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Großer See, große Probleme

von Daniel El-Noshokaty

Ist eine sichere Nutzung der Ressource Wasser am Viktoriasee künftig noch möglich?

Der Viktoriasee bildet die Lebensgrundlage für über 30 Millionen Menschen. Wasserverschmutzung, Ressourcenausbeutung und ein Mangel an regionaler Zusammenarbeit bedrohen sein Gleichgewicht. Zusätzlich verschärft das hohe Bevölkerungswachstum die Lage. Zweifel sind berechtigt, ob die dringend benötigte Ressource Wasser an Afrikas größtem See in Zukunft noch sicher genutzt werden kann.

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Die Hand eines Fischers greift in eine große Anzahl gefangener Victoriabarsche. Individuelle Vereinbarung mit dem Fotografen Alec Jacobson. http://alecjacobsonphoto.com
Die Hand eines Fischers greift in eine große Anzahl gefangener Victoriabarsche.

Die nachhaltige Nutzung der grenzübergreifenden Ressource Wasser stellt für Entwicklungsländer eine besondere Herausforderung dar. Dies wird am Beispiel der Region um den Viktoriasee besonders eindrucksvoll deutlich. Direkt betroffen von jeglicher Veränderung des Sees – und damit der Ressource Wasser – sind die drei an seinen Ufern liegenden Staaten Kenia, Tansania und Uganda. Indirekt spielen zudem Burundi und Ruanda eine Rolle, da aus diesen Ländern wichtige Zuflüsse in den See münden. Von den Entwicklungen des Sees ebenfalls indirekt betroffen sind die drei Staaten Südsudan, Sudan und Ägypten, da sie an dessen einzigem Abfluss, dem weißen Nil, liegen. Das Wasser des Viktoriasees hat folglich nicht nur eine lokale und regionale, sondern auch eine überregionale Bedeutung. Scheitert das nachhaltige Management der Ressource Wasser in dieser Region, wird dies schwerwiegende Folgen für alle vom Ökosystem Viktoriasee abhängigen Menschen, Tiere und Pflanzen haben.

Bedeutung für Umwelt, Menschen und Wirtschaft

Der Viktoriasee ist der größte See Afrikas und der zweitgrößte Süßwassersee der Welt. Er liegt innerhalb der Grenzen der Staaten Kenia, Tansania und Uganda und umfasst eine Fläche von 68.800 Quadratkilometern. Sein Einflussgebiet erstreckt sich insgesamt über rund 500.000 Quadratkilometer. Der Viktoriasee hat sowohl aus ökologischer als auch aus sozioökonomischer Sicht eine herausragende Bedeutung. Er ist das definierende Merkmal des Ökosystems der ihn umgebenden Region und Lebensgrundlage für die in seinem Einflussbereich lebenden Menschen. Schätzungen zufolge versorgt der See rund zehn Millionen Menschen in Städten und Dörfern an seinen Ufern mit Trinkwasser. Darüber hinaus wird das Wasser für die Versorgung des Viehbestandes und die Bewässerung der landwirtschaftlich genutzten Fläche benötigt.

Angesichts seiner schieren Größe ist es nicht verwunderlich, dass der Viktoriasee eine entscheidende Bedeutung für das Klimasystem Ostafrikas hat. Er übt einen unmittelbaren Einfluss auf die Niederschlagsmengen in der Region aus. Seine Oberflächentemperatur kann in direkten Zusammenhang mit der Menge an Regen in seinem Einflussbereich in Verbindung gebracht werden. Eine konstante Veränderung der Temperatur des Sees würde zu unvorhersehbaren Veränderungen der Niederschlagsmengen und -orte führen. Bereits kleinste klimatische Veränderungen können immense Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion der Region und somit die Lebensgrundlage der Menschen haben. Zudem hätte eine Verschiebung der Niederschläge einen signifikanten Einfluss auf die im See vorhandene Wassermenge, da über 80 Prozent seines Wassers aus direktem Regenfall stammt.

