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Philimon Bulawayo, Reuters

Auslandsinformationen

Wenig ist, wie es vorher war

von Christoph Plate, David Mbae

Zwei afrikanische Medienhäuser meistern kreativ die Pandemie

Galt die Zahlungsbereitschaft für guten Journalismus unter afrikanischen Medienkonsumenten lange als gering, ist die Wertschätzung für zuverlässige Informationen im Zuge der Coronakrise merklich gestiegen. Wer innovativ ist und auf Qualität setzt, kann auch in diesen schwierigen Zeiten reüssieren, wie 263Chat aus Simbabwe und das afrikaweite Projekt The Continent eindrucksvoll demonstrieren.

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Die Pandemie hat die Wahrnehmung verändert – auch unter Verlegern und Medienkonsumenten auf dem afrikanischen Kontinent. Als das Medienprogramm Subsahara-Afrika der Konrad-Adenauer-Stiftung Ende 2018 in Ghanas Hauptstadt Accra eine Konferenz organisierte, waren sich die dort versammelten Verleger und Chefredakteure aus mehr als einem Dutzend afrikanischer Staaten einig: Eine Bezahlschranke, eine Paywall, für seriösen Journalismus, für verifizierte Nachrichten könne nie und nimmer funktionieren. In Afrika nehme man Nachrichten am liebsten gratis mit und bediene sich auf den verschiedenen Plattformen, um einigermaßen informiert zu sein, aber wenn möglich, ohne dafür zu zahlen. Geld auszugeben für guten Journalismus – das taten bis zur Pandemie nur einige wenige Bankdirektoren oder Minister, die sich ein Digitalabonnement des Economist oder der Financial Times leisteten. Es braucht aber für ein Medienhaus eine kritische Menge an zahlungswilligen Lesern, Hörern oder Zuschauern, um zu überleben.

 

Qualität hat ihren Preis

Drei Jahre und eine verheerende Pandemie später hat sich die Lage der Medien dramatisch gewandelt: Zehntausende Journalisten auf dem Kontinent haben ihre Anstellung verloren. Die Werbeeinnahmen sind verheerend eingebrochen. Und immer mehr Verleger fragen sich, wie und warum sie eigentlich noch weitermachen sollen.

Doch wie in jeder Krise eben auch eine Chance liegt, gibt es heute Bezahlschranken bei Zeitungen und Webseiten in Südafrika, in Nigeria und Kenia. Wer an bestimmte und besondere Medieninhalte gelangen möchte, muss die Kreditkarte zücken, oder aber er wird nachdrücklich daran erinnert, dass auch Journalisten überleben müssen. Der stetig wachsende Mittelstand in Ländern wie Kenia, Ghana, Nigeria und Südafrika scheint in der Pandemie gelernt zu haben, dass man für guten und verifizierten Journalismus bezahlen muss. Geht es um den Umgang mit einer Bedrohung wie der Pandemie, reicht es eben nicht, mal hier und da Webseiten anzuschauen. Wer verlässliche Informationen will, muss sich seine Wertschätzung für diesen Journalismus idealerweise auch etwas kosten lassen. Guten Journalismus wird es auch weiterhin geben, doch muss er sich neue Verbreitungswege und Finanzierungsmodelle suchen.

In Simbabwe und Südafrika gibt es zwei sehr innovative Medien-Start-ups, die in der Pandemie gezeigt haben, dass es Kreativität und ein Höchstmaß an unternehmerischer Flexibilität braucht, um ein Medium durch schwierige Zeiten zu steuern, Löhne weiterzahlen zu können und vor allem die Öffentlichkeit wie gewohnt zuverlässig zu informieren. 263Chat in Simbabwes Hauptstadt Harare und The Continent, die erste Whatsapp-Zeitung, die panafrikanisch verteilt und gelesen wird, dokumentieren, wie wichtig seriöser Journalismus in Afrika ist.

Gerade in Simbabwe ist das Fehlen einer freien Debatte um den richtigen Weg für die Gesellschaft deutlich zu spüren. Einige Kirchen und Stiftungen versuchen, eine solche Debatte anzustoßen. Doch die Regierungspartei Zimbabwe African National Union – Patriotic Front (ZANU-PF) nutzt die Medien seit jeher zur Konsolidierung der eigenen Macht. Sie setzt sie gezielt als Instrument zur Gestaltung der öffentlichen Meinung zu ihren eigenen Gunsten ein und erschwert so einen informierten Diskurs über die Probleme und Herausforderungen des Landes.

