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Finbarr O’Reilly, Reuters

Auslandsinformationen

Tiefe Brüche

Transatlantische Divergenzen im Nahen Osten

In den transatlantischen Beziehungen scheint es in einer Reihe von Fragen mehr Divergenzen als Konvergenzen zu geben. In besonderer Weise betrifft dies die Nahostpolitik. Für die Trump-Administration ist der Nahe Osten „die Mühe nicht mehr wert“, weil sich Interessen verlagert haben und man auf die arabischen Interessen und Befindlichkeiten keine Rücksicht mehr nehmen muss. Für Europa gilt das Gegenteil. Eine friedliche Entwicklung und Stabilität in der krisenerschütterten unmittelbaren Nachbarschaft sind von primärem Interesse.

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Zweifelsohne stimmen die grundlegenden amerikanisch-europäischen Interessen im Nahen Osten miteinander überein, genauso wie das Verständnis der grundlegenden Herausforderungen für Frieden und Stabilität. Dazu gehören die Bekämpfung des Terrorismus und der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, die Verringerung des Einflusses externer Akteure und die Gewährleistung des freien Handels- und Energieflusses. Tiefe Brüche lassen sich wiederum im politischen Stil und in den Antworten auf Schlüsselfragen erkennen. Die anfängliche Annahme, dass auch unter Trump die Gemeinsamkeiten einer strategischen Vision gegenüber den Meinungsverschiedenheiten in der Herangehensweise überwiegen würden, hat sich als falsch erwiesen. Das transatlantische Auseinanderdriften in der Nahostpolitik ist eine Tatsache, die sich weder leugnen noch aussitzen lässt.

 

Kompromissbereitschaft vs. Recht des Stärkeren

Europa verpflichtet sich den Prinzipien multilateralen Handelns. Unabdingbare Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft zum Kompromiss. Der Trump-Administration geht es dagegen vornehmlich um die Durchsetzung ihrer Interessen sowie der der auserkorenen Partner und nicht um Verhandeln und Vereinbaren. Die regionale Unordnung soll künftig auf Grundlage der Macht und des Rechts des Stärkeren neu sortiert werden. Das präferierte Instrument ist nicht politische Deeskalation, sondern Abschreckung.

 

Zweistaatenlösung vs. Annexion

Trump orientiert seine Nahostpolitik an den exklusiven Beziehungen mit dem israelischen Premierminister Netanjahu und hat sich endgültig aus der traditionellen, moderierenden Rolle der USA im Nahostkonflikt verabschiedet. Die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem, die Anerkennung der Golanhöhen sowie der Siedlungen als israelisches Staatsgebiet wurden mit dem sog. „Friedensplan“ gekrönt, der eine klare Abkehr von einer Zweistaatenlösung bedeutet und den Weg der Annexion von mindestens einem Drittel des Westjordanlandes durch Israel ermöglicht. Europa wiederum verfolgt nach wie vor das Ziel einer vereinbarten Zweistaatenlösung und macht sich für die Aufrechterhaltung völkerrechtlicher Normen stark. Das Annexionsverbot ist ein völkerrechtliches Grundprinzip, für dessen Verteidigung sich Europa und allen voran Deutschland bei der russischen Annexion der Krim 2014 engagiert eingesetzt hat.

 

Einbindung vs. maximaler Druck

Mit Blick auf Iran verfolgen die USA und Europa die übereinstimmenden Ziele, die nukleare Bewaffnung des Landes zu verhindern und dessen destabilisierenden Einfluss in der Region zurückzudrängen. Während die Europäer dies durch eine Einbindung Irans in eine regionale Sicherheitsarchitektur anstreben, setzt die Trump-Administration auf maximalen Druck. So stiegen die USA aus der Nuklearvereinbarung über das iranische Atomprogramm (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA) aus, setzten das Sanktionsregime gegen Iran wieder in Kraft und signalisierten Bereitschaft zum Einsatz militärischer Mittel. Die völkerrechtswidrige Tötung von Qasem Soleimani, Kommandeur der Quds-Brigaden, durch einen Drohnenangriff im Irak war eine klare Botschaft.

Das Atomabkommen, als diplomatischer Erfolg der EU gefeiert, gehört nunmehr der Vergangenheit an. Europa hält zwar rhetorisch daran fest, doch auch die Versuche, europäischen Unternehmen an den US-Sanktionen vorbei den Handel mit Iran zu ermöglichen – unter anderem durch die Gründung der Zweckgesellschaft Instex –, waren nicht von Erfolg gekrönt. Die Gestaltungsfähigkeit Europas hat mit dem Scheitern des Abkommens einen herben Rückschlag erlitten.

 

Transatlantische Zukunft im Nahen Osten

Im Nahen Osten wollen die transatlantischen Partner nicht mehr das Gleiche und gehen sogar so weit, das Interesse des anderen zu untergraben. Dennoch gibt es eine Zukunft für den Westen im Nahen Osten. Die Divergenzen, die heute unüberbrückbar erscheinen, sind nicht das Resultat eines strukturellen Auseinanderdriftens in den Zielen, sondern vornehmlich dem Politikstil und Weltbild des US-Präsidenten geschuldet. Wenn in der Vergangenheit US-Regierungen wechselten, blieb die US-Außenpolitik im Nahen Osten in der Regel stabil und kohärent. Das hat sich geändert. Sollte Joe Biden zum Präsidenten gewählt werden, dürfte die US-Regierung in wichtigen Fragen deutlich andere Akzente setzen als die aktuelle Administration. Wenn allerdings Trump im Amt bleibt, wird er noch viel Öl ins nahöstliche Feuer gießen.

Die Region erlebt derzeit eine Neuordnung der Machthierarchien, in deren Verlauf Russland seine hegemonialen Ansprüche durch Ausbau seiner militärischen Präsenz geltend macht, China sein Engagement verstärkt und regionale Akteure durch Machtansprüche die Region weiter destabilisieren. Die Region steht vor der konkreten Gefahr, sich zu einer Bühne für direkte Konfrontationen zwischen den verschiedenen Akteuren zu entwickeln. Es ist im transatlantischen Interesse, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Das können die transatlantischen Partner jedoch nur gemeinsam tun.

 


 

Dr. Canan Atilgan ist Leiterin der Abteilung Naher Osten und Nordafrika der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 


 

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Samuel Krug

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