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Marokko nach Hassan II.

od Dr. Wilfried Buchta
Mit der Besetzung wichtiger Schlüsselposten durch loyale Gefolgsleute hat der marokkanische König Mohammad VI. seinen Handlungsspielraum erweitert und die eigene Machtposition vorerst konsolidiert. Rhetorische Bekenntnisse zu Demokratie und Rechtsstaat dürfen freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß der König bisher keine ernstzunehmenden Pläne erkennen ließ, einen Teil seiner Machtfülle an die vom Volk gewählte Regierung abzutreten.

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Angesichts der Fülle ungelöster innen- und außenpolitischer Probleme, denen sich Marokko gegenübersieht (wachsende wirtschaftliche und soziale Schwierigkeiten, ungelöste Westsahara-Frage, etc.), nimmt die Wahrscheinlichkeit sozialer Unruhen zu.

I. Innenminister Basris Absetzung: Ein Symbol der Despotie "hassanienne" wird beseitigt.

Nur wenige Monate nach seiner Thronbesteigung scheint der neue marokkanische König Mohammad VI. mit der Absetzung des Innenministers, Idris Basri, einen entscheidenden Schritt für eine politische Neuausrichtung Marokkos getan zu haben. Die Entmachtung des seit 20 Jahren amtierenden Innenministers Basri, dem der Monarch am 9. 11. in Marrakesch im Rahmen einer schlichten und nüchternen Verabschiedungszeremonie seine Entlassungspapiere überreichte, wurde in Marokko von der großen Mehrheit der Bevölkerung mit einer Mischung aus Erleichterung und verhaltener Freude aufgenommen.

Schließlich personifizierte Basri in den Augen der Marokkaner alles, was seit einem Vierteljahrhundert den despotischen-feudalen und willkürlichen Charakter der Monarchie ausmachte. Von Hassan II. 1974 zum stellvertretenden Innenminister ernannt, erhielt der ehemalige Polizeioffizier und promovierte Jurist Basri 1979 vom König auch offiziell die Leitung des Ressorts, das er als dessen treuester Gefolgsmann bereits Jahre zuvor defacto kontrolliert hatte.

Seit den 60er Jahren ist das Innenministerium die wichtigste machtpolitische Stütze des Königs gewesen, mit dessen Hilfe er nicht nur das 1970 und 1971 zweimal gegen ihn putschende Militär in Schach hielt, sondern auch die demokratische und islamistische Opposition kontrollierte. Die Bandbreite der zu diesem Zweck von Basri und seinen Vorgängern eingesetzten Mittel reicht von der routinemäßigen Fälschung von Kommunal- und Parlamentswahlen über das Einschüchtern, Verhaften und Foltern von Oppositionellen jeglicher Couleur bis zum "Verschwindenlassen" und Ermorden besonders mißliebiger Dissidenten im In- und Ausland. Zielstrebig erweiterte Basri seit 1974 mit Billigung des Königs die Kompetenzen seines Ressorts - zum Nachteil fast aller übrigen Ministerien.

So gebot Basri beim Tode von Hassan II. im Juli 1999 nicht nur über ein Schattenreich diverser Polizei-, Sicherheits- und Geheimdienste, das jeglicher Rechenschaftspflicht gegenüber Parlament, Justiz und Regierung enthoben war, sondern er beaufsichtigte auch die staatlichen Radio-und Fernsehsender, die lokalen und regionalen Verwaltungsgremien und die Agrar- und Naturressourcenpolitik. Damit nicht genug: Seit Marokkos Annexion der Westsahara 1975 verwaltete Basri auf Weisung von Hassan II. auch alle Dossiers, die die außen- und innenpolitisch besonders brisante Westsahara-Frage betreffen.

