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Issei Kato, Reuters

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Parlamente in der ­Pandemie

Adäquat beteiligt oder von der Exekutive verdrängt? Beobachtungen aus dem asiatisch-pazifischen Raum

Anhand einer Auswahl von neun Ländern aus dem asiatisch-pazifischen Raum geht dieser Beitrag der Frage nach, ob es im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Eindämmung der Corona­pandemie zu Machtverschiebungen im System der staatlichen Gewaltenteilung zu Lasten der Parlamente gekommen ist oder ob die Volksvertretungen ihrer konstitutionellen Rolle entsprechend an den politischen Entscheidungen beteiligt wurden.

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Seit mehr als eineinhalb Jahren beeinflusst die SARS-CoV-2-Pandemie das Leben in fast allen Ländern der Erde. Weltweit haben Regierungen Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung von Infektionen zu verhindern. Einige dieser Maßnahmen wie (Ein-)Reisebeschränkungen, Verbote öffentlicher Versammlungen oder Ausgangssperren lösten intensive Auseinandersetzungen aus, weil sie auf Einschränkungen von bürgerlichen Grund- und politischen Freiheitsrechten hinausliefen, wie sie in zahlreichen Verfassungen niedergelegt sind.

Mit Blick auf Parlamente als wichtigste Institution der repräsentativen Demokratie wurde zunächst gefragt, ob Parlamentsfunktionen und parlamentarische Abläufe von der Pandemie betroffen waren. Dabei wurden auch Befürchtungen geäußert, dass zumindest einige Regierungen die Coronapandemie zum Anlass nehmen könnten, Grundrechte einzuschränken oder aber das System der staatlichen Gewaltenteilung zu ihren Gunsten zu verändern. Krisen gelten zwar gemeinhin als „Momente der Exekutive“, weil sie über die erforderlichen Ressourcen zur Krisenbewältigung verfügt und die Öffentlichkeit von Regierungen zu Recht erwartet, dass sie Probleme lösen. Dennoch stand seit Beginn der Pandemie weltweit die Sorge im Raum, die Exekutive mancher Länder könnte die Pandemie dazu missbrauchen, eigene Befugnisse auf Kosten des Parlaments und anderer Verfassungsorgane auszuweiten.

 

Machtverschiebungen zu Lasten der Parlamente?

Die Abteilung Asien und Pazifik der Konrad-Adenauer-Stiftung hat diese Diskussionen zum Anlass genommen, um in ihrer Projektregion zu untersuchen, ob sich im Zuge der Pandemiebekämpfung Machtverschiebungen zu Lasten der Parlamente beobachten lassen oder ob die Volksvertretungen ihrer politischen Bedeutung und verfassungsmäßigen Rolle gemäß an den Entscheidungen beteiligt wurden. Dazu haben wir neun Länder ausgewählt und Rechtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler auf der Grundlage eines Fragenkatalogs gebeten, die gesetzlichen Grundlagen der Pandemiebekämpfung, ihr Zustandekommen beziehungsweise ihre Anpassungen, die Kompetenzverteilung zwischen nationalen und gegebenenfalls regionalen Exekutiven zum einen und die zwischen Exekutive und Legislative auf nationaler Ebene zum anderen und schließlich die Beteiligung der jeweiligen Parlamente in ihren Ländern zu analysieren.

Die ausgewählten Länder unterscheiden sich nach mehreren Kriterien, unter anderem nach Staatsorganisation oder Regierungssystem. Am wichtigsten aber erschien uns der Konsolidierungs- und Qualitätsgrad von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu sein. Mit Australien, Japan, der Mongolei, Neuseeland, Südkorea und Taiwan umfasst unsere Stichprobe sechs demokratisch voll entwickelte Länder. Zwar sind zwei der anderen Länder auch demokratisch verfasst, aber in den letzten Jahren hat es Unregelmäßigkeiten hinsichtlich demokratischer und rechtsstaatlicher Grundsätze gegeben, sodass diese Länder in der internationalen Rangfolge der Demokratien entweder stagnierten oder geringfügig abrutschten. In unserer Stichprobe gilt das für Indien und Indonesien. Ein Land gehört zu den demokratisch nicht konsolidierten Übergangsländern, in denen Verstöße gegen demokratische Grundsätze und gelegentlich auch autoritäre Züge wiederholt beobachtet werden können. Hier gilt dies für die Philippinen.

