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Das Land "am Rande der Katastrophe":

König Bhumipol in tiefer Sorge um Thailand

In einer der aufsehenerregendsten Reden seit seiner Thronbesteigung vor 55 Jahren hat das thailändische Staatsoberhaupt König Bhumipol Adulyadej eine äußerst kritische Zustandsbeschreibung der thailändischen Politik und Gesellschaft abgegeben und ein düsteres Bild von der Zukunft Thailands gezeichnet. Zu einer Nachricht, die wie die sprichwörtliche Bombe einschlug, wurden die Ausführungen des Monarchen insbesondere dadurch, dass er entgegen grundlegenden thailändischen kulturellen Gepflogenheiten den während der Thronrede persönlich anwesenden Premierminister Thaksin Shinawatra direkt in seine kritischen Ausführungen mit einbezog und damit die öffentliche Diskussion über strukturelle und aktuelle politische Probleme Thailands vor Jahresende noch einmal anheizte.

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Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass König Bhumipol zu den bemerkenswertesten Staatsoberhäuptern der Gegenwart zählt. Die Tatsache, dass er bereits im Alter von nur 19 Jahren 1946 als neunter König der im 18. Jahrhundert begründeten Chakri-Dynastie den Thron besteigen musste - sein bis dahin regierender, älterer Bruder Ananda Mahidol war im selben Jahr unter bis heute nicht völlig geklärten Umständen ums Leben gekommen - und damit länger amtiert als jeder andere Monarch unserer Zeit, ist dabei nur einer von vielen erstaunlichen Aspekten.

Der im US-amerikanischen Cambridge geborene und seit 52 Jahren mit einer frühen Jugendbekanntschaft, der später weltbekannten Königin Sirikit, verheiratete Bhumipol hat noch nie fürchten müssen, dass sein Wort nicht genügend beachtet würde. Dazu ist der stets ernst und mit zunehmendem Alter auch melancholisch wirkende König zu politisch in der Wahl der Zeitpunkte seiner Äußerungen, zu deutlich in bezug auf das von ihm dabei verwendete Vokabular, aber auch feinsinnig genug, um seinen Landsleuten, die einen ausgeprägten Sinn für unausgesprochene Botschaften zwischen den Zeilen haben, ausreichenden Stoff für anhaltende Debatten zu geben.

In der Regel dient die aus Anlass des königlichen Geburtstags am 5. Dezember eines jeden Jahres gehaltene Thronrede Bhumipol als Forum zur Abgabe von Erklärungen, die häufig viel mit einer Erklärung zur "Lage der Nation" gemeinsam haben, wie sie in republikanischen Ländern fester Bestandteil des politischen Jahreskalenders sind. Im Unterschied zu parlamentarischen Debatten nimmt der thailändische König jedoch kaum jemals auf die Tagespolitik Bezug, sondern widmet sich in erster Linie der Analyse grundlegender Probleme Thailands, die er als kritisch für die Entwicklung des Staates und der Gesellschaft bewertet.

So nahm er im wirtschaftlichen Krisenjahr 1997 das ungebremste Wachstumsdenken der politischen und ökonomischen Elite ins Visier und stellte die Frage, ob Thailand tatsächlich zu den sogenannten "Tigerstaaten" gehören müsse, d.h. zu den seit Mitte der achtziger Jahre rasant aufstrebenden südostasiatischen Nationen, wenn auf dem Weg dorthin wichtige entwicklungspolitische Fragen und Probleme entweder nicht gelöst oder gar nicht behandelt worden seien. Bei anderen Thronreden gab das Staatsoberhaupt zu erkennen, was er von der Leistungsfähigkeit des stark reformbedürftigen thailändischen öffentlichen Dienstes hielt, als er die Beamtenschaft metaphorisch-ironisch mit einigen weder als besonders intelligent noch sonderlich agil geltenden Tieren verglich.

Die Thronrede 2001 fällt jedoch deutlich aus diesem Rahmen heraus. Die Wortwahl Bhumipols war teilweise so krass, dass sie an Eindringlichkeit absolut nichts zu wünschen übrig ließ. Schon der Beginn des zentralen Redeteils ließ aufhorchen: "Heute beabsichtige ich, über Katastrophe zu sprechen, nicht über Entwicklung (...) Ich denke, wir alle wissen, dass unser Land sich nicht entwickelt, sondern alles sich im Niedergang zu befinden scheint."

