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Jakub Orzechowski, Agencja Wyborcza.pl via Reuters

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Leuchtfeuer am Ende des Tunnels

Überlegungen zur Europapolitik aus christdemokratischer Perspektive

Ob beim Welthandel, der Wahrung unserer Sicherheit oder bei der Verteidigung unserer demokratischen Werte im globalen Wettbewerb mit autoritären Mächten – überall gilt: Nur gemein­sam können wir Europäer uns behaupten. Aber damit sich die EU auf diese zentralen Aufgaben konzentrieren kann, braucht es Mut zur Lücke. Die Europäische Union kann nicht jedes vermeintlich wünschenswerte Anliegen auf ihre Agenda heben und auch nicht jeden Staat, der ihr beitreten will, aufnehmen. Hier könnte der spezifisch christdemokratische Beitrag zu einer erfolgreichen Europapolitik liegen.

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Noch flackert es, das Licht am Ende des Tunnels, das Licht mit Namen Europa. Aber: Unser Lebensstil ist herausgefordert durch den russischen Krieg gegen die Ukraine, den Klimawandel, die globale Systemrivalität und den Wettbewerb um Märkte, Technologien und Rohstoffe. Nur mit in der Europäischen Union gebündelten Kräften können wir uns dieser Bedrohungen erwehren und im Wettbewerb bestehen. So wie Konrad Adenauer (West-)Deutschland in (West-)Europa einbettete, um Frieden, Freiheit und Wohlstand erreichen zu können, tat dies Helmut Kohl, der damit die Einheit Deutschlands und Europas, zumindest in weiten Teilen, erreichen konnte. Angela Merkel leistete 16 Jahre einen wesentlichen Beitrag zum Zusammenhalt dieser EU. Heute ist die Christdemokratie gefragt, ein aktuelles Leitbild für eine starke Europäische Union zur Erreichung unserer Ziele zu entwickeln.

Ein solches Leitbild muss mit der Vergewisserung darüber beginnen, wozu wir die Europäische Union eigentlich brauchen. In einem zweiten Schritt sind christdemokratische Leitplanken für den Weg zur Erreichung dieser Ziele zu markieren, also das „Wie“.

 

Wozu eigentlich „Europa“?

Wozu eine starke EU? Europas Gewicht in der Welt hat seit Jahrzehnten in Politik, Wirtschaftskraft, Bevölkerung und letztlich Macht deutlich abgenommen. Die Entwicklung ist nicht gestoppt, sodass wir den Zusammenschluss mehr denn je brauchen. Das gilt für den Handel, bei dem die EU schon seit 2009 die Kompetenz für die globalen Handelsverträge hat und mit Mehrheit statt Einstimmigkeit entscheidet. Hier ist die EU einflussreich und setzt als wirtschaftsstarker Binnenmarkt globale Standards, von denen europäische Unternehmen, Arbeitnehmer sowie Verbraucher profitieren. Nur im Verbund können wir globale und effektive Regelungen zur Bremsung des Klimawandels erreichen, die unsere Unternehmen im globalen Wettbewerb nicht benachteiligen. Im Zusammenschluss zu einer breiten und tiefen Forschungs- und Innovationslandschaft kann Europa – innerhalb und außerhalb der EU – mit seinen teilweise kleinen Nationalstaaten seine kreativen Potenziale viel besser entwickeln. Es verdankte seinen Aufstieg in der Welt gerade seiner Vielfalt und der daraus folgenden Wettbewerbsfähigkeit. So können wir die globalen Standards in Wirtschaft und Technologie prägen – eine wichtige Voraussetzung unseres Wohlstands.

Nur gemeinsam können wir für unsere Sicherheit in dieser Zeit mit Krieg in Europa einstehen. Die aktuellen Reden Putins und anderer politischer wie intellektueller Führer Russlands lassen keinen Zweifel zu: Die aggressive Bedrohung durch dieses Regime, dem weder Grenzen noch Menschenleben heilig sind, ist nicht auf die Krim oder die Ostukraine beschränkt. Gleichzeitig ist – unabhängig von möglichen Wahlausgängen in den USA – schon länger klar, dass die Vereinigten Staaten den Frieden, die Freiheit und die Sicherheit Europas nicht mehr garantieren werden. Es braucht also auch hier gemeinsame Anstrengungen, um effizient und effektiv mögliche Gegner abzuschrecken und im Notfall Angreifer abzuwehren.