 

Gesetzliche Grundlagen und Parlamentsbeteiligung in der Pandemie

In keinem der untersuchten Länder ist eine Regierung bei der Bekämpfung der Coronapandemie ohne gesetzliche Grundlage vorgegangen. Überall gab und gibt es dem deutschen Infektionsschutzgesetz entsprechende Regelungen wie den Biosecurity Act in Australien, den Epidemic Diseases Act in Indien oder das Contagious Diseases Law in Indonesien und andere, ähnlich lautende Gesetze mit ähnlichen Zielstellungen, nämlich die Ausbreitung hoch ansteckender Krankheiten zu verhindern. Ähnlich sind auch die Verfahren, die durch die Gesetze in Bewegung gesetzt werden. In der Regel wurden einem Teil der Exekutive, meist dem Gesundheitsminister beziehungsweise ihm oder ihr unterstellten Behörden, außerordentliche Regelungsbefugnisse übertragen, um die Pandemie einzudämmen. Er oder sie wurde befugt, per Verordnung zeitlich befristete Maßnahmen wie Reise- und Kontaktbeschränkungen, Versammlungsverbote, Schließungen von Bereichen des öffentlichen Lebens und andere Schritte zu veranlassen. Das geschah meist in Form sogenannter Omnibusgesetze, die ein Bündel von Maßnahmen enthalten, die zum Einsatz kommen können, ohne dass jedes Mal neu darüber abgestimmt werden muss. Lediglich auf den Philippinen hat der Staatspräsident das Coronamanagement selbst in die Hand genommen und versucht, per Exekutiverlassen und Einrichtung einer ihm unterstellten, interministeriellen Steuerungsgruppe der Ausbreitung von COVID-19 Herr zu werden.

Zudem unterscheiden sich die Länder hinsichtlich der Frage, ob der allgemeine Notstand ausgerufen wurde – wie in Australien, Japan und auf den Philippinen geschehen – oder ob die Regierungen versucht haben, die Pandemie im Rahmen des „normalen“ Politikbetriebes einzudämmen. Unterschiedlich war auch die Dauer des Notstands sowie der außerordentlichen Regelungsbefugnisse und ob Pandemiegesetze neu erlassen oder alte zugrunde gelegt und gegebenenfalls an die Erfordernisse der COVID-19-Ausbreitung angepasst wurden. Unterschiedlich organisiert sind auch die Ebenen, die über Anticoronamaßnahmen entscheiden und sie umsetzen. Dass die Pandemiebekämpfung in den Einheitsstaaten grundsätzlich zentralisierter organisiert ist als in föderal organisierten Ländern, ist nicht weiter überraschend. Interessanter ist die Varianz zwischen den beiden föderal organisierten Staaten dieser Untersuchung. Während sich Australien durch ein hohes Maß an föderaler Autonomie auszeichnet, die so weit geht, dass die Bundesstaaten selbst darüber entscheiden können, ob sie den Notstand erklären und entsprechende (Exekutiv-) Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung einleiten, hat in Indien die Zentralregierung die meisten Regelungen an sich gezogen und ohne Beteiligung der Bundesstaaten gravierende, teilweise sehr kurzfristige Maßnahmen erlassen, die gleichzeitig im ganzen Land in Kraft traten. Erinnert sei an dieser Stelle an die Verkündung eines dreiwöchigen landesweiten und vollständigen Lockdowns durch den Premierminister vier Stunden vor dessen Inkrafttreten am 24. März 2020, der die Betroffenen vor große Herausforderungen stellte.

Auf den Philippinen, in Indien und in Indonesien hat die Exekutive teilweise ohne Parlamentsbeteiligung entschieden oder sich die Legitimation nachträglich eingeholt, in Indien mit monatelanger Verspätung. Das hat auch mit den Sitzungsperioden des Parlaments zu tun (Budget Session von Januar bis Anfang April, Monsoon Session im Juli, Winter Session von November bis Dezember), wird aber allgemein als Geringschätzung der Regierung gegenüber dem Parlament gewertet. Immerhin hätte die Möglichkeit bestanden, die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung noch gegen Ende der Budget Session beschließen zu lassen und nicht eine Woche später per Exekutiverlass durchzudrücken. Ebenso hätte die Regierung das Parlament zu einer Sondersitzung zusammenrufen können. Darauf hat die Regierung, der eine Änderung der Sitzungsphasen obliegt, verzichtet. Die Winter Session wurde von der Regierung ganz abgesagt. Das hatte zur Folge, dass das indische Parlament im ersten Pandemiejahr nur für 33 Tage statt der sonst mehr als 60 Tage zusammentrat. In den verbleibenden Sitzungstagen blieben den Abgeordneten elementare parlamentarische Rechte wie Fragestunden an die Minister zunächst verwehrt, dann beugte sich die Regierung jedoch und ließ zumindest schriftliche Anfragen zu.