Wie jeder Sektor in Simbabwe sind auch die Medien ein Produkt des politischen und sozioökonomischen Umfelds. Seit der Jahrtausend-wende befindet sich das Land in einer konti-nuierlichen Krise, die manche auf die typische Krise beim Übergang von einem Entwicklungsland zu einer Wirtschaft mittleren Einkommens zurückführen. Die These, dass im Fall Simbabwes komplexe politische und wirtschaftliche Faktoren den Ausschlag geben, die mit nationalen, regionalen und internationalen Faktoren verflochten sind, erscheint jedoch plausibler.

Die Vielzahl von Publikationen erweckt den Eindruck einer vielfältigen Medienlandschaft – doch das ist ein Trugbild.

Wie auch immer das Urteil ausfällt, die Auswirkungen der Krise sind für jedermann deutlich zu spüren. Offensichtlich sind innerparteiliche politische Auseinandersetzungen um die Macht innerhalb der Regierungspartei sowie die Unterdrückung und Schwächung einer legitimen Opposition. Dies führt zu einer fortwährenden Erosion bürgerlicher, sozioökonomischer und kultureller Freiheiten und erfüllt damit alle Merkmale eines zunehmend dysfunktionalen Staatswesens.

Wer nach Simbabwe kommt, mag angesichts einer Vielzahl von Publikationen den Eindruck gewinnen, die Medienlandschaft sei vielfältig und es werde ein demokratischer Prozess befördert. Doch das ist ein Trugbild. Die wichtigsten Medien (TV, Radio und Print) werden direkt vom Informationsministerium und der Präsidialverwaltung kontrolliert. Sie gehören dem Staat oder Privatpersonen, die eng mit der ZANU-PF oder ranghohen Militärs verbunden sind. Die Mediengesetzgebung dient nicht dazu, den freien Zugang zu Informationen angemessen zu schützen und so den demokratischen Prozess zu ermöglichen und zu fördern. Vielmehr sollen die Regularien dabei helfen, den politischen Status quo aufrechtzuerhalten. Dabei gilt es sicherzustellen, dass kritische Stimmen möglichst leise sind oder gar verstummen.

 

263Chat: Unabhängige Informationen für Simbabwe

Unter diesen alles andere als günstigen Vorzeichen begann im September 2012 die Geschichte von 263Chat. Der Verleger Nigel Mugamu fing mit einem Twitteraccount unter seinem eigenen Namen und einem Hashtag an. +263 ist die internationale Telefonvorwahl für das Land im südlichen Afrika. Gründer und CEO Mugamu, ein gelernter Buchhalter, führt seitdem den poetischen Titel „Chief Storyteller“. Seine Eltern gingen Ende der 1970er Jahre mit einem Stipendium nach Fiji. Als Buchhalter kehrten sie ins unabhängig gewordene Simbabwe zurück, wo Nigel Mugamu aufwuchs. Die Eltern, einerseits traditionell, andererseits weltoffen, lehrten ihn schon früh, über den Tellerrand hinauszuschauen, und bereiteten ihn und seine jüngere Schwester auf das Leben in zwei Welten vor. Hier das traditionelle Familienleben der simbabwischen Mittelschicht, dort die Schnelllebigkeit Europas und des Westens, inklusive der dortigen Gepflogenheiten. Das Bachelorstudium absolvierte Nigel Mugamu in Australien, wo er im Anschluss für weitere fünf Jahre als Buchhalter arbeitete. Nach einem Jahr in der Heimat bewarb er sich für ein Masterstudium an der University of Edinburgh in Schottland. Das Studium finanzierte er durch die Arbeit für ein amerikanisches Unternehmen, das sich auf data storage spezialisiert hatte. Bereits zu diesem Zeitpunkt diskutierte er 2012 auf Twitter unter dem Hashtag #263 politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen wie die politische Polarisierung und den wirtschaftlichen Kurs des Landes. Zu dieser Zeit verfügte Mugamu über keine eigene Webseite.

Internationale Medien beriefen sich bei Berichten aus Simbabwe auf 263Chat als Quelle.

