Veranstaltungsberichte
Einer naiven oder fatalistischen Reaktion stellte Woelki das Wort des Jesuitenpaters Alfred Delps „Dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt“ gegenüber, mit dem die Veranstaltung überschrieben war. Delp hatte es in Todesgefahr in äußerster Bedrängnis geschrieben.
Kardinal Woelki interpretierte es als tiefe Solidarität Jesu Christi, der sich das Schicksal jedes Menschen zu eigen gemacht habe und unser Leben auch in schwierigen Situationen, auch im Scheitern begleite.
Dies gelte über den Tod hinaus. Damit sei aus christlicher Sicht ein hoffnungsvoller Rahmen gegeben, der Orientierung ermögliche und zu Entscheidungen befähige. Naivität und Fatalismus bleiben aus, wenn Gott das Leben mit uns lebt.
"Eine humane Gesellschaft zeige sich darin, wie sie mit den Schwächsten umgeht."
Diese Sicht habe politische Relevanz. Die Kirche könne im politischen Prozess ermutigen. Dabei gehe es weniger um die Betonung einzelne Werte, sondern Verantwortung, die sich nicht auf einen ethischen Minimalkonsens beziehe. Die Beurteilung von politischen Vorgängen sei dann nicht eingegrenzt auf wirtschaftliche Daten, sondern umfasste den ganzen Lebensraum. In der Sozialpolitik gehe als Befähigung von Einzelnen, um ihnen Teilhabe zu ermöglichen. Soziale Spannungen könnten so überwunden werden. Weltweite Verteilungsprobleme vor allem in der Entwicklungspolitik seien Felder, auf denen die Kirche zu Stellungnahmen aufgerufen sei. Aber auch der Lebensschutz am Anfang und am Ende ist ein wichtiges Anliegen der Kirche. Eine humane Gesellschaft zeige sich darin, wie sie mit den Schwächsten umgehe. Hier ist auch die Kirche selbst als Träger von Krankenhäusern gefragt. Es geht um die Schwerpunktsetzung zugunsten von Palliativstationen oder gut refinanzierten Angeboten. Weitere nicht refinanzierte Felder seien die Offenen Sozialstationen und das Beratungswesen, das für sozial Schwache entscheidend zum Leben beitragen kann wie Woelki, der auch Caritasbischof ist, betonte. Ein Rückzug der Kirche aus dem sozialen Bereich wäre problematisch.
Nadine Schön MdB bedauerte, dass in Deutschland so selten bei politischem Handeln gesagt werde, aus welchem Geist heraus es geschehe. Es sollte mehr hervorgehoben werden, dass man sich etwa in der Notfallseelsorge aus christlicher Überzeugung engagiere. In anderen Weltgegenden werde die religiöse Motivation etwa bei der Aidshilfe in Südafrika mit großem Selbstbewusstsein vorgetragen.
Allerdings müsse man sich bewusst sein, dass man aus christlichen Glauben heraus zu unterschiedlichen politischen Entscheidungen kommen könne. Diesen wichtigen Punkt erläuterte sie an dem Abstimmungsverhalten zur Präimplantationsdiagnostik (PID) im vergangenen Jahr. Dort habe die Fraktion sehr um den richtigen Weg gerungen. Sie habe sich gegen die PID entschieden, doch könne sie allen, die sich anders entschieden hätten, nicht ihr Christsein und ihre lauteren Motive absprechen.
Für sie seien die Hinweise der Kirche wichtig. Doch sie setzte sich dafür ein, dass diese nicht „dogmatisch“ von abstrakten Lehrsätzen geprägt seien. Sie sollten von den Nöten und Ängsten der Menschen ausgehen und versuchen, dort zu Lösungen zu kommen.
"Das ökumenische Miteinander muss auch ein Ringen um die Wahrheit sein."
Ein wichtiger Komplex war die Ökumene, wie sich auch in den Reaktionen des Publikums spiegelte. Hildegard Bentele, Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin, plädierte angesichts der kirchenfernen Umfelds in Berlin dafür, sich ökumenisch stärker zusammen zu schließen und gemeinsam aufzutreten, damit Religion und Gottvertrauen überhaupt noch einen Platz in der Gesellschaft habe. Sie wurde unterstützt von Dr. Christian Schulze Pellengahr, der Bürgermeister einer Gemeinde im Münsterland ist. Zwar werde in Ökumene schon viel an der Basis getan. Auf der unteren Ebene zwischen einzelnen Gemeinden funktioniere es überzeugend. Daher hoffe er, dass so auch weitere Annäherungen möglich seien.
Kardinal Woelki erklärte sehr einfühlsam, dass er hinsichtlich der Ökumene die Not und das Ärgernis teilen könne, dass die konfessionelle Trennung für Familien und Einzelne bedeuten können. Aber es müsse im ökumenischen Miteinander ein Ringen um die Wahrheit sein. Im Glauben seien Unterschiede gewachsen, die nicht geleugnet werden könnten. Es seien theologisch schwierige Fragen zu lösen. Etwa sei das Verständnis der Kirchenkonstitution Lumen Gentium, nach der Kirche in Christus Sakrament sei, mit dem Verständnis der Kirchen der Reformation nicht vereinbar.
Ein weiteres Thema waren Frauen in der Kirche. Hildegard Bentele betonte, ohne eine Quotenverfechterin zu sein, dass Frauen andere Perspektiven in verschiedene Sachverhalte einbrächten. Kardinal Woelki konnte dem zustimmen. Frauen hätten immer wieder Verantwortung übernommen, wie nicht zuletzt das Beispiel der heiligen Hildegard zeige. Auch in seinem wichtigsten Beratungsgremium seien 50 Prozent Frauen vertreten. Aber hinsichtlich Priesterweihe sei alles gesagt.
Zur Präsenz Kirche in der Gesellschaft gehört auch der Religionsunterricht. In der besonderen Situation von Berlin müsse sich die Kirche aus finanziellen Gründen bald aus den öffentlichen Schulen zurückziehen. Denn die wenigen jungen Lehrer würden eine bessere Bezahlung und Verbeamtung in anderen Bundesländern vorziehen. So gehöre in Berlin schon viel Idealismus dazu, Religionslehrerin zu sein. Diese Entwicklung werde aber bedauerliche Konsequenzen für das ethische Bewusstsein, die Wertevermittlung und die religiösen Kenntnisse der Schüler haben. Dies sei insbesondere vor dem Hintergrund der multireligiösen Situation in dieser Stadt problematisch. Denn eigentlich könne man die Auseinandersetzung mit dem Islam auch als Chance begreifen, die eigene Religion wieder besser zu verstehen und als Schatz an zu sehen. Als Hoffnungsschimmer wurde die Entwicklung der Freien Schulen betrachtet, die in Berlin trotz aller Hindernisse zunehmen.
Die Veranstaltung regte mit dem Impuls des Kardinals zu „handlungsermutigender Zuversicht“ und den frischen unverbrauchten Antworten der jungen Politiker zum Nachdenken an.
Über diese Reihe
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