In Indonesien spielt das Repräsentantenhaus im politischen Betrieb ohnehin nur eine untergeordnete Rolle. Politische Vorhaben werden meist durch die Regierung und ihre Behörden ausgearbeitet, während das Parlament sie nur noch „durchwinkt“. Offiziell verabschiedet es zwar Gesetze, entscheidet über den Staatshaushalt und überwacht die Regierungstätigkeit, aber es ist im Grunde nur ein demokratisches Feigenblatt, das komplett von der Regierung dominiert wird.

Das war in der Coronapandemie nicht anders. Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung im Umgang mit Katastrophen wie Erdbeben und Überschwemmungen waren die indonesischen Behörden relativ gut auf die neue Katastrophe vorbereitet. Sie passten ihre Strategie gemäß den Anweisungen der Regierung an die Lage an und reagierten mit verschiedenen Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen, Quarantäne und Isolierung in Verdachtsfällen oder der Einschränkung von Gottesdiensten. Dem Kampf gegen Corona hat das Parlament weitestgehend als Zuschauer beigewohnt. Treibende Kraft hinter den Maßnahmen war es nicht.

Auf den Philippinen gab es schon lange vor dem Ausbruch der Pandemie Anzeichen für eine ungebremste Machtkonzentration in den Händen des Präsidenten. Rodrigo Duterte nutzte COVID-19, um seine Macht gegenüber dem Kongress und dem obersten Gericht weiter auszubauen. Missbräuchlich rief er beispielsweise Notstandsgesetze aus, die er dann nutzte, um politische Gegner und kritische Medien zum Schweigen zu bringen und die Menschenrechte dadurch einzuschränken, dass er diejenigen, die sich angeblich seinen Vorschriften widersetzten, hart und willkürlich bestrafte. Als Beleg für die illegale Ausweitung exekutiver Machtbefugnisse kann die Schließung des größten TV-Netzwerks, ABS-CBN, aufgrund eines Dekrets des Präsidenten genannt werden sowie die Tatsache, dass der Präsident den Gesundheitsnotstand (unter verschiedenen Bezeichnungen) verkündete, obwohl nur der Kongress die Befugnis dazu hat.

Später verabschiedete der Kongress ein Gesetz, das den Präsidenten für einen begrenzten Zeitraum mit zusätzlichen Befugnissen ausstattete. Diese Befugnisse griffen so weit, dass Duterte das Land fast allein regierte und das Kommando selbst in Wirtschaftszweigen beanspruchte, die zu COVID-19 in keiner direkten Beziehung standen, wie Banken, Kreditinstitute und andere finanzielle Einrichtungen. Der Kongress gestand ihm diese Übernahmebestimmungen nicht zuletzt aufgrund der Folgsamkeit einiger Kongressabgeordneter zu, die hofften, er werde sich später erkenntlich zeigen. Daraufhin delegierte der Präsident die meisten Befugnisse an ausgewählte Beamte aus verschiedenen Abteilungen der Exekutive. Aufgrund des übermächtigen Einflusses des Präsidenten auf Abgeordnete seiner eigenen Partei wurde der Kongress systematisch gegenüber der Exekutive marginalisiert, teilweise auch durch die Beschaffenheit der Exekutive, innerhalb derer ein Einzelner über alle politische Macht verfügt.

Corona hat die Machtkonzentration beim Präsidenten noch beschleunigt. Allerdings waren der Kongress und die Justiz nicht bereit, dem Machtstreben Dutertes einfach nachzugeben. Die Gerichte blieben auch während der Pandemie geöffnet, um den Bürgern die Möglichkeit zu geben, ihre Rechte wahrzunehmen. Auch der Kongress blieb vergleichsweise aktiv. Abgeordnete nutzten parlamentarische Rechte wie Debatten, Fragestunden sowie mündliche und schriftliche Fragen aktiv. All das änderte jedoch nichts daran, dass das Parlament während der Pandemie geschwächt wurde.

In den übrigen Ländern gab es lediglich an einzelnen Handlungen der jeweiligen Regierungen Kritik, aber nie den Vorwurf, sie hätten die Legislative systematisch missachtet oder massiv und dauerhaft gegen Grundrechte verstoßen.