Im Wahljahr 2013 wuchs die Aufmerksamkeit. Immer mehr Simbabwer hatten Zugang zu sozialen Medien. Es war Wahlkampf und mehr und mehr Bürger suchten nach verlässlichen Informationen jenseits der traditionellen Medien. Dies führte gleichsam dazu, dass internationale Medien wie BBC oder Al Jazeera sich bei Berichten aus Simbabwe auf 263Chat als Quelle beriefen. Regionale Sichtbarkeit war die Folge. 263Chat wurde 2013 von Highway Africa, einer Konferenz der Rhodes University in Grahamstown, Südafrika, ausgezeichnet. Highway Africa wurde von Unternehmen, der südafrikanischen Regierung sowie Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit gefördert und prämierte Innovationen in den Bereichen digitale Technologien, Journalismus und Medien. In der Folge ergaben sich für 263Chat Kooperationen mit Botschaften und Entwicklungsagenturen in Simbabwe. In den folgenden Jahren wurde das Angebot von 263Chat um multimediale Kanäle wie Youtube und SoundCloud erweitert. Der Hashtag #263Chat hatte sich inzwischen etabliert, sodass internationale Medienhäuser wie CNN und BBC den Hashtag #263Chat und den Twitteraccount @263Chat in ihren Meldungen verwendeten, um die Stimmungen im Land einzufangen.

Die eigentliche Geschichte des Unternehmens 263Chat begann im Jahr 2015, als es erstmals gelang, die journalistische Arbeit wirtschaftlich nutzbar zu machen. Mit einem Team von vier Journalisten, verteilt auf die vier größten Städte (Harare, Bulawayo, Gweru und Mutare), wurden Informationen gesammelt, redaktionell aufbereitet und geteilt. Diese Nachrichten wurden fortan nicht nur auf den Social-Media-Kanälen verbreitet, sondern gebündelt auf der Webseite 263chat.com veröffentlicht. Im Juni 2016 folgten dem Account auf Twitter mehr als 63.000 Personen. Auf Facebook waren es 8.300 Personen, auf Instagram 1.300. In der Folge etablierte sich 263Chat als einer der führenden Anbieter in der Produktion und im Livestreaming von Veranstaltungen zivilgesellschaftlicher Organisationen und privater Unternehmen.

Das Jahr 2017, welches eine Zäsur in Simbabwe darstellte, weil der Langzeitpräsident Robert Mugabe gestürzt wurde, war auch für 263Chat ein entscheidendes. Zu dem Zeitpunkt, als die Militärführung den langjährigen Machthaber absetzte und unter Hausarrest stellte, wurde von 263Chat erstmals das E-Paper herausgegeben, das bis heute ein wichtiges Instrument der Berichterstattung darstellt. Das E-Paper ist eine Tageszeitung, die von Montag bis Freitag erscheint und als PDF-Datei per Whatsapp an Abonnenten versendet wird. Durch Anzeigenwerbung finanziert, ist die Publikation für die Leser kostenlos. Die Zahl der Abonnenten wächst seitdem stetig an.

 

Mit Innovation auch in der Pandemie erfolgreich

Auch 263Chat ist von der Coronapandemie stark betroffen. Die Berichterstattung wurde durch die eingeschränkte Bewegungsfreiheit erheblich erschwert. Hinzu kam, dass die für die Akkreditierung von Journalisten zuständige Medienkommission bis Mitte 2020 keine Presseausweise ausstellte, sodass Journalisten nicht nachweisen konnten, dass sie essential service leisteten. Die Politik der Media Commission wird von unabhängigen Journalisten seit Jahren kritisiert, da sie eine freie Berichterstattung erschwert und journalistische Arbeit kriminalisiert. Zahlreiche Journalisten wurden verhaftet oder durch die Sicherheitskräfte eingeschüchtert. Auch ein Mitarbeiter von 263Chat wurde vorübergehend festgenommen. Trotz der sich zunehmend verschlechternden wirtschaftlichen Lage eines Großteils der Bevölkerung stiegen die Zahlen der E-Paper-Abonnenten und der Verkehr auf der Webseite nahm zu. Immer mehr Firmen wollten digital werben, was 263Chat gegenüber den traditionellen Medien einen Vorteil verschaffte.

