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Europäische Autonomie im Indopazifik?

Europas sicherheitspolitische Gretchenfrage im indopazifischen Raum

Während die Anrainer des Indopazifiks die Bedeutung der Region mit Blick auf Handelsrouten, Wachstumsmärkte und die eigene Sicherheit bereits im vergangenen Jahrzehnt erkannt haben, ist in die Diskussion um ein europäisches Konzept zur Region Indopazifik erst im vergangenen Jahr wirklich Schwung gekommen. Die EU wird sich als außen- und sicherheitspolitischer Akteur dort nur behaupten können, wenn sie ihre Ressourcen bündelt und sich zu gemeinsamen Werten bekennt.

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Am 19. April 2021 hat der Rat der Europäischen Union „Schlussfolgerungen zu einer EU-Strategie für die Zusammenarbeit im indopazifischen Raum“ veröffentlicht, die noch in diesem Jahr von der Kommission zu einer ausformulierten Strategie weiterentwickelt werden sollen. „Wenn wir ein geopolitischer Akteur sein wollen, müssen wir sowohl als ein politischer als auch als ein sicherheitspolitischer Akteur in der Region wahrgenommen werden, nicht nur als Partner in der Entwicklungszusammenarbeit, im Handel oder bei Investitionen.“ So erklärte der Hohe Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, das neue Engagement der EU im Indopazifik bei einer Reise nach Jakarta im Juni. Doch kann die EU ein sicherheitspolitischer Akteur im Indopazifik werden?

 

Reaktion auf globale Machtverschiebungen

Die jüngsten EU-Schlussfolgerungen für die Zusammenarbeit im Indopazifik wie auch die im Dezember 2020 eingegangene strategische Partnerschaft der EU mit dem Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) verstehen sich als konzeptionelle Antwort auf globale Machtverschiebungen. Zum einen ist die Bereitschaft der USA, sich gemeinsam mit Europa und anderen Partnern für den Erhalt der regelbasierten Ordnung einzusetzen, in den vergangenen Jahren deutlich gesunken. Gleichzeitig nimmt ein immer offensiver agierendes China zunehmend Einfluss auf internationale Organisationen, schafft politische Abhängigkeiten und stärkt seine Fähigkeiten zur Machtprojektion in strategisch bedeutsamen Gebieten wie dem Südchinesischen Meer. Angesichts dieser Entwicklungen kann sich Europa nicht auf die Rolle eines kommentierenden Beobachters beschränken. Vielmehr erhebt es den Anspruch, gestaltender Akteur zu sein und sowohl die eigenen als auch die Interessen seiner Partner in der Region durchzusetzen. Wirtschaftlich ist die EU bereits ein wichtiger Investor und Entwicklungspartner im Indopazifik. Sie ist nach China außerdem der zweitgrößte Handelspartner von ASEAN, und ASEAN ist nach den USA und China der drittgrößte Handelspartner der EU außerhalb Europas. Nun will die EU auch außen- und sicherheitspolitisch in der Region präsent sein. Die Schlussfolgerungen des EU-Rates zu einer neuen Indopazifik-Strategie spiegeln dieses Ziel wider.

Anrainer des Indopazifiks erkannten die Relevanz der Region mit Blick auf Wachstumsmärkte, Handelsrouten, Wirtschafts- und Infrastrukturverbindungen, aber auch für die eigene Sicherheit bereits im vergangenen Jahrzehnt. Unterschiedliche Konzepte Japans, Australiens und Indiens, aber auch der USA und von ASEAN prägten die Diskussion um inklusive und exklusive Konzepte. Beispielsweise zielte das US-amerikanische Konzept des „Free and Open Indo-Pacific“ der Trump-Administration auf die Eindämmung Chinas ab, während ASEAN eine neutrale und inklusive Strategie verfolgt, die China miteinschließt, um den südostasiatischen Staaten Blockfreiheit zu sichern. Das verspätete europäische Interesse am Indopazifik und der Versuch einer autonomen Positionierung der EU äußern sich nun erstmals in den Schlussfolgerungen des Rates.

Die Diskussion um ein europäisches Konzept zum Indopazifik nahm insbesondere im vergangenen Jahr wieder an Fahrt auf, als drei europäische Länder hierzu Strategiepapiere veröffentlichten. Frankreich, das neben Großbritannien mit seinen Überseegebieten und ehemaligen Kolonien in der Region als etablierte maritime Sicherheitsmacht gilt, verabschiedete im Jahr 2019 ein sicherheitspolitisches Strategiepapier des Verteidigungsministeriums zum Indopazifik. Deutschlands Leitlinien der Bundesregierung folgten im September 2020, das Policy Memo der Niederlande erschien zwei Monate später. Deutschland und Frankreich hatten während der jeweiligen EU-Ratspräsidentschaften eine europäische Antwort forciert. Nun soll bis 2022 auch ein strategischer Kompass der EU verabschiedet werden, um die Rolle als Sicherheits- und Verteidigungsakteur weiter auszubauen. Basierend auf den bereits bestehenden Papieren der EU zu Asien, darunter der strategische Ausblick der EU zu China (2019), die EU-Indien-Strategie (2018), die EU-Konnektivitätsstrategie (2018) sowie die erweiterte EU-Sicherheitszusammenarbeit in und mit Asien (2018), könnte die Indopazifik-Strategie für eine deutlich höhere Kohärenz des europäischen Handelns in der Region sorgen.