Angesichts der Machtfülle des Innenministeriums, das für sich allein alle anderen Ministerien zusammengenommen an politischem Gewicht übertrifft, verwundert es kaum, dass sich unter Basri für dieses Ressort der arabische Name "Mutter der Ministerien" (Umm al-Wizarat) einbürgerte. Der Name ist insofern berechtigt, als im kollektiven Volksbewußtsein das Innenministerium für den Staat per se gehalten wird, was die Ergebnisse einer 1995 von der marokkanischen Zeitung Al-´Alam durchgeführten Umfrage unter mehreren Tausend Marokkanern eindrucksvoll belegen. Mit der Frage konfrontiert, ob sie mit dem Begriff "Staat" eher die gewählte Regierung oder den stets vom König ernannten und nur ihm verantwortlichen Innenminister assoziierten, entschieden sich 99% für den Innenminister.

Getrieben von König Hassan II. und dessen obsessiver Furcht vor vermeintlicher oder realer Opposition, ordnete Basri als absolut loyaler Diener der Monarchie, der nie eigene Machtambitionen erkennen ließ, alle anderen Politikfelder den sicherheitspolitischen Imperativen von Systemstabilität, Kontrolle und Ordnung unter. Obwohl Hassan II. sich seit Beginn der 90er Jahre wiederholt in Reden für Demokratie, Rechtsstaat und Dezentralisierung eingesetzt hatte, kam deren Entwicklung nie über das Stadium wohlfeiler Lippenbekenntnisse an die Adresse westlicher Geberländer für Entwicklungs- und Militärhilfe hinaus. Der Grund waren die polizeistaatlichen Praktiken Basris, die grundlegende Demokratieimpulse bereits im Keim erstickten.

II. Basris etappenweiser Sturz und die Westsahara-Frage

Mit dem Tod Hassan II. im Juli 1999 begann der Stern von Idris Basri unaufhaltsam zu sinken. Anzeichen dafür waren unübersehbar geworden, galt doch von Anfang an Basris Verhältnis zum neuen König Mohammad VI. als gespannt; so wurde Basri nachgesagt, Mohammads Thronfolge durch heimlich gestreute diffamierende Berichte über dessen Privatleben und die Existenz anderer Thronprätendenten sabotiert zu haben. Nicht zuletzt dieser latenten Antipathie wegen galt die öffentlich bekundete Sympathie und Solidarität Mohammad VI. vom Tag seiner Thronbesteigung an dem Ministerpräsidenten Abdarrahman Youssoufi, dem Widerpart Basris.

Ungeachtet dieser nie öffentlich verlautbarten gegenseitigen Antipathie hielten die meisten Beobachter eine baldige Ablösung Basris für unwahrscheinlich. Zu tief verwurzelt war der Glaube, dass allein der von Basri virtuos gehandhabte engmaschige Informations-, Repressions- und Zensurapparat des Innenministeriums die einzige Gewähr für die innenpolitische Stabilität Marokkos und den Erhalt der seit 1666 herrschenden Alaouiten-Monarchie bieten könne. Dementsprechend diffus waren auch daher die Spekulationen darüber, wie viel Zeit der König benötigte, um mit der gebotenen Behutsamkeit Basri und dessen engste Mitarbeiter schrittweise aus dem inneren Machtzirkel am Königspalast zu entfernen und sie durch eigene Vertraute zu ersetzen, ohne durch das Herausbrechen dieses zentralen Ecksteins die fragile innere Statik des Monarchiegebäudes zu gefährden.

Trotz des Nimbus der Unersetzbarkeit, an dem er selbst eifrig mitwebte, mußte Basri von September an in seiner ureigensten Domäne sukzessiv empfindliche Kompetenzeinbußen hinnehmen. So entwand ihm der König nicht nur die Befehlsgewalt über den Inlandsgeheimdienst, sondern entzog ihm auch die Aufsicht über die mit internen Polizei- und Sicherheitsaufgaben befaßte Gendarmerie, zwei Hauptpfeilern der inneren Sicherheit. Dabei verfolgte der König mit der Ernennung der Leiter der beiden Dienste, Hamdo Laaneqri und Mohammad Slimane, ein erkennbares Kalkül; beide sind enge Vertraute und ehemalige Mitarbeiter von General Mohammad Qadri, des Chefs des Auslandsgeheimdienstes, der direkt dem Königspalast (al-makhzan) und nicht dem Innenministerium untersteht. Augenfällig unterstrich der neue König damit, dass er sich hinfort verstärkt auf den bereits von seinem Vater eingesetzten Chef des Auslandsgeheimdienstes, General Qadri, stützen und die einseitige Abhängigkeit des Palastes vom Innenministerium vermindern will.

