Ausgabe: 1/2018
Es soll im arabischen Raum Kinder geben, deren Name Facebook lautet. So eng haben ihre Eltern den „Arabischen Frühling“ offenbar mit der Internet-Plattform verbunden. Blenden wir einmal aus, dass dieser Frühling nicht sehr lange währte und damit die Legende der Facebook-Revolution ebenfalls ein jähes Ende fand. Dieser Umsturz und auch die jüngste Bewegung im Iran zeigen, dass das Internet eine vorhandene Demokratisierungsbewegung unterstützen kann. Das hat mehrere Gründe.
Günstig, weitreichend, schnell
Das Internet ist vergleichsweise günstig. Heutzutage kann jeder ohne große Geldressourcen mit der ganzen Welt kommunizieren. Er kann sogar zum vielbeachteten Autoren, politischen Analysten oder gar Anführer werden. Alles, was es dazu braucht, ist im Grunde ein Smartphone, ein paar kostenlose Social-Media-Accounts und natürlich Talent. Mit dieser Ausrüstung können Text-Beiträge, Audio- und Video-Formate kostengünstig über die ganze Welt verbreitet werden – aus dem heimischen Wohnzimmer oder von unterwegs.
Zum Vergleich rufen wir uns das berühmte Zitat von Paul Sethe ins Gedächtnis. Der Gründungsherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schrieb 1965 an den Spiegel: „Die Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.“ Nicht zuletzt aus diesem Grund hat die SPD bereits im Kaiserreich angefangen, Zeitungen zu gründen, und ist deswegen noch heute im Besitz eines stolzen Medien-Imperiums. Mit der Verbreitung des Internets spielt Geld keine entscheidende Rolle mehr. Unweigerlich ist dies ein Gewinn für unsere Demokratie.
Gewonnen haben wir durch das Internet aber auch an Reichweite. Dazu haben vor allem die sozialen Medien beigetragen. Influencer, also Personen, denen besonders viele Nutzer folgen, können binnen Minuten mehrere Millionen Menschen mit ihren Postings erreichen. Die tägliche Print-Auflage der größten Tageszeitung der Welt, der Yomiuri Shimbun (Japan), beträgt nach offiziellen Angaben über neun Millionen. Dem US-Präsidenten Trump allerdings folgen allein auf seinem persönlichen – und gefürchteten – Twitter-Account (@realDonaldTrump) über 45 Millionen Menschen. Zusammen mit den offiziellen Accounts des Präsidenten (@POTUS) und des Weißen Hauses (@WhiteHouse) ergibt das eine Gesamt-Follower-Zahl von derzeit 83 Millionen – auch, wenn es zwischen den drei Accounts sicherlich deutliche Überschneidungen gibt.
Ein weiterer Vorteil des Internets ist die Ge-schwindigkeit. Informationen verbreiten sich binnen Sekunden um die ganze Welt. Heute muss die lokale Tageszeitung nicht mehr mit der Post in den Urlaub nachgeschickt werden, wo sie zwei Tage später ankommt. Sie kommt live aufs Smartphone. Ebenso Radio- und TV-Sender. Twitter ist meist schneller als die Eilmeldungen der Agenturen. Youtube, Facebook und Periscope geben jedem Smartphone-Besitzer die Möglichkeit, Ereignisse, die sich vor seiner Haustür abspielen, live ins Netz zu streamen.
Schminktipps und Überwachung
Begünstigt durch die Reichweite und die niedrigen Produktionskosten ist es im Internet zu einer enormen Zielgruppen-Ausrichtung gekommen. Blogs und Podcasts haben die Tendenz, Spezial-Interessen zu bedienen. Nur wenige mediale Newcomer können es mit einem klassischen Medium wie Zeitung, Radio oder TV aufnehmen. Also haben sich die Blogger, Podcaster und Youtuber Nischen gesucht, in denen sie erfolgreich sind. So widmet sich der Blog Netzpolitik.org ausschließlich den Themen Netzpolitik und Digitalisierung sowie deren Auswirkungen auf die Gesellschaft. Nerdzoom ist ein regelmäßiger Podcast für Computer-Interessierte. Und Youtuberin Bibi gibt ihren fast fünf Millionen Abonnenten Schmink- und Haar-Styling-Tipps. Spezial-Interessen, die im öffentlich-rechtlichen Fernsehen früher bestenfalls um ein Uhr nachts berücksichtigt wurden, sind nun jederzeit abrufbar – on demand.
