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Migranten in Marokko

od Dr. Helmut Reifeld

Erfahrungen und Selbstverständnis der Migranten aus Subsahara-Afrika in Marokko

Seit Jahren lässt sich beobachten, dass die Zahl der Migranten, die Marokko nicht lediglich als Transitland, sondern dauerhaft als einen möglichen neuen Lebensraum betrachten, kontinuierlich wächst. Was sind die zentralen Erfahrungen dieser Menschen? Welche Konsequenzen haben diese Erfahrungen auf ihre Einstellung zur Migration? Und wie verändern sich in diesem Zusammenhang ihre Zukunftsplanungen?

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Die Initiative des marokkanischen Königs vom September 2013, einem Teil der sich seit längerem in Marokko aufhaltenden Migranten unter bestimmten Bedingungen Aufenthaltsgenehmigungen und Arbeitserlaubnisse zu erteilen, erregte seinerzeit internationale Aufmerksamkeit. Die Umsetzung dieser Initiative dominierte die öffentliche Diskussion über Migration in Marokko in den Jahren 2014 und 2015. Sie prägte spontan die Hoffnungen vieler Migranten, eine neue Stabilität in ihrem Leben zu finden; sie führte aber auch zu einer breiteren Auseinandersetzung mit den Bedingungen und dem Charakter von Migration überhaupt. Sie hat nicht nur unmittelbar das Selbstverständnis und die Erwartungshaltungen dieser Menschen nachhaltig verändert, sondern auch gezeigt, dass die Möglichkeit, neue Stabilität im Leben zu finden, als eine der stärksten Triebkräfte im Selbstverständnis von Migranten angesehen werden kann. Doch hatte sie auch Auswirkungen auf die Wahrnehmung der übrigen Migranten, die noch immer einen eigenen Ort im Alltag der marokkanischen Gesellschaft suchen?

Vor dem Hintergrund dieser Initiative wurde 2016 von einer Forschergruppe der Université Internationale de Rabat (UIR) eine umfassende Befragung unter den Migranten durchgeführt, die sich zurzeit illegal in Marokko aufhalten. Das Ziel dieser empirischen Analyse war es, erstmals repräsentative, belastbare Antworten auf die Fragen nach den Erfahrungen und dem Wandel der Erwartungshaltungen dieser Menschen zu bekommen. Zudem ging es der Forschungsgruppe um die Charakteristiken dieser Migration und die Haltungen der Migranten gegenüber Marokko. Doch sind die Ergebnisse nicht nur für Marokko interessant, sondern auch für die vermeintlichen Zielländer auf der Nordseite des Mittelmeeres. Durchgeführt wurden diese individuellen Befragungen mit 1.453 Personen (jeweils zwischen minimal 30 und maximal 90 Minuten), konzentriert auf die Orte, die sich inzwischen als die maßgeblichen Zentren der Ansiedlung für Migranten aus Subsahara-Afrika herausgebildet haben: Tanger, Rabat, Salé und der Großraum Casablanca. Die Herkunftsländer waren primär Senegal, Mali, Guinea und die Elfenbeinküste. Der Befragung vorausgegangen waren spezifische quantitative Erhebungen, die anschließend dazu dienten, die qualitative Befragung besser einordnen zu können.

Mehr Wandel als Kontinuität

Die maßgeblichen Inhalte der Befragungen, die sich fast über ein Jahr erstreckten, richteten sich auf die Erfahrungen der bisherigen Migration, auf die Qualität ihrer Lebensbedingungen in Marokko (Handlungsmöglichkeiten, Einkünfte, Begegnungen, Beschäftigungen, Gesundheit, Erziehung) sowie auf die eigenen Bemühungen und Bewertungen ihrer Migration. Diese veränderte Haltung der Migranten gegenüber ihrem aktuellen Aufenthaltsland, die sich in der Bereitschaft zur Integration niederschlägt, hat vor allem drei Konsequenzen zur Folge:

  • sie werden erstens Teil des öffentlichen Lebens und vor allem der Sozialpolitik ihrer neuen Umgebung;
  • sie treten zweitens ein in persönliche Beziehungen zur dort lebenden Bevölkerung und
  • drittens ändert sich das gemeinsame Verständnis von Nationalität in diesem Lebensraum.
Vor allem die beiden ersten dieser drei Mechanismen wirken sich aus, sobald Migranten entschlossen sind, sich an einem neuen Ort einzurichten. Dieses Bemühen um neue Stabilität impliziert noch keine Integration, wohl aber deren Beginn. Sie bedeutet nicht, dass ursprüngliche Zielvorstellungen aufgegeben sind, wohl aber dass sich die Beziehungen zu ihrem neuen sozialen Umfeld intensivieren.

