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Regionalwahlen in Indien: eine Nachlese

od Elias Marini Schäfer

Schwappt die Modi-Welle weiter ungebremst über die Republik?

Die diesjährigen indischen Regionalwahlen in den fünf Bundesstaaten Uttar Pradesh, Uttarakhand, Punjab, Manipur und Goa gelten unter Kennern der indischen Politlandschaft als das Halbfinale der für das Jahr 2024 anstehenden Parlamentswahlen. In diesen nahezu zweimonatigen Regionalwahlen dürfen über 180 Millionen Wähler – dreimal so viele wie alle Wahlberechtigten in Deutschland - darüber entscheiden, wer die lokalen Regierungen stellen wird. Den Hauptpreis der Regionalwahlen stellt der Bundesstaat Uttar Pradesh dar, mit etwa 200 Millionen Einwohnern der bevölkerungsreichste Indiens. In Uttar Pradesh leben einige der ärmsten Bevölkerungsgruppen des Landes, angesichts seiner Größe hält der Bundesstaat jedoch erfahrungsgemäß den Schlüssel zur Macht in Neu-Delhi in den Händen.

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Sdílet

Einleitung:

Die von Premierminister Modi geführte Bharatiya Janata Partei (BJP) regierte vor den Wahlen in vier der fünf Bundesstaaten, allerdings wehte in den letzten Monaten ein erheblicher politischer Gegenwind. Der Umgang der von der BJP gestellten Zentralregierung mit der Covid-19-Krise, die steigende Inflation, zunehmende Wohlstandsgefälle und die anhaltende hohe Jugendarbeitslosigkeit haben an dem von der BJP propagierten Slogan der „Entwicklung für alle“ genagt. Darüber hinaus führten politische Fehltritte wie die gescheiterte Umsetzung einer landesweiten Landwirtschaftsreform bei vielen Wählern für Unmut.

Der Widerstand gegen Modis zentralistische, homogenisierende Politik scheint ebenfalls gewachsen zu sein, insbesondere in den nicht-hindisprachigen Staaten des Landes. So zeigte sich beispielsweise bei den letztjährigen Parlamentswahlen in Westbengalen, einem der einflussreichsten und bevölkerungsreichsten Bundesstaaten Indiens, ein solcher politischer Gegenwind in seiner ganzen Wucht. Die BJP zog mit ihrem vollen Arsenal ins Rennen, ausgestattet mit reichlich finanziellen Mitteln und hochrangigen politischen Persönlichkeiten, doch die vergleichsweise kleine regionale Partei, der All India Trinamool Congress (AITC), gewann die Wahlen mit einer allseits so nicht erwarteten Mehrheit. Vor diesem Hintergrund kristallisiert sich die richtungsweisende Funktion der fünf Regionalwahlen deutlich heraus, wobei die Ergebnisse wohl Aufschluss darüber liefern dürften, ob der Status der BJP als Zugpferd der indischen Politik ungeachtet politischer Fehltritte weiterhin Bestand hat.

Darüber hinaus werden die Wahlen wohl eine definitive Antwort darauf geben, ob die Kongresspartei, die seit der Unabhängigkeit Indiens von Großbritannien im Jahr 1947 für den Großteil der Geschichte der Republik die Regierung bildete, in der Lage sein wird, ihren rapiden Abwärtstrend zu stoppen. Die Kongresspartei befindet sich nach den politischen Misserfolgen bei den nationalen Wahlen im Jahr 2014 und 2019 sowie bei diversen Regionalwahlen in einem nunmehr acht Jahre währenden Sinkflug. Die jüngsten Übertritte mehrerer wichtiger Führungskräfte zur gegnerischen BJP lassen für die Regionalwahlen in den fünf Bundesstaaten aus Sicht des Kongress wenig Gutes erahnen. Ein weiteres negatives Ergebnis bei den Regionalwahlen würde eine noch düstere Zukunft für die nationalen Regierungsambitionen der Kongresspartei skizzieren und darauf hindeuten, dass sich die indische Oppositionspolitik in einem tiefgreifenden Transformationsprozess befindet.