Doch es gibt auch die Kehrseite dieser Entwicklungen: Der Umstand, dass sich heutzutage jeder mit Menschen auf der ganzen Welt verbinden und mit ihnen austauschen kann, sollte eigentlich zur Völkerverständigung beitragen. Was wir gegenwärtig erleben ist allerdings eher das Gegenteil: Abschottung, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit.
Damit haben die Internet-Evangelisten, die voller Euphorie auf den „Arabischen Frühling“ schauten, damals wohl nicht gerechnet. Es ist schon reichlich naiv zu glauben, das Internet fördere nur das Gute – was wiederum Definitionssache ist. Der deutsche Internet-Experte Sascha Lobo drückt es 2014 in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung so aus: „Das Internet ist nicht das, wofür ich es so lange gehalten habe. Ich glaubte, es sei das perfekte Medium der Demokratie und der Selbstbefreiung. Der Spähskandal und der Kon-trollwahn der Konzerne haben alles geändert.“ Diese Erkenntnis ist vor allem deswegen amüsant, weil das Internet – ähnlich übrigens wie das Global Positioning System (GPS), das in jedem Smartphone vorhanden ist – ursprünglich aus einem Projekt des US-Verteidigungsministeriums hervorgegangen ist (Arpanet). Mit der Verbreitung demokratischer Werte hatte das zunächst wenig zu tun. Lobos Enttäuschung offenbart aber auch, wie sehr er das Netz und seine Expertise überschätzt hatte. Die Erkenntnis war hart, dass das Internet auch für ihn „Neuland“ war.
Wir sollten langsam erkannt haben, dass jede neue Technik immer zwei Seiten hat. Kaum jemand, der bei Verstand ist, wird öffentlich-rechtlichen Radiosendern heute Propaganda-Tätigkeit unterstellen. Wir haben mit Rundfunkräten und mehreren -gesetzen dafür gesorgt, dass das Radio-Angebot vielfältig und ausgewogen ist. Verstöße werden geahndet. Zudem haben die Deutschen den Umgang mit dem Medium gelernt. 1933 war die Radio-Technik neu, unreguliert und der „Volksempfänger“ traf auf ein Publikum, das noch nicht gelernt hatte, mit der neuen Technik umzugehen.
Das Internet ist kein Instrument zur Verbesserung unserer Gesellschaft. Es kann eine Bewegung unterstützen, weil es viele Dinge günstiger, schneller und größer macht. Aber das Netz unterscheidet nicht zwischen guten und bösen Bewegungen, zwischen sozialem Engagement oder purem Kommerz. Das Netz an sich ist wertfrei. Wir sind es, die das Netz mit unseren Werten füttern.
Debatten in der Filterblase
Eins ist heute schon klar. Das Internet ist disruptiv. Es verändert unser Wirtschaftssystem, unsere Kommunikation und natürlich unsere Gesellschaft. Amazon hat den Einzelhandel verändert, Paypal das Zahlungswesen. Unsere Musik kaufen wir nicht mehr im Laden, sondern streamen sie über Spotify. Uber mischt derweil die Taxibranche auf. Und natürlich beeinflusst das Netz auch unsere Demokratie.