 

Die EU als sicherheitspolitischer Akteur?

Betrachtet man die Schlussfolgerungen des Rates, so liegt der Schwerpunkt auf den Themen Partnerschaften, Multilateralismus und Diversifizierung. In diesem Sinne hebt der Rat die Bedeutung der regionalen Partnerschaft mit gleichgesinnten Ländern des Indopazifiks, etwa Japan, Australien und Indien, wie auch von regionalen Organisationen wie ASEAN oder informellen Austauschformaten hervor. Als zentrale Politikfelder der EU-Strategie werden Sicherheit, Konnektivität sowie Forschung und Innovation definiert. Zur Lösung globaler Herausforderungen wie Klimawandel und maritime Sicherheit will die EU beitragen und dabei für die Einhaltung von Menschenrechten, internationalem Recht sowie der liberalen Handelsordnung eintreten. Sicherheitspolitisch verwendet die EU im Entwurf der neuen Indopazifik-Strategie zunächst also einen breiteren und inklusiveren Ansatz, im Gegensatz zu den militärisch und sicherheitspolitisch fokussierten Konzepten Frankreichs oder der USA. Der Rat nimmt die besorgniserregende Dynamik und den intensiven geopolitischen Wettbewerb in der Region wahr, schließt sich aber keinem der Blöcke an, sondern verdeutlicht autonome strategische Interessen – beispielsweise sichere Handelsrouten – und seine eigene Handlungsfähigkeit als globaler Akteur. Zu den übergreifenden Themen der maritimen Sicherheit, Cyberkriminalität und Desinformation wird die wertebasierte Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Partnern und Organisationen im Bereich Sicherheit und Verteidigung anvisiert – auch durch Operationen und Missionen im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU.

Die EU betreibt mit einer Indopazifik-Strategie also keine strategische Neuausrichtung, sondern versucht, Prioritäten und Partnerschaften in der Region zu verdeutlichen und zu stärken. China gegenüber bleibt das Papier unklar, denn es benennt den Wettbewerber nicht wie in vorherigen Veröffentlichungen als „strategischen Rivalen“. Es wird auch keine europäische Flotte im Indopazifik geben, aber maritime Sicherheit und die militärische Präsenz einzelner Mitgliedstaaten wie diejenige Frankreichs und Deutschlands vor Ort werden unterstützt. Die EU bleibt also bei ihrem Leisten: Nicht-traditionelle Sicherheitsbedrohungen wie Klimawandel, Cyberattacken, Desinformation, Terrorismus oder Pandemien sind die Bereiche, in denen Europa sich sicherheitspolitisch engagiert und mit Ländern in der Region verstärkt zusammenarbeiten will. Aktives militärisches Engagement wird von den Mitgliedstaaten selbst übernommen. So beteiligt sich Frankreich regelmäßig an regionalen Sicherheitsformaten und Operationen im Südchinesischen Meer und hat 2019 einen Flugzeugträger in die Region entsandt. Deutschland entsandte im August 2021 die Fregatte Bayern für eine siebenmonatige Präsenz- und Ausbildungsfahrt in den Indopazifik. Kooperation und Unterstützung, nicht Großmächte-Gerangel, sind die favorisierten Wege der EU. Das Angebot einer normbasierten und verlässlichen Partnerschaft in unterschiedlichen Themen und Formaten macht die EU zum flexiblen und pragmatischen außen- und sicherheitspolitischen Mitspieler in der Region.

Insgesamt geht es also doch um eine politische Botschaft: dass die Sicherheit im Indopazifik auch für die Sicherheit Europas wichtig ist. Auch wenn die EU nicht selbst als sicherheitspolitischer Akteur eingreifen will, bietet sie Formate der Unterstützung und Kooperation auf Augenhöhe an und zeigt durch gemeinsame Schlussfolgerungen des Rates Einigkeit aller EU-Mitgliedstaaten, die sich in der Region für die internationale Ordnung, Multilateralismus und Menschenrechte einsetzen. Diese sicherheitspolitische Botschaft sollte für die Partner in der ausformulierten Strategie noch deutlicher greifbar gemacht werden.

Die EU kann sich als außen- und sicherheitspolitischer Akteur im Indopazifik nur glaubwürdig behaupten, wenn sie ihre Kapazitäten und Ressourcen bündelt und sich zu gemeinsamen Werten bekennt. Denn natürlich stehen hinter der EU als supranationaler Organisation nationale Interessen und unterschiedliche Bedrohungswahrnehmungen. Sicherheitspolitisch mag die unmittelbare Nachbarschaft, wie etwa Russland oder der Nahe Osten, bedrohlicher wirken. Aber dass uns Herausforderungen im Indopazifik, wie die Beeinträchtigung von Handelsketten, Naturkatastrophen und Pandemien oder Völkerrechtsverstöße im Südchinesischen Meer, direkt betreffen können, ist unbestreitbar.

 


 

Isabel Weininger ist Leiterin des Auslandsbüros Kambodscha und Referentin in der Abteilung Asien und Pazifik der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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