Nutznießer eines solchen Niedergangs könnten neben der BJP auch verschiedene regionale Parteien sein, die zunehmend bereit zu sein scheinen, das Vakuum zu füllen, das der Kongress als nationale Alternative zur BJP hinterlässt. Dabei werden bei den anstehenden Wahlen alle Augen auf die regionale Aam Admi Partei gerichtet sein, die erst vor neun Jahren, im Jahr 2012, aus einer Anti-Korruptions-Bewegung hervorging. In ihrer zweiten Mandatsperiode regiert sie nun bereits über die Hauptstadt Delhi und macht nun der Kongresspartei die Regierungsverantwortung in Punjab, dem sogenannten Brotkorb Indiens, streitig.

Die Wahlen stellen auch eine Nagelprobe für eine bewährte Wahlkampfstrategie der BJP dar, die sich bemüht, religiöse Mehrheiten zu mobilisieren. Sowohl in Uttar Pradesh als auch in Uttarakhand, die beide bedeutsame und von Hindus und einer muslimischen Minderheit gleichermaßen beanspruchte heilige Stätten beheimaten, hat die BJP in ihren Wahlkampagnen vor allem an hinduistische Mehrheiten appelliert.

Auch in Goa, einem Bundesstaat, der in Deutschland meist als Touristenparadies und für seine Hippiebewegung bekannt ist, laufen die Regionalwahlen. In dem Bundesstaat, der erst 1961 und damit 14 Jahre nach der Unabhängigkeit Teil der Republik wurde, sagen Meinungsumfragen ein knappes Rennen voraus.

Zu guter Letzt werden die Wahlen im kleinen nordostindischen Bundesstaat Manipur bedeutende sicherheitspolitische Aussagen über den Umgang mit Fragen zur territoriale Sicherheit Indiens treffen. Der Bundesstaat gilt seit seiner Eingliederung an Indien als Brutstätte diverser Aufstandsbewegungen und gewalttätiger ethnischer Konflikte. Auch grenzt er an das von einer Militärjunta beherrschte Myanmar und wurde bereits in den blutigen Bürgerkrieg des Nachbarlandes verwickelt.

In Anbetracht all dieser Faktoren darf man davon ausgehen, dass der Ausgang dieser fünf Regionalwahlen richtungsweisend für den Erfolg der Kandidatur Modis um eine dritte Amtszeit im Jahr 2024 sein wird. Darüber hinaus bilden die Regionalwahlen auch einen zentralen Prüfstein hinsichtlich der Frage, zu welcher Art von Demokratie sich Indien in seiner Gesamtheit in naher und ferner Zukunft entwickeln wird.

 

Uttar Pradesh: Ein Hindu-Mönch als Modi-Nachfolger?

Utter Pradesh, das sich über einen Großteil der riesigen, fruchtbaren Ganges-Ebene erstreckt, beherbergt Schätze wie beispielsweise eines der sieben Weltwunder, das Taj Mahal, sowie die weltweit bekannte heilige Stadt Varanasi. Im krassen Gegensatz zu dieser architektonischen Pracht ist der Bundesstaat jedoch bitterarm. Das nominale Bruttoinlandsprodukt von 900 Euro pro Person entspricht nicht einmal der Hälfte des indischen Nationaldurchschnitts und wäre, wenn es eine eigene Volkswirtschaft wäre, mit Ausnahme von Afghanistan und Tadschikistan das niedrigste aller asiatischen Staaten.

Der Bundesstaat liegt im Zentrum des Hindi sprechenden, religiös konservativen Teils des Subkontinents und gilt seit den 1990er Jahren als politisches Herzstück der BJP. Modis Partei verfolgt hier seit Jahrzehnten umstrittene religiöse Projekte, wie beispielsweise die Errichtung eines Tempels an genau der Stelle, an der 1992 in der Stadt Ayodhya eine Moschee von Hindu-Nationalisten zerstört worden war.

Die zweite Welle der Covid-19-Pandemie im Jahr 2021 brachte Uttar Pradesh in die internationalen Schlagzeilen: Fotos von Leichen, die in der verheerenden Krankheitswelle gestorben waren und in den Fluss Ganga geworfen wurden, da die örtlichen Behörden mit den Einäscherungen nicht mehr nachkamen, lösten weltweit Entsetzen und Empörung aus. Experten sahen darin einen entscheidenden Grund dafür, dass es bei den Uttar-Pradesh-Regionalwahlen, den größten weltweit, zu einer Abkehr von der regierenden BJP und ihrem Regierungschef, dem Hindu-Mönch Yogi Adityanath, kommen würde. Doch das bewahrheitete sich nicht.