Da viele der Geräte nicht internetfähig sind, sind SMS häufig das wichtigste Kommunikationsmittel.

Technische Innovation ist wichtig, gerade in Zeiten der Pandemie. Und so kann das Unternehmen seit Juni 2021 Nachrichten per SMS versenden. Das mag auf Außenstehende altmodisch wirken, ist aber immens bedeutsam: In Simbabwe waren im Januar 2021 14,7 Millionen mobile Telefonanschlüsse registriert. Viele Geräte sind nicht internetfähig. SMS sind für viele Bürger das wichtigste Kommunikationsmittel. Die Zahl der potenziellen Empfänger ist enorm gestiegen und es wird Menschen der Zugang zu tagesaktuellen Nachrichten ermöglicht, die bisher keinen oder nur unregelmäßigen Kontakt zu unabhängigen Medien hatten. Gerade mit Blick auf Wahlen in der Zukunft stellt dies eine nicht zu unterschätzende Wandlung der Medienlandschaft in Simbabwe dar.

263Chat ist heute wirtschaftlich erfolgreich, da es von Beginn an digitale Medien genutzt und auf diese Weise Werbekunden an sich gebunden hat. Zusätzlich hat das Unternehmen Vereinbarungen mit vier Universitäten in Simbabwe getroffen, um bei der Ausbildung von Nachwuchsjournalisten mitzuwirken und deren Standard zu verbessern. Mit einem Team von mittlerweile zehn Journalisten veröffentlicht 263Chat heute Inhalte auf 263chat.com, im E-Paper, auf Twitter, Facebook, Instagram und nun auch per SMS. Mittlerweile folgen 263Chat auf Twitter 488.000 Personen, 198.000 auf Facebook, 54.000 auf Youtube und 46.500 Personen erhalten per Whatsapp das E-Paper. Dieses rasante Wachstum erklärt sich aus der zunehmenden Digitalisierung und der Hinwendung der Öffentlichkeit zu Medien, die eine niedrige Zugangsschwelle anbieten, indem sie der breiten Öffentlichkeit unabhängige Nachrichten kostenlos anbieten. Das ist bedeutsam, denn fast drei Viertel aller Simbabwer leben auf dem Land. Sie sind wahlentscheidend und wurden in der Vergangenheit oft von den regierenden Eliten bei Wahlen in die Irre geführt.

In der polarisierten politischen Landschaft Simbabwes veröffentlicht 263Chat die Nachrichten stets ohne politische Parteinahme. Glaubwürdigkeit und das daraus resultierende Vertrauen einer wachsenden Leserschaft entscheiden auch in Simbabwe langfristig über die Attraktivität der Medien für Werbekunden.

 

The Continent: Ein panafrikanisches Projekt

Die Kreativität und Innovationslust von Nigel Mugamu haben Simon Allison in Südafrika inspiriert, trotz oder gerade wegen der Pandemie das Start-up The Continent zu gründen. Ein gutes Jahr nach dem ersten Erscheinen der Whatsapp-Zeitung im April 2020, der ersten kontinentalen Publikation, die von keiner Zensurbehörde kontrolliert wird, der man nicht den Druck verweigern und die nicht in einer Postverteilstelle hängen bleiben kann, gibt es 11.000 Abonnenten. Im Schnitt wird jede wöchentliche Ausgabe, die per Whatsapp versendet wird, an geschätzt mindestens sechs unterschiedliche Empfänger weiterverteilt, man rechnet daher mit fast 100.000 Lesern pro Woche. „Wir sind vermutlich die meistgelesene kontinentale Publikation in Afrika“, sagt Allison mit Stolz. Und die Geber drängen sich danach, bei einem solchen Projekt dabei zu sein: Die Open-Society-Foundation von George Soros ist gerade an die kleine Continent-Redaktion herangetreten mit der Bitte, eine aufwändige Recherche im von Terrorangriffen gebeutelten Norden von Mosambik finanzieren zu dürfen. Simon Allison wird nach Maputo fahren und den mosambikanischen Journalisten, die im Norden recherchieren sollen, sagen, welche Fragen ein kontinentales Publikum interessieren. „Diese Journalisten haben die Kontakte und die Einsichten, die ein Fremder nie haben würde“, weiß er aus Erfahrung. Das amerikanische National Endowment for Democracy in Washington, D.C. finanziert einige Stellen in der Redaktion. Derzeit sind elf Personen angestellt, darunter vier vollbezahlte Redakteure, in Teilzeit arbeiten dann noch unter anderem eine Designerin, eine Vertriebsexpertin und eine Schlussredakteurin.