In Taiwan holte sich die Regierung für einzelne Maßnahmen und Verschärfungen bestehender Gesetze zur Gefahrenabwehr die Legitimation durch das Parlament erst hinterher ein, anstatt es vorab an den zu treffenden Entscheidungen zu beteiligen. Begründet wurde dies mit dem Zeitdruck, unter dem die Regierung stand, um das Einschleppen des Virus aus dem benachbarten China zu verhindern.

Auf der Grundlage bestehender Gesetze zur Pandemiebekämpfung (SARS 2004, MERS 2012) und unter Nutzung bereits existierender Behörden und Verantwortlichkeiten wie dem Central Epidemic Command Center, dem alle anderen Behörden zur biomedizinischen Gefahrenabwehr untergeordnet wurden, setzte die taiwanische Regierung per Verordnung eine ganze Reihe von präventiven Maßnahmen in Kraft. Dazu gehörten unter anderem Gesundheitschecks in Flugzeugen vor und während der Einreise, strenge Quarantänemaßnahmen in Verdachtsfällen unter Androhung empfindlicher Strafen, Kontaktbeschränkungen und Schulschließungen. Das Parlament verabschiedete erst Ende Februar 2020 ein Sondergesetz zur Pandemiebekämpfung, den COVID-19 Act. Trotz quasi nachgereichter Gesetzesgrundlage kommen Beobachter zu dem Schluss, dass das Verhältnis der Verfassungsorgane im Zuge der Pandemiebekämpfung intakt geblieben ist. Abgeordnete wurden bei Ausübung ihrer parlamentarischen Rechte nicht behindert, die Regierung blieb dem Parlament gegenüber verantwortlich und die Maßnahmen standen auf gesetzlicher Grundlage.

In Japan verwehrte die Regierung den Abgeordneten eine parlamentarische Sondersitzung. Sie wurde von Abgeordneten im Sommer 2020 gefordert, nachdem bekannt wurde, dass die Regierung eine Anpassung bereits bestehender Gesetze zur Pandemiebekämpfung plane. Obwohl diese Forderung von ausreichend vielen Abgeordneten erhoben wurde, ignorierte die Regierung sie und das Parlament ging wie jedes Jahr um diese Zeit in die Sommerpause. An allen anderen Gesetzesänderungen im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 war das japanische Parlament hingegen beteiligt und die Abgeordneten genossen alle parlamentarischen Kontrollrechte.

Nichtsdestotrotz wurde für Japan eine schleichende Gewichtsverlagerung zu Lasten des Zweikammerparlaments diagnostiziert. Diese wird jedoch nicht mit den Anticoronamaßnahmen begründet, sondern mit dem starken Einfluss, den Parteien auf die Abgeordneten ausüben. Zu oft würde die Fraktion der Regierungspartei LDP die Initiativen der Regierung nur noch „durchwinken“, während die Opposition kaum Einfluss habe. Parlamentarische Verfahren seien unter solchen Umständen oftmals nur noch ein Ritual.

Japan ist diesbezüglich kein Einzelfall. Auch mit Blick auf Neuseeland kritisieren Beobachter, dass das Parlament schon vor langer Zeit die Initiative bei der Gesetzgebung an die Regierung abgegeben habe. Corona hat diesen Trend beschleunigt. Dennoch wurde das Einkammerparlament bei allen Entscheidungen zur Pandemiebekämpfung voll eingebunden und die Abgeordneten konnten alle Kontrollrechte gegenüber der Regierung wahrnehmen. Kritisch hervorgehoben wird im Zusammenhang mit der Coronagesetzgebung jedoch, dass die Religionsfreiheit der Maori-Minderheit durch parlamentarisch verabschiedete Maßnahmen der Regierung im Zuge des kompletten Lockdowns zu Beginn der Pandemie beschränkt wurde. Hier hätte sich die Regierung durchaus intensiver mit Vertretern der Maori beraten sollen. Diese Kritik zielt aber nicht auf das Verhältnis der neuseeländischen Verfassungsorgane, sondern betrifft vermeintliche Grundrechtsbeschränkungen im Zuge der Pandemiebekämpfung.

