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Länderberichte

Neuwahl des Staatspräsidenten

von Dr. Wulf Eberhard Schönbohm
Obwohl die derzeitige türkische Verfassung eine Wiederwahl des Staatspräsidenten ausschließt, strebt Amtsinhaber Demirel ein erneutes Mandat an. Ob eine Verfassungsänderung ("Lex Demirel"), für die sich Ministerpräsident Ecevit stark macht, zustande kommt, ist keineswegs sicher und könnte möglicherweise sogar die Koalitionsregierung in eine Krise stürzen.

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Stellung des Staatspräsidenten

Am 16. Mai 2000 läuft nach der Verfassung von 1982 die siebenjährige Amtszeit des türkischen Staatspräsidenten ab. Eine Wiederwahl ist nicht möglich. Bis zu diesem Termin muß ein neuer Staatspräsident gewählt sein oder das Parlament ist automatisch aufgelöst. Der türkische Staatspräsident hat nicht nur repräsentative Funktionen, sondern hat wesentlichen Einfluß auf die Regierungsbildung, kann Neuwahlen ansetzen und gegen beschlossene Gesetze sein Veto einlegen mit der Folge, daß das Parlament über dieses Gesetz noch einmal mit qualifizierter Mehrheit abstimmen muß.

Der Staatspräsident ist Oberbefehlshaber, Vorsitzender des mächtigen Nationalen Sicherheitsrates, ratifiziert außenpolitische Verträge, beruft die Mitglieder des sehr einflußreichen Hochschulrates, die Hochschulrektoren, Botschafter und die hohen Beamten. Gegen Anordnungen des Staatspräsidenten können die Gerichte nicht angerufen werden.

"Lex Demirel" - die angestrebte Verfassungsänderung

Die Situation ist dadurch politisch kompliziert geworden, weil der Amtsinhaber Süleyman Demirel sehr früh den Wunsch geäußert hat, seine Amtszeit zu verlängern. Gleichzeitig hat Ministerpräsident Bülent Ecevit sich massiv für die Wiederwahl von Demirel eingesetzt mit dem Argument, daß er ein Garant für die politische Stabilität der Türkei sei. Um Demirel wiederwählen zu können, ist aber eine Verfassungsänderung notwendig. Der damit verbundene Entscheidungsprozeß im Parlament muß bis Mitte April abgeschlossen sein. Der parlamentarische Diskussions- und Beratungsprozeß zur Realisierung einer entsprechenden Verfassungsänderung hat bereits begonnen.

Die Vorsitzenden der Koalitionsparteien DSP (Ecevit), MHP (Bahçeli) und ANAP (Yilmaz) befürworten offiziell eine Verfassungsänderung, um Demirel die Wiederwahl zu ermöglichen. Ihr Verfassungsänderungsantrag sieht vor, daß künftig die Amtszeit des Präsidenten auf 5 Jahre begrenzt, aber die Möglichkeit einer einmaligen Wiederwahl eröffnet wird. Die Mehrheit der türkischen Juristen ist der Auffassung, daß Demirel nach erfolgter Verfassungsänderung noch eine weitere Amtszeit von 5 Jahren als Staatspräsident (also dann insgesamt 12 Jahre) tätig sein könnte.

Die Oppositionsparteien DYP und Fazilet haben ebenfalls einen Verfassungsänderungsantrag eingebracht mit dem Ziel, künftig den Staatspräsidenten direkt durch das Volk wählen zu lassen. Diese Idee wird zwar von Demirel begrüßt, aber von allen übrigen Parteien abgelehnt und hat daher keine Mehrheitschance.

Den Verfassungsänderungsantrag der Koalitionsparteien muß mindestens 1/3 aller Abgeordneten unterschreiben (182 Abgeordnete). In diesen Tagen werden die Unterschriften dafür gesammelt. Es wird erwartet, daß in jedem Fall die erforderliche Zahl von Abgeordneten diesen Antrag unterschreibt.

Anschließend wird dieser Verfassungsänderungsantrag im Justiz- und Verfassungsausschuß des Parlaments beraten und bei positivem Votum im Plenum zur Abstimmung gestellt. Im Plenum muß im Abstand von drei Tagen zwei Mal in geheimer Abstimmung ohne Fraktionszwang über den Verfassungsänderungsantrag abgestimmt werden, dem mindestens 3/5 der Abgeordneten zustimmen müssen (330 von 550 Abgeordneten).

Da die Koalitionsparteien DSP, MHP und ANAP zusammen 348 Abgeordneten im Parlament stellen, ist diese Mehrheit theoretisch zu erreichen. Aber es muß davon ausgegangen werden, daß keineswegs alle Abgeordneten der Koalitionsparteien in geheimer Abstimmung für diesen Antrag stimmen werden. Insbesondere in der ANAP gibt es erhebliche Widerstände gegen diese Verfassungsänderung, nicht zuletzt deshalb, weil offensichtlich der ANAP-Vorsitzende Mesut Yilmaz selber Ambitionen auf das Amt des Staatspräsidenten hat. Wenn aber die Verfassungsänderung, für die sich vor allen Dingen Ecevit massiv einsetzt, angelehnt werden sollte, würde Demirel nicht erneut zum Präsidenten gewählt werden können. Dann haben andere Kandidaten gute Chancen.

