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Argentinien in der ersten Hälfte des Jahres 2006

von Christoph Korneli
Drei Jahre nach seinem Amtsantritt hat Präsident Nestor Kirchner auf der Grundlage seiner populistischen Regierungsführung ein hohes Maß an politischer Macht akkumulieren können. Dabei nutzte er den Vorteil der wirtschaftlichen Konjunktur und günstiger weltwirtschaftlicher Bedingungen.

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Immerhin: Seit er im Mai 2003 an die Macht kam, wuchs die Wirtschaft Argentiniens um ca. 30 %. Die Schulden Argentiniens wurden durch Restrukturierung um 70 % reduziert und die Schulden beim IWF zurückgezahlt. Trotzdem hat Argentinien immer noch ca. 124 Mrd. US$ Auslandschulden. Die Arbeitslosigkeit verringerte sich von 17,8% auf 11,4%, die Armut von 54% auf 33,8% der Bevölkerung.

Dies sind öffentlich wirksame Zahlen, die allerdings in der Realität unterschiedlich diskutiert werden können.

Genutzt wurden die günstigen wirtschaftlichen Faktoren aber teilweise nur vordergründig zur Stabilisierung innenpolitischer Dominanz des „oficialismo“. Dabei agiert Argentinien wirtschaftlich trotz ungewöhnlich hoher Mehreinnahmen des Staates nicht wirklich auf stabiler Basis. Es fehlen nach wie vor entscheidende Investitionen, vor allem im Energiesektor.

Der Kampf gegen die steigende Inflation wird durch Druck auf einzelne Wirtschaftssektoren und durch Exportbeschränkungen (Fleischexport) zur Stabilisierung von Preisen geführt. Es besteht aber eine erhebliche Abhängigkeit vom Weltmarkt (Soja) und vor dem Hintergrund ungeeignet hoher Lohnabschlüsse bei den letzten Tarifverhandlungen und permanent steigender öffentlicher Ausgaben wird dieser Kampf nur schwer zu gewinnen sein. Zusätzlich sind die kürzlich vollzogenen Verstaatlichungsaktionen (Wasserversorgung Buenos Aires) nicht geeignet, das Vertrauen internationaler Investoren zu stärken.

Veränderungen im Kabinett und Stimmenmehrheit im Parlament, u.a. durch die Unterstützung durch die „Frente por la Victoria“ unter der Führung der Präsidentengattin, unterstützten den Prozess der Machtanhäufung. Es scheint, als lege Kirchner mittlerweile allein fest, wer Freund und wer Feind ist. Kirchner hat die „Formel des Erfolgs für sich patentiert“ (Carlos Fara in der Zeitschrift „Perfil“, 21.05.2006).

Der Attraktivität dieser Machtkonzentration können und wollen sich nur wenige Akteure der argentinischen Politik entziehen. Und die immer noch nicht geeinten Kräfte, die als Opposition wirken könnten, sind bisher nicht in der Lage Entsprechendes entgegensetzen zu können.

Im Gegenteil. Führende Vertreter der UCR sind , in unterschiedlicher Intensität, nicht abgeneigt, Kirchner und seine neue Politik eines „Pluralismus“ zu unterstützen. So z.B. der Gouverneur der Provinz Mendoza, Julio Cobo und Gouverneure patagonischer Provinzen. Das linke Lager (ARI, Elisa Carrio) hält sich ablehnend bedeckt und agiert derzeit aktiver in einigen Provinzen. Das zwischen Ricardo Lopez Murphy (Recrear) und Mauricio Macri (CPC) existierende Bündnis ist schwach. Compromiso para el Cambio unter der Führung Macris versucht allerdings, mit einigem Erfolg, sich als politische Partei auf nationaler Ebene zu stabilisieren. Einige politische Kräfte innerhalb des fraktionierten Peronismus (die PJ steht immer noch wegen fehlender gemeinsamer Führung durch einen gewählten Vorstand unter Zwangsverwaltung), wie der Vizepräsident Daniel Scioli oder der ehemalige Regierungschef der Hauptstadt Buenos Aires Ibarra, verfolgen eigene politische Interessen im Hinblick auf die Wahlen im nächsten Jahr.

Allerdings ist vor wenigen Tagen der ehemalige Wirtschaftsminister Roberto Lavagna wieder auf der politischen Bühne aufgetaucht. In einem Interview mit der wöchentlich erscheinenden Zeitschrift „Perfil“ ließ er es an Kritik am Präsidenten, an der Regierungsführung sowie der Wirtschafts- und Außenpolitik nicht fehlen. Lavagna forderte eine langfristig wirksame Wirtschaftspolitik und kritisierte die populistische Politik Kirchners scharf. Ebenso scharf und sichtlich getroffen reagierten Mitglieder der Regierung, allen voraus die Wirtschaftsministerin Miceli und der Präsident selbst. Noch ist alles offen, aber Roberto Lavagna als Person und Politiker mit internationaler Reputation könnte entscheidende Kräfte aus der Wirtschaft, wie auch Politiker der UCR und aus Kreisen des Peronismus, welche dem Präsidenten kritisch gegenüber stehen (Ex-Duhaldisten, „Grupo General) vereinen, mehr noch, weil die UCR uneinig ist und kein klares gemeinsames Profil gefunden hat.

Noch hat Kirchner seine Kandidatur zur Wiederwahl im kommenden Jahr nicht angekündigt. Aber es ist zu erwarten, dass er oder vielleicht auch seine Frau zur Wahl antreten werden. Er will auf jeden Fall die Steuerung des Prozesses weiter in seiner Hand behalten.