Weiteren, wenngleich eher symbolischen Gesichtsverlust erlitt Basri durch die nationalen Versöhnungsgesten des neuen Königs gegenüber einigen prominenten linken Oppositionspolitikern. In deutlicher Abkehr zu der von Hassan II. verfolgten unversöhnlichen Politik der eisernen Faust gegenüber jeder Art wirklicher Opposition scheute sich Mohammad VI. im Oktober nicht, Ebrahim Serfati, den unerbittlichsten Kritiker seines Vaters, die Rückkehr aus dem Exil zu erlauben. Hassan II. hatte den Marxisten Serfati von 1976 bis 1991 inhaftieren und nach seiner durch internationale Menschenrechtskampagnen ermöglichten Freilassung ins Pariser Exil abschieben lassen. Obwohl die Islamisten, die stärkste politische Oppositionsströmung, weitgehend von den nationalen Versöhnungsgesten des Königs ausgespart blieben, signalisierte der neue Monarch der Bevölkerung damit dennoch, dass er das Kapitel der brutalen Repression, das zur Entstehung enormer, bis heute spürbarer Verbitterung und Polarisation in der marokkanischen Gesellschaft beigetragen hatte, allmählich schließen will.

Ähnliche Versöhnungsabsichten verfolgte der Monarch auch mit seiner Rundreise durch die Nordprovinzen Marokkos. Dort, und zwar besonders unter den traditionell monarchiefeindlichen Berberstämmen des Rif-Gebirges, hatte sein Vater noch in den 50er Jahren bei der Unterdrückung von Volksaufständen eine tiefe Blutspur hinterlassen. Die damaligen Geschehnisse sind dort heute noch unvergessen, zumal Hassan II. seither die gesamte Region infrastrukturell und wirtschaftlich vernachlässigen ließ. Selbst wenn Beobachter davon sprechen, dass in einigen Städten des Nordens die Begeisterung der Bewohner für den Monarchen weniger in echter Spontaneität, sondern eher in den Fähigkeiten der lokalen Staatsvertreter für routinierte Masseninszenierungen wurzelte, so ist doch unbestritten, dass sich der neue König mit seiner Nordprovinzenreise in einigen Bevölkerungsgruppen neue Sympathien eroberte.

Endgültig schlug Basris Stunde, als es Ende September und Anfang Oktober zu Protestkundgebungen sahraouischer Studenten in Laayoun kam, dem wirtschaftlichen und politischen Zentrum der von Marokko besetzten Westsahara. Der von Basri befohlene gewaltsame Polizeieinsatz gegen die Studenten, deren Protest von großen Teilen der sahraouischen Bevölkerung mitgetragen worden war, forderte eine beträchtliche, bis heute nicht exakt verifizierbare Anzahl von Verletzten und Toten. Zahlreiche Protestteilnehmer wurden verhaftet. Als die Ereignisse eine landesweite, bis an die Pforten des Parlaments in Rabat rollende Welle von Solidaritätsdemonstrationen der Sahraouis heraufbeschwor und auch in den internationalen Medien weite Kreise zu ziehen begann, sah sich der Monarch zum Handeln veranlaßt. Er ließ eine Reihe von Basris lokalen Satrapen entfernen und bildete eine aus Experten, persönlichen Ratgebern und Ministern (Basri eingeschlossen) bestehende Kommission zur Untersuchung der Vorfälle.

