertrauen kann zu einer Künstlichen Intelligenz nicht hergestellt werden, und Vertraulichkeit ist etwa bei nicht öffentlichen Veranstaltungen sehr wichtig. Bei ChatGPT weiß man nicht, wo die Daten überall landen. Und so merke ich in meinem Geschäftsfeld, dem Dolmetschen, keinerlei Umsatzrückgang seit ChatGPT. Anders verhält es sich bei den Fachübersetzerinnen und Fachübersetzern. Deren Geschäftsfeld, das schriftliche Übersetzen von Gebrauchstexten, bricht derzeit regelrecht zusammen. Die Fachübersetzungen der Künstlichen Intelligenz müssen zwar korrigiert und gegengelesen werden, aber führende KI-Anbieter übersetzen das Schriftliche rasch und effizient.

 

Wie sehen Sie die Zukunft des Dolmetschens?

Dolmetschen selbst wird sich ändern und dürfte dabei an Bedeutung noch zunehmen.
Schon jetzt wechseln etwa immer mehr Unternehmen ins Englische und brauchen umso dringender die Verankerung in den Landessprachen. Auch arbeiten immer mehr Unternehmen mit internationaler Kundschaft zusammen. Mit fortschreitender Technik ist es aber denkbar, dass Menschen in einzelnen Fachgebieten an ihren Arbeitsplätzen mit Künstlicher Intelligenz übersetzen und dolmetschen. Bei hochkomplexer Sprache werden Dolmetscherinnen oder Dolmetscher aber unverzichtbar bleiben.

 

Johannes R. Hampel ist Konferenzdolmetscher für die Sprachen Deutsch, Englisch, Italienisch und Französisch. Er arbeitet u.a. für politische Stiftungen, Fernseh- und Rundfunkanstalten und Unternehmen verschiedenster Branchen.

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Kontakt Leonie Mader
Leonie_Mader
Referentin für Künstliche Intelligenz
Leonie.Mader@kas.de +49 30 26996-3319

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