Diskussionen in diese Richtungen sind auch wesentlich häufiger als Klagen oder Belege über systematische Störungen der Gewaltenteilung in den eben betrachteten sechs Ländern. So galten die vergleichsweise harten Maßnahmen, die die Regierung Taiwans ergriffen hat, als „große Herausforderung für die junge Demokratie“ – vor allem das Auslesen von Handydaten und Erstellen von Bewegungsprofilen zur Nachverfolgung von Kontakten der Bürgerinnen und Bürger sowie die Ausreisebeschränkungen für medizinische Berufsgruppen und harten Strafen für Personen, die Coronaregeln missachten, oder die Veröffentlichung von deren persönlichen Daten. Das Verhältnis der Verfassungsorgane blieb aber intakt, auch wenn bei einzelnen Maßnahmen, wie oben erwähnt, eine Ex-post-Legitimation durch das Parlament anstelle einer den Maßnahmen vorgelagerten Parlamentsbeteiligung beklagt wird.

Die Regierung Japans schoss nach Ansicht von Rechtsexperten mit einigen Maßnahmen über das Ziel hinaus, zum Beispiel mit der Androhung von Strafen für Einzelpersonen und Geschäftsinhaber, die sich nicht an die erwarteten Selbstverpflichtungen zur Kontaktreduzierung gehalten haben. Die japanische Regierung hat gleich dreimal den Notstand ausgerufen. Damit hat sie jedoch in erster Linie zusätzliche Finanzhilfen zur Abmilderungen der Pandemiefolgen für die Wirtschaft mobilisieren wollen. Einschnitte im täglichen Leben der Bürgerinnen und Bürger oder das komplette Herunterfahren des öffentlichen Lebens hat sie nicht angestrebt. Die meisten Maßnahmen zielten, wie in Neuseeland auch, auf freiwillige Beachtung der erlassenen Vorschriften. Die Tatsache jedoch, dass Verstöße mit Maßnahmen aus dem Strafrecht geahndet werden sollten, hat zu öffentlicher Kritik geführt. Auf Druck der Opposition milderte die Regierung den Sanktionskatalog deutlich ab. Vor Gericht kamen diese Fälle nicht. Die Auseinandersetzungen fanden ausschließlich auf parlamentarischer Ebene statt.

In Australien besteht die Möglichkeit, dass das nationale Parlament die Regierung gerade in Fragen der nationalen Sicherheit mit zusätzlichen Exekutivbefugnissen ausstattet. Ein Beispiel dafür ist der Biosecurity Act aus dem Jahre 2015, der dem Landwirtschafts- oder dem Gesundheitsminister weitreichende Kompetenzen bei biomedizinischen Bedrohungslagen verleiht. Angesichts der heraufziehenden Gefahr durch COVID-19 war es dann der für solche Fälle formal zuständige Generalgouverneur Australiens, der auf Bitten der Bundesregierung am 18. März 2020 den Gesundheitsnotstand erklärte. Ungeachtet der de facto hohen Exekutivbefugnisse der australischen Regierung, die dem Westminster-Regierungssystem zugeschrieben werden, besitzt das Bundesparlament wichtige Mitwirkungs- und Kontrollrechte, die zu keinem Zeitpunkt außer Kraft gesetzt worden sind.

Ein wesentlicher Teil der Entscheidungskompetenzen liegt jedoch bei den Bundesstaaten. Die Regierungen können den Notstand ausrufen, der von den Parlamenten der Bundesstaaten bestätigt werden muss. Die Landesregierungen verfügen darüber hinaus über zahlreiche Exekutivbefugnisse und können Einreisebeschränkungen, sogar aus dem Ausland, Versammlungsverbote, Kontaktsperren, Schließungen öffentlicher Einrichtungen oder Lockdowns verhängen. Über beide Ebenen betrachtet, die nationale wie die föderale, besitzen die Regierungen viel Exekutivmacht, die jedoch auf gesetzlichen Regelungen, parlamentarischer Mitbestimmung und Kontrolle basieren. Wie erwähnt gab es auch keine Hinweise auf systematische Machtverschiebungen zuungunsten der Legislative. Was es aber gab, waren zahlreiche Klagen von Personen, die sich in ihren Grundrechten, besonders hinsichtlich der Reise- und Berufsfreiheit, eingeschränkt sahen und entsprechende Verfahren gegen Bundesstaaten, die diese Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie erlassen haben, anstrengten. Zum Teil wurden die Klagen abgewiesen, zum Teil haben die Kläger Recht erhalten. Beim lokalen Mikromanagement der Coronaregeln gab es demnach Rechtsverstöße. Der australische Rechtsstaat wurde hingegen zu keinem Zeitpunkt der Pandemiebekämpfung ausgehebelt.