Gänzlich überspannte Basri den Bogen jedoch, als er Anfang November öffentlich eine Erklärung zu dem für Juli 2000 vorgesehenen und von der UNO beaufsichtigten West-Sahara-Referendum abgab. Basri verkündete, dass das bis dato bereits wiederholt von der marokkanischen Seite verschobene Referendum erneut um weitere zwei bis drei Jahre verschoben werden müsse. Als Grund nannte Basri die große Zahl von insgesamt 71.000 Beschwerdeführern, deren Gesuche um Wahlbeteiligung von der UNO-Wahlkommission abgelehnt worden waren, weil sie nicht nachweisen konnten, dass sie oder ihre Vorfahren vor der marokkanischen Besetzung 1975 in der Westsahara wohnten. Hinter Basris Aktion stand die Absicht, das Referendum solange hinauszuzögern, bis diese zumeist von Rabat nach 1975 angesiedelten Marokkaner in Wahllisten aufgenommen worden waren und damit der Ausgang des Referendums kein unkalkulierbares Risiko mehr in sich bergen würde. Rasche abwiegelnde Dementis des marokkanischen Außenministers, Mohammed Ben Isa, der Basris Erklärung als rein persönliche Meinung eines Mitglieds der Regierung abtat, die nicht die offizielle Position Rabats wiederspiegelte, verstärkten den Eindruck, dass Basri eigenmächtig gehandelt hatte.

Zweifellos geriet Basri durch diesen provozierenden Schritt in einen unauflösbaren Widerspruch zum König, der wohl nun entschied, sich früher als beabsichtigt von ihm zu trennen. Denn erst am 6. November hatte Mohammad VI. in einer Rede in Marrakesch zum ersten Mal andeutungsweise durchblicken lassen, dass er außer den bisherigen zwei Optionen, nämlich Unabhängigkeit und bedingungsloses Festhalten an der "Marokkanität der Westsahara", noch eine dritte Lösungsoption für die Westsahara-Frage für denkbar hält. Zumindest deuteten einige kühne marokkanischen Interpreten eine bestimmte Passage der Marrakesch-Rede des Königs in einer diesen Schluß zulassenden Weise.

In ihr kündigte er die baldige Abhaltung von freien und fairen Wahlen für eine sahraouische Provinzvertretung an, was einige Beobachter als vorbereitenden Schritt zu einer möglichen Autonomie der Westsahara innerhalb des marokkanischen Staatsverbands werteten. Eine Autonomie-Lösung als Ausweg aus der seit 25 Jahren festgefahrenen Westsahara-Frage käme aufgrund ihrer weitreichenden innen- und außenpolitischen Folgen einer stillen Revolution gleich. Im Innern bedeutete sie die Verwirklichung der seit 1989 von Hassan II. offiziell eingeleiteten Dezentralisierung und Regionalisierung Marokkos, die aber ungeachtet zahlreicher vom Parlament verabschiedeter Gesetze und königlicher Dekrete praktisch bis heute nur auf dem Papier besteht. Außenpolitisch würde eine Autonomie-Lösung den größten Stolperstein für eine Aussöhnung mit dem verfeindeten Nachbarn Algerien aus dem Weg rollen.

Kurz vor dem Tode Königs Hassan II. im Juli 1999, deutete sich eine von ihm wie auch dem neuen algerischen Präsidenten Bouteflika getragene Bereitschaft an, die Bereinigung aller Differenzen in den bilateralen politischen Beziehungen, einschließlich des größten Zankapfels, der Westsahara-Frage, zu beginnen. Bekanntlich ist die Rivalität zwischen Marokko und Algerien der schwerste Hemmschuh für die Revitalisierung der 1989 in Marrakesch gegründeten, aber seit 1990 stagnierenden Maghreb-Union und damit für die wirtschaftliche und politische Integration aller Staaten Nordafrikas. Trotz anfänglich verheißungsvoller Signale treten aber die marokkanisch-algerischen Aussöhnungsbemühungen seit September 1999 wieder auf der Stelle. Schuld daran ist ein Massaker, das algerische Islamisten Ende August in Westalgerien angerichtet hatten und seither die bilateralen politischen Beziehungen schwer belastet. Algiers Präsident beschuldigte nach der Tat Rabat öffentlich, den Mördern, die sich in das angrenzende Territorium Marokkos abgesetzt haben sollen, insgeheim Zuflucht gewährt zu haben, was Rabat bis jetzt vehement bestreitet.