Obwohl die Durchschnittstemperaturen des Wassers im Viktoriasee im Verlaufe eines Jahres nur geringen Schwankungen unterworfen sind, stiegen sie in den letzten Jahrzehnten dennoch kontinuierlich an. Die Oberflächentemperatur auf der ugandischen Seite des Sees nahm bis Ende der 1990er Jahre im Vergleich zu den 1960er Jahren um durchschnittlich 0,5 Grad Celsius zu. Dies mag auf den ersten Blick nicht dramatisch erscheinen, allerdings kommt dadurch ein sehr komplexes regionales Klimasystem unter Veränderungsdruck. Entsprechende Modelle zeigen, dass die Erhöhung der Oberflächentemperatur um 1,5 Grad Celsius dazu führen kann, dass einige Gebiete im Einflussgebiet des Sees bis zu 100 Prozent mehr Niederschlag im Jahresdurchschnitt erhalten könnten, andere in Konsequenz dafür entsprechend weniger.

Der Viktoriasee bildet die Lebensgrundlage von Millionen Menschen.

Der Viktoriasee ist darüber hinaus einer der wesentlichen Wirtschaftsfaktoren für die Anrainerstaaten. Die East African Community (EAC) schätzt, dass mehr als drei Millionen Arbeitskräfte rund um den See direkt oder indirekt vom Fischfang und von der weiterverarbeitenden Produktion abhängig sind. Da ein großer Teil des im See gefangenen Viktoriabarsches für den Export bestimmt ist, können dadurch Devisen erwirtschaftet werden. Gerade für Tansania ist die Fischindustrie ein bedeutender Wirtschaftsfaktor und Arbeitgeber. Jahrzehntelange Überfischung und die fortschreitende Umweltverschmutzung führen jedoch zu konstant rückläufigen Fangquoten und wirken sich somit negativ auf die wirtschaftliche Situation der Menschen aus.

Darüber hinaus nutzt insbesondere Uganda den See zur Energiegewinnung. In den Wasserkraftwerken an den Staustufen des weißen Nils in Nalubaale, Bujagali und Kiira werden bis zu 630 Megawatt Strom pro Jahr produziert. Mit Isimba und Karuma sind zwei weitere Kraftwerke im Bau, die zusammen eine geplante Kapazität von 780 Megawatt durch Wasserkraft pro Jahr erreichen sollen.Damit ist die ugandische Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen zu einem erheblichen Teil vom Wasser aus dem Viktoriasee abhängig. Obwohl das Land von allen drei Anrainerstaaten mit großem Abstand die meiste Energie aus Wasserkraft gewinnt, wird diese auch in Kenia wirtschaftlich verwendet. Das Land nutzt die Zuflüsse und das Wasser aus dem See jedoch zunehmend für seine steigende landwirtschaftliche Produktion.

Nicht zuletzt ist der Viktoriasee ein wichtiger Transportweg, da die Straßeninfrastruktur die einwohnerstärksten Städte am See und die industriellen Zentren nicht zufriedenstellend und zuverlässig miteinander verbindet. Der Großteil des Transports von Handelsgütern und Personen in der Region wird über das Wasser abgewickelt.

Abb. 1: Viktoriasee und Umgebung

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Quelle: Eigene Darstellung nach Natural Earth.

Die zahlreichen Probleme des Viktoriasees

Es gibt vielfältige Ursachen dafür, dass das Ökosystem des Sees und damit die Lebensgrundlage seiner Anrainer unter Druck geraten sind. Die Qualität des Wassers hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich verschlechtert, unter anderem weil die urbanen Infrastrukturen mit dem rasanten Bevölkerungswachstum nicht mithalten konnten. Insbesondere eine adäquate Abwasserentsorgung stellt eine enorme Herausforderung dar, weshalb noch immer große Mengen Abwasser ungereinigt in den See geleitet werden.

Eine Folge des ungeklärten Abwassers stellt die Ausbreitung der Wasserhyazinthe dar. Obwohl bis heute unklar ist, wie sie in den Viktoriasee gelangt ist, hat sie sich in den letzten knapp 30 Jahren zu einem massiven Problem entwickelt. 1988 wurde die Pflanze zum ersten Mal im ugandischen Teil des Sees entdeckt und breitete sich seitdem in mehreren Wellen massiv aus. Ihr Wachstum wird durch das Düngen und die eingeleiteten Abwässer der Landwirtschaft stark begünstigt. Die Wasserhyazinthe bedeckt die Seeoberfläche und nimmt dem Wasser Licht und Sauerstoff. Neben der Fischerei behindert ihre Ausbreitung auch den Schiffsverkehr und die Energiegewinnung aus Wasserkraft. Die aus der ersten grenzübergreifenden Verbreitung im Jahr 1997 resultierenden wirtschaftlichen Einbußen hatte die Weltbank 2000 auf bis zu zehn Millionen US-Dollar beziffert. Die Pflanze breitete sich so stark aus, dass zum Beispiel der Handel des vom Wasser her kaum noch zu erreichenden Hafens im kenianischen Kisumu im genannten Jahr um 70 Prozent einbrach.