Aus einer beginnenden Stabilisierung dieser Art können sich eine Reihe unterschiedlicher Konsequenzen ergeben. Eine der ersten ist in jedem Fall, dass diese Migranten in ein Umfeld informeller Beziehungen mit der dortigen Bevölkerung eintreten, insbesondere mit Lebensmittel- und Kleinwarenhändlern. Zudem werden sich vielfältige Bemühungen ergeben, Geld zu verdienen, sei es informell (wie in Marokko noch vielfach üblich), sei es gegebenenfalls formell oder auch gemischt. Häufig kommt auch das Betteln hinzu oder bildet gar die einzige Möglichkeit des Überlebens. Vom Augenblick der Legalisierung an, ändert sich ihr Status allerdings erheblich. Ihre sozialen Beziehungen bekommen einen verbindlicheren Charakter. Sie sind nicht länger nur Teil eines politischen Problems, sondern potentiell auch einer politischen Lösung.

Die Integration von Ausländern bildet seit langem eine reguläre Aufgabe marokkanischer Kommunalpolitik. Insbesondere in den Bereichen Gesundheit und Erziehung, aber auch in der Kontrolle von Arbeitsverhältnissen und öffentlicher Sicherheit sind Kommunalverwaltungen hierauf eingestellt. Für Migranten vollziehen sich in diesen Bereichen ihre primären Erfahrungen von neuer Stabilität. Sie leben damit nicht mehr ausschließlich in einem informellen Sektor, sondern erfahren ihre neue Lebenswelt als einen rechtlich strukturierten Raum, den sie mit der marokkanischen Bevölkerung teilen.

Marokko als Zielland

Wie sich dieser neue Lebens- und Erfahrungsraum für diese Migranten gestaltet, war eines der zentralen Themen der Interviews. Eines der wichtigsten Ergebnisse hierbei war die Erkenntnis, dass 67,64 % der Migranten aus Subsahara-Afrika nach Marokko kommen, um hier zu bleiben. Nur 32,29 % nennen a priori Europa als ihr Ziel. Von diesen wiederum wollen die meisten nach Frankreich (28%) oder Spanien (23%); lediglich 18 % nennen Deutschland als ihr Zielland. Wesentlich interessanter ist jedoch das Ergebnis, dass nur 40% von denen, die ursprünglich ein Zielland in Europa angestrebt hatten, hieran festhalten. Als Hauptmotive des Aufbruchs werden an erster Stelle allgemein eine Verbesserung des Lebensniveaus (64 %) genannt und an zweiter die Möglichkeit eines Studiums (18%).

Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Interviews besteht darin, dass zwei Drittel (65,64 %) der Befragten angeben, dass sie zufrieden, bzw. sogar „sehr zufrieden“ wären, wenn sie ihr Heimatland nie verlassen hätten. Fast die Hälfte (47 %) sagen, dass sie nie aufgebrochen wären, hätten sie eine klare Vorstellung gehabt von dem, was sie erwartet. Als Folge hiervon reagieren sie auf ihre Situation in Marokko zwar mit großer Unzufriedenheit, dies verleitet sie aber nicht zu einer vorzeitigen Rückkehr in ihr Herkunftsland. Vielmehr hält eine Mehrheit von 55% an der Erwartung fest, dass sich ihre Situation in Marokko noch verbessern werde. Sie hoffen vor allem darauf, doch noch eine reguläre Arbeit zu finden, damit nicht zu den Kosten, die sie bereits für ihre bisherige Migration aufgewendet haben, noch die für eine Rückkehr hinzukommen. Es fällt ihnen äußerst schwer, sich eingestehen zu müssen, dass ihre bisherigen Investitionen vergeblich gewesen sein sollten, und sie besser dorthin zurückkehren, wo sich ihre Lebensbedingungen mit großer Wahrscheinlichkeit zwischenzeitlich nicht verbessert haben. Vor allem müssten sie dann zugeben, mit weniger zurückkehren als sie aufgebrochen sind. Lediglich 12 von 332 Befragten konnten sich dies vorstellen.

Stattdessen setzen die meisten darauf, dass sich ihre Situation in Marokko stabilisiert und sie hier eine Chance zur Integration finden. Es ist jedoch nur eine Minderheit, für die sich eine solche Chance tatsächlich eröffnet. Die zeitlich begrenzte Gewährung von Aufenthaltsgenehmigungen und Arbeitserlaubnissen (régularisation) der vergangenen zwei Jahre war an strenge Vorgaben gebunden, die a priori mehr als die Hälfte der Interessenten ausschlossen, da sie gar nicht erst die Unterlagen erhielten, um sich bewerben zu können. Zudem erklärten 16 %, dass sie nicht mehr den Mut und die Kraft zu dem notwendigen Verwaltungsprozedere hätten. Festzuhalten bleibt jedoch, dass eine deutliche Mehrheit der Migranten, die sich in Marokko aufhalten, ein nachhaltiges Interesse an einer Stabilisierung ihrer Lebensmöglichkeiten in Marokko hat.