Und schließlich wird in der globalen Systemrivalität zwischen freiheitlichen, pluralistischen, demokratischen Staaten und autoritären Staaten, allen voran China, Russland und Iran, nur die EU eine Rolle spielen. Damit können wir uns gegenseitig stärken und viel wirksamer in der Welt auftreten, an der Seite ebenso aufgestellter Staaten und derjenigen gesellschaftlichen Kräfte, die für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie mit sozialer Marktwirtschaft arbeiten. Die EU ist dabei so attraktiv, dass sie für Viele in ihrer Nachbarschaft und weit darüber hinaus ein Sehnsuchtsort bleibt. Das sollte uns Selbstvertrauen für die Auseinandersetzung mit aggressiven und offensiven Mächten geben. „Softpower“ ist auch „Power“ im Sinne von Macht und Einfluss.

 

Ansätze für die Christdemokratie

Wodurch könnte sich christdemokratische Politik zur Erreichung dieser Ziele auszeichnen? Zunächst durch Konzentration auf genau diese Ziele: Das bedeutet, die eigenen Kräfte nicht zu vergeuden und Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Die EU muss so funktionieren, dass die Ziele erreicht werden können. Ein Beispiel: Die Handlungsfähigkeit und Stärke der EU im Handel wird gerade ausgebremst, weil politische Kräfte – Nationalisten, Klima- und Umweltaktivisten wie Globalisierungsgegner – die Handelsverträge mit teilweise wichtigen, aber handelsfremden Fragen überfrachten, sodass sie entweder nicht unterzeichnet oder nicht ratifiziert werden. Das ist kein Beitrag zur Erreichung unserer Ziele. Natürlich sollte die EU – auch aus Eigeninteresse – auf die Anwendung oder Einführung hoher Standards in Partnerländern pochen, doch darf dies nicht zu einem Verlust der Partnerfähigkeit mit Demokratien wie Kanada oder den Staaten Südamerikas im Mercosur führen.

Der Zweck der EU-Handelspolitik ist nicht die Missionierung der Welt mit (manchmal nur vermeintlich) europäischen Anschauungen. Die Attraktivität des europäischen Modells hängt nicht nur von der eigenen normativen Strahlkraft ab, sondern auch davon, ob dieses Modell von außen als wirtschaftlich wettbewerbs- und anknüpfungsfähig wahrgenommen wird.

Stärke entsteht durch Kohärenz: Wenn alle EU-Mitglieder in die gleiche Richtung streben, werden sie stärker. Hier hat Deutschland eine Führungsrolle, die von den Partnern eingefordert wird. Führung heißt nicht Kommando, sondern die Einbeziehung und Einbindung der Interessen der Partner – gleich, ob groß oder klein –, um eine möglichst wirkungsvolle und nachhaltige Politik zu erzeugen. Für eine solche Führung reicht der Hinweis auf eigene Größe und Wirtschaftskraft nicht aus. Die Bereitschaft, die politischen und finanziellen Kosten von Führung zu übernehmen, gehört unabdingbar dazu. Das haben Konrad Adenauer, Helmut Kohl und Angela Merkel erfolgreich bewiesen.

Stärke entsteht durch Kompetenz: Mit einer gemeinsamen EU-Politik in vielen Themenfeldern schafft sie einen Mehrwert für ihre Mitgliedstaaten und deren Bürger. Da, wo sie das nicht schaffen kann, muss die Kompetenz bei den Mitgliedstaaten oder deren föderalen Einheiten wie den deutschen Bundesländern oder bei den Kommunen bleiben. Die EU selbst kann nur so gut, stark und einflussreich sein, wie es ihr die Mitgliedstaaten erlauben. Deshalb sollten wir nur das von der EU fordern, wofür wir ihr die formale und die materielle Kompetenz geben, also Rechte und Geld. Für unterschiedliche Aufgaben müssen unterschiedliche Rahmen möglich bleiben – wie Schengen für die Reisefreiheit mit 25 EU-Staaten und vier Nicht-EU-Staaten oder die Währung Euro mit 19 EU-Staaten. Für die Außen- und Sicherheitspolitik könnte ein Europäischer Sicherheitsrat die europäische Position stärken, Handlungsfähigkeit verbessern und Großbritannien wieder enger an uns binden. Dazu müsste er Kompetenzen von den Mitgliedstaaten erhalten und Mechanismen vorsehen, die die unterschiedlichen Interessen gerade kleinerer Länder berücksichtigen, gerade wenn aus Rücksicht auf die Handlungsfähigkeit nicht alle 27 Staaten Sitz und Stimme haben können.