In der DSP wird die Verfassungsänderung von der großen Mehrheit der Abgeordneten unterstützt, während es in der MHP auch Vorbehalte gegen die Verfassungsänderung gibt. In der DYP wird die Verfassungsänderung 5+5 auch deshalb unterstützt, weil Demirel aus der DYP hervorgegangen ist; außerdem muß die DYP-Vorsitzende Frau Çiller befürchten, daß Demirel bei Nichtverlängerung seiner Amtszeit in die aktive Politik zurückkehrt und ihr den DYP-Vorsitz erfolgreich streitig machen könnte.

Es sieht im Augenblick also nicht danach aus, daß es die Koalitionsparteien aus eigener Kraft schaffen, die erforderliche Mehrheit für die Verfassungsänderung zu erreichen. Falls dies so eintrifft, wäre dies eine politische Niederlage für Ministerpräsident Bülent Ecevit, weil er sich in dieser Frage sehr stark exponiert hat. Es kann sogar nicht ausgeschlossen werden, daß im Zusammenhang mit der Präsidentschaftswahl die Koalition in eine Krise gerät.

Große Unsicherheit

Aber selbst wenn die Verfassungsänderung durchgesetzt werden sollte, ist noch keineswegs sicher, ob Demirel dann der einzige Kandidat ist und problemlos gewählt wird. Denn sowohl in der DSP wie in der MHP als auch in der ANAP kursieren verschiedene Namen von Politikern, die auf dieses Amt spekulieren. Erst recht ist völlig unsicher, wer zum Staatspräsidenten gewählt wird, falls die Verfassungsänderungen scheitern sollte, denn dann läuft die Amtszeit von Demirel automatisch ab und es wird für die nächsten 7 Jahre ein neuer Präsident gewählt.

Unklar ist, warum Ecevit mit der "Lex Demirel" die Stabilität seiner Koalition auf's Spiel setzt, zumal mit einem anderen Staatspräsidenten als Demirel sicherlich keine politischen Gefahren für die Stabilität der Republik verbunden wären. Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß der Staatspräsident jede Verfassungsänderung zur Volksabstimmung bringen kann, was aber keine Partei anstrebt.

Mit oder ohne Verfassungsänderung verläuft die Wahl des Staatspräsidenten nach folgenden prozeduralen Vorschriften ab:

30 Tage vor der Wahlentscheidung am 16. Mai beginnt die Feststellung der Kandidaten für das Amt des Staatspräsidenten. Falls ein Kandidat außerhalb des Parlaments Interesse an diesem Amt hat, muß er von einem Fünftel der Abgeordneten (111) nominiert werden. Im Augenblick spricht nichts dafür, daß es einen solchen Kandidaten geben wird.

Nach Feststellung und Bestätigung der Kandidaten (nach der Verfassung muß jeder Kandidat für das Amt des Staatspräsidenten mindestens 40 Jahre alt sein und einen Hochschulabschluß nachweisen) finden in Abständen von einigen Tagen die ersten zwei Abstimmungen statt, in denen derjenige Kandidat gewählt ist, der zwei Drittel aller Abgeordnetenstimmen (370) auf sich vereinigt hat.

Im dritten Wahlgang ist die absolute Mehrheit, im vierten Wahlgang ist eine Stichwahl zwischen den Kandidaten vorgeschrieben, die im dritten Wahlgang die meisten Stimmen bekommen haben. Im vierten Wahlgang ist derjenige gewählt, der die meisten Stimmen auf sich vereinigt.

Welcher Kandidat dieses Hindernisrennen am Ende bestehen wird, ist völlig unklar. Der Prozeß bis zur endgültigen Entscheidung über das Amt des türkischen Staatspräsidenten, der spätestens Mitte Mai abgeschlossen sein wird, hat schon jetzt zur einen erheblichen Verunsicherung geführt. Zum einen deshalb, weil sich die bisher sehr gut zusammenarbeitenden drei Koalitionsparteien weder in inhaltlichen Fragen (Verfassungsänderung) noch in personellen Fragen einig sind.

Je näher der Entscheidungstermin rückt, um so mehr werden die Partei- und Fraktionsführer und die Abgeordneten sich ausschließlich mit diesem Thema beschäftigen, was zu Lasten der eigentlichen Parlaments- und Regierungsarbeit gehen dürfte. Zum anderen kommt hinzu, daß durch den Versuch von Ecevit, die Oppositionsparteien Fazilet und DYP ggf. durch politische Zugeständnisse für eine Unterstützung der Verfassungsänderung zu gewinnen, zusätzliches Mißtrauen und Unsicherheiten in die Reihen der übrigen Koalitionsparteien getragen wird.

Es ist daher im Augenblick völlig unklar, wie die Koalition nach der Entscheidung über den Staatspräsidenten politisch dasteht und wer der neue Staatspräsident sein wird. Sicher kann davon ausgegangen werden, daß der ANAP-Vorsitzende Yilmaz seit langem Ambitionen auf das Amt des Staatspräsidenten hat, wenngleich er dies bisher öffentlich nicht klar gesagt hat. Da er als Parteivorsitzender für die schlechten Wahlergebnisse der ANAP in zwei Parlamentswahlen verantwortlich gemacht wird, ist für ihn die Wahl zum Staatspräsidenten seine letzte politische Karrierechance. Seine Chancen werden steigen, falls die Verfassungsänderung abgelehnt wird. Im April wird man klarer sehen.

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Sven-Joachim Irmer

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