The Continent entstand mithilfe der traditionsreichen Zeitung Mail & Guardian in Johannesburg. Die Publikation und ihre Vorgängerinnen wie die Rand Daily Mail, bei der Allisons Vater zu Apartheidzeiten tätig war und die verboten wurde, oder auch der Weekly Mail & Guardian unter dem damaligen Chefredakteur Anton Harber haben sich große Verdienste beim Aufdecken von Menschenrechtsverletzungen des Apartheidregimes erworben. Doch heute beziehen viele der knapp 30.000 Abonnenten die Zeitung nur noch aus alter Verbundenheit. Der Versuch unter dem damaligen Chef Trevor Ncube, eine afrikaweite Publikation zu werden, endete in einem finanziellen Desaster. Auch wenn die Zeitung nach wie vor in der Kopfzeile den Vermerk „Africa’s best read“ trägt, war es für die mehrheitlich weiße Redaktion traumatisch mitzuerleben, wie das Projekt, eine panafrikanische Lektüre auf die Beine zu stellen, scheiterte. Die Bereitschaft des Mutterblattes Mail & Guardian, sich bei dem neuen Projekt The Continent zu engagieren, beschränkte sich deshalb darauf, gelegentlich Texte für die Wiederveröffentlichung bereitzustellen und dem Afrika-Redakteur der Zeitung, Simon Allison, die Möglichkeit zu geben, an diesem afrikaweiten Projekt zu arbeiten.

Die neuen Technologien wie Whatsapp und die zunehmende Digitalisierung gerade in Subsahara-Afrika gaben ihm die Möglichkeit dazu. Auf einer Konferenz des Medienprogramms der Konrad-Adenauer-Stiftung im Jahr 2019 in Gaborone über die Glaubwürdigkeitskrise der Medien stellte Allison seine Idee von einer wirklich afrikanischen Publikation vor. Nie hätte er damals geahnt, wie schnell sich The Continent in die Realität würde umsetzen lassen. Dabei geholfen hat ihm die Begegnung mit dem innovativen simbabwischen Nachrichtenmann Nigel Mugamu auf ebenjener Konferenz in Gaborone. Mugamu berichtete von der Idee, seine Publikation 263Chat über Whatsapp an die simbabwischen Leser zu verbreiten. Allison ließ sich inspirieren. Heute gibt es 11.000 Abonnenten sowie geschätzt 100.000 Leser in immerhin 105 verschiedenen Ländern, was angesichts der Auflagenzahlen anderer Publikationen auf dem Kontinent als sehr respektabel gelten darf. Neben überraschenden Staaten wie Kasachstan und Kirgisistan leben die meisten Abonnenten in Südafrika, Kenia, Nigeria, Simbabwe und den USA.

Die Diaspora sehnt sich nach Informationen – The Continent auf dem Smartphone oder dem Tablet zu lesen, bedient dieses Bedürfnis. Leser in der Diaspora sind in der Regel bereit, auch etwas Geld zu geben, um die Publikation am Laufen zu halten. Die Premium Times in Nigeria macht das erfolgreich vor. Und da deren Gründer Dapo Olorunyomi und Simon Allison sich ebenfalls bei Konferenzen des Medienprogramms der Konrad-Adenauer-Stiftung begegnet sind, werden die nigerianischen Erfahrungen mit dem Anzapfen der Diaspora auch den Machern von The Continent in Südafrika zugutekommen.

The Continent muss aufpassen, nicht Opfer des eigenen Erfolgs zu werden.

Die Zeitung publiziert wöchentliche Städteporträts von Mogadischu über Khartum bis Lagos. Es wird über Geldwäsche in Kinshasa, Waffenhandel in Brazzaville, die Situation Homosexueller in Uganda oder über Fischer in Sierra Leone berichtet, denen durch chinesische Fischfangverbände das Leben schwergemacht wird. In kurzen Analysen wird gefragt, warum es nun schon wieder einen Militärputsch in Mali gegeben hat oder ob der Anführer der nigerianischen Terrorgruppe Boko Haram wirklich tot ist oder nicht.