Sowohl die direkte als auch die indirekte Verschmutzung stellen das größte Problem für den Viktoriasee dar. Industrieanlagen leiten Abwässer ein, die in der Regel nur unzureichend geklärt werden. Besonders in den größeren urbanen Zentren in Tansania ist dies bis heute der Fall. Neben den Abwässern aus der Industrie verschärfen die Abwässer aus Privathaushalten und der Viehzucht die Situation weiter. Bis zu 80 Prozent des in den See gelangten Phosphors stammen aus ungeklärten oder unzureichend gereinigten Abwässern. Obwohl es in den letzten Jahren Anstrengungen gegeben hat, die Menge an ungeklärtem Abwasser zu reduzieren, sind die vorhandenen Anlagen nicht ansatzweise ausreichend, um die fortschreitende Verschmutzung des Wassers aufzuhalten. Zudem fehlen belastbare Daten, die das Problem so beschreiben, dass daraus die Anzahl fehlender Kläranlagen ersichtlich werden würde. Die Wasserverschmutzung birgt darüber hinaus gravierende Gesundheitsrisiken für die Menschen im Einflussbereich des Viktoriasees. Bis zu 70 Prozent der Bevölkerung nutzen das Seewasser ungefiltert entweder direkt als Trinkwasser oder für Ackerbau bzw. Viehzucht.

Abwässer aus der Landwirtschaft sind mit rund 75 Prozent die Hauptquelle für die wachsende Nährstoffbelastung des Gewässers. Abwässer aus der regionalen Landwirtschaft werden so gut wie nicht geklärt. Obwohl der Einsatz von Düngemitteln noch relativ gering ausfällt, haben die Vereinten Nationen bereits vor mehr als zehn Jahren festgestellt, dass die wachsende Professionalisierung der Anbaumethoden von Kaffee, Baumwolle, Reis, Zucker und Tabak zu einer Zunahme von Düngemitteln und anderen chemischen Stoffen im Wasser führt. Auch die aus falscher Nutzung des Bodens, Abholzung und Trockenlegung von Feuchtgebieten resultierende Bodenerosion hat die Nährstoffbelastung des Sees durch eingeschwemmte Sedimente erhöht. Folge dieser Übersättigung mit Nährstoffen ist, dass die Belastung des Wassers durch Algen inzwischen fünf Mal höher ist als in den 1960er Jahren. Augenfälligster Beleg dafür ist der Umstand, dass die Sichtweite im Wasser heute nur noch höchstens einen Meter beträgt. In den 1930er Jahren lag sie noch bei fünf Metern.

Darüber hinaus haben Gewässer in tropischen Klimazonen grundsätzlich einen geringeren Sauerstoffgrad als solche in gemäßigten Breiten und sind daher anfälliger gegenüber der Verschmutzung durch einen zu hohen Nährstoffgehalt. Feuchtgebiete, die es früher an vielen Stellen des Viktoriasees gab, konnten dem entgegenwirken, indem sie die Nährstoffe und Sedimente banden und somit als wichtige Filter fungierten. Mit der Zunahme der Landwirtschaft, dem Wachstum von Siedlungen, sinkenden Wasserständen und der Umwandlung der Feuchtgebiete in nutzbare Flächen kann dieses Filtersystem seine Aufgabe in einem immer geringeren Maße erfüllen. Gleichzeitig nimmt die Belastung durch Nährstoffe stetig zu. Wird diese Entwicklung nicht umgekehrt, verschärft sich das Problem der Nährstoffübersättigung im See in Zukunft weiter.

Die zunehmende Überdüngung mit Nährstoffen stellt auch eine Gefahr für die Ernährungssicherheit dar. Die Nährstoffübersättigung führt zu einer Veränderung der Fischbestände. Für die Menschen rund um den Viktoriasee ist der heimische Fisch eine essenzielle Proteinquelle. Veränderungen der Fangmengen und der Qualität des Fisches wirken sich somit direkt auf die Ernährungssicherheit der Menschen vor Ort und in der Folge auch auf deren Gesundheit aus.

