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Länderberichte

Mehrdimensionale Krise in Indonesien

von Dr. habil Klaus Paehler
Zahllose Krisenherde stellen Indonesiens politische und wirtschaftliche Klasse vor gewaltige Herausforderungen bei ihrem Bemühen, im Zeichen von Vergangenheitsbewältigung und Zukunftsgestaltung bei der eigenen Bevölkerung wie bei ausländischen Investoren an Vertrauen in eine solide, transparente und berechenbare Politik zu gewinnen: Unübersehbare Signale politischer Instabilität, ungelöste Probleme im Wirtschafts-, Finanz- und Sozialbereich. Vielleicht die bedrohlichste Dimension der Krise sind jedoch die Konflikte im Zusammenhang mit Unabhängigkeitsbestrebungen mehrerer Provinzen, die die staatliche Einheit in Frage stellen.

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Zu Beginn des neuen Jahres befindet sich Indonesien in einer multidimensionalen Krisensituation, die des "Milleniums" gewiß würdig ist und die man ohne Übertreibung als Notstand beschreiben kann. Er dürfte nach der vertraulichen Einschätzung von Spitzenpolitikern zwei Jahre andauern. Danach könnte das Land noch weitere vier bis fünf Jahre brauchen, um sich nachhaltig zu erholen. Die wichtigsten Dimensionen der Krise sind:

  • Die politische Krise,

  • die Wirtschafts- und Finanzkrise,

  • die soziale Krise, die Verarmung und Hunger einschließt,

    sowie schließlich

  • die Krise der staatlichen Einheit.

Die politische Krise

Nur gut zwei Monate nach Amtsantritt des neuen indonesischen Präsidenten Abdurrahman Wahrt - besser bekannt als Gus Dur - ist es für eine Zwischenbilanz seiner Politik zu früh. Gewiß hat seine Wahl und sein Kabinett zu einer deutlichen politischen Beruhigung des Landes geführt. Man gibt dem neuen Präsidenten eine Chance. Ob er sie zu nutzen versteht, muß noch abgewartet werden. Zu widersprüchlich sind viele seiner politischen Signale. Zu oft ist er auf Auslandsreise, statt sich um die zahllosen Krisenherde im eigenen Land zu kümmern, werfen Kritiker ihm vor.

Viele Kompromisse mußte er bereits bei der Zusammensetzung seines Kabinetts schließen. So klug es gewiß war, alle wichtigen politischen Kräfte am politischen Neuaufbau zu beteiligen und in die Verantwortung einzubeziehen, so schwierig wird es bleiben, die gegenwärtige Koalition zusammenzuhalten. Immer wieder wird z. B. von Umsturzversuchen gegen Gus Dur und seine Vizepräsidentin Megawati berichtet. Auch hat der Präsident selbst in seiner einerseits erfrischend neuen, andererseits aber oft auch unüberlegt schnellen Art und Weise seine eigene Politik und sein eigenes Kabinett mehrfach in Frage gestellt, z. B. wenn er davon sprach, gegen mehrere Minister gäbe es schweren Korruptionsverdacht, ohne dies jedoch zu präzisieren.

Spitzenpolitiker, die Gus Dur gegenüber eher kritisch eingestellt sind, interessieren sich für die Möglichkeit eines konstruktiven Mißtrauensvotums, wie sie etwa die deutsche Verfassung bietet. Der Verteidigungsminister, ein Zivilist, Hochschullehrer und gewiß kein Scharfmacher, spricht in aller Öffentlichkeit von der Gefahr eines Militärputsches, wenn es nicht in absehbarer Zeit gelinge, eine glaubwürdige und funktionsfähige Zivilregierung dauerhaft zu etablieren.

Gleich zu Anfang des neuen Jahres spekuliert denn auch die führende Jakarta Post über eine größere Kabinettsumbildung. Besonders interessant ist, daß auch der Koordinierungsminister für Politik und Sicherheitsfragen, der ehemalige Verteidigungsminister und Chef der Streitkräfte, General Wiranto, zur Diskussion gestellt wird. Immer noch gilt er als mächtig, auch wenn ihm von vielen Kommentatoren zumindest eine Mitverantwortung an den Grausamkeiten in Osttimor gegeben wird. Selbst wenn er keine Befehle zu Menschenrechtsverletzungen gegeben haben sollte, wäre es jedoch seine dienstliche Pflicht gewesen, diese zu verhindern. Die Schuld allein den Mördern und Folterern vor Ort zu geben, greife zu kurz.