Die politische Debattenkultur hat sich durch die neuen Möglichkeiten nicht wirklich verbessert. Die Menschen scheinen polarisierenden Postings mehr Aufmerksamkeit zu schenken als harten Fakten. Nur wenige online geführte Debatten haben etwas von einem Wettbewerb der Ideen. Sie gleichen eher einem ideologischen Stellungskrieg. Schnell werden Kommentare dabei persönlich. Ausschlaggebend sind hierfür vor allem Algorithmen, also Computer-Programm-Codes, die sowohl den Internet-Suchmaschinen (z. B. Google) als auch den sozialen Medien (Facebook, Twitter, Youtube) zugrunde liegen. Diese nehmen erheblichen Einfluss auf unsere Wahrnehmung. Denn diese Programme entscheiden, welche Informationen wir erhalten und welche nicht. Darüber hinaus schlagen uns die Algorithmen der sozialen Netzwerke Freunde und Gruppen vor, die zu unserem bisherigen Verhalten passen.
Likt z. B. ein Nutzer die Facebook-Seite des Fußballvereins Borussia Mönchengladbach, werden ihm Personen aus seiner Nähe als Freunde vorgeschlagen, die ebenfalls Borussia-Fans sind. Außerdem werden ihm vermehrt stark diskutierte Posts zu diesem Verein eingeblendet – auch, wenn sie von Personen kommen, die er gar nicht kennt. Oder er erhält den Vorschlag, der Facebook-Gruppe des Fanclubs beizutreten. Dadurch gerät der Nutzer in eine Filterblase, in der er vor allem Themen angezeigt bekommt, die sich um diesen Verein bzw. das Thema Fußball drehen.
Das Ganze funktioniert aber auch mit Einstellungen, Parteien oder anderen politischen Gruppierungen. Was beim Fußball-Verein weniger bedenklich sein mag, kann in der politischen Filterblase durchaus problematisch werden. Je nachdem, welche Informationen die Suchmaschine Google über eine bestimmte Person bereits gesammelt hat, bekommt der Anwender unterschiedliche Ergebnisse angezeigt. Der Internet-Aktivist Eli Pariser machte die Entdeckung, „als er zwei Freunde kurz nach der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko das Stichwort „BP“ in Googles Suchleiste eingeben ließ. Der eine von ihnen erhielt Investmenttipps für die Ölbranche, der andere Meldungen zur Naturzerstörung“. Filter Bubble nannte er das Phänomen in seinem gleichnamigen Buch.
Das Phänomen dieser Filterblasen ist nicht neu. Früher haben sich die Menschen ihre Tageszeitung nach ihrer politischen Überzeugung ausgesucht. So haben – vereinfacht gesagt – bürgerliche Leser eher die Frankfurter Allgemeine bevorzugt, während linksliberale eher zur Frankfurter Rundschau griffen.
Jedoch veröffentlichen selbst politisch gefärbte Zeitungen in der Regel verschiedene Positionen. Das ist Teil des journalistischen Handwerks. Selbst an Stammtischen herrscht selten eine einhellige Meinung. Die Algorithmen der sozialen Netzwerke sorgen aber dafür, dass sich zunehmend Gleichgesinnte treffen.
Seit 2016 haben etliche Journalisten den Selbstversuch gewagt. Sie haben sich auf Facebook eine zweite Identität angelegt und einige rechtsradikale Seiten gelikt. Der Effekt war immer der gleiche: Der Algorithmus empfahl ihnen weitere Seiten, Gruppen und Nutzer mit rechter Gesinnung. Sie wurden in eine Filterblase aus vermeintlich Gleichgesinnten gezogen und empfingen fortan nur noch rechte Hass-Botschaften gegen Ausländer, die Bundesregierung, die „Lügenpresse“ und Verschwörungstheorien aller Couleur.
Das Phänomen ist für unsere politische Willensbildung vor allem deshalb problematisch, weil wir eher Informationen vertrauen, die wir erwarten – das psychologische Phänomen der selektiven Wahrnehmung. Dies kann im Extremfall dazu führen, dass Menschen Falschmeldungen z. B. über Straftaten von Migranten mehr glauben als der faktenbasierten Recherche ihrer Tageszeitung.