Unter den zahlreichen Problemen ist weiterhin die zunehmende Bodenerosion zu nennen. Schätzungen hinsichtlich deren Ausmaßes schwanken teils erheblich, was wiederum dem Mangel an belastbaren empirischen Daten geschuldet ist. Dennoch gibt selbst die vorsichtigste Schätzung an, dass rund 20 Millionen Tonnen fruchtbarer Erde pro Jahr von der Bodenerosion betroffen sein sollen. Diese Situation hat sich aktuell nicht verbessert. Um die steigenden Bedürfnisse der wachsenden Bevölkerung zu stillen, wird kontinuierlich und in allen drei Anrainerstaaten neues Land erschlossen. Die Folge dieser Entwicklung ist ein weiter wachsender Druck auf das Ökosystem des Sees.

Hinsichtlich der Bedrohungen für die Umwelt in der Region muss zudem erwähnt werden, dass es insbesondere auf der tansanischen Seite des Viktoriasees erhebliche Rohstoffvorkommen gibt. Tansania ist einer der wichtigsten afrikanischen Exporteure von Gold, und der Abbau hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Neben den Minen internationaler Bergbauunternehmen gibt es auch viele kleine Unternehmen, die Gold in direkter Nachbarschaft zum Viktoriasee fördern. Viele Minen verfügen nicht über Umweltstandards, die eine schleichende Verschmutzung des Grundwassers ausschließen würden. Zwar ist der Umfang der Wasserverschmutzung durch die Gewinnung von Rohstoffen bislang nur verhältnismäßig gering, ein negativer Einfluss auf das Ökosystem ist aber nachweisbar.

Ein weiteres gravierendes Problem ist der sinkende Wasserstand des Sees. Seit 2002 ist dieser im Durchschnitt um mehr als zwei Meter zurückgegangen. Die Auswirkungen dieser Entwicklung für die Wasserqualität und die Fauna sind schwerwiegend. Sinkende Pegel verschärfen die Konzentration der Nährstoffbelastung und Verschmutzung. Viele Fischarten benötigen die geschützten Feuchtgebiete an den Ufern des Sees zum Laichen. Der Rückgang des Sees hat zudem dazu geführt, dass Fische die vorher zugänglichen Brutstätten von Mückenlarven nicht mehr erreichen können, um deren Population zu kontrollieren. Das hat zu einer Vermehrung dieser Insekten und zu einer Zunahme der Malariainfektionen geführt.

Darüber hinaus hat das Problem sinkender Wasserstände negative Folgen für das tägliche Leben der Menschen am See und ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten. So musste die Wasserversorgung von Mwanza, der größten Anrainerstadt auf tansanischer Seite, zeitweilig eingeschränkt werden, da eines von drei Wasserwerken nicht mehr ausreichend Wasser aus dem See pumpen konnte. Gleichzeitig sind auch Handelswege betroffen, da Schiffe nicht mehr in alle Häfen einlaufen bzw. diese nur mit einer verringerten Ladung anfahren können.

Zur Erklärung der sinkenden Wasserstände des Viktoriasees weisen die meisten Studien auf den Zusammenhang zwischen niedrigeren Niederschlagsmengen, höheren Temperaturen und einer stärkeren Verdunstung des Wassers sowie Veränderungen bei den in den See mündenden Flüssen hin. Die Wasserstände der meisten Binnengewässer sind zu großen Teilen abhängig von der Menge an Wasser, das in sie hinein- und aus ihnen herausfließt. Beim Viktoriasee ist dies nicht der Fall. Zuflüsse sind nur für rund 15 Prozent des Pegelstands verantwortlich, über 80 Prozent des Wassers im See stammen hingegen aus Niederschlägen. Dies macht die Pegelstände sehr anfällig für wechselnde Regenmengen bzw. ausbleibenden Niederschlag. Uneins sind die Studien jedoch in der Frage, inwieweit die Niederschläge in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen sind und wie groß der Einfluss des ausbleibenden Regens auf die Wasserpegel konkret ist. Ähnlich uneinig sind sich die Experten darüber, ob, und wenn ja, in welcher Höhe die Temperaturen in der Region angestiegen sind. Während die EAC zu dem Schluss kommt, dass in der Zeit von 1960 bis 1990 die Durchschnittstemperatur am See um bis zu ein Grad Celsius gestiegen ist, können neuere Studien keine weitere Erhöhung feststellen. Hier wird der eklatante Mangel an belastbaren Daten und Studien für die Region nochmals deutlich, was allgemein akzeptierte Schlussfolgerungen auf der Basis von empirischen und wissenschaftlich ausgewerteten Daten erschwert.

