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Veranstaltungsberichte

Vom Tahrir zum Open Space

von Dr. Andreas Jacobs, Dr. Claudia Groß
„Das hier ist wie auf dem Tahrir“ sagt Kasem und blickt auf ein großes selbstgemaltes Plakat mit der Aufschrift „Es fängt an, wenn die Zeit reif ist“.

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Der Umbruch in Ägypten fördert neue Formen der politischen Diskussion.

„Das hier ist wie auf dem Tahrir“ sagt Kasem und blickt auf ein großes selbstgemaltes Plakat mit der Aufschrift „Es fängt an, wenn die Zeit reif ist“. Kasem, der sich neben seinem Beruf als Apotheker, in einer Jugendinitiative engagiert, die jungen Ägyptern politisches Bewusstsein nahebringt, ist Teilnehmer des vermutlich ersten Open Space in Ägypten. „Das kannten wir bislang nicht: kein Programm, keine Referenten. Ich hätte nie geglaubt, dass so etwas funktioniert“. Nach drei Tagen Diskussionen, Debattieren und Ideensammeln ist er begeistert. Wie die meisten anderen Jugendaktivisten, die sich auf Einladung des Dachverbands der ägyptischen Jugend-Organisationen (EYF) und der Konrad- Adenauer-Stiftung getroffen haben, will er das Format unbedingt in der eigenen Arbeit anwenden. (...)

(...) Open Space ist eine einfache Form der Gruppenmoderation, die in den achtziger Jahren in den USA von dem Trainer und Moderator Harrison Owen entwickelt wurde. Owen hatte wie viele andere die Beobachtung gemacht, dass die eigentlich interessanten Gespräche auf Konferenzen während der Kaffeepausen stattfinden. Warum also nicht die Kaffeepause zum eigentlichen Event machen und alles andere weglassen? Owen nannte seine Idee Open Space, weil es ihm vor allem darum ging, einen offenen Raum zu schaffen in dem Bewegung möglich ist und in dem Themen frei gefunden, Probleme besprochen und Lösungen erarbeitet werden können. Was es beim Open Space nicht gibt, sind Referenten, Moderatoren, feste Redezeiten und vordefinierte Gesprächsthemen. Lediglich eine gute Vorbereitung durch ein Organisationsteam, das auch die wenigen Regeln erklärt, ist wichtig. Wichtiger aber noch sind Freiwilligkeit, Offenheit, Betroffenheit, Heterogenität und ein breites und komplexes Leitthema. (...)

Die Idee für den ersten ägyptischen Open Space entstand im Herbst 2010. Damals war das Land noch fest im Griff eines autoritäten Machtapparates. (...) Warum also nicht ein neues Format einführen, das junge Leute anspricht, Hierachien überwindet, zur Selbstorganisation ermutigt und Raum für Kreativität eröffnet? Mitten in die Vorbereitungen platzte dann die ägyptische Revolution. (...)

Weniger als zwei Monate nach dem Rücktritt Mubaraks sitzen zwanzig junge Ägypter und zehn junge Deutsche zusammen, um das Format erstmals zu erproben. Zunächst werden die Teilnehmer in die Open Space Technologie eingeführt und die Prinzipien erläutert. Dann hat jeder Teilnehmer die Möglichkeit aufzuschreiben, welche Themen ihm unter den Nägeln brennen, und diese zusammen mit einem ausgewählten Zeitfenster an die Wand „Marktplatz für Ideen“ zu pinnen. Es sind 22 Anliegen nach der ersten Runde, weitere kommen später hinzu. Mit jeder Gesprächsrunde füllt sich die „Neuigkeiten-Wand“ neben dem pausenlosen Pausenbüfett mit weiteren Dokumentationsblättern. Bei einer Tasse Kaffee oder Tee lesen die Teilnehmer, was bislang besprochen wurde. Auch eine „Kontaktliste“ wird eingerichtet. Jeden Morgen und jeden Abend kommen alle zusammen, um die Neuigkeiten des Tages zu besprechen. Nach drei Tagen liegen 22 Dokumentationen der einzelnen Gesprächsrunden vor, 13 neue Projektideen wurden geboren und deren Nächste Schritte festgehalten, ein Video-Clip ist erstellt, eine Facebook-Gruppe eingerichtet und 30 neue Freundschaften geschlossen.

(...) Hala will die Idee in der Frauenrechtsarbeit einsetzen: „Open Space ist ideal um Tabuthemen anzusprechen und Geschlechtergerechtigkeit einzuüben, gerade in Oberägypten“. Und Mahmud will das Format vor allem zum Abbau von Vorurteilen einsetzen. „Wir hier in Ägypten glauben zu oft an Verschwörungen und „Hidden Agendas“. Aber ein Format, das gar keine Agenda hat, hat auch keine versteckte Agenda. (...)

In Kulturen, in denen das Gespräch und die Debatte eine so bestimmende Rolle spielen wie in Ägypten, drängt sich eine Methode wie Open Space geradezu auf. (...) Die Open Space-Methode hätte deshalb vermutlich auch vor den Tahrir- Demonstrationen funktioniert. Doch nach der Revolution mit der gewonnenen Freiheit und dem Drang, Neues auszuprobieren erscheint sie umso mehr als geeignetes Format.

(...) Gerade in politischen Transformationsphasen erscheint es wichtig, nicht nur über Themen, sondern auch über die Formen und Methoden ihrer Vermittlung nachzudenken. „Herkömmliche“ Konferenzen, Seminare und Workshops sind dann alternativlos, wenn spezifisches Wissen vermittelt und ausgetauscht werden soll. Das kann ein Open Space nicht leisten. Dort aber, wo kreative Potenziale geweckt, überfachliche Qualifikationen trainiert und die strukturellen Probleme einer Gesellschaft reflektiert werden sollen, geht der Open Space einen neuen und kostengünstigen Weg. Es ist ein Glücksfall, dass in Ägypten gleichsam ein ganzes Volk seinen Open Space auf dem Tahrir-Platz hatte. Hier wurden die neuen demokratischen Spielregeln ausprobiert und eingeübt. Aber was in Ägypten funktioniert, kann auch in Tunesien und hoffentlich bald in Syrien, Jordanien und Libyen funktionieren. Die politischen Stiftungen und die Institutionen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit sollten daher die Chance nutzen und lokale Moderatoren und Trainer ausbilden, ein arabischsprachiges Open Space Manual entwickeln und Open Space-Initiativen systematisch unterstützen. (...)

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