III. Das Personalkarussell dreht sich weiter

Nachfolger Basris im Amt des Innenministers wurde der 51jährige Ahmed Midaoui, ein Verwaltungsjurist, der den größten Teil seiner 30jährigen Berufskarriere im Innenministerium verbracht hatte. Von 1985 bis 1993 war Midaoui Provinzgouverneur, zuerst in Mohammadia, dann in Tanger. Auf beiden Posten soll sich der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Midaoui weniger durch verwaltungstechnisches Können, sondern eher durch Prunksucht, augenfällig gemacht durch den Besitz zahlreicher Luxuslimousinen, ausgezeichnet haben. Von 1993 bis 1997 bekleidete Midaoui den Posten des Chefs der mit internen Polizei- und Sicherheitsaufgaben befaßten Gendarmerie. Nach einem Zerwürfnis mit seinem Gönner und Förderer Idris Basri, der wohl in ihm einen potentiellen zukünftigen Rivalen erblickt hatte, musste er von diesem Posten zurücktreten.

Wohl in einer Doppelfunktion als Lehrling und Wächter stellte der König Midaoui einen neuen von ihm ernannten stellvertretenden Innenminister, Ali Al-Himma zur Seite. Der 37jährige Politologe und Journalist Al-Himma, ist ein enger Freund des Königs, der mit ihm die Palastschule in Rabat besucht hatte. Ali Al-Himma gi lt als unbeschriebenes Blatt; abgesehen von spärlichen biographischen Details, wie etwa Posten im marokkanischen Staatsfernsehen und ab 1997 einem Abgeordnetenmandat im Parlament, ist von ihm wenig bekannt. Allgemein vermutet man in Marokko, dass Al-Himma durch den mit dem Innenleben der "Mutter aller Ministerien" bestens vertrauten, jedoch nicht durch demokratischen Reformeifer ausgewiesenen Midaoui schrittweise in die Geheimnisse dieses weitverzweigten Superministeriums eingeweiht werden soll, um ihm nach einer Übergangszeit als Innenminister zu folgen. In der Zwischenzeit soll die Präsenz von Al-Himma, der direkten Zugang zum König hat, anscheinend abschreckend wirken, um so Praktiken von Machtmißbrauch und Korruption im Innenministerium vorzubeugen oder zumindest in Grenzen zu halten.

Mit der Mitte November verfügten Ernennung zweier neuer Leiter für das marokkanische Staatsfernsehen und die staatliche marokkanische Nachrichtenagentur demonstrierte Mohammad VI. abermals seinen Willen, eine vorsichtige kontrollierte demokratische Öffnung zu wagen. Die bisherigen Amtsinhaber waren Gefolgsleute Basris, die in seinem Auftrag über Jahrzehnte eine so rigide Zensur über Zeitungen und Fernsehen ausübten, dass sich Millionen Marokkaner zum Kauf von Satellitenempfängern gezwungen sahen, um so verläßliche Informationen aus dem Ausland erhalten zu können.

Ob jedoch die Medien durch die zwei neuen Medienchefs (einer von ihnen, der Chef der Nachrichtenagentur, Mohammed Yasin Mansouri, ist ein Schul- und Studienfreund des Königs) einen "demokratischen Frühling" erleben werden, ist möglich, jedoch nicht zwangsläufig. Eine vollständige Rücknahme von Gängelungs- und Zensurpraktiken gegenüber den nichtstaatlichen Zeitungen ist ebensowenig zu erwarten, wie ein Verzicht des Königspalastes auf die Aufsicht über die Staatsmedien. Gleichwohl dürfte unter Mohammad VI. die bereits unter Hassan II. eingeleitete schrittweise Lockerung der Pressezensur unter gleichzeitiger Beibehaltung der drei großen unantastbaren Tabus, Gott, König und Nation, neue Fortschritte machen.