Meteorologische Faktoren allein können jedoch nicht für die sinkenden Pegelstände verantwortlich sein. So hat die Global Environment Facility (GEF) 2008 festgestellt, dass der sinkende Wasserstand zumindest teilweise auf eine zu hohe Menge an abgelassenem Wasser zurückzuführen sei. Seit der Fertigstellung des ersten Wasserkraftwerkes in Uganda Mitte der 1950er Jahre gibt es nur noch einen kontrollierten Abfluss aus dem Viktoriasee. Da die Wasserversorgung Ägyptens ausschließlich vom konstanten Pegel des Nils abhängig ist, schlossen das nordafrikanische Land und Uganda 1954 nach dem Bau des ersten Wasserkraftwerkes ein Abkommen, das als Agreed Curve bekannt geworden ist. Es legt fest, dass die natürlichen Gegebenheiten des Viktoriasees Vorrang vor der Gewinnung von Energie haben sollen. Somit erlaubt das Abkommen Uganda die Stromerzeugung aus Wasserkraft unter der Voraussetzung, dass der Wasserstand im See seine natürliche Balance behält. In der Praxis hat dieses Abkommen bis zum Beginn der 2000er Jahre auch funktioniert, jedoch gibt es in letzter Zeit immer mehr Zweifel, ob sich Uganda noch daran hält. So liegen für die Zeit zwischen den Jahren 2000 und 2006 ausreichend empirische Daten vor, die zeigen, dass der Wasserstand durch Niederschläge konstant hätte bleiben müssen.

Besonders schwerwiegend für Mensch und Umwelt wirkt sich der sinkende Wasserstand aus.

Die Nichteinhaltung der Agreed Curve durch Uganda wäre eine mögliche Erklärung dafür, dass der Wasserpegel des Viktoriasees gesunken ist. Zwar wurde und wird dem von ugandischer Seite widersprochen, der kontinuierlich steigende Bedarf an Strom im Land und der stetige Ausbau der Wasserkraftwerke legen jedoch die Vermutung nahe, dass die Notwendigkeit, Strom zu produzieren, in Uganda größer ist, als der Rahmen der Agreed Curve vorgibt. Auch die wenigen vorhandenen Daten und Studien deuten darauf hin, dass ein Zusammenhang zwischen dem mengenmäßig über der Vereinbarung liegenden Ablass von Wasser und den sinkenden Pegeln im Viktoriasee besteht.

Hohes Bevölkerungswachstum rund um den See

Sind die genannten Probleme allein schon schwerwiegend genug, um die negativen Entwicklungen zu verstärken, wirkt das anhaltend hohe Bevölkerungswachstum in der Region zusätzlich verschärfend. Mit einem konstanten Wachstum von drei bis vier Prozent in den ländlichen und fünf bis zehn Prozent in den urbanen Regionen ist zu erwarten, dass sich die Bevölkerung rund um den See im Zeitraum von 2006 bis 2020 verdoppelt. Dies gilt für Kenia, Tansania und Uganda gleichermaßen, denn obwohl sich deren Wachstumsraten jeweils leicht unterscheiden, liegt das Wachstum rund um den Viktoriasee in allen drei Staaten doppelt so hoch wie im sonstigen Landesdurchschnitt.

Trotz der hohen Zuwachsraten in den urbanen Zentren bleibt der Großteil der Bevölkerung weiter abhängig von Landwirtschaft und Fischerei. Die relative Armut der Menschen, die von der Landwirtschaft leben, macht diese einerseits abhängig vom Wasser des Sees, fungiert andererseits aber auch als eine Art Katalysator für die genannten Umweltprobleme.