Dass der König das von ihm früher äußerst selten verwendete Wort "Katastrophe" gebrauchte, belegt den Ernst, den er in seine Botschaft zu legen beabsichtigte. Völlig unerwartet geriet dann der im "Dusidalai"-Thronsaal des Bangkoker Chitralada-Palastes gemeinsam mit Hunderten anderer Würdenträger anwesende Premierminister Thaksin ins Fadenkreuz der Rede seines Königs, der unter dem Gelächter des Publikums bemerkte: "Der Premierminister macht ein langes Gesicht, jetzt nachdem ich von Katastrophe gesprochen habe", nur um dann hinzuzufügen, "aber ich sage die Wahrheit, denn was immer wir tun - überall scheint es große Probleme zu geben. Der Premierminister mag glücklich erscheinen, aber tief im Innern ist er es gewiss nicht".

Der so Angesprochene hatte erkennbare Probleme, mit der Situation umzugehen. Zu Beginn der von den staatlichen Medien live übertragenen Rede konnten die Fernsehzuschauer noch einen wie auch sonst in der Öffentlichkeit stets lächelnden Premierminister erleben, der jedoch im Verlauf der Ausführungen des Königs immer mehr wie vor den Kopf geschlagen wirkte.

Es gibt durchaus Gründe, weshalb der Monarch derart gezielt den Regierungschef anging. Hatte dieser doch in den vergangenen Monaten zahlreiche, vor allem aus Wissenschaftlerkreisen geäußerte Kritik an seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik oft barsch zurückgewiesen und seine Kritiker bezichtigt, den Erfolg der Regierungspolitik durch ihre Statements absichtlich zu torpedieren. Das wirkte auf Medien, Hochschul- und politische Kreise sowie auf Teile der Öffentlichkeit wie der allzu offensichtliche Versuch, die Vertreter durchaus argumentativ untermauerter politischer Gegenpositionen als Störenfriede zu diskreditieren und ihnen einen unsichtbaren Maulkorb umzuhängen.

Bei den seit den prodemokratischen Protesten des Mai 1992 und der nachfolgenden politischen Reformbewegung auf ihre Meinungsfreiheit besonders stolzen Thais musste dies phasenweise wie ein Schritt zurück zu Verhaltensmustern der ungeliebten autoritären Vergangenheit wirken. Dazu trug möglicherweise auch bei, dass der im Gegensatz zu seinen Amtsvorgängern die Öffentlichkeit suchende und das "Bad in der Menge" liebende Thaksin in seinen nach dem Amtsantritt eingeführten wöchentlichen Radioansprachen wiederholt unterstrich, ein wirtschaftlicher Aufschwung sei nur möglich, wenn negative Kräfte und Stimmungen überwunden würden.

Solche und ähnliche Äußerungen wurden insbesondere in den englischsprachigen Printmedien als versteckte Warnung an die politischen Gegner interpretiert, eine bestimmte Obergrenze der Kritik nicht zu überschreiten. Dass der politische Prozess zumal in einer Demokratie jedoch ganz besonders durch den politisch-argumentativen Schlagabtausch gekennzeichnet ist, dieser nicht selten sogar zum Überleben der Demokratie erforderlich ist - diese Überzeugung suchten Beobachter bei dem ausgesprochen dünnhäutigen Regierungschef bisher vergeblich.

Dieses Persönlichkeitsdefizit Thaksins kritisierte auch König Bhumipol mit klaren Worten: "Zwei Personen - mit unterschiedlichen Ideen, Erfahrungen und Wissen - können nicht auf dieselbe Weise denken. Haben wir eine Idee, und andere sagen, sie ist falsch, so haben sie das Recht dazu. Aber jeder muss sein Ego vermindern, um zu vermeiden, dass unterschiedliche Ideen kontraproduktiv wirken".