In kleiner Runde räumte der Verteidigungsminister denn auch ein, daß die Streitkräfte gewillt seien, bis zu fünf höchste Offiziere wegen der Ereignisse in Osttimor zur Verantwortung ziehen zu lassen: aber keinesfalls mehr und auch nicht vor einem internationalen, sondern nur vor einem indonesischen Tribunal. Etwa fünf Jahre wird es nach seiner Einschätzung dauern, bis die Streitkräfte wirksam der zivilen politischen Kontrolle untergeordnet sein werden.

Die Zwillingsthemen "Vergangenheitsbewältigung" und "Zukunftsgestaltung" umreißen also einen wichtigen Aspekt der politischen Problematik Indonesiens. Sie sind untrennbar verknüpft: Ohne wenigstens in Teilen glaubwürdig die schlimmsten Auswüchse des Soeharto-Regimes sichtbar zu ahnden, wird Indonesiens politische und wirtschaftliche Klasse weder bei der eigenen Bevölkerung noch bei ausländischen Investoren Vertrauen in eine solide, transparente und berechenbare Politik aufbauen können.

Finanz-, Sozial- und Wirtschaftskrise

Vor wenigen Tagen wurde bekannt, daß in Westsumatra während der Weihnachtszeit 63 Kinder an den Folgen von Unterernährung gestorben sind. Dies ist gewiß nur die Spitze eines Eisbergs. Daher braucht die Regierung sichtbare Anfangserfolge vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet, die allen zugute kommen. Sonst wird ihr die für die anstehenden Reformen notwendige politische Rückendeckung bei der Bevölkerung und besonders auch bei den Streitkräften fehlen.

Ein weiteres, äußerst ernstes Problem ist die Korruption, die nach Auffassung eingeweihter, ehemals hochrangiger Politiker das gesamte Land so umfassend und tief durchdrungen hat, das man geradezu von einer "Kultur der Korruption" spricht. Die Bekämpfung dieses Übels dürfte eine der schwierigsten Aufgaben jeder künftigen indonesischen Regierung sein.

Einseitige moralische Entrüstung ist hier aber keineswegs angezeigt, denn diese Korruption ist keineswegs allein ein inner-indonesisches Phänomen. Der jüngst viel diskutierte Fall eines multinationalen Bestechungsskandals mit amerikanischer und japanischer Beteiligung illustriert dies. In einem Kraftwerksprojekt (Paiton 1) im Wert von mehreren Milliarden Dollar sollen Bestechungsgelder gezahlt worden sein, die wenigstens zum Teil der Soeharto-Familie zugeflossen sein sollen. Außerdem sollen die beteiligten Firmen die Kosten aufgebläht haben, um sich so zusätzliche Vorteile zu verschaffen.

Eine weitere Hiobsbotschaft betrifft die Zentralbank, die mutmaßlich bankrott ist und von Staat mit frischem Kapital versorgt werden muß. Der IMF hat dem bereits grundsätzlich zugestimmt. Eine von der Regierung angeordnete Wirtschaftsprüfung hatte ergeben, daß etwa 7 Milliarden US$ falsch verwendet worden sind. Außerdem scheint es erhebliche Schlampereien in der gesamten Geschäftsführung der Zentralbank gegeben zu haben. Dies zeigt, daß die Unabhängigkeit der Zentralbank von der Regierung - die in der Folge der asiatischen Wirtschaftskrise hergestellt worden war - allein noch keineswegs deren Leistungsfähigkeit verbürgt.

Die zur Sanierung der Notenbank benötigten, in ihrer Höhe noch nicht feststehenden Beträge treiben die bereits bisher zur Sanierung des Bankensektors erforderlichen mehr als 90 Milliarden US$ weiter in die Höhe. Insgesamt dürfte dies - gemessen am Bruttosozialprodukt des Landes - eine der teuersten Sanierungsaktionen der Wirtschaftsgeschichte sein.

Daneben verblassen einige an sich erfreuliche Nachrichten wie etwa die,

  • daß die Inflationsrate von 12% auf etwa 2% gefallen ist,

  • daß sich der Kurs der Rupiah bei etwa 7000 gegenüber dem Dollar recht gut stabilisiert hat,

  • daß die Börse Kursgewinne von 70% verbuchen konnte, und

  • daß für das Jahr 2000 mit einem Wachstum von 2-3% gerechnet werden darf. Im Jahre 1998 war die Wirtschaft um etwa 13% geschrumpft und kämpfte mit einer Hyperinflation von 77%. 1999 betrug die Wachstumsrate wahrscheinlich 0%.