Lagerkampf mit Fake News
Eine Steigerung des Filterblasen-Phänomens sind die digitalen „Echokammern“. Wenn der oben beschriebene Fußball-Fan sich der Borussia-Gruppe angeschlossen hat, wird er dort wohl kaum verkünden, dass er auch Sympathien für den FC Bayern München hegt. Abweichende Meinungen werden in der Gruppe unterdrückt. Die Überzeugung, dass es nur die eine Borussia geben kann, wird dagegen von der Gruppe bestärkt. Im Extremfall kommt es zu einem Freund-Feind-Denken. Überträgt man dieses Beispiel in den politischen Raum, landet man schnell bei extremen Gruppierungen, die dadurch schrittweise den Boden unserer demokratischen Grundordnung verlassen.
Darüber hinaus kommt es immer stärker zu einer Lagerbildung innerhalb der Gesellschaft. Die philippinische Verlegerin und Publizistin Maria Ressa hat dies in einer anschaulichen Grafik dargestellt. Sie nutzte bereits im Jahr 2011 Twitter-Suchworte (sog. Hashtags) und Twitter-Nutzerprofile, um politische Ballungszentren in den sozialen Netzwerken sichtbar zu machen. Unter dem Hashtag #GOP (Grand Old Party = US-Republikaner) twitterten zwei deutlich erkennbare Lager (pro / contra). Beide Lager waren nur durch wenige Personen miteinander verbunden. In den sozialen Netzwerken war demnach bereits 2011 erkennbar, wie sich die USA in politische Lager aufzusplittern begannen, die wie in verschiedenen Welten leben.
Im US-Wahlkampf 2016 wurde dann deutlich, wie unversöhnlich sich diese Lager gegenüberstehen. Es werden keine Debatten mehr geführt. Unliebsame Fakten werden zu Fake News oder Meinung degradiert. Klimawandel? Eine Meinung. Evolutions-Theorie? Glaubenssache. Berichte, dass das Wahlkampf-Team des Präsidenten mit den Russen kooperiert hat? Fake News.
Es vergehen meist nur wenige Minuten, bis die Medien ihre Empfänger über aktuelle Geschehnisse informieren. Auch die Entscheidungen von Parlamenten und Regierungen sind heute wesentlich transparenter als noch vor wenigen Jahren. Bürger sollten dank der neuen Möglichkeiten stets gut informiert sein. Stattdessen brechen sich Falschnachrichten, Gerüchte oder böswillige Diskreditierungen Bahn. Diese verbreiten sich ebenfalls in Windeseile durch das Netz und sind nur schwer wieder einzufangen.
Auch das Phänomen der Falschnachrichten ist nicht neu. Sie können in jeder Zeitung vorkommen. Allerdings gibt es im Netz einen Trend, gezielt Halbwahrheiten oder glatte Lügen zu verbreiten, um politisch Einfluss zu nehmen. Da die Algorithmen der sozialen Medien so ausgelegt sind, dass sie häufig gelesene Texte bevorzugen, verbreiten sich Sensationsnachrichten rasend schnell.
Überraschend ist, wie unkritisch viele mündige Bürger mit den Informationen umgehen, die sie über soziale Medien empfangen. Denn Facebook, Twitter & Co. haben bisher wenig Anstalten gemacht, den Wahrheitsgehalt der Behauptungen ihrer Nutzer zu überprüfen. So ist es Aufgabe eines jeden Einzelnen, die Richtigkeit einer Meldung kritisch zu hinterfragen, bevor sie weiterverbreitet wird. Hiermit sind viele Menschen natürlich überfordert. Bisher wird der richtige Umgang mit dem neuen Medium nur in sehr wenigen Schulen gelehrt.
Dass Falschinformationen eine ernsthafte Bedrohung sein können, hat sich in der Flüchtlingskrise gezeigt. Das deutsche Auswärtige Amt sah sich im Oktober 2017 gezwungen, die Info-Seite Rumours About Germany (rumoursaboutgermany.info) online zu stellen, auf der die „sieben größten Lügen der Schleuser“ aufgelistet wurden. Zuvor wurden massenhaft Falschmeldungen über die sozialen Medien gestreut. In diesen Postings wurden den potenziellen Flüchtlingen, wenn sie es bis Deutschland schaffen, ein Willkommensgeld von mehreren Tausend Euro, Immobilien-Geschenke oder lukrative Arbeitsplätze versprochen. Millionen Flüchtlinge sind den falschen Versprechungen gefolgt. Viele haben dadurch ihr Leben verloren. Und auf die, die es bis Deutschland schafften, wartete eine herbe Enttäuschung.