Das von der BJP geführte Parteienbündnis errang mit 255 Sitzen eine komfortable Mehrheit. Dabei verlor die BJP zwar im Vergleich zu den letzten Regionalwahlen im Jahr 2017 ein gutes Dutzend Mandate. Allerdings hatte die BJP 2017 mehr als drei Viertel der Sitze in dem 403 Sitze zählenden Regionalparlament gewonnen – gemäß demokratischer Gesetzmäßigkeiten war zu erwarten, dass die Zahl der BJP-Sitze in diesem Jahr leicht sinken würden.

Der überzeugende Sieg in dem so bedeutungsvollen Bundesstaat wird die Partei bei ihren Bemühungen um ihre Rückkehr an die Macht in der Zentralregierung im Jahr 2024 auf Kurs halten und ihr helfen, die unangenehmen Erinnerungen an das jüngste Debakel in den Westbengalen zu verdrängen. Zudem gelang dem bisherigen und aktuellen Ministerpräsidenten von Uttar Pradesh, Yogi Adityanath, ein politisches Kunststück, welches in der Geschichte des Bundesstaates noch keinem Ministerpräsidenten geglückt war: Er ist nun der erste Ministerpräsident, der seine zweite Amtszeit in Folge in Uttar Pradesh antreten wird. Damit hat er seine Stellung als einer der einflussreichsten Führungspersönlichkeiten der BJP und als heiß gehandelter möglicher Nachfolger Modis im Dunstkreis der BJP auf beachtliche Weise gefestigt.

Während die Regionalwahlen 2017 hauptsätzlich aufgrund des Wohlstandsbringer-Images von Modi gewonnen wurden, baute die BJP bei den diesjährigen Wahlen auf die Regierungsführung Yogi Adityanaths in den letzten fünf Jahren. Bei all ihren Kundgebungen im Bundesstaat sprachen Modi und Innenminister Amit Shah darüber, wie Yogis Regierung Kriminelle entweder hinter Gitter gebracht oder beseitigt hat und damit einen „verbrechensfreien Bundesstaat“ geschaffen habe.

Damit ist Yogi Adityanath weiterhin in der Position, seine strikte, religiös geprägte Rechts- und Ordnungspolitik fortzusetzen, die sich in der Vergangenheit vor allem in strengen Gesetzen zum Verbot des Schlachtens von Kühen und in Gesetzen, die interreligiöse Eheschließungen erschweren, geäußert hat. In seiner vorangegangenen Amtszeit wurde in Uttar Pradesh ein Gesetzentwurf verabschiedet, der das verbietet, was Hindu-Hardliner als „Liebesdschihad“ bezeichnen. Hierbei handelt es sich um eine Verschwörungstheorie, welche Muslime beschuldigen, hinduistische Frauen zu heiraten, damit diese zum Islam zu konvertieren.

Adityanaths autoritäre Politik scheint bei einer beträchtlichen Anzahl von Wählern Anklang gefunden zu haben, was als einer der Hauptgründe für seinen erneuten Wahlerfolg anzusehen ist. Dies hat zudem bedeutsame Auswirkungen auf die indische Politik im Allgemeinen, denn die BJP und andere Parteien werden es sich sicherlich zweimal überlegen, diese erwiesenermaßen wahltaktisch erfolgreiche religionsbasierte Politik bei künftigen Parlaments- und Regionalwahlen zu verwerfen.

Die Kongresspartei hingegen erzielte bei den Wahlen, die in sieben Phasen vom 10. Februar bis zum 7. März stattfanden, erneut ein miserables Ergebnis und gewann magere 2 Sitze. Hierbei schaffte es die Parteiführung nicht, die eigene Partei als ernstzunehmende Alternative im Bundesstaat zu präsentieren, sodass die Anti-BJP-Stimmen zu anderen Regionalparteien wanderten.