Nicht in Form der institutionellen Stärkung und Reform der PJ als Partei, sondern durch die Konzentration der wichtigsten Kräfte innerhalb des Peronismus auf sich und seine Regierung hat Kirchner seinen „mitte-links-oficialismo“ installiert.

Bereits kurz nach den Wahlen vom Oktober 2005 nahm Kirchner eine Kabinettsumbildung vor. Vier Minister wurden ausgetauscht. Drei dieser ehemaligen Regierungsmitglieder wurden in den Kongress gewählt und mit dem ehemaligen Wirtschaftsminister Lavagna kam es zum offenen Konflikt, der mit dem Rücktritt endete. In die Ministerien zogen kirchnertreue Kandidaten ein und die Kabinettsumbildung kann als gelungener Schachzug bewertet werden. Neben dem Senat, in dem der Präsident über eine Mehrheit verfügen kann und dem Kongress, in dem seine Gruppierung die stärkste Fraktion stellt, ist ihm auch das Kabinett deutlich untergeordnet.

Die innen- und außenpolitisch wirksamen Ereignisse der letzten Wochen demonstrieren deutlich diese Entwicklungen. Obwohl man wichtige Unterschiede in der Bewertung berücksichtigen sollte, ist Kirchner in die Reihe der populistischen Führer in Lateinamerika einzuordnen. Wobei nicht vergessen werden darf, dass dabei finanzielle und vor allem auch energiepolitische Themen seine Nähe oder Toleranz gegenüber Führern wie Evo Morales und besonders Hugo Chavez mitbestimmen.

Argentiniens Rolle im Mercosur ist äußerst ambivalent und der Beitritt Venezuelas ( wenn auch vorerst mit einigen Einschränkungen) wird wohl eine Rolle für die Zukunft des Mercosur spielen. Momentan nehmen die Mitglieder des Mercosur scheinbar nur wenig Rücksicht auf die weitere Entwicklung der Gemeinschaft und unterlaufen das Vorhaben durch bilaterale Abkommen oder auch Konflikte.

Man muss einschätzen, dass sich Lateinamerika in einer Phase der Desintegration befindet. Verminderte Integration und Kooperation sowie schwache regionale Strukturen sind aber Konfliktpotentiale.

Das Wiener Gipfeltreffen der Staaten Lateinamerikas und der Karibik mit der EU demonstrierte die Krise der Integration in Lateinamerika. In Argentinien wurde der Gipfel zwar genau verfolgt und öffentlich wahrgenommen, angesichts der üblichen Rhetorik und wenig aktuell wirksamer Ergebnisse für das Land, stand allerdings das Auftreten des Präsidenten und insbesondere die Konfrontation mit dem Präsidenten Uruguays vor dem Hintergrund des Konfliktes um den Bau zweier Papierfabriken am Grenzfluss im Vordergrund der Berichterstattung.

Diese seit Monaten schwelende Auseinandersetzung zwischen Argentinien und Uruguay ist beispielhaft für die Situation und schädigt nicht nur den Mercosur und die wirtschaftliche Entwicklung der betroffenen Länder, sondern auch in erheblichem Maße das Ansehen lateinamerikanischer Politik in Europa und der Welt. Darüber hinaus ist sie ein Beispiel für genannte populistische Politik, indem auf argentinischer Seite das Thema „nationalisiert“ und „patriotisiert“ wird und Anliegen des Umweltschutz politisch ausgenutzt und in die populistische Agenda eingebaut werden. Uruguay dagegen verweigert sich zunehmend der Integration im Mercosur und strebt z.B. eigene bilaterale Wirtschaftsabkommen mit den USA an. Auch das Vertrauen ausländischer Investoren wird weiter gesenkt, was sich die betroffenen Länder in der sich globalisierenden Welt eigentlich nicht leisten können. Bilaterale diplomatische Ansätze für eine Lösung der Auseinandersetzung sind bisher nicht gefunden. Argentinien hat vielmehr eine Klage beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag eingereicht, die in Kürze verhandelt wird. Mittlerweile ist das Problem auch in Europa angekommen und die finnischen und spanischen Investoren befürchten nicht nur Verluste, sondern auch eine beträchtliche Rufschädigung. Versuche des argentinischen Präsidenten die europäischen Herkunftsländer der investierenden Firmen sowie die an der Finanzierung beteiligte Weltbank in den Konflikt mit herein zu ziehen sind gescheitert. Immerhin beeinflusste die Situation den Wiener Gipfel. Die Präsidenten von Argentinien und Uruguay sprachen nicht miteinander.

Argentinien in der ersten Hälfte des Jahres 2006 bietet politisch ein komplexes und schnellen Veränderungen unterworfenes Bild. Schon jetzt beginnt man die Karten für das Wahljahr 2007 zu mischen. Anzunehmen ist, obwohl das Datum der Wahl noch unsicher ist und die Spitzenkandidaten noch nicht feststehen, dass der „oficialismo“, oder besser „kirchnerismo“ und wahrscheinlich Nestor Kirchner selbst erfolgreich sein wird. Die weitere wirtschaftliche Entwicklung und die Inflation, als entscheidende Gefahren für die Macht Kirchners, müssen abgewartet werden. Es könnte für ein Umsteuern in diesen Fragen aber bald zu spät sein.

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Olaf Jacob

Olaf Jacob

Leiter des Auslandsbüros Chile

olaf.jacob@kas.de
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7. Juni 2006
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