Die sozialen Medien sind eine Spielwiese für die Nutznießer von Desinformation: Geheimdienste, Verschwörungstheoretiker, Geschäftemacher.
Der populistische Algorithmus
Die Politik hat schnell gelernt, sich auf die neuen Techniken ei nzustellen. Dabei hat sie neue Player stets begünstigt, während sich die alteingesessenen Parteien schwer taten. Das liegt vor allem daran, dass das Netz zugespitzte Aussagen, ironische bis hämische Kritik an den Regierungsverantwortlichen und Tabubrüche populistischer Parteien honoriert. Denn sie erzeugen mehr Reaktionen. Denn selbst jedes gut gemeinte Gegenargument auf einen populistischen Tweet trägt zu dessen Verbreitung und Popularität bei.
Die Alternative für Deutschland (AfD) begann das Jahr 2018 gleich mit einem Tabubruch. Der AfD-Abgeordnete Jens Maier nannte den Sohn von Tennislegende Boris Becker und seiner Ex-Frau Barbara auf Twitter einen „Halbneger“. Der Deutsche Richterbund (Maier ist Richter von Beruf) erkannte darin völlig zutreffend eine „kalkulierte Provokation“. Denn mit Boris Becker ist in Deutschland höchste Aufmerksamkeit garantiert. Die Botschaft indes richtet sich ausschließlich an Maiers (potenzielle) Wähler.
Die meisten Populisten schlagen genau in diese Kerbe. Es ist eine Taktik. Die mediale Aufregung und die vielen Reaktionen tragen durch die Logik des Algorithmus zur Verbreitung des Postings bei. So erreichen sie damit auch Personen an den Rändern, die sich einen neuen Politikstil wünschen. Der philippinische Präsident Rodrigo Duterte, US-Präsident Donald Trump und in Deutschland die AfD konnten ihren Wählern erfolgreich glaubhaft machen, dass sie das „verkommene politische System“ umkrempeln würden. Besonders über die sozialen Medien verfing diese Botschaft überdimensional. Auffällig ist dabei, dass sowohl die beiden Präsidenten als auch die AfD sehr gezielt in die ihnen wohlgesonnenen Echokammern vorgestoßen sind. Sie haben es geschafft, diese unzufriedenen Menschen da abzuholen, wo sie sich aufhielten, und an die Wahlurne zu bewegen.
Auf der Suche nach dem gatekeeper
Donald Trump veränderte in seiner ersten Pressekonferenz als US-Präsident das bis dahin gültige Mediensystem mit einem Satz. Indem er einem unliebsamen CNN-Reporter sagte: „I’m not going to give you a question. You are fake news“, machte Trump klar, dass er auf die klassischen Medien nicht mehr angewiesen ist. Wir rufen uns in Erinnerung: Wenn ein Politiker bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts für seine Politik werben wollte, musste er zunächst Journalisten davon überzeugen. Diese gatekeeper sammelten dann im Idealfall noch andere Meinungen ein und stellten sie einander in einem Beitrag gegenüber. Dann kam Facebook. Und im Falle von Trump Twitter.
Trump kann heute direkt mit seinen Zielgruppen kommunizieren: Wählern, Spendern, anderen Politikern. Er braucht die klassischen Medien nicht mehr. Diese haben ihre gatekeeper-Funktion verloren. Es ist zwar wesentlich demokratischer, wenn ein Regierungschef ungefiltert mit seinen Bürgern kommunizieren kann – aber wie sich im Falle Trumps zeigt, qualitativ nicht unbedingt besser.