Während des gesamten Wahlkampfs kam es bei Versammlungen, die von religiösen Hindufunktionären geleitet wurden, zu einer regelrechten Lawine von Hassreden gegen Muslime. Obwohl gegen die Kundgebungen, bei denen Teilnehmer sogar zur Ermordung von Muslimen aufriefen, mehrfach Anzeigen erstattet wurden, ergriff die Polizei kaum Maßnahmen gegen die Täter. Nach Ansicht mehrerer Politik-Experten hat sich die BJP im Vorfeld der Wahlen diese Polarisierung durch religiös aufgeladenen Wahlkampfäußerungen zunutze gemacht. So bezeichnete Yogi Adityanath die Wahlen als einen Kampf zwischen 80% und 20% und sprach von einem Wettstreit zwischen Hindus und Muslimen. Solche Äußerungen und der Wahlausgang haben einmal mehr gezeigt, wie hoch der Stellenwert von Identitätspolitik auf der Prioritätenliste indischer Wähler zu stehen scheint.

Zudem wurden die Wahlen in Uttar Pradesh, wie schon bei den letzten Parlamentswahlen, erneut von Kastenarithmetik beeinflusst. Die Kandidatenlisten der meisten antretenden Parteien wurden ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kaste oder einer bestimmten Bevölkerungsgruppe aufgestellt und die Wähler wurden auf die gleiche Weise angesprochen. Der Wahldiskurs war von Verleumdungen geprägt, wobei sich Konkurrenten gegenseitig beschuldigten, „Mafiosi“, „pakistanische Agenten“ und dergleichen zu sein. Die meisten Parteien versprachen gezielte Vergünstigungen und Gratisgeschenke; Populismus, Nationalismus, Religionszugehörigkeit und ein Appell an den Stolz auf die Region, um Stimmen zu sammeln, schienen die Hauptstütze des Wahlkampfs zu sein, wobei Politiker unverhohlen versuchten, eine binäre „wir“ gegen „sie“ Mentalität zu kreieren.

Im Gesamtbild betrachtet bestätigte der komfortable Sieg von Yogi Adityanath die Fähigkeit der BJP, trotz Skandalen und kurzzeitiger Schwierigkeiten eine starke und loyale Unterstützerbasis zu konsolidieren. Ihr Erfolg beruht dabei auf einer Mischung aus hindu-nationalistischer Anziehungskraft, sozialen Wohlfahrtsversprechen und einer starken Mobilisierungskraft.

 

Punjab: Neuausrichtung der indischen Kornkammer?

In dem Bundesstaat, in dem die Agrarindustrie am stärksten vertreten ist und der 2% der weltweiten Weizen- und Baumwollproduktion abdeckt, gab es bei den diesjährigen Wahlen einen Mehrparteienwettbewerb. Dieser wurde zwischen der bisher in Punjab regierenden Kongresspartei, der regionalen Aam Aadmi Partei (AAP), einem Bündnis der Shiromani Akali Dal (SAD) und der Bahujan Samaj Partei (BSP) und einer von der BJP geführten Koalition ausgefochten.

In jüngsten Jahren fanden in dem Bundesstaat bedeutende politische Ereignisse statt. Besonders hervorzuheben ist dabei der Vorschlag von Premierminister Narendra Modi, der vor zwei Jahren drei neue Landwirtschaftsgesetze vorlegte, die er als Mittel bezeichnete, die finanziellen Erträge von Landwirten zu erhöhen. Als unmittelbare Reaktion kam es in Punjab zu massiven Protesten: Tausende von Landwirten fuhren nach Delhi, um gegen die Gesetze zu protestieren. Sie argumentierten, dass die Gesetzesvorschläge ihren Interessen zuwiderliefen und die Kontrolle über die Preise und die Produktion von landwirtschaftlichen Erzeugnissen an skrupellose Konzerne übertragen wurde. Nach einem einjährigen Protest hob Premierminister Modi die Gesetze im November 2021 auf, indem er sich öffentlich bei den Bauern entschuldigte und diese bat, zu ihren Familien nach Punjab zurückzukehren. Die Kontroverse um die Landwirtschaftsgesetze führte auch dazu, dass die Regionalpartei Shiromani Akali Dal ihr seit 20 Jahren bestehendes Bündnis mit der BJP auflöste und für die diesjährigen Wahlen ein Bündnis mit der BSP schmiedete.