Im gleichen Atemzug nahm das Staatsoberhaupt sodann die Arbeitsweise der Regierung sowie ihre Öffentlichkeitsarbeit aufs Korn. Seit seinem Amtsantritt hatte der Selfmade-Milliardär Thaksin eine Reihe von Workshops zu zentralen Problemen in nahezu allen Politikbereichen veranstalten lassen, bei denen er in der Regel eine herausragende Rolle spielte und deren erkennbare Primärabsicht darin bestand, der Öffentlichkeit den Eindruck einer aktiven Regierungstätigkeit zu vermitteln. Hinter den Kulissen jedoch äußerten die Teilnehmer dieser Veranstaltungen Zweifel an der Wirksamkeit und Nachhaltigkeit solcher Maßnahmen, die in der Presse schon bald als "Talkshops" abqualifiziert wurden:

Kaum einem Kenner der politischen Szene Thailands wurde nämlich deutlich, wie die konkrete Umsetzung der dabei verabschiedeten Zielkataloge funktionieren sollte. Dies war anscheinend auch der Eindruck des Königs, als er unverhohlen erklärte: "Wir brauchen Seminare oder Workshops. Workshops verlangen gegenseitige Diskussionen und Implementierung. Was (gerade) hier geschieht, kann man keinen Workshop nennen, weil nur ich allein rede. Was bisher gemacht wurde, ist aber auch kein Workshop. Einen Zug zu nehmen und in Ferien zu fahren, ist einfach nicht richtig": Damit spielte König Bhumipol auf die unlängst per Bahn durchgeführte Reise des Kabinetts durch den thailändischen Nordosten an, eine Maßnahme, die offiziell als persönliche Inaugenscheinnahme wichtiger Projekte und Probleme durch die höchsten politischen Entscheidungsträger vor Ort deklariert wurde, jedoch für jeden erkennbar in erster Linie der Selbstdarstellung der Thaksin-Regierung diente und vom thailändischen Steuerzahler finanziert werden musste.

Die Kanonade königlicher Spitzen gegen den Regierungschef erreichte einen Höhepunkt, als der Monarch indirekt eine weitere, bereits häufig kritisch beurteilte Eigenart von Premierminister Thaksin beschrieb: "Personen ärgern sich über andere, die eine unterschiedliche Meinung äußern, während sie sich tatsächlich über sich selbst ärgern sollten. Wir müssen über uns selbst am meisten ärgerlich sein, wenn wir heute etwas sagen, nur um morgen etwas anderes zu sagen": Damit spielte das Staatsoberhaupt erkennbar auf die besonders von Thaksin im Laufe des Jahres teilweise völlig gegensätzlichen Erklärungen zu wichtigen politischen Fragen an, die z.B. in der Wirtschaftspolitik zu erheblicher Verunsicherung dahingehend geführt hatten, welche Haltung die Regierung gegenüber ausländischen Investoren einnehme.

In diesem Zusammenhang führte König Bhumipol aus: "Es ist Doppelmoral, wenn wir das, was wir tun, für gut halten, es aber dann schlecht nennen, wenn Ausländer dasselbe sagen. Dieses Verhalten behindert Fortschritt (...). Diejenigen mit Doppelmoral werden ins Stolpern geraten, weil ein Bein dem anderen im Weg steht".

Die Thronrede des Königs gibt Anlass für viele Fragen, allen voran die nach seinem persönlichen Verhältnis zum Regierungschef. Seit seiner Thronbesteigung hat Bhumipol ein gutes Dutzend Premierminister kommen und auch wieder gehen sehen. Und obwohl sich das Staatsoberhaupt bewusst aus tagespolitischen Diskussionen heraushält, wäre es verfehlt anzunehmen, dass der Monarch nicht doch zu allen wesentlichen Fragen der Entwicklung der Gesellschaft und seines Landes eine differenzierte Meinung hätte.

Ebenso nachvollziehbar wäre es, ihm eine Vorliebe für einen bestimmten Typus von Premierministern zu unterstellen, wie sie auch von anderen Monarchen bekannt ist. Betrachtet man den ruhig und zurückhaltend, aber bestimmt auftretenden, in seinen Gesten sparsamen König, der allein durch die Ausstrahlungskraft seiner Persönlichkeit Rechtschaffenheit verkörpert, dann muss im Vergleich dazu Thaksin, der nach eigenen Worten bei der Wahl seiner politischen Mittel nicht von Selbstzweifeln geplagt ist, wenn sie denn nur der Erreichung seiner Ziele dienen, wie ein Gegenpol wirken, der kaum eine andere Reaktion zulässt als breite Zustimmung oder offene Ablehnung.