Es stellt sich die Frage, wer denn jetzt der gatekeeper ist? Denn ganz offensichtlich ist es nicht so, dass in den sozialen Netzwerken alles veröffentlicht werden darf. Da sind zunächst Gesetze, die auch die Meinungsfreiheit begrenzen. So sind persönliche Diffamierung, Gewaltandrohungen oder die Leugnung des Holocaust in Deutschland Straftaten. Spätestens seit Justizminister Heiko Maas das Netzwerk-Durchsetzungsgesetz (NetzDG) in den Bundestag eingebracht hat, ist die Diskussion darüber in vollem Gange. Das NetzDG sieht im Kern empfindliche Geldbußen für Facebook und Co. vor, wenn die Netzwerke entsprechende Hass-Postings nicht binnen 24 Stunden löschen. Interessenverbände, Bürgerrechtler, Juristen und Datenschützer laufen dagegen Sturm. Die einen befürchten, dass Facebook aufgrund der horrenden Strafandrohungen zu viel löscht (Zensur). Die anderen kritisieren generell, dass ein börsennotiertes Unternehmen nun hoheitliche Aufgaben des Staates übernehme.
Das NetzDG mag wie ein Schnellschuss wirken. Allerdings müssen auch klassische Medienverlage täglich abwägen, was sie auf ihrer Website veröffentlichen und was nicht. Denn sie haben die Verantwortung dafür, was in ihren Publikationen online und offline behauptet wird. Die Verantwortlichen sind im Impressum genannt, das zumindest in Deutschland Pflicht ist. Größere Verlage – vor allem die Boulevard-Medien – beschäftigen ganze Rechtsabteilungen, die kritische Artikel prüfen.
Deshalb ist die Frage nur berechtigt, warum ein kommerzieller Website-Betreiber wie Facebook keine Verantwortung dafür tragen soll, was auf seinem Online-Angebot veröffentlicht wird. Facebooks bedeutende Rolle bei der politischen Meinungsbildung ist unumstritten. Seine Rolle als gatekeeper auch. Denn Facebook löscht aktiv Beiträge – zumindest solche, die gegen die von der Firma selbst vorgegebenen „Gemeinschaftsstandards“ verstoßen. Und diese sind nicht immer identisch mit Gesetzen und Gepflogenheiten außerhalb der USA.
So schrieb der Chefredakteur der norwegischen Tageszeitung Aftenposten, Espen Egil Hansen, in einem offenen Brief an Facebook-Chef Mark Zuckerberg: „You are the world’s most powerful editor“ und weiter „I think you are abusing your power“. Was war passiert? Grund für Hansens Verärgerung war ein Aftenposten-Artikel, der auch auf Facebook veröffentlicht wurde, und das Pulitzerpreis-gekrönte Bild des nackten „Napalm-Mädchens“ Kim Phuc aus dem Vietnamkrieg zeigte. Der Beitrag wurde von Facebook als „pornografisch“ eingestuft und gelöscht. Hansen fühlte sich in seiner „redaktionellen Verantwortung“ von Facebook eingeschränkt.
Interessanterweise hatte die BBC nur wenige Monate vorher enthüllt, dass Facebook Bilder von spärlich bekleideten Kindern in eindeutigen Gruppen wie „We love schoolgirlz“ nicht löschen wollte, weil diese nicht die Facebook-Gemeinschaftsstandards verletzen würden.
Halten wir also fest: Facebook greift bereits aktiv in Veröffentlichungen ein. Es entscheidet nach selbst gesetzten Regeln, was veröffentlicht werden darf und was nicht. Es hat sich selbst die Rolle des gatekeepers angeeignet. Zudem kontrolliert es den Algorithmus, der entscheidet, was die Nutzer zu lesen bekommen – und vor allem was nicht. Die klassische Aufgabe eines Redakteurs.
Kampf der Kulturen 2.0
Die Welt erlebt derzeit einen sehr disruptiven Technik-Fortschritt. Internet und Smartphone sind im Begriff, unsere wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, die Arbeitsbedingungen und unsere Lebensumstände tiefgreifend und dauerhaft zu verändern. Nicht umsonst wird das, was gerade passiert, oft mit der Industriellen Revolution im 18./19. Jahrhundert verglichen. Diese führte dank Mechanisierung, Elektrizität und der Erfindung der Massenproduktion zu mehr relativem Wohlstand. Auf der anderen Seite nahmen aber auch soziale Missstände zu: Die Landbevölkerung schrumpfte, weil die Menschen zur Arbeit in die Städte zogen. Die Arbeitsbedingungen waren schlecht und die Arbeit oft monoton. Die Spätfolgen der Industrialisierung merken wir heute z. B. durch die globale Erwärmung.