In einer weiteren bedeutsamen politischen Entwicklung, die nur wenige Monate vor den Wahlen stattfand, wurde der Ministerpräsident des Staates, der Kongresspartei-Politiker Captain Amarinder Singh von der Parteiführung durch Charanjit Singh Channi ersetzt, der damit zum ersten Dalit -Ministerpräsidenten des Punjabs wurde. In der Folge gründete Captain Singh seine eigene politische Partei, den Punjab Lok Congress (PLC) und beschloss, sich bei den Regionalwahlen mit der BJP zu verbünden, womit er eine bittere Rivalität mit seiner vormaligen Partei einging.

Der tatsächliche Wettstreit um die Macht in der Kornkammer Indiens wurde jedoch zwischen der Kongresspartei und dem politischen Newcomer, der Aam Admi Partei, ausgetragen.

Der nun abgesetzte Captain Singh hatte der Kongresspartei bei den letzten Wahlen zu beeindruckenden 77 von 117 Sitzen in der Regionalversammlung verholfen. Die Wahl Channis durch das „Oberkommando“ der Partei, die Kongresspräsidentin Sonia Gandhi, ihrem Sohn Rahul Gandhi und ihrer Tochter Priyanka Gandhi Vadra, wurde von vielen als geschickter Schachzug angesehen, um die breite Unterstützung der Dalits zu gewinnen, die 32% der Bevölkerung des Bundesstaates ausmachen. Im deutlichen Gegensatz zu den Regionalwahlen in Uttar Pradesh spielten bei den Wahlen im Punjab allerdings weder kasten- noch religionsbezogene politische Erwägungen eine Rolle, und die Aam Admi Partei stürmten eine der letzten verbliebenen Festungen der Kongresspartei.

Die monatelangen innerparteilichen Machtkämpfe haben offenbar ihre Spuren hinterlassen: Die Kongresspartei verlor stattliche 59 Sitze und rutschte auf nur noch 18 Sitze ab. Damit geht der Abwärtstrend der Partei ungebremst weiter und das dürftige Abschneiden stellt eine ernsthafte Herausforderung für die Führungsrolle Rahul Gandhis dar, dessen Modell der Regierungsführung von den Wählern einmal mehr abgelehnt wurde. Im krassen Kontrast dazu errang die Aam Admi Partei unter der Führung ihres Parteivorsitzenden Arvind Kejriwal ein Rekordergebnis von 92 Sitzen, das beste Abschneiden einer Partei seit der Gründung des heutigen Bundesstaates Punjab im Jahr 1966.

Mit diesem eindeutigen Sieg im Punjab hat die AAP endgültig ihr Etikett als auf Delhi beschränkte Partei abgeschüttelt und es geschafft, in zwei Bundesstaaten die Regierung zu bilden - eine Errungenschaft, an der regionale Parteien bisher gescheitert waren. Der Sieg hat Kejriwal zudem ins nationale Rampenlicht katapultiert, wo er nun von zahlreichen Experten als vielversprechender Herausforderer Modis gehandelt wird. Die Tragweite dieses Sieges wird noch anschaulicher, wenn man bedenkt, dass die BJP ihre erste Regierung in einem Bundesstaat zehn Jahre nach ihrer Gründung bildete, während die Aam Admi Partei nach nur neun Jahren bereits zwei Landesregierungen stellt.

Die Grundlage für den beeindruckenden Sieg war wohl das „Delhi-Entwicklungsmodell“ der AAP und das Vertrauen der Wähler in Punjab in ein solches Programm, das sich aus der Erfolgsgeschichte der AAP-Politik in den Bereichen Gesundheit, Bildung, kostenlose Strom- und Wasserversorgung und kostenloser Transport in Delhi ableitet. Damit verdeutlicht das Ergebnis auch die hohe Attraktivität von einer sozialorientierten Politik im Land und dass eine Partei, die ihre Grundprinzipien nicht aus einer religiösen Ideologie bezieht, durchaus noch die Gunst einer Mehrheit der Bürger im heutigen Indien gewinnen kann.

