Agregátor obsahu

privat
Interviews

„Entscheidend ist, dass die Parteien der Mitte die richtigen Themen und den richtigen Ton setzen”

Interview mit Prof. Oliviero Angeli

Mit Prof. Dr. Oliviero Angeli, wissenschaftlicher Koordinator des Mercator Forums Migration und Demokratie, sprechen wir über Grundhaltungen zum Thema Migration, veränderte politische Forderungen und den Umgang mit populistischen Kräften.

Agregátor obsahu

Sdílet

In Ihrer Forschung befassen Sie sich mit gesellschaftlicher und politischer Polarisierung. Wie stark ist die Polarisierung beim Thema Zuwanderung in Deutschland tatsächlich ausgeprägt und entlang welcher Lager verläuft sie?

Die Polarisierung beim Thema Zuwanderung hat zwei Seiten. Ideologisch, also in Bezug auf inhaltliche Unterschiede zwischen den politischen Lagern, nimmt sie in Deutschland tendenziell ab. Denn vor allem mit Blick auf Asyl und irreguläre Migration hat sich in den vergangenen Jahren eine restriktivere Haltung zunehmend durchgesetzt – und zwar quer durch fast alle Wählermilieus. Ganz anders verhält es sich bei der affektiven Polarisierung, also der emotionalen Abgrenzung zwischen den Lagern. Unsere Daten zeigen: Kaum ein anderes Land in Europa ist beim Thema Migration emotional so stark gespalten wie Deutschland. Besonders Anhänger der AfD begreifen Migration als zentralen Identitätsmarker und grenzen sich entsprechend heftig von anderen ab. Und genau hier liegt die Gefahr: Wo ideologische Unterschiede kleiner werden, werden Konflikt und Abgrenzung selbst zum Programm. Es geht dann nicht mehr darum, was man will, sondern gegen wen man steht.

 

Seit 2015 hat das Thema Migration in Deutschland stark an Bedeutung gewonnen. Bei der Bundestagswahl 2025 zählte Migration zu den entscheidendsten Politikfeldern. Wie hat sich das öffentliche Meinungsbild beim Thema Migration über das letzte Jahrzehnt verändert?

Man muss unterscheiden zwischen den grundsätzlichen Einstellungen zu Migration und den politischen Forderungen. Die Grundhaltungen – also die Frage, ob man Migration insgesamt positiv oder negativ bewertet – bleiben in der Regel relativ stabil. Das hängt damit zusammen, dass solche Haltungen tief in Persönlichkeitsmerkmalen und Wertorientierungen verwurzelt sind und sich nicht so leicht verändern. Selbst einschneidende Erfahrungen wie die Flüchtlingskrise 2015 können daran wenig ändern. Deutlich dynamischer sind dagegen die politischen Forderungen. Heute sprechen sich auch viele Menschen, die Migration grundsätzlich offen gegenüberstehen, für mehr Kontrolle und konsequentere Rückführungen aus als noch vor zehn Jahren. Will heißen: Eine grundsätzliche Offenheit für Migration übersetzt sich nicht automatisch in liberale Forderungen nach offenen Grenzen oder einem großzügigen Asylrecht.

 

Kann man von einer Verschiebung der gesellschaftlichen Mitte beim Thema Zuwanderung sprechen?

Von einer Verschiebung der gesellschaftlichen Mitte zu sprechen, kann den Eindruck einer dauerhaften Veränderung erwecken. In Wirklichkeit verlaufen die politischen Positionen zur Migration eher in Zyklen. Schon Anfang der 1990er-Jahre gab es eine Phase, in der restriktive Positionen stärker in den Vordergrund traten – darauf folgte eine liberalere Phase. Heute ist die Forderung nach Steuerung, Begrenzung und Durchsetzung erneut sehr präsent – ob das von Dauer ist, bleibt offen. Das eigentlich Neue für Deutschland liegt am rechten Rand: Seit 2015 gibt es mit der AfD eine Partei, die sich das Thema Migration groß auf die Fahne geschrieben hat. Migration hat dort eine ungleich höhere Bedeutung, weil die Wählerschaft in migrationskritischen Positionen weitgehend geeint ist. Diese Kohärenz verschafft der AfD einen Mobilisierungsvorteil und bedeutet zugleich einen strategischen Nachteil für Parteien wie die CDU und SPD, deren Wählerschaften in puncto Migration deutlich heterogener sind.