Es bedurfte einiger gesetzlicher und kultureller Anpassungen, bis es gelang, die negativen Folgen der Industriellen Revolution abzumildern. Arbeitsgesetze wurden verändert, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Otto von Bismarck führte die Sozialgesetzgebung ein. Die Infrastruktur in den Städten wurde modernisiert. Sogar das Pariser Klimaabkommen von 2015 kann zu diesen Maßnahmen hinzugezählt werden.
Es ist deshalb unmöglich, heute schon vorauszusehen, welche Folgen die digitale Revolution noch für uns bereithält. Sicher ist aber, dass schon jetzt auf die bekannten und oben beschriebenen Veränderungen auch gesetzlich reagiert werden muss. Länder auf der ganzen Erde versuchen das – auf die ein oder andere Art und Weise.
Viele tun sich schwer, ihre bisher geltenden Standards in das digitale Zeitalter zu übersetzen. Das deutsche NetzDG ist so ein Beispiel. Auf einer Podiumsdiskussion während der Netzwerk-Recherche-Jahreskonferenz 2017 in Hamburg wurde auch deutlich warum. Dort trafen mit der deutschen Chef-Lobbyistin von Facebook und dem Staatssekretär aus dem Justizministerium die beiden Haupt-Protagonisten des NetzDG und damit zwei Welten aufeinander. Während Staatssekretär Gerd Billen vor allem fehlende Transparenz und Kooperationsbereitschaft von Seiten Facebooks bemängelte, kritisierte Lobbyistin Eva-Maria Kirschsieper die staatliche Zensur.
Dabei wurde der kulturelle Kampf um die Hoheit im Netz zwischen dem amerikanischen Internet-Konzern und der deutschen Regierung mehr als offensichtlich. Denn während sich die Industrielle Revolution des 18./19. Jahrhunderts im Rahmen von Nationalstaaten abspielte und auf nationaler Ebene Gesetze angepasst werden konnten, wirken die Veränderungen durch das Internet weltweit. Die Nutzungsbedingungen von Facebook entstammen einem amerikanischen Rechts- und Wertesystem. Das wird an dem Beispiel des Fotos des Napalm-Mädchens deutlich. Nacktheit ist dort stärker tabuisiert als in Europa. Nazi-Symbole sind dagegen kein Problem. Wie stellt Deutschland also sicher, dass auf der US-amerikanischen Plattform Facebook deutsche Gesetze beachtet und uns keine amerikanischen Werte übergestülpt werden?
Die Chinesen haben dafür eine einfache Antwort gefunden. Facebook, Google, Youtube und viele andere Plattformen sind in der Volksrepublik nicht erreichbar. Jedenfalls nicht ohne technische Tricks und erhebliche Geschwindigkeitseinbußen. Great Chinese Firewall wird diese Sperrsoftware in Anspielung an die Chinesische Mauer genannt. Im Gegenzug bieten chinesische Internet-Firmen Dienste an, die den westlichen teilweise sogar überlegen sind. So bietet der Smartphone-Messenger-Dienst WeChat bereits Bezahlfunktionen an, die nicht nur in ganz China das Bezahlen per Smartphone ermöglichen, sondern auch in beliebten chinesischen Reiseländern wie der Schweiz. Sie haben aber auch einen großen Nachteil für die Nutzer: Die Dienste werden komplett überwacht und zensiert.