Die Politik der AAP stützt sich hauptsächlich auf die Bereitstellung von einfachen Lösungen für die alltäglichen Probleme des indischen Durchschnittsbürgers, von der Bezahlung von Stromrechnungen bis hin zu Krankenhaus- und Schulkosten. Sie ist offen und unverblümt eine populistische Partei und hat bewiesen, dass eine solche Politik in den Städten und bis zu einem gewissen Grad auch in den ländlichen Gebieten Nordindiens funktionieren kann. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob eine solche populistische Politik auch bei der ländlichen Bewohnerschaft in anderen Teilen des Landes Anklang findet, wo Fragen der Identität, Geschichte und Kultur für die Wählerschaft immer noch weitaus wichtiger zu sein scheinen als Fragen bezüglich der Regierungsführung.

 

Goa: Parteien-Hopping im Urlaubsparadies

Der flächenmäßig kleinste Bundesstaat Indiens wurde, anders als der Rest des Landes, durch Portugiesen kolonisiert. Erst 1961, 14 Jahre nach der indischen Unabhängigkeit, annektierte Indien Goa militärisch, in der sogenannten „Befreiung von Goa.“

Die diesjährigen Regionalwahlen im Touristenparadies stellten den letzten Akt in einem Drama, das im März 2017 begann, als es der Kongresspartei nicht gelang, eine Regierung zu bilden, obwohl man mit 17 Sitzen in der 40-köpfigen Versammlung die stärkste Partei stellte. Dass es der BJP mit nur 13 Sitzen gelang, eine Regierung zu bilden und diese fünf Jahre lang aufrechtzuerhalten, zeugt von einer geschickten Managementstrategie.

Politikern in Goa wird gerne nachgesagt, häufiger die Partei zu wechseln als die eigene Bettwäsche. Zwischen 2017 und 2022 verließen 16 der 17 Abgeordneten der Kongresspartei die Partei in Richtung politischer Rivalen. Der Gipfel des Parteienwechsels ereignete sich im Juli 2019, als zehn Abgeordnete der Kongresspartei geschlossen zur BJP übertraten. Bei den diesjährigen Wahlen verhielt es sich nicht wesentlich anders, wobei der ehemalige BJP-Minister Michael Lobo stellvertretend erwähnt werden sollte, welcher kurz vor den Wahlen zur Kongresspartei wechselte, um seiner Frau ein Wahlmandat zu verschaffen.

Nachdem die BJP in diesem Jahr 20 Sitze gewinnen konnte, dürfte sie mit Hilfe ihres Alliierten, der Maharashtrawadi Gomantak Partei (MGP), erneut die Regierung bilden. Die Kongresspartei verlor im Vergleich zu den letzten Regionalwahlen fünf Sitze und fiel auf zwölf Mandate zurück. Somit verlief der rote Faden der Misserfolge der Kongresspartei bei diesen Regionalwahlen auch durch Goa.

 

Uttarakhand: „Starker Mann“ auf der Suche nach weiblichen Stimmen

Die Wähler des bergigen Bundesstaates Uttarakhand ließen es bisher nie zu, dass die gleiche Partei ein zweites Mal in Folge an die Macht kommt. In dem im Jahr 2000 aus Uttar Pradesh hervorgegangenen Bundesstaat fanden bisher vier Parlamentswahlen statt, bei denen die Kongresspartei und die BJP stets die einzigen beiden Hauptanwärter darstellten.

Während die Kongresspartei darauf setzte, die Versäumnisse der bisherigen BJP-Regierung in mehreren Bereichen aufzuzeigen, setzte die BJP auf die Persönlichkeit Modis, die zahlreichen Infrastrukturprojekte, welche von der bisherigen Regierung vorangetrieben und in Aussicht gestellt wurden, sowie auf eine nationalistische Rhetorik.

Angesichts der Tatsache, dass der Bundesstaat die meisten Soldaten für die indische Armee stellt, identifizieren sich viele Bürger Uttarakhands mit dem Image des „starken Mannes“ Modis, dessen Beliebtheitsgrad in dem Bundesstaat nach wie vor unangefochten hoch bleibt. Die vergangene BJP-Regierung vermittelte jedoch vielen Wählern des Bundesstaates einen negativen Eindruck hinsichtlich ihrer Regierungsführung, zumal die BJP in ihrer fünfjährigen Amtszeit dreimal den Ministerpräsidenten wechselte.

