Länderberichte
Safrangelb ist die Farbe des religiösen Hinduismus. Es ist auch eine der drei Farben in der indischen Flagge, neben grün für die Muslims und weiß für die Buddhisten. "Saffronization" ist ein Begriff, der seit einigen Jahren immer häufiger in den Medien auftaucht. Er ist Teil der Kritik am politischen Hindunationalismus und beschreibt dessen Bemühungen, nicht nur Indiens Gegenwart, sondern auch die Vergangenheit des Landes safrangelb zu färben. Damit soll eine Homogenität erzeugt werden, die es in der Wirklichkeit nicht gibt. Anstelle der kulturellen Vielfalt soll nur noch eine Kultur in Erscheinung treten, statt zahlreicher Sprachen dominiert jetzt Hindi und die säkularistischen Traditionen des Landes werden hinduistisch unterminiert.
Am stärksten betroffen von dieser Entwicklung ist das gesamte Erziehungswesen, beginnend von der Grundschulausbildung bis hin zu den Universitätsabschlüssen. Betroffen sind damit zusammenhängend aber auch sämtliche staatlich geförderten Publikationen von den Schulbüchern bis zu wissenschaftlichen Akteneditionen. Seit Januar d. J. wird quer durch alle Medien eine erbitterte Auseinandersetzung geführt, die - cum grano salis - durchaus Ähnlichkeiten aufweist mit dem Historikerstreit in Deutschland. Es ist schon beachtlich, wenn zur besten Fernsehzeit am frühen Samstagabend die namhaftesten Fachhistoriker Indiens darüber diskutieren, welche Dokumente des indischen Freiheitskampfes bereits wem bekannt sind bzw. verdienen, jetzt veröffentlicht zu werden.
Den Hintergrund bildet eine Aktenedition des "Indian Council of Historical Research" (ICHR), die schon seit über zwanzig Jahren in der Bearbeitung ist und bereits dem renommierten Verlag "Oxford University Press" zum Druck vorlag. Da jedoch in der Zwischenzeit der Beirat des ICHR neu zusammengesetzt worden ist, haben neue, der regierenden hindunationalistischen BJP nahestehende Beiratsmitglieder die Publikation gestoppt. Es soll an dieser Stelle nicht die Diskussion aufgerollt werden, welche Dokumente nun verdienen, publiziert zu werden und welche nicht; wichtig ist jedoch der Hinweis, daß das gesamte Vorgehen in dem Geruch der politischen Zensur steht, denn bei den Agitatoren dieses Streits handelt es sich weniger um ausgewiesene Kenner der Materie als vielmehr um Vertreter politischer Interessen.
Einen ähnlichen Tenor hat jetzt der Streit um einen Entwurf neuer Rahmenrichtlinien, der von dem führenden Forschungsinstitut für Erziehung, dem "National Council for Educational Research and Training" (NCERT), ausgearbeitet worden ist und an allen Schulen des Landes zum Tragen kommen soll. "A saffron curriculum?" überschreibt die Zeitschrift Frontline ihren Leitartikel vom 28. April 2000. Der Entwurf, der bereits in zahlreichen Anhörungen in verschiedenen Städten Indiens diskutiert worden ist, wird nicht nur fachlich, sondern auch politisch kritisiert. Die zentrale Frage ist dabei, was für das kulturelle Erbe Indiens konstitutiv ist und wie es unterrichtet werden soll. Dabei rücken vor allem Fragen des Religions- und des Sprachunterrichts in den Vordergrund.
Der Entwurf brandmarkt das Bemühen des indischen Erziehungswesens um religiöse Neutralität als falsch verstandenen Säkularismus. Seit der Unabhängigkeit des Landes vor über 50 Jahren und den mit der Teilung verbundenen religiösen Auseinandersetzungen haben die Verantwortlichen in der Regel versucht, Religionsunterricht ganz aus den Schulcurricula herauszuhalten. Es gab lediglich Ansätze zur Unterrichtung einer allgemeinen Religionskunde, die im multireligiösen Indien sehr breit angelegt sein mußte. Demgegenüber fordert der Entwurf des NCERT die Einführung von Religionsunterricht für alle Altersstufen. Seine Kritiker befürchten, daß damit der Anspruch auf Neutralität preisgegeben wird und außer dem Hinduismus nur noch die Religionen angemessen zur Geltung kommen, die ohnehin vom Hinduismus absorbiert werden.
Diese Befürchtung stützt sich vor allem auf die Tendenz des Entwurfs, das kulturelle Erbe Indiens fast ausschließlich hinduistisch zu interpretieren ("saffronisation drive"). Obwohl es vor dem 13. Jahrhundert insgesamt nur sehr wenige aussagekräftige Dokumente gibt und danach unter anderem auch drei Jahrhunderte muslimischer Herrschaft folgen und etwa zwei Jahrhunderte unter starkem britischen Einfluß standen, sollen primär Gandhi und Tagore, Aurobindo und J. Krishnamurthy als "native thinkers" unterrichtet werden. Daß Schulkinder mehr über Sir Isaac Newton als über Shri Aurobindo wissen sollen, bezeichnet der Entwurf als "imbalance". Leser des Entwurfs müssen sich zwangsläufig fragen, was gemeint ist, wenn im Text fortlaufend von "our past" und "our cultural heritage" die Rede ist.
Die gleiche Tendenz zeigt sich in der Frage des Sprachunterrichts. Hier sollen Hindi und Sanskrit gegenüber Englisch und den zahlreichen Regionalsprachen in Indien aufgewertet werden. Angesichts der rapide fortschreitenden Globalisierung und der damit verbundenen Chancen für Indien erscheint den Kritikern diese Politik als kontraproduktiv. Sie kann lediglich den Trend verstärken, daß diejenigen, die es sich finanziell leisten können, in den privaten Schulsektor überwechseln.
Hinter der Kontroverse um den Entwurf des NCERT steht jedoch ebenso eine Personaldiskussion wie im Falle der Aktenedition des ICHR. Es handelt sich um K.G. Rastogi, der inzwischen in zahlreichen Gremien eine Schlüsselfunktion einnimmt. Er bezeichnet sich selber als Aktivist der rechtsradikalen RSS und rühmt sich in seiner vor einem Jahr erschienenen Autobiographie seiner anti-muslimischen Taten während der Teilung Indiens. Das Vorwort hierzu hat K. S. Sudarshan geschrieben, der neue Führer der RSS.
Die Kritiker hingegen rekrutieren sich keineswegs nur aus den Reihen der linken Parteien, vor allem der Congress (I) findet in der Kritik zu neuer Geschlossenheit. Bemerkenswert ist jedoch vor allem, daß sich auch mehr und mehr Stimmen aus der derzeitigen Regierungskoalition selber gegen die "saffron agenda of the Vajpayee Government" (Frontline, ebd.) erheben.
Während sich Historiker vor allem darüber erregen, daß einer mythischen Vergangenheit Realität zugeschrieben und diese auch noch politisch instrumentalisiert wird, und viele Beobachter vor allem eine erneute Verstärkung des religiösen Fundamentalismus befürchten, geht es den meisten Kritikern um die Handlungsfähigkeit der kommenden Generation, für die das Erziehungswesen das wichtigste Instrument darstellt. (Vgl. auch: The Hindu, 18 und 22. April 2000).