Allerdings sind Überwachung und Zensur nicht die einzigen Gründe für den chinesischen Sonderweg. Eine wichtige Rolle spielt auch der wirtschaftliche Aspekt. Von jeder Fahrt mit einem Uber-Taxi landen etwa 30 Prozent beim Mutterkonzern in den USA. Mit der Konkurrenz Didi Chuxing bleibt dieses Geld im Land. Tencent, die Firma hinter dem Messenger-Dienst WeChat, hat 2016 über 19 Milliarden Euro Umsatz gemacht – Tendenz stark steigend. Die Chinesen protegieren ihren rund 700 Millionen Nutzer umfassenden Internet-Markt sehr erfolgreich.
Ein weiterer triftiger Grund dürfte die Sicherheitspolitik spielen. Spätestens seit den Enthüllungen des Ex-NSA-Agenten Edward Snowden ist klar: Die US-Geheimdienste nutzen die Internettechnik intensiv, um Menschen anderer Staaten auszuspionieren. Es ist zudem bekannt, dass amerikanische Software- und Internetfirmen bereitwillig mit den amerikanischen Geheimdiensten kooperieren.
Davor schottet sich China auch in ähnlichen Bereichen stark ab: 2014 gab die chinesische Regierung bekannt, dass sie etwa 200 Millionen Behörden-Rechner von Windows XP aufKylin, eine auf chinesische Bedürfnisse angepasste Linux-Variante, umrüsten werde. Ziel sei es, sich unabhängiger von ausländischen Lieferanten zu machen. Die Umstellung auf Windows 8 wurde den Behörden untersagt. Ein Behördensprecher bestätigte, dass China ein eigenes Betriebssystem basierend auf Linux entwickeln wolle. Dass es hierbei um Cyber-Sicherheit geht, wird schon dadurch deutlich, dass das Projekt bei der chinesischen National University of Defense Technology (NUDT) angesiedelt ist. Das chinesische Ministerium für Industrie und Informationstechnik fördert das Projekt.
Die Fragen von Datenschutz, Überwachung, Menschenrechten, nationalen Gesetzen und Cyber Security werden die Welt noch lange beschäftigen. Denn die ist mittlerweile nicht nur globalisiert, sondern auch engmaschig vernetzt. Wer sich nicht wie China vom Internet abschotten möchte (und vor allem kann), der wird Kompromisse eingehen müssen. Das gilt auch für die Europäische Union, die derzeit ihren Schwerpunkt in der Debatte auf den Datenschutz setzt. Die Verhandlungen um das EU-US-Datenschutzabkommen Privacy Shield gleichen mehr und mehr einem Tauziehen. Bei dem Abkommen handele es sich um kein statisches Instrument. „Wir werden es jedes Jahr auf den Prüfstand stellen und sollten Probleme auftreten, werden wir umgehend daran arbeiten, sie abzustellen“, sagt EU-Digitalkommissar Andrus Ansip. Persönliche Daten europäischer Bürger dürfen laut der neuen EU-Datenschutzverordnung nicht mehr ohne Weiteres auf Servern außerhalb der EU gespeichert werden. Es gibt also auch in Europa große Bemühungen, die eigenen Interessen durchzusetzen.
Aber auch das deutsche NetzDG bedarf einer Überarbeitung. Denn in seiner jetzigen Form wird es nur allzu gerne von undemokratischen Regimen als Präzedenzfall herangezogen. Dabei wird natürlich großzügig übersehen, dass in Deutschland die Löschung eines jeden Posts wiederum einklagbar ist – auf Grundlage des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Trotzdem schadet es dem Ansehen der Bunderepublik, weil es eben nicht zu Ende gedacht wurde.
Dieser Kultur-Kampf wird noch mehrere Generationen beschäftigen. Es geht um ethische, rechtliche, ökonomische und natürlich politische Fragen. Fragen, die nicht national beantwortet werden können, weil das Netz sich nicht an Grenzen hält, aber auch nicht national beantwortet werden dürfen. Sonst drohen Abschottung, Protektionismus und im schlimmsten Falle Isolationismus. Am Ende bestimmt der Mensch, ob das Internet die Demokratie stärken oder schwächen wird. Diese Verantwortung können wir nicht auf ein Stück Technologie abwälzen.
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Torben Stephan leitet das Medienprogramm Asien der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Singapur.
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