 

Keine Übermacht der Exekutive – Demokratien im Vorteil

Von einer umfassenden Machtverschiebung zu Lasten der Parlamente kann in den untersuchten Ländern keine Rede sein. Aber in Staaten, in denen der Grad der rechtsstaatlich umrahmten Demokratie vergleichsweise schwach ist oder in den letzten Jahren aus unterschiedlichen Gründen geschwächt wurde, sind auch die Parlamente im Zusammenhang mit der Eindämmung der Coronapandemie von der jeweiligen Exekutive geschwächt worden. Das heißt: War die Demokratie mit ihren integralen Bestandteilen wie funktionierende Gewaltenteilung oder Rechtsstaatlichkeit auch schon vor der Pandemie schwach, blieb das so oder hat sich im Zuge der Pandemie sogar verschärft. Belege für eine systematische Schwächung der Parlamente durch die Exekutive in voll entwickelten Demokratien gibt es bislang nicht.

Dieser Befund deckt sich mit denen anderer Studien. Zwar wurde immer wieder von Abgeordneten aus Oppositionsparteien und einigen Staatsrechtlern kritisiert, dass Regierungen bei den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung die Parlamente nicht adäquat beteiligt hätten oder aber die Krise nutzen würden, um – verfassungswidrig – weitere Kompetenzen an sich zu ziehen. In demokratisch verfassten Ländern fanden sich für derartige Befürchtungen jedoch weder in unserer noch in anderen Studien Belege.

Was allerdings auch in Demokratien beobachtet wurde, sind nicht nur massive und – abgesehen von Verstößen gegen Hygiene- und Abstandsregeln – meist legale Proteste gegen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung, sondern auch zahlreiche Klagen von Einzelpersonen und anschließende Verfahren aufgrund vermeintlich gesetzwidriger Einschnitte in demokratische Grundrechte. Die Urteile zeigen, dass Regierungen beim unmittelbaren Krisenmanagement durchaus handwerkliche Fehler unterlaufen sind, die durch Gerichte korrigiert wurden. Aber das ist eher Zeichen funktionierender Rechtsstaatlichkeit als Ausdruck verfassungswidriger Konzentration von Exekutivmacht.

Und noch etwas fiel auf, auch wenn der Schwerpunkt der Studie nicht auf einer Bewertung der am besten geeigneten Mittel gegen die Pandemie lag und Coronabilanzen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch mit größter Vorsicht gezogen werden sollten: Die Länder in unserer Untersuchung, in denen die parlamentarischen Mitwirkungsrechte und das Prinzip der staatlichen Gewaltenteilung von den jeweiligen Exekutiven respektiert wurden, hatten auch geringere Infektionszahlen. Das trifft zumindest voll für Australien, Neuseeland, Südkorea und Taiwan zu, für Japan und die Mongolei immerhin noch mit Einschränkungen. So wurden in Japan zwar konstitutionell nahezu einwandfreie, aber weniger strenge und weniger wirksame Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie beschlossen. Die Infektionszahlen lagen zum Ende unserer Studie über denen in den zuvor genannten Ländern, aber deutlich unter denen von Coronahotspots wie Indien. Das Coronamanagement in der Mongolei begann politisch ausgewogen und war bis Ende des Jahres 2020 auch erfolgreich. Nachdem jedoch die zweite Welle ins Land schwappte und gleichzeitig die Verantwortlichen im falschen Glauben, sie hätten die Lage in den Griff bekommen, in den Wahlkampfmodus umschalteten und sich auf andere Themen konzentrierten, stiegen die Infektionszahlen wieder an.

In den drei Ländern, in denen die Exekutiven versucht haben, der Pandemie mehr oder weniger im Alleingang Herr zu werden (Indien, Indonesien, Philippinen), schlug diese hingegen noch härter zu. Krisenmanagement ist eben nicht nur die „Stunde der Exekutive“, sondern neben anderen Faktoren der Pandemiebekämpfung auch eine Frage der angemessenen Verfahrensweise. Ein rechtsstaatliches und gewaltenteiliges Vorgehen unter Einschluss der Parlamente hat sich hier als der offenbar bessere Weg erwiesen. Das ist für die in letzter Zeit weltweit unter Druck geratenen Demokratien eine gute Nachricht aus der Pandemie, die aber im weiteren Verlauf auf keinen Fall aufs Spiel gesetzt werden sollte.

 


 

 

Dr. habil. Karsten Grabow ist Länderreferent für Zentralasien und die Mongolei in der Abteilung Asien/Pazifik der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 


 

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