Das massive Wachstum der urbanen und ländlichen Bevölkerung setzt die drei Anrainerstaaten unter erheblichen Druck. Allein die Bereitstellung einer Grundversorgung bringt sie an ihre Kapazitätsgrenzen. Dabei sehen sich die Länder oft genug gezwungen, langfristige Lösungen für eine nachhaltige Ressourcennutzung gegen kurzfristige wirtschaftliche Gewinne einzutauschen. Durch die Priorisierung der Energiegewinnung durch Wasserkraft und die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen ist das ohnehin schon unter hohem Druck stehende natürliche Gleichgewicht am Viktoriasee in den letzten Jahren noch stärker ins Wanken geraten. Wird diese Entwicklung nicht bald gestoppt, wird dies langfristig zu einem Mangel an nutzbarem Wasser führen.

Multilaterale Lösungsansätze

Als überregionale Organisation hat die EAC ein besonderes Interesse daran, multilaterale Ansätze zu entwickeln, die alle Mitgliedsländer einbeziehen und zu einer Lösung der beschriebenen Probleme beitragen können. Zentraler Bestandteil der Strategie der EAC ist das sogenannte Lake Victoria Environmental Management Project (LVEMP). Darin sind die mit den relevanten Themen befassten Regierungsstellen in den einzelnen Ländern zum ersten Mal unter einem Dach vereint und die Stellen aus Kenia, Tansania und Uganda erstmals zusammengeführt. Ziel des 1992 etablierten Projekts war, eine Vision für die nachhaltige Bewirtschaftung des Seebassins zu erarbeiten sowie kompatible und individuelle Lösungen für die vorhandenen Probleme zu finden.

Die wichtigsten Projekte des LVEMP umfassten den Aufbau einer Datenbank für die Fischerei durch die Mitgliedstaaten, die Einrichtung dreier Labore zur Qualitätsprüfung der gefangenen Fische, die Eindämmung der Verbreitung der Wasserhyazinthe um 85 Prozent, die Überwachung der Wasserqualität, Wiederaufforstungen sowie den Erhalt der Feuchtgebiete. Zudem hat das Projekt die erste belastbare Datenbank zur Überwachung und Nachverfolgung der Wasserqualität des Viktoriasees etabliert und die Ertüchtigung von Kläranlagen veranlasst.

Die multilateralen Lösungsansätze sind in Teilen erfolgreich, reichen aber bei Weitem nicht aus.

Die erste Phase des LVEMP wurde nach neun Jahren Laufzeit im Dezember 2005 abgeschlossen. Da die EAC und ihre nunmehr fünf Mitgliedstaaten die Notwendigkeit der weiteren Harmonisierung nationaler und regionaler Umweltpolitik und verstärkter Kooperation anerkannten, konnte – mit der Unterstützung internationaler Geber – die zweite Phase des Projekts im August 2009 beginnen. Das bis Ende 2017 laufende Projekt konzentriert sich auf drei Kernbereiche: Erstens sollte eine multilaterale Vereinbarung zur nachhaltigen Nutzung der Ressource Wasser und der Fischerei im Viktoriasee erarbeitet werden. Zweitens sollte die Verschmutzung des Sees durch industrielle und aus der Landwirtschaft kommende Abwässer eingedämmt und gleichzeitig in den urbanen Zentren ein funktionierendes Netz an Kläranlagen aufgebaut werden. Drittens sollten die lokale Bevölkerung sowie die kommunale Ebene der Verwaltung sensibilisiert und über die Lösungsansätze für die vorhandenen Probleme informiert werden.

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Quelle: © Alec Jacobson.

Die erste Phase des LVEMP kann insofern als Erfolg gewertet werden, als die nationalen Anstrengungen der Anrainerstaaten Kenia, Tansania und Uganda erstmals unter einem Dach gebündelt und gemeinsame Lösungen für Probleme erarbeitet wurden, die die Länder alleine nicht bewältigen können. Durch das Projekt konnten die grenzübergreifende Bekämpfung der Wasserhyazinthe durchgeführt und die ersten Studien zum Fischfang im See erstellt werden. Damit konnte einem sehr großen Teil der im Einzugsbereich des Sees lebenden Menschen direkt geholfen werden. Als Erfolge der zweiten Phase des LVEMP können der Rückgang der Bodenerosion und der Nährstoffzufuhr aus dem wichtigsten Zufluss des Sees, der Schutz einiger Feuchtgebiete und eine Sensibilisierung von Teilen der lokalen Bevölkerung genannt werden.