Dies deckt sich mit Beobachtungen, die jeder machen kann, der sich heute um ein Stimmungsbild der Bevölkerung hinsichtlich ihres Premierministers bemüht: Dieser Mann lässt kaum jemanden gleichgültig und mit hoher Wahrscheinlichkeit insbesondere nicht den König, der sich schon früher und aus anderen Gründen glaubwürdige Sorgen um Thailand machte. Bereits zur Jahresmitte hatte Bhumipol anlässlich einer Audienz für alle thailändischen Botschafter nach Berichten aus Teilnehmerkreisen vieldeutig bemerkt, die Wirtschaftspolitik der Regierung Thaksin unterscheide sich in höchst signifikanter Weise von der anderer thailändischer Regierungen; ob sie gut oder schlecht sei, wisse man noch nicht.

Der Monarch ist nach verbreiteter Ansicht der wichtigste Faktor der thailändischen Politik und Gesellschaft. Keine der maßgeblichen politischen Gruppen kann es sich leisten, ihn als politischen Faktor zu gering zu bewerten. Erstaunlicherweise übt die Monarchie ihre politische Macht dadurch aus, dass sie sehr bewusst das Image einer unpolitischen, überparteilichen Institution pflegt.

Diese Charakterisierung trifft insbesondere auf König Bhumipol zu. Durch sein Einwirken hat er nahezu alle innenpolitischen Krisensituationen Thailands in den vergangenen Jahrzehnten nachhaltig beeinflusst und die politische Entwicklung seines Landes entscheidend mit geprägt. Typische Beispiele hierfür sind z.B. die Entscheidung des Königs während der Studentenunruhen 1973, die Führer der Militärregierung ins Exil zu schicken und seine öffentliche Zurechtweisung der Kontrahenten während der prodemokratischen Proteste 1992. Bhumipol ist dadurch nicht nur zu einem Symbol der Kontinuität, sondern auch der Stabilität geworden. Die Notwendigkeit seiner persönlichen Intervention zur Entschärfung von Krisensituationen dient jedoch auch zum Beleg der These, dass die politischen Institutionen dieser Aufgabe bisher nicht gewachsen waren.

Zweifellos lässt sich die gegenwärtige innen- und wirtschaftspolitische Lage Thailands nicht mit jenen beiden tiefen Zäsuren der jüngeren Geschichte des Landes vergleichen. Sie trägt aber den Keim eines in seinen unabsehbaren sozialen und psychologischen Folgen für die mittelfristige Entwicklung des Landes nicht zu unterschätzenden Krisenszenarios in sich, denn König Bhumipol hat recht: Es gibt derzeit keinen einzigen ins Auge fallenden Politikbereich, der nicht erneut oder besser: noch immer von krisenhaften Begleiterscheinungen gekennzeichnet ist.

Klar und auch für die Durchschnittsbevölkerung erkennbar ist, dass die Wirtschaft nicht in Schwung kommt, dass zwischen dem Anspruch und der Realität der ambitionierten sozialpolitischen Programme Thaksins trotz weniger, kaum nachhaltiger Anfangserfolge noch immer und aller Voraussicht nach auch noch länger eine Lücke klaffen wird und dass das Überleben epochaler politischer Reformen, die in der Verfassung von 1997 verankert sind, bei der im Jahr 2002 anstehenden Verfassungsdebatte keineswegs gesichert ist. Dazu kommt das nahezu täglich von den Medien aufbereitete Spektakel der - wie man versucht ist zu sagen - konstitutiven Schattenseiten des thailändischen politischen Systems: gewaltige Korruption anstelle von Rechtschaffenheit, Pfründenkämpfe anstelle von Sachdebatten, Rechtsbeugung anstelle von Rechtsstaatlichkeit, Restauration anstelle von Reform (insbesondere im Bildungsbereich).

Das alles sieht natürlich auch der König, der den Übergang seines Landes von der autoritären Militärdiktatur zu einer der progressivsten Demokratien in Südostasien hautnah miterlebt hat. Und obwohl ihm ausgewiesene Kenner der thailändischen Monarchie sowie der Chakri-Dynastie nachsagen, er bevorzuge im Grunde konservative Regierungen, so gab es im vergangenen Jahrzehnt doch zahlreiche Indikatoren dafür, dass das Staatsoberhaupt die politischen Reformen, wenngleich nicht in aller Offenheit befürwortete, so doch im Hintergrund wohlwollend beobachtete. Ausgehend davon muss dem König jetzt natürlich die innenpolitische Lage in der Tat wie eine bevorstehende Katastrophe erscheinen, selbst wenn er sie in seiner Wortwahl möglicherweise überzeichnend dargestellt hat.