 

Kleines Team, große Träume

Mittlerweile interessiert sich die Werbeindustrie für The Continent – so etwa eine große südafrikanische Bank, die in das kontinentale Bankengeschäft einsteigen möchte. Ihre Versuche, sogenannten sponsored content in die Zeitung zu bringen, wurden jedoch von der Redaktion abgelehnt. Zitto Kabwe, ein wichtiger tansanischer Oppositionspolitiker, hat die Arbeit von The Continent als einen der wichtigsten Beiträge für Demokratie und Meinungsfreiheit während der Herrschaft des Diktators John Magufuli bezeichnet.

Weil das Team von The Continent sehr klein ist, weil jeder alles machen muss, der Redakteur derzeit auch noch einen Teil der Buchhaltung erledigt, weil die Mitarbeiter kreativ sind, viele Ideen haben, muss The Continent aber auch aufpassen, nicht Opfer des eigenen Erfolgs zu werden: nicht zu schnell wachsen und vor allem nicht den Fehler begehen, der das Mutterblatt beutelt, in dem Reportagen und Essays nachgedruckt werden, die der politisch interessierte Leser oft schon vor Tagen auf anderen Webseiten und in Meinungsforen zu Afrika gesehen hat. Ausführliche, gut erzählte Geschichten sind auch in der auf 30 Seiten pro Ausgabe limitierten Whatsapp-Zeitung möglich. 150 Journalisten aus Afrika haben im ersten Jahr für The Continent geschrieben und sie sind nach Angaben von Simon Allison auch alle bezahlt worden.

Für die Zukunft ist eine französische Ausgabe geplant, was angesichts der eher wenig inspirierenden Medienlandschaft in Westafrika ein Selbstläufer sein könnte. Simon Allison träumt auch von Voice Notes, mit denen die Zeitung zu einem Audio-Erlebnis werden kann. Das größte Verdienst ist aber nicht nur, in Zeiten der Pandemie mit einem mutigen und visionären Projekt gestartet zu sein, sondern zum ersten Mal Lesern in Sierra Leone die Möglichkeit zu geben, guten Journalismus aus Simbabwe kennenzulernen und umgekehrt.

Jetzt heißt es vor allem, die Qualität zu halten, journalistische Fehler zu vermeiden und das Vertrauen in seriösen Journalismus, das in der Pandemie deutlich gewachsen ist, weiter mit wöchentlichen Ausgaben von The Continent zu festigen. Noch sind The Continent und auch 263Chat kostenfreie Lektüreangebote. Das ist auch einigen Philanthropen vor allem aus den USA zu verdanken. Doch idealerweise werden auch diese beiden kreativen Unternehmungen irgendwann einmal auf eigenen Füßen stehen können.

So wie 263Chat in Simbabwe gerade in der Krise viel Zuspruch erfuhr und den demokratischen Prozess fördern kann, so gelingt The Continent etwas anderes: Über koloniale und sprachliche Grenzen hinweg wird über das gesamte subsaharische Afrika informiert. Es geht auch im afrikanischen Journalismus nie darum, das Rad neu zu erfinden. Nur müssen sich Medienmacher auch und gerade während der Pandemie häufiger als früher selbst hinterfragen: Ist dies der richtige Weg? Wie kann ich technische Neuerungen nutzen? Erreiche ich die, die ich erreichen will?

Kreative Ideen sind in der Krise entstanden. Allerdings müssen sich viele dieser Projekte oder Start-ups mittelfristig von der Abhängigkeit mächtiger Sponsoren befreien. Darum ist es vielversprechend, dass gerade Verleger wie Nigel Mugamu und Redakteure wie Simon Allison nicht müde werden zu betonen, dass gerade in diesen schwierigen Zeiten leitende Journalisten auch wie Manager denken müssen. Nur so wird diese Art von wichtigem Journalismus mittelfristig erfolgreich sein.

 


 

Christoph Plate ist Leiter des Medienprogramms Subsahara-Afrika der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Johannesburg, Südafrika.


 

David Mbae ist Referent in der Abteilung Subsahara-Afrika der Konrad-Adenauer-Stiftung.


 

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