Ablehnung und Selbstwahrnehmung

Die Umsetzung dieses Interesses an Stabilisierung auf Seiten der Migranten stößt in der Realität jedoch vor allem auf zwei Probleme: die allgemeine Wahrnehmung der Migranten in der Bevölkerung und die praktische Handhabung politischer Vorgaben seitens der Behörden. In dieser Situation befinden sich die Entscheidungsträger häufig in einem Konflikt zwischen der geforderten Umsetzung rechtlicher Vorgaben auf der einen und einer ablehnenden öffentlichen Meinung auf der anderen Seite. Vor diesem Hintergrund werden zwar die zahlreichen Einschränkungen verständlich, an die eine Vergabe von Aufenthaltserlaubnissen gebunden war. Gleichzeitig ist es jedoch auch legitim zu fragen, wie der Umgang mit dem erworbenen Rechtsstatus der Migranten angesichts des tradierten sozialen Verhaltens der Bevölkerung gestaltet werden kann.

Aus der Sicht fast aller Migranten gehören die Wahrnehmung von Grundrechten und der Schutz menschlichen Lebens zu den wichtigsten Werten, für die Europa steht. Für viele von ihnen entspricht Marokko bereits dem, was sie gesucht haben. Sie haben sich nicht aufgrund der Aussicht auf Aufenthaltsgenehmigungen auf den Weg gemacht, sondern sie wissen, dass diese lediglich ein Versuch sind, zum einen das öffentliche Leben im Land zu regulieren, und zum anderen der internationalen Kritik entgegenzutreten, im Umgang mit der Migration häufig rassistisch und mit überzogener Gewalt agiert zu haben.

Können die Erfahrungen und der Einstellungswandel der Migranten in Marokko – mutatis mutandis – auch Orientierungshilfen geben für die Situation in einigen europäischen Staaten? Die im zweiten Band der Umfrage zusammengetragenen Antworten setzen sich zum einen mit den Konsequenzen für das demokratische Selbstverständnis der Zielländer, zum anderen mit den unmittelbar menschlichen Konsequenzen für die Migranten auseinander. Beide Aspekte berühren sowohl Fragen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit als auch des politischen und ethischen Selbstverständnis aller Beteiligten. Die latente Ablehnung sowohl von Seiten der Bevölkerung als auch insbesondere der Behörden ist in Marokko nicht stärker als derzeit in den meisten europäischen Staaten.

Aus der Sicht der Migranten unterscheidet sich der mediterrane Maghreb nicht allzu stark von der Nordseite des Mittelmeeres. Formen der Voreingenommenheit, der inneren Ablehnung oder zumindest Unsicherheit im Umgang mit Migranten finden sich auf Seiten der marokkanischen Öffentlichkeit und vor allem der Vertreter des Staates ähnlich wie in den meisten südeuropäischen Staaten. Marokko steht in gewisser Weise für beide Erfahrungswelten, weil es seit Jahrhunderten selber ein Ausreiseland war, bevor es in den letzten Jahren in ähnlicher Weise wie die europäischen Staaten zu einem Einreiseland geworden ist. Zudem setzt sich auch Marokko zunehmend für Menschenrechte und demokratische Grundwerte ein. Was die EU betrifft, möchte Marokko ebenfalls mit Blick auf die Menschenrechte zunehmend als Partner der westlichen Wertegemeinschaft verstanden werden. Vor diesem Hintergrund können zahlreiche der hier behandelten Fragen und Erfahrungen zweifellos auch für die europäische Migrationspolitik hilfreich sein.

Im Hinblick auf das marokkanische Selbstverständnis kommt jedoch noch ein anderer Kontext hinzu: Seit Jahrhunderten verstehen sich die Dynastien, die hier ihre Zentren hatten, in einem sehr weiträumigen Kontext. Vor diesem Hintergrund wird auch in der Präambel der neuen marokkanischen Verfassung von 2011 die nationale Identität Marokkos nicht nur als generell „une et indivisible“ bezeichnet, sondern als spezifisch aus den „composantes arabo-islamique, amazighe et saharo-hassani“ zusammengesetzt, die wiederum geprägt sind von den „affluentes affricaines, andalou, hébraïque et méditerranéen“.

Damit definiert sich Marokko zum einen sowohl als Teil weitreichender afrikanischer „Wurzeln“ – was auch immer das sein mag – als auch unterschiedlicher religiöser Prägungen. Dies bedeutet für die Menschen, die als Migranten ins Land kommen, dass sie zu einem großen Teil durch dieselbe Herkunft geprägt sind wie viele Marokkaner.

Zugleich steht die aktuelle Politik gegenüber den Migranten im Kontext einer seit Jahren intensivierten „Süd-Süd“ ausgerichteten Außenpolitik. Hierzu gehört nicht zuletzt das Bemühen, eine moderate malekitische Islaminterpretation ebenfalls in den Staaten Subsahara-Afrikas zur Diskussion zu stellen und entsprechende Schulungen anzubieten, um damit den salafistischen und wahhabitischen Einflüssen etwas entgegenzusetzen.

Unter all diesen Aspekten verdienen somit nicht nur die Probleme der Migration in Marokko, sondern auch die marokkanische Politik in dieser Frage internationale Aufmerksamkeit.

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