Allerdings haben sich im Verlauf der Projektphasen auch die beiden größten Defizite des LVEMP deutlich gezeigt. Erstens kommen die beteiligten Länder nicht zu einer Einigung, wenn sie sich in einer Konkurrenzsituation befinden oder reklamieren, nur ihre eigenen Interessen wären betroffen. Besonders deutlich wird dies anhand der beiden geschilderten Probleme der sinkenden Wasserstände und der Überfischung, die weder in der ersten noch in der zweiten Phase des Projekts in die Agenda aufgenommen wurden. Zweitens stehen die Anstrengungen des LVEMP in keinem Verhältnis zur Größe der vorhandenen Probleme. Die Nichtbehandlung der beiden genannten Defizite hat direkte Auswirkungen auf die künftige Entwicklung der Region. Ohne eine Lösung steigt die Gefahr, dass die Menschen am Viktoriasee dessen Wasser nicht mehr nutzen können. Zwar haben die beteiligten Länder in den vergangenen Jahren bilateral und auch im Rahmen der EAC vielfach über beide Punkte gesprochen, aber eine Einigung – von einer Umsetzung und spürbaren Verbesserung der Situation ganz zu schweigen – wurde nicht erzielt.

Nationale Lösungsansätze

Neben den überregionalen Bemühungen verfolgt jeder der drei Anrainerstaaten eine Reihe nationaler Lösungsansätze. Was den Umweltschutz in und um den See anbelangt, spielt in Kenia die National Environment Management Authority (NEMA) eine entscheidende Rolle. NEMA führt – neben den nationalen Umsetzungen im Rahmen des LVEMP – ein Programm zur Rehabilitierung der in den See mündenden Flüsse durch, die für gut 38 Prozent des insgesamt zufließenden Wassers zuständig sind. Dafür werden Schutzzonen an den Ufern der Flüsse eingerichtet und die Renaturierung von Feuchtgebieten betrieben. Ein besonderer Fokus wird zudem auf den Ausbau lokaler Lösungen zur Reinigung von Abwässern gelegt. Des Weiteren arbeitet NEMA im Bereich der Vermeidung und der sachgemäßen Entsorgung von Müll. Zuletzt versucht sie, die lokale Bevölkerung für die Probleme zu sensibilisieren, und hat regionale Umweltkomitees eingerichtet, die ein Mitspracherecht bei Umweltfragen haben.

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Quelle: © Alec Jacobson.

In Tansania gibt es erst seit dem Jahr 2004 ein einheitliches Umweltschutzgesetz. Jedoch wird dieses – gerade was den Fischfang, die Landwirtschaft und den Rohstoffabbau angeht –wenig beachtet. Auch politisch hat Umweltschutz nur eine geringe Bedeutung, da entsprechende Regularien oft als Hindernis für die Entwicklung des Landes angesehen werden. Tansania verliert jedes Jahr rund 300.000 Hektar Wald für die Gewinnung neuer landwirtschaftlicher Flächen, da Holz oder daraus gewonnene Holzkohle für die Nahrungszubereitung in Privathaushalten immer stärker nachgefragt werden. Auch die Region um den Viktoriasee ist davon betroffen. Die wenigen Bemühungen zum Umweltschutz werden fast ausschließlich im Rahmen des LVEMP durchgeführt. Sie konzentrieren sich auf die Rehabilitierung des wichtigsten Zuflusses zum See, des Mara. An seinem Ufer wurde ein Schutzkorridor von 60 Metern eingerichtet, in dem keine Landwirtschaft mehr betrieben werden darf. Eine ganzheitliche Umweltpolitik oder eine nationale Initiative zum nachhaltigen Fischfang auf tansanischer Seite gibt es aber bis heute nicht.

Der Großteil der ugandischen Anstrengungen zum Umweltschutz im Bereich des Viktoriasees orientiert sich an den Projekten aus dem LVEMP oder ergänzt diese. Neben den Bemühungen im Bereich der Harmonisierung lokaler Standards und Bestimmungen bildet die sachgemäße Müllentsorgung in den urbanen Uferregionen einen Schwerpunkt. Gleichzeitig wird an einer Verbesserung der Abwasserklärung gearbeitet und werden der Bevölkerung nachhaltige und umweltschonende Möglichkeiten der Einkommensgewinnung aufgezeigt. Dafür werden Aufklärungskampagnen in ländlichen Gebieten und in Schulen durchgeführt. Schließlich gibt es auch Projekte zur Wiederaufforstung, um der fortschreitenden Bodenerosion entgegenzuwirken.