Trotz der öffentlichen Diskussion um seine aufsehenerregende Rede unterliegt auch König Bhumipol den Gesetzen des Medienzeitalters, weshalb es nur eine Frage der Zeit ist, bis die an Schnelllebigkeit gewöhnten Thais sich gedanklich wieder ihrem Alltag zuwenden. Er dürfte jedoch bei sehr vielen seiner Landsleute die Samen des Zweifels über die Aufrichtigkeit der allumfassenden Verheißungen Thaksi ns gesät haben, was zweifellos seine Absicht war: Nicht umsonst wiederholte er während seiner Thronrede nahezu gebetsmühlenartig seine Kritik zu verschiedenen Themen, um sicherzustellen, dass seine Worte wirklich ankamen.

Allerdings bemühte sich schon wenige Tage nach der königlichen Rede das Umfeld Thaksins, durch interpretatorische Windungen, die Äußerungen des Königs zu relativieren und so die Kritik am Premierminister von diesem abzuwenden. Das jedoch überzeugte weder politische Beobachter noch wird es Thaksin in Zukunft aus der unangenehmen Lage befreien, dass jede kommende politische Fehlentscheidung von der Opposition und der Öffentlichkeit sofort wieder mit der Grundsatzkritik des Monarchen in Verbindung gebracht werden wird. Langsam aber sicher entsteht der Eindruck, dass der "weiße Ritter" Thailands, der bisher unbeirrt von allen Widrigkeiten des politischen Alltags seinen Weg nahm, den Einfluss dieses Königs unterschätzt hat. Es wäre nicht Thaksins erste politische Fehleinschätzung.

So verdienstvoll die Thronrede König Bhumipols im Hinblick auf die öffentliche Bewusstseinsbildung über politische Kernprobleme Thailands war, so sehr verdeutlicht sie aber ein noch weit schwerwiegenderes Dilemma der politischen Entwicklung des Königreiches: Wer wird nach König Bhumipol einmal solche Reden halten? Auch wenn gemäß thailändischem Strafrecht, das den Straftatbestand der Majestätsbeleidigung nicht nur kennt, sondern dessen Justiz ihn auch anwendet, allein schon die Diskussion der Thronnachfolgefrage erhebliche rechtliche Schwierigkeiten für den einzelnen mit sich bringen kann, so ist dennoch unstrittig, dass auch die Ära des neunten Rama (so sein offizieller Titel) irgendwann einmal zu Ende gehen wird.

Für Millionen von Thais, die aufgrund der Altersstruktur ihrer Gesellschaft nie einen anderen als den gegenwärtigen König erlebt haben, wird dieser Tag ein gewaltiger psychologischer Einschnitt ihres eigenen Lebens sein, denn Bhumipol ist im thailändischen Alltag allgegenwärtig, und sein Porträt ziert jedes thailändische Haus. Mit dem fast 50jährigen Kronprinzen Maha Vajiralongkorn steht ein Thronfolger zwar bereit, aber es würde Zeit und viel Hoffnung brauchen, bis jeder mögliche Thronaspirant das Ansehen des amtierenden 74jährigen Monarchen auch nur annähernd erreicht hätte.

Die in der Verfassung von 1997 verankerten Rechte des Königs spiegeln seine hohe Autorität zwar wider, begründen sie aber nicht, denn diese moralische Autorität ist vielmehr das Ergebnis des Zusammenwirkens von Tradition und Persönlichkeit. Nicht umsonst vertritt der britische Südostasienforscher Roger Kershaw die These, dass König Bhumipol schon zu Lebzeiten wie ein "Lebender Buddha" verehrt werde.

Bekanntermaßen gelangte Buddha vornehmlich durch ein Leben in Einfachheit und Zurückgezogenheit zu geistiger Erleuchtung. Die Biographie Bhumipols enthält viele ähnliche Elemente. Biographie und Verhaltensweisen Thaksins hingegen lassen eher den Schluss zu, dass er die - politische - Erleuchtung für sich reklamiert, ohne zuvor in angemessener Weise einen Prozess der Selbsterkenntnis durchlaufen zu haben. Darin liegt das Konfliktpotential für Thailands Politik der kommenden Jahre.

Bis dahin sollten alle, denen an Thailand etwas liegt, sich vor allem eines wünschen: ein langes, gesundes Leben von König Bhumipol Adulyadej.

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