Die BJP konnte dennoch einen weiteren beeindruckenden Sieg verbuchen, indem sie 47 der 70 zur Wahl stehenden Sitze ergatterte. Der einzige Wermutstropfen bestand darin, dass ihr Ministerpräsident Pushkar Singh Dhami seinen eigenen Sitz in seinem Wahlkreis verloren hatte. Dennoch kündigte die BJP an, dass dieser als Ministerpräsident des Staates zurückkehren werde.

Die weibliche Wählerschaft dürfte eine Schlüsselrolle dabei gespielt haben, die BJP zurück an die Macht zu bringen. Die BJP-Regierung hatte in ihrer vergangenen Legislaturperiode mehrere Programme eingeführt, die sich speziell an Frauen richteten, die in den Genuss der kostenlosen Verteilung von Essensrationen, des Aufbaus von Infrastruktur und von Gesundheitsprogrammen kamen, was sich offensichtlich in Wählerstimmen auszahlte.

Der Kongress, dessen Wahlkampfleiter die Stimmung der Bevölkerung falsch einschätzten und die sich zu sehr auf Kritik an der Verwaltung der Vorgängerregierung und auf dessen Handhabung von Problemen wie Arbeitslosigkeit und Inflation konzentrierten, errang lediglich 19 Sitze. Traurige Randnotiz zu den Regionalwahlen im Bergstaat ist die Tatsache, dass von den 70 siegreichen Kandidaten nicht weniger als 27% Strafverfahren gegen sich am Laufen haben.

 

Manipur: Im Spannungsfeld eines Bürgerkriegs und demokratischer Wahlen

Der Bundesstaat Manipur, der im Nordosten Indiens liegt und an Myanmar grenzt, stellt in gewisser Weise eine Miniatur des indischen Staates. Der Bundesstaat, in dem nur etwa 2,9 Millionen Menschen leben, weist auf seinem überschaubaren Territorium eine immense Vielfalt verschiedener Kulturen, Sprachen und ethnischer Gruppen auf.

Der Bundesstaat umfasst zwei voneinander getrennte geografische Gebiete - das Tal, das im Zentrum Manipurs liegt, und die Hügel, die es umgeben. Dies ist insofern von Bedeutung, als damit eine wesentliche territoriale Trennungslinie zwischen den drei wichtigsten ethnischen Gruppen, den Nagas, den Kukis und den Meitei, gezogen wird. Während die Nagas und die Kukis von der indischen Regierung als sogenannte „Schedule Tribes“ anerkannt werden und somit das Eigentum an Land in den Berggebieten des Staates ausschließlich ihnen vorbehalten ist, sind die Meitei nicht als solche anerkannt und somit auf die Talregionen des Staates beschränkt.

Auch aufgrund solcher Spaltungen wurde der Staat seit seiner Eingliederung in Indien im Jahr 1949 von zahlreichen bewaffneten separatistischen Gruppierungen und Konflikten sowohl innerhalb als auch zwischen ethnischen Volksgruppen geplagt. Obwohl die indische Regierung über die Jahre einige der ethnischen Aufstandsgruppen und Konfliktparteien dazu bringen konnte, ihre Waffen niederzulegen und Friedensabkommen zu unterzeichnen, wurden Meitei-Naga-Konflikte und Naga-Kuki-Konflikte nie erfolgreich gelöst und schwelen bis heute unter der Oberfläche weiter, wobei der jüngste Bürgerkrieg in Myanmar die ohnehin schon lodernden Spannungen zusätzlich befeuert.

Eine der zentralen Maßnahmen der Zentralregierung, um solche Aufstände unter Kontrolle zu bringen, ist der „Armed Forces Special Powers Act“ (AFSPA). Das Gesetz ist in Manipur seit über 60 Jahren in Kraft und hat seine Wurzeln in der kolonialen Herrschaft der Briten. Es wurde in seiner jetzigen Form erstmals 1958 in Manipur verabschiedet und gilt für alle Bezirke, die auf Beschluss der Zentralregierung als „gestört“ deklariert wurden. In den zahlreichen derart eingestuften Gebieten Manipurs erhalten bewaffnetes Militärpersonal und indische paramilitärische Organisationen wie die Assam Rifles besondere Befugnisse. Effektiv werden diese Bezirke werden unter Kriegsrecht gestellt.