Wenn wir die Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB) kritisieren, dann müssen wir Vorschläge entwickeln, wie das offenkundig vorhandene Vakuum einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik geschlossen und die EZB auf ihr eigentliches Mandat beschränkt werden kann.

Stärke nach außen kommt von innerer Stärke. Wenn die wesentlichen Grundlagen für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit innerhalb der EU in Frage gestellt werden, untergräbt dies die innere Stärke. Deshalb müssen diese in den EU-Verträgen verankerten Prinzipien – bei allen nationalen Besonderheiten – innerhalb der EU durchgesetzt werden. Bedenken gegen zu viel Dirigismus aus Brüssel muss hingegen durch mehr Partizipation begegnet werden. So wichtig der deutsch-französische Motor in der Vergangenheit war, so deutlich ist doch für die EU der 2020er-Jahre, dass Motor und Lenkung nicht nur von zwei westeuropäischen Gründungsmitgliedern der EU kommen können und dürfen!

Nicht erst mit dem Beitrittsantrag der Ukraine und der Republik Moldau zur EU sind die Fragen nach den Beitrittsbedingungen und Aufnahmefähigkeiten auf die Tagesordnung gekommen. Dies ist zwar formal längst geklärt: Die 1993 beschlossenen „Kopenhagener Kriterien“ beschreiben die Anforderungen an Politik, Wirtschaft und Recht der Kandidaten sowie die Aufnahmefähigkeit der EU. Aber politisch ist schon im Falle der Türkei und später Rumäniens und Bulgariens dieser formale Rahmen nicht ausreichend gewesen. Der Türkei wurde 1999 der EU-Kandidatenstatus verliehen, 2005 wurden die Beitrittsverhandlungen aufgenommen, die bis heute weder abgeschlossen noch suspendiert sind – aus guten Gründen. Rumänien und Bulgarien wurden 2007 trotz massiver Bedenken vor allem bei der Rechtsstaatlichkeit und der Korruptionsbekämpfung in die EU aufgenommen. Für die Christdemokratie könnte der Leitgedanke sein, den Beitritt zu fördern, der die EU stärkt. Länder, deren Beitritt die EU schwächt – sei es politisch (v.a. demokratische Rechtsstaatlichkeit), wirtschaftlich oder bei der Sicherheit – sollten nicht Vollmitglied der Europäischen Union werden. Gleichwohl könnte eine Assoziierung zu einer der vorhandenen Gemeinschaften ein Weg der Annäherung sein, der beiden Seiten eine Perspektive gibt. Letztlich ist der klare und durch Reformen erkennbare politische Wille des Beitrittskandidaten entscheidend, die Kopenhagener Kriterien zu erfüllen. Klare Kommunikation muss Enttäuschungen, die zum Abdriften von europäischen Staaten hin zu autoritären Mächten führen können, ebenso vermeiden wie eigentlich ungewollte und schlechte Aufnahmeentscheidungen, die getroffen werden, weil der politische wie öffentliche Druck stärker als das Interesse der EU und ihrer Mitgliedstaaten geworden ist. Für geopolitische Herausforderungen in der EU-Nachbarschaft müssen dann andere Antworten als der EU-Beitritt gefunden werden.

Mit dem Leitbild einer starken, weil konzentrierten, kompetenten und kohärenten Europäischen Union ließe sich auch das Leuchtfeuer der europäischen Idee, das zwischenzeitlich zu einem Flackern geworden ist, neu entfachen – ein Leuchtfeuer, das gerade heute nötiger ist als je zuvor. Damit könnte die Christdemokratie die Bürgerinnen und Bürger gewinnen und in Deutschland sowie der EU in unserem gemeinsamen Interesse kämpfen. Das brauchen Deutschland und Europa!

 


 

Dr. Peter Fischer-Bollin ist Leiter der Hauptabteilung Analyse und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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