Doch gibt es aber auch gegenläufige Tendenzen, die einen Schatten auf die Ernsthaftigkeit des proklamierten demokratischen Reformwillens des neuen Königs werfen. Dazu zählen die raschen und harten Urteile, die marokkanische Gerichte Mitte November gegen einige der verhafteten sahrouischen Demonstranten bei den Laayoun-Protesten Ende September 1999 gesprochen hatten. Während zehn von ihnen mit 10 Jahren Jahren Gefängnishaft und weitere fünfzehn mit einem Jahr Gefängnis bestraft wurden, ist noch keine Anklage gegen die für die gewaltsame Niederschlagung der Proteste Verantwortlichen im Innenministerium erhoben worden. Nicht zuletzt dieser einseitigen Blindheit wegen wahren die meisten marokkanischen Menschenrechtsorganisationen kritische Distanz gegenüber dem Regime und werfen ihm vor, sich immer noch nicht aus dem verkrusteten Denken einer zur fixen Idee gewordenen "Sicherheitsideologie" befreit zu haben, die einer demokratischen Zivilgesellschaft keine Luft zum Atmen läßt.

IV. Perspektiven

Mit der Absetzung Basris und der Besetzung einiger wichtiger Schlüsselposten in den Sicherheitsdiensten und den Medien durch ehemalige Schulfreunde und loyale Gefolgsleute hat der neue König seinen eigenen Handlungsspielraum bedeutend erweitert und seine eigene Machtposition vorerst konsolidiert. Sein volksnahes Auftretens und seine rhetorischen Bekenntnisse zu Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaat können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der neue König noch keine ernsthaften Absichten erkennen ließ, einen Teil seiner unumschränkten Machtkompetenzen durch Verfassungsänderungen an die vom Volk gewählte Regierung abzutreten.

Marokko hat seit März 1998 eine aus sieben Parteien zusammengesetzten Mitte-Links-Koalitionsregierung unter dem Ministerpräsidenten Abdarrahman Youssoufi, einem ehemals inhaftierten und dann viele Jahre exilierten linken Oppositionspolitiker. Als sogenannte Alternance-Regierung bildet die demokratische Linke unter Youssoufi eine wichtige Säule des Machterhalts der Monarchie, da sie ihr ermöglicht, sich gegenüber dem In- und Ausland durch eine demokratisch-konstitutionalistische Fassade zu legitimieren. Durch das Innenministerium behindert und durch die Zerstrittenheit der Koalitionspartner innerlich geschwächt, konnte die Youssoufi-Regierung jedoch keine ihrer angekündigten Reformvorhaben, wie Korruptionsbekämpfung, Reformen von Staatsbürokratie, Justiz und Bildungssystem etc. verwirklichen.

Infolgedessen hat sie bisher in der enttäuschten Bevölkerung massiv an Rückhalt verloren. Nutznießer dieser Entwicklung sind die zum kleineren Teil innerhalb, zum weitaus größeren Teil aber außerhalb des Parlaments aktiven Islamisten. Die Islamisten erscheinen einer wachsenden Zahl von Marokkanern, die unter gewaltigen sozio-ökonomischen Problemen, wie steigender Arbeitslosigkeit, Analphabetismus, Ausbildungsmisere etc. leiden, als einzige unverbrauchte Alternative. Zaudert der König noch längere Zeit mit ernsthaften demokratischen Reformen - einschließlich der Abtretung eigener Machtkompetenzen - wächst die Wahrscheinlichkeit, dass die dann vollends unglaubwürdig gewordene Youssoufi-Regierung zusammenbrechen dürfte oder soziale Unruhen entstehen könnten.

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