Solche Sonderbefugnisse räumen unter anderem den in einem „gestörten“ Gebiet eingesetzten Soldaten das Recht ein, jeden Verdächtigen zu erschießen, der eine Waffe bei sich trägt oder gegen die öffentliche Ordnung verstößt, sowie das Recht, jegliche Person ohne Haftbefehl festzunehmen und jeglichen Ort ohne Durchsuchungsbefehl zu betreten, und gewähren allen Militär- und Paramilitärangehörigen Immunität vor Strafverfolgung.

Das umstrittene AFSPA war im Vorfeld der Wahlen zum politischen Zankapfel geworden. Die Kongresspartei versprach, die Zentralregierung zur Aufhebung des Gesetzes zu drängen, sollte sie an die Macht kommen, während die BJP die Aufhebung des AFSPA nicht in ihr Manifest aufnahm.

Bei den Parlamentswahlen 2014 und 2019 hat die regierende BJP den Staat dominiert, was ein schwerer Schlag für die Kongresspartei darstellte, welche in der Region seit der Unabhängigkeit Indiens eine komfortable Herrschaft ohne jegliche Opposition genossen hatte. Der Aufwärtstrend der BJP sollte sich auch bei den diesjährigen Wahlen fortsetzen. Die Partei festigte ihre Verwurzelung im Bundesstaat, indem sie 32 der 60 Sitze im Abgeordnetenhaus Manipurs gewann und trotz der Kontroversen rund um das AFSPA erneut an die Macht kam.

 

Fazit

Die diesjährigen Regionalwahlen wurden einmal mehr zu einer regelrechten Machtdemonstration der BJP und die Modi Welle schwappt weiterhin nahezu ungebremst über die Republik. Die Partei erwies sich zudem als krisenresistent gegenüber zahlreichen Polemiken. Der beeindruckende Sieg in vier der fünf Bundesstaaten, die zur Wahl gingen, festigt die Machtposition der BJP, schwächt eine zersplitterte Opposition und positioniert die Partei im Rennen um eine dritte Amtszeit bei den Parlamentswahlen 2024 deutlich an der Spitze. Insbesondere der Sieg in Uttar Pradesh, der mit einer deutlichen Mehrheit errungen wurde, wird der allgemeinen Überzeugung, dass die BJP die mächtigste Partei in Indien ist und bleiben wird, weiteren Auftrieb geben.

Außerdem ermutigt der Sieg die BJP, ihre bewährte Politik fortzusetzen, bei der sie einen hindunationalistischen Ansatz mit einer strategischen Sozialpolitik verbindet, um die Massen für sich zu gewinnen. Diese Taktik wurde inzwischen auch von zahlreichen anderen indischen Parteien in weiten Teilen kopiert.

Der BJP-Sieg in Uttar Pradesh etabliert Yogi Adityanath als unangefochtene Führungspersönlichkeit in Indiens politisch bedeutendstem Bundesstaat. Der Neunundvierzigjährige gilt nun für viele Experten, in nicht allzu ferner Zukunft, als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge des alternden Modi (71) als Premierminister Indiens.

Die Wahlergebnisse signalisieren zudem das Ende des Kongresses als bedeutende Partei von nationalem Format und als stärkster Gegenspieler der BJP. Ein alternatives politisches Narrativ mit der Aam Admi Partei und dem All India Trinamool Congress als Hauptantriebskräfte zeichnet sich ab, wobei ein zerstrittener Kongress dringend einen grundlegenden Wandel vollziehen muss, um relevant zu bleiben. Die beiden regionalen Parteien werden nun zunehmend versuchen, die durch den rapiden Niedergang der Kongresspartei entstandene Vakanz in einer nationalen BJP-Opposition mit Wahlstimmen zu füllen.

Der Aam-Admi-Parteiführer Kejriwal ist indes bereits dabei, den nationalen Fußabdruck seiner Partei zu erweitern, denn die AAP wagt sich in die Höhle des Löwen: Gujarat, der Modi-Hochburg, in der noch in diesem Jahr eine weitere Regionalwahl ansteht.

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Portrait Adrian Haack

Leiter des Auslandsbüros Indien

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