 

In ganz Europa erleben wir ein Erstarken populistischer Akteure, die sich offen zuwanderungsfeindlich positionieren und aufgrund ihrer Positionen beim Thema Migration Zustimmung bei vielen Wählerinnen und Wählern finden. Wie lässt sich das erklären?

Man muss den größeren Zusammenhang sehen: Seit den 1970er-Jahren hat der postmaterialistische Wandel die politischen Konfliktlinien in Europa geprägt. Themen wie Gleichstellung, Umweltschutz oder eben Migration sind zu zentralen Streitpunkten geworden – und haben eine neue kulturelle Spaltung hervorgebracht. Die Linke verkörpert beim Thema Migration wie keine andere Partei diese postmaterialistischen Werte: Kosmopolitismus, Weltoffenheit, offene Grenzen. Migration gilt hier als Ausdruck gesellschaftlicher Vielfalt und internationaler Solidarität. Die AfD steht am entgegengesetzten Pol, gewissermaßen als Gegenreaktion auf diesen Wertewandel. Sie positioniert sich bewusst gegen Kosmopolitismus und präsentiert sich als Bastion traditioneller Werte, kultureller Homogenität und nationaler Selbstbehauptung. Beide Parteien gewinnen durch ihre klare und eindeutige Positionierung an Sichtbarkeit. Doch das Mobilisierungspotential ist ungleich verteilt: Der Anteil migrationskritischer Bürger ist deutlich größer und leichter zu aktivieren als jener, der sich mit einer sehr liberalen Migrationspolitik identifiziert. Deshalb profitiert die AfD von der Politisierung des Themas ungleich stärker als die Linke.

 

Wie sollten die Parteien der Mitte Ihrer Einschätzung nach agieren, um sich unter dem Druck populistischer Akteure zu behaupten und Zuspruch in der Bevölkerung zu finden?

Es gibt kein Patentrezept für alle Parteien der Mitte – schon deshalb nicht, weil ihre politischen Orientierungen unterschiedlich sind. Klar ist aber: Von einer hohen Salienz des Themas Migration profitiert in erster Linie die radikale Rechte, die es konsequent für sich beansprucht. Einfach zu schweigen oder das Thema auszublenden, wäre allerdings ebenso ein Fehler. Entscheidend ist vielmehr, dass die Parteien der Mitte die richtigen Themen und den richtigen Ton setzen. Die meisten Menschen lehnen Migration nicht grundsätzlich ab – nur eine kleine Minderheit tut das. Die Mehrheit ist eher pragmatisch orientiert: Sie befürwortet Migration dann, wenn sie das Gefühl hat, dass sie dem Land nützt. Genau deshalb ist die Frage nach Arbeitsmigration und ihrem Beitrag zur Wirtschaft ein Schlüsselthema. Wenn die Parteien der Mitte zeigen, dass Migration steuerbar ist, dass sie geordnete Verfahren durchsetzen und gleichzeitig die Vorteile für das Land sichtbar machen, nehmen sie den Populisten den Resonanzboden.

 

Mit Blick in die Zukunft – entlang welcher Konsenslinien könnten sich Kompromisse in der demokratischen Mitte finden lassen?

Migration wird oft als spaltendes Thema gesehen. Dabei liegen die Positionen gar nicht so weit auseinander: Fast alle Parteien betonen die Bedeutung von Arbeitsmigration und dass Integration klare Regeln braucht. Selbst beim Zankthema Asyl sind Kompromisse möglich. Konsens bleibt trotzdem schwierig, weil Migration stark von Ängsten und Ressentiments überlagert wird, die vor allem von den radikalen Rechten befeuert werden. Dagegen reicht es nicht, Vielfalt zu zelebrieren – gerade im Osten wird man damit viele Menschen nicht erreichen. Parteien der Mitte müssen eine Erzählung entwickeln, die am Gemeinwohl ansetzt und Migration als Frage des eigenen Wohlstands und der Zukunft Deutschlands begreift. Nur so lässt sich vermitteln, dass soziale Sicherheit ohne Zuwanderung nicht möglich ist.

Agregátor obsahu

Kontakt Caroline Schmidt
Portrait
Referentin Flucht und Migration
caroline.schmidt@kas.de +49 30 26996-3539

comment-portlet

Agregátor obsahu