Entscheidend für die wirtschaftliche Erholung ist aber der Zufluß privaten Risikokapitals, und der hängt maßgeblich von der Wiederherstellung des Vertrauens in die grundsätzliche Bonität des Landes ab. Sollten die Investoren dazu auch den soeben von der Heritage Foundation und dem Wall Street Journal herausgegebenen 2000 Index of Economic Freedom heranziehen, werden sie das Land auf Rangplatz 110 finden, in Gesellschaft etwa mit China, Pakistan, Algerien oder Äthiopien, weit nach den Nachbarn Malaysia und Thailand (beide Platz 46), gar nicht zu vergleichen mit dem sonst gar nicht so liberalen Singapur (Platz 2), aber vor Rußland (122), Indien (127) oder Vietnam (148). Im Vergleich dazu: Deutschland liegt auf Platz 22.

Krise der staatlichen Einheit

Vielleicht wird es in Zukunft aber gar keinen Index der Wirtschaftsfreiheit für Indonesien mehr geben, weil es Indonesien nicht mehr gibt. Die vielleicht - auch über Indonesien hinaus - bedrohlichste Dimension der Krise des Landes ist in den Unabhängigkeitsbestrebungen mehrerer Provinzen zu sehen.

Aceh an der Nordspitze Sumatras ist inzwischen international bekannt, auch wenn es in dieser streng islamischen Provinz im Moment wohl wegen des Fastenmonats relativ ruhig ist. Dies kann sich aber nach Einschätzung höchstrangiger indonesischer Politiker schon in den nächsten Wochen ändern. Es hat nichts zur Lösung des Problems beigetragen, daß der Präsident Aceh zunächst eine Abstimmung in Aussicht gestellt hatte, die weitgehend als Analogon zur Abstimmung über Osttimor verstanden wurde. Später folgten Einschränkungen und Gus Dur stellte sich als Wahrer der nationalen Einheit "um jeden Preis" dar. Diese Äußerung weckte die Erinnerungen an die zahllosen Menschenrechtsverletzungen, die den indonesischen Streitkräften in Aceh vorgeworfen werden und die eine wesentliche Ursache der Unabhängigkeitsbestrebungen sind.

Ein wahrscheinlich noch gefährlicherer und schwerer zu beruhigender Konfliktherd ist die Provinz der Molukken. Hier hat es bei blutigsten Auseinandersetzungen zwischen Moslems und Christen aus nichtigen Anlässen allein in den letzten zwei Wochen wohl mehrere hundert Tote gegeben. Auch ein Kurzbesuch des Präsidenten und seiner Vizepräsidentin hat den Ablauf der Ereignisse nicht im geringsten beeinflußt. Es besteht weitgehende Ratlosigkeit, wie dieses Problem gelöst werden könnte, da es sich hier um einen "horizontalen Konflikt" handelt, der auch durch mehr Unabhängigkeit von Jakarta oder gar staatliche Autonomie nicht zu lösen wäre. Christen und Moslems würden sich dann eben in ihrem eigenen, unabhängigen Staat umbringen.

Der Aceh-Konflikt ebenso wie der in der bisher Irian Jaya und seit neuestem Papua genannten Provinz im fernsten Osten Indonesiens ist dagegen vertikaler Natur: Unabhängigkeit von Jakarta könnte die Probleme lösen, würde aber natürlich zu neuen Problemen führen, möglicherweise zum völligen Zerfall Indonesiens. Diese Ansicht jedenfalls vertrat der Verteidigungsminister in kleinem Kreise.

Ob den daraus entstehenden Einzelstaaten, der Region Südostasien und den weltweiten Sicherheitsinteressen insgesamt gedient wäre, ist mehr als fraglich, denn der indonesische Archipel liegt wie ein Sperriegel im Meer zwischen dem asiatischen Festland und dem australischen Kontinent. Sicherheitsrisiken in der freien Passage für die Schiffahrt könnten den Welthandel massiv beeinträchtigen. Damit schließt sich der Kreis: Die politische und die ökonomische Dimension der Krise sowie die Gefahr der Auflösung des Staatswesens sind interdependent und dauerhaft wohl nur gemeinsam zu lösen.

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