Insgesamt ist das politische Verständnis für die Größe und Dringlichkeit der bestehenden Probleme in allen drei Anrainerstaaten nur sehr gering ausgeprägt. Umweltpolitik hat keine Priorität, dementsprechend gering ist die finanzielle Ausstattung. Auch im politischen Diskurs zwischen Regierung und Opposition spielt das Thema keine nennenswerte Rolle. Es sind daher vornehmlich internationale Geber, aber auch immer mehr nationale NGOs, die sich des Themas annehmen und zumindest auf der lokalen Ebene Änderungen einfordern und auch erreichen.

Fazit

Die genannten Herausforderungen am Viktoriasee sind vielfältig, komplex und miteinander verknüpft. Sinkende Wasserqualität und Pegelstände, zunehmende Nährstoffbelastungen und Verschmutzung, schrumpfende Feuchtgebiete, eine rückläufige Biodiversität und die Ausbreitung der Wasserhyazinthe ergeben eine Reihe von Bedrohungen für das Ökosystem des Sees und die Gesundheit von derzeit 30 Millionen Menschen, die von seinem Wasser und den Ressourcen abhängig sind. Das schnelle Bevölkerungswachstum erschwert zusätzlich eine langfristige Einschätzung hinsichtlich der Zukunft der Region.

Eine langfristige Problembewältigung erfordert eine engere Zusammenarbeit zwischen Kenia, Tansania und Uganda.

Für eine langfristige und nachhaltige Problembewältigung müssten Kenia, Tansania und Uganda erstens ihre nationalen Anstrengungen in der Umweltpolitik – auch in finanzieller Hinsicht – erheblich verstärken und zweitens enger zusammenarbeiten, um wirksame Lösungen zu entwickeln. Die LVEMP-Programme der EAC haben zwar Fortschritte bei der Bekämpfung der Wasserhyazinthe und der Erstellung von Basisdaten erbracht, Erfolge sind allerdings nur in den Bereichen erzielt worden, in denen die drei Länder überlappende Interessen haben. Zudem sind politisch sensible Themen nicht angesprochen worden. Vor allem im Hinblick auf die durch den sinkenden Wasserstand und die Überfischung entstandenen Probleme hat sich gezeigt, dass eine wirksame multilaterale Zusammenarbeit zum Schutz der Ressource Wasser nicht möglich ist. Des Weiteren fehlen adäquate nationale Anstrengungen.

Im ungünstigsten Fall kann ein Versagen bei der Bewältigung der beschriebenen Herausforderungen dazu führen, dass sinkende Pegel die Umweltverschmutzung am See verschärfen, die Versorgungsunsicherheit in Bezug auf sauberes Wasser weiter zunimmt und die Wirtschaft darunter leidet. Langfristig könnte ein Mangel der Ressource Wasser zu einer massenhaften Migration und zu Konflikten der dann schätzungsweise 60 Millionen Menschen in der Region führen. Im günstigsten Fall entwickelt sich auf der Grundlage der erfolgreichen Projekte des LVEMP eine bessere Zusammenarbeit der drei Anrainerstaaten, die in einer ab 2018 noch einzurichtenden dritten Phase des Programms oder im Rahmen der EAC die entscheidenden Punkte auf die Tagesordnung setzen und nachhaltige Lösungsvorschläge umsetzen könnten. Das würde die Fähigkeit dieser Länder unter Beweis stellen, langfristig die Sicherung der Lebensgrundlage ihrer Bevölkerung und den Schutz der Umwelt in der gesamten Region vor kurzfristiges wirtschaftliches Interesse zu stellen. Derzeit sieht es jedoch nicht danach aus, dass für den Schutz der Ressource Wasser am Viktoriasee ausreichend Anstrengungen unternommen würden.

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Daniel El-Noshokaty ist Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tansania.

Die Bilder zu diesem Beitrag sind Teil des Projekts End of Frenzy des Fotografen Alec Jacobson. Sie zeigen den schwierigen Alltag der Fischer am Viktoriasee. Die gesamte Fotostrecke findet sich unter: http://alecjacobsonphoto.com und http